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Publicly Available Published by De Gruyter December 14, 2017

Anthony H. Cordesman, Rethinking the Threat of Islamic Extremism: The Changes Needed in U.S. Strategy. 2017.

  • Andrea Rotter EMAIL logo

In den Augen des neuen US-Präsidenten Donald J. Trump stellt der islamistische Terrorismus, konkret der sog. „Islamische Staat“ (IS), die größte sicherheitspolitische Bedrohung für die USA dar. Mehrfach kritisierte er im Präsidentschaftswahlkampf die Vorgehensweise der Obama-Administration gegen den IS und versprach, den islamistischen Terrorismus binnen kürzester Zeit „auszurotten“. Vor dem Hintergrund des Wechsels im Weißen Haus befasst sich die im Januar 2017 verfasste Studie des Center for Strategic & International Studies mit der Frage, welche grundsätzlichen Änderungen in der US-amerikanischen Strategie zur Terrorismusbekämpfung von der neuen Administration vorgenommen werden müssen, um die terroristische Bedrohung effektiv und nachhaltig zu bekämpfen.

Die Studie bewertet einige Fortschritte der USA in der Terrorabwehr durchaus als positiv: Innere Sicherheit und außenpolitische Maßnahmen gegen die terroristische Bedrohung wurden effektiver gestaltet, Amerikas strategische Partnerschaften mit Akteuren in den betroffenen Regionen unter Präsident Obama aufgewertet. Durch das militärische Engagement der von den USA angeführten internationalen Koalition wurde zudem der IS in Syrien und im Irak territorial zurückgedrängt, wodurch seine Möglichkeiten, als Anlaufstelle für islamische Fundamentalisten aus aller Welt zu dienen, eingeschränkt wurden. Allerdings kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die USA und ihre Verbündeten den bisherigen, zumeist auf den IS beschränkten Strategie-Fokus, grundlegend erweitern müssen. Die zugrundeliegenden Wurzeln des islamistischen Terrorismus gehen tiefer, als dass die gegenwärtigen Ansätze ihnen nachhaltig entgegenwirken könnten. Vielmehr ist die terroristische Bedrohung im Kontext eines breiter angelegten islamistischen Extremismus zu verstehen, den es endlich offen zu benennen gilt. Im Gegensatz zu Samuel Huntingtons umstrittener These eines „clash of civilizations“, die oftmals als mögliches Erklärungsmuster herangezogen wird, konstatiert der Autor der Studie, dass die aktuelle terroristische Bedrohung nicht als Ausdruck eines Kampfes zwischen dem westlichen und islamischen Kulturkreis gesehen werden sollte, sondern als Konsequenz von Konflikten innerhalb der muslimischen Welt („a clash within a civilization“). Hierbei versuchen extremistische Kräfte, Macht und Einfluss in eigentlich moderaten muslimischen Staaten geltend zu machen. Diese ideologisch-motivierte Gewalt richtet sich vorwiegend gegen andere Muslime. Sie geht weit über bloße terroristische Attentate hinaus, bedient sich der Mittel der asymmetrischen Kriegsführung und äußert sich in einem deutlich umfassenderen Maße bis hin zu Aufstandsbewegungen und Bürgerkriegen. Daher sind die Hauptleidtragenden dieser extremistischen Gewalt muslimisch geprägte Staaten, die neben deutlich höheren Opferzahlen vor allem langfristige Schäden für die gesamtstaatliche ökonomische Entwicklung zu bewältigen haben, wie die Studie mit aktuellen Datenerhebungen für die MENA-Region, Subsahara-Afrika sowie Zentral-, Süd- und Ostasien belegt.

Die Studie hält fest, dass die bisherigen Strategien der USA und ihrer Verbündeten die demographischen und sozio-ökonomischen Trends in den Krisenregionen nur ungenügend berücksichtigen, obgleich diese die Hauptursachen der gewalttätigen Auseinandersetzungen in der islamischen Welt darstellen. Zu diesen Entwicklungen gehören (1) anschwellende sozio-ökonomische Spannungen (Ressourcenknappheit, Urbanisierung, Slum-Bildung) durch eine stark wachsende Bevölkerung, (2) eine unzureichende gesamtstaatliche wirtschaftliche Entwicklung, hohe Jugendarbeitslosenquoten und mangelnde Zukunftsperspektiven, (3) gewachsene ethnische und religiöse Konflikte unter Sunniten, Schiiten und anderen religiösen Minderheiten sowie (4) die Unfähigkeit der Staaten, angemessen auf diese Entwicklungen zu reagieren. Die von den USA verfolgte Strategie dient bislang in erster Linie der Bekämpfung der Symptome, d. h. der unmittelbaren Bedrohung der nationalen Sicherheit durch den IS, ohne sich jedoch ausreichend den Radikalisierungsgründen in muslimischen Ländern zu widmen. Folglich kann zwar der IS in Syrien und im Irak militärisch bezwungen werden, doch wird der islamistische Extremismus ohne Ursachenbekämpfung zweifelsfrei fortbestehen.

Auf Basis dieser Analyse gibt die Studie mehrere Handlungsempfehlungen für die neue US-Administration:

  1. Islamistischer Extremismus ist klar von der Religion Islam zu trennen. Die USA müssen muslimische Länder als wichtige strategische Partner verstehen und mit ihnen kooperieren. Sicherheitspolitische Ansätze, die die islamische Welt ausklammern oder gar isolieren, sind kontraproduktiv. US-amerikanische Initiativen sollten darauf abzielen, das in der Vergangenheit eingebüßte Vertrauen von Akteuren der Region wiederaufzubauen und auf ein gegenseitiges Verständnis der Bedrohungslage hinzuarbeiten.

  2. Die Strategie der neuen Administration muss über (militärische) Mittel der Terrorismusbekämpfung hinausgehen, um die Ursachen von Extremismus und regionaler Instabilität nachhaltig zu adressieren. Dabei sind allerdings nicht Nation-Building-Ansätze gemeint, sondern Wege und Möglichkeiten, um Amerikas muslimische Partner zu notwendigen innenpolitischen Reformen zu bewegen und ihnen Hilfestellungen anzubieten. Diese Reformen sollten sich auf (1) die Bekämpfung von Korruption durch mehr Transparenz, (2) den Schutz vor ethnischer oder religiöser Diskriminierung und die Achtung fundamentaler Menschenrechte sowie (3) die Schaffung wirtschaftlicher Perspektiven für alle Bevölkerungsgruppen konzentrieren.

  3. Eine Verbesserung der Sicherheitsüberprüfungen vor Einreise und eine Stärkung der inneren Sicherheit sind angebracht, um das Risiko durch rückkehrende Foreign Fighters zu minimieren. Allerdings warnt die Studie eindringlich davor, in den USA ein von Vorurteilen geprägtes und für Diskriminierung offenes politisches Klima zu schüren. Eine Entfremdung von Muslimen verleiht fundamentalistischer Indoktrination Entfaltungskraft und unterstützt letztendlich die nach außen gerichtete Agenda islamistischer Extremisten: einerseits Individuen zu radikalisieren und sog. lone wolf attacks hervorzurufen, andererseits einen Keil zwischen Gesellschaften und ihre muslimischen Minderheiten sowie zwischen die USA und ihre muslimischen Partner zu treiben.

Die Erkenntnisse dieser Studie sind nicht unbedingt neu. Sie unterstreicht allerdings durch Auswertung aktueller und zukunftsgerichteter statistischer Erhebungen die Notwendigkeit eines umfassenden und kooperativen Ansatzes mit militärischen, zivilen und entwicklungspolitischen Elementen, um die terroristische Bedrohung langfristig einzudämmen. Angesichts der Rhetorik von US-Präsident Trump, umstrittener innenpolitischer Maßnahmen wie das Einreiseverbot von Bürgern/-innen aus mehrheitlich muslimischen Ländern sowie bereits erkennbarer taktischer und operativer Änderungen der USA im Kampf gegen den IS, sind die mahnenden Ergebnisse dieser Studie nach wie vor von aktueller Brisanz.

https://www.csis.org/analysis/rethinking-threat-islamic-extremism-changes-needed-us-strategy

Published Online: 2017-12-14

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 11.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2017-0094/html
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