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Publicly Available Published by De Gruyter March 31, 2020

Die internationale Ordnung: Bestandsaufnahme und Ausblick

  • Hanns W. Maull EMAIL logo

Zusammenfassung

Um die Entwicklung der internationalen Ordnung zu diagnostizieren, bedarf es zunächst einer präzisen Begrifflichkeit. Dieser Beitrag versteht die Weltordnung als spezifische Ausprägung politischer Ordnung, die eng verwoben mit nationalstaatlichen politischen Ordnungen funktioniert. „Die“ internationale Ordnung als umfassende Weltordnung ist ein relativ junges Phänomen, das dennoch bereits eine differenzierte historische Entwicklung aufweist. Die gegenwärtige, seit 1990 bestehende Weltordnung erfährt – nach einer Phase der Konsolidierung und der Expansion in den 1990er Jahren – etwa seit 2003 eine sich beschleunigende Erosion. Der Beitrag beschreibt die wesentlichen Charakteristika dieser Ordnung, erläutert die Ursachen der Erosions- und Zerfallsprozesse, die inzwischen ein gefährliches Ausmaß erreicht haben, und blickt auf die sich abzeichnende zukünftige internationale Ordnung.

Abstract

To assess the state and perspectives of international order, this article first develops a comprehensive definition, which takes the international order as a specific form of the broader category of political order. Its most important example continues to be the nation state. “The” international order is historically a rather recent phenomenon, but as this essay shows, it has already evolved significantly over time. In its present incarnation, the international order during the 1990 s experienced first consolidation and then important advances. Since 2003, however, it has experienced accelerating – and by now critical – erosion. The article describes the key characteristics of this order and the major drivers of change. It then identifies some initial features of the transformed new international order.

1  Einleitung

„Die Welt ist aus den Fugen“: Diese Beobachtung thematisierte der jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schon zu seiner Zeit als Außenminister häufig. Dabei mag ihn auch das ursprünglich 2014 erschienene Buch von Henry Kissinger mit dem Titel „Weltordnung“ inspiriert haben: Erkennbar beunruhigte den Doyen der amerikanischen Diplomatie und ihrer Geschichte schon damals der Zustand der internationalen Ordnung.[1] Seither ist die internationale Politik freilich noch wesentlich turbulenter und unruhiger geworden. Unter Fachleuten und Praktikern bestehen kaum noch Zweifel daran, dass die Weltpolitik einen tiefgreifenden Umbruch erfährt und sich die westlich dominierte „liberale internationale Ordnung“ der Nachkriegszeit (die Pax Americana) aufgelöst hat.[2] Sie wird derzeit von einer neuen, bislang allerdings nur schemenhaft und in Umrissen erkennbaren Ordnung abgelöst.

Im vorliegenden Beitrag wird diese Entwicklung genauer untersucht. Dabei gilt es zunächst, den Begriff der „internationalen Ordnung“ zu klären: „Die internationale Ordnung“ wird hier als eine spezifische Ausprägung der Kategorie politischer Ordnungen verstanden, die andere Ordnungen umfasst und mit diesen in Wechselwirkungen steht. Politische Ordnungen im allgemeinen und die internationale Ordnung im Besonderen lassen sich beschreiben anhand der ihnen zugrundeliegenden Prinzipien, Normen, Werte und Institutionen und bewerten mit Blick auf ihre Autorität, Legitimität und Effektivität.

In einem zweiten Schritt untersucht der Text, wie die gegenwärtige internationale Ordnung historisch entstanden ist, wie sie sich im Einzelnen entwickelt hat und welche Triebkräfte diesen Entwicklungspfad bestimmt haben. Dabei stehen die drei Dekaden seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes im Mittelpunkt. In diesem Zeitraum erlebte die internationale Ordnung zunächst eine Phase der Konsolidierung und dann signifikante Fortschritte; kurz nach Beginn dieses Jahrhunderts kehrten sich diese positiven Entwicklungen jedoch um, und es begann ein sich beschleunigender Prozess der Erosion der internationalen Ordnung. Die wichtigsten Triebkräfte waren dabei erstens die sich beschleunigende Dynamik der technologischen Innovation und ihre Auswirkungen, die das Stichwort „Globalisierung“ zusammenfasst, zweitens die strukturelle Überforderung der Politik auf allen Ebenen der internationalen Ordnung durch die Wucht des sozialen Wandels und drittens das Agieren der wichtigsten internationalen Ordnungsmacht, der USA. Während die internationale Ordnung nach 1990 vom weltgeschichtlichen Rückenwind des Endes des Ost-West-Konfliktes, aber auch von einer in vieler Hinsicht konstruktiven Führungsrolle der USA profitierte, richtete die amerikanische Außenpolitik in den ersten vier Amtsjahren von Präsident George W. Bush (2001 bis 2005) massive Schäden an, die systemische Auswirkungen zeitigten. Diese Schäden konnten die USA in der zweiten Amtszeit von George W. Bush nicht mehr revidieren, und auch seinem Nachfolger Barack Obama (2009 bis 2017) gelang es nicht, die internationale Ordnung nachhaltig zu reparieren. Dabei spielte auch eine Rolle, dass sich weder die europäischen Verbündeten der USA noch die Volksrepublik China hinreichend für eine Re-Stabilisierung der internationalen Ordnung einsetzten. Den europäischen Verbündeten gelang es nicht, die Europäische Union als handlungsfähige internationale Ordnungsmacht zu etablieren, während Chinas Unterstützung für die bestehende internationale Ordnung ambivalent blieb. Der Text schließt mit einigen Überlegungen dazu, welche Implikationen der gegenwärtigen Verfassung der internationalen Ordnung und der dominierenden Trends für die Zukunft haben könnten.

2 Politische Ordnungen und internationale Ordnung

Doch was ist das eigentlich: Die internationale Ordnung, die oft auch als „Weltordnung“ bezeichnet wird?[3] Der Verfasser plädiert dafür, die internationale Ordnung als eine spezifische Ausprägung der Kategorie „politische Ordnungen“ zu verstehen. Politische Ordnungen – und somit auch internationale Ordnungen und die internationale Ordnung – sind formelle oder informelle Regelwerke, die die Beziehungen zwischen den Angehörigen von Kollektiven gestalten und ihnen dazu gesellschaftliche und politische Rollen zuweisen.

Politische Ordnungen erlauben es, das Verhalten vieler Menschen auch über größere Entfernungen hinweg wirksam zu koordinieren. Sie ermöglichen dadurch Wohlstandsgewinne und Machtzuwachs für das Kollektiv und seine Repräsentanten und vergrößern so ihre Chancen, sich gegenüber anderen Kollektiven zu behaupten.[4] Der Begriff der politischen Ordnung kommt aus der politischen Philosophie und bezieht sich allgemein auf politische Gemeinwesen, wie Staaten, Kommunen oder Gliedstaaten. Es ist der Wesenskern politischer Ordnung, dass sie vier grundlegende Funktionen erfüllt: (1) den Umgang mit und die Einhegung von gesellschaftlicher Macht, so dass die Gewaltpotenziale in der Gesellschaft gezähmt werden können; (2) die Bearbeitung und Lösung gesellschaftlicher Konflikte; (3) die Schaffung von Möglichkeiten innerhalb einer Gesellschaft gemeinsame oder doch zumindest kompatible Interessen zu realisieren; und (4) die Bereitstellung von Gemeingütern wie innerer und äußerer Sicherheit.[5] Darüber hinaus können politische Ordnungen auch gesamtgesellschaftliche Visionen formulieren und verfolgen.

Zusammenfassend geht es in politischen Ordnungen um das Regieren von Kollektiven bzw. aus der globalen Sicht um das Miteinander verschiedener Kollektive. „Gutes Regieren“ erfüllt die subjektiven Erwartungen des Kollektivs, aber auch objektive Anforderungen, deren Bewältigung der jeweiligen Gruppe und ihren Mitgliedern ein möglichst selbstbestimmtes und erfülltes Leben ermöglicht. Eine Minimalanforderung an gutes Regieren ist es in diesem Zusammenhang, Sicherheit zu gewährleisten, also gesellschaftliche und zwischengesellschaftliche Gewalt einzuhegen.

Offenkundig ist, dass sich die subjektiven Erwartungen und objektiven Anforderungen an gutes Regieren und damit an politische Ordnungen im Zeitverlauf nach Maßgabe der jeweiligen Gegebenheiten und Möglichkeiten verändern. Politische Ordnungen unterliegen somit beständig der Herausforderung, sich auf neue Chancen und Risiken, neue Bedürfnisse und Erwartungen einzustellen. (Gutes) Regieren ist demnach keine feste Größe, sondern bedarf der beständigen Anpassung. Es handelt sich dabei um einen gerichteten Prozess: Modernisierung und Globalisierung implizieren fortschreitende gesellschaftliche Mobilisierung und Differenzierung und demnach beständig steigende Anforderungen an politische Ordnungen.

Politische Ordnungen beruhen auf breit geteilten Prinzipien und Normen der Kollektive, die sie regieren. Es geht dabei nicht notwendig um Prinzipien und Normen, die wir heute als „gut“ erachten würden. Sie können aus unserer Sicht ethisch durchaus problematisch sein, wie etwa die Prinzipien der Sklaverei oder der gewalttätigen Eroberungs- und Beutezüge zur eigenen Bereicherung. Die verbreitete Gegenüberstellung von „realistischen“ und „idealistischen“ bzw. „ideologischen“ Ordnungen[6] ist daher irreführend: Tatsächlich gibt es auch in „realistisch“ verfassten und gelenkten Ordnungen handlungsleitende Prinzipien und Normen und damit eine Herrschaftsideologie, etwa die Prinzipien der uneingeschränkten Machtausübung, des Vorrangs der eigenen vor Gemeinschaftsinteressen oder des „freien“, also nicht regulierten Marktes. Es gibt also keine Ordnung ohne normative Grundlage; allerdings können sich diese Grundlagen stark unterscheiden.

Die wichtigste politische Ordnung ist der Staat. Idealtypisch verfügt er in seinem Herrschaftsgebiet über das Gewaltmonopol. Er verabschiedet auf dieser Basis Gesetze und erlässt Verordnungen; er verfügt über Exekutivgewalt zu ihrer Durchsetzung, erhebt Steuern und finanziert daraus die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Seine Organe regieren die Gesellschaft auf der Grundlage der Autorität (oder modern: der Souveränität) des Staates.

Internationale Ordnungen regeln die Beziehungen zwischen Staaten und zwischen Individuen, soweit letztere über nationalstaatliche Grenzen hinweg, also „transnational“ bzw. „international“ agieren.[7] Sie tun dies stets auf der Grundlage der staatlichen Autorität der beteiligten Länder.[8] „Die“ internationale Ordnung umfasst alle Staaten und Menschen einer Epoche, sie ist also universal und global. Es gab und gibt daneben aber regionale oder regionenübergreifende internationale Ordnungen, insbesondere in der Zeit vor der Moderne.[9] Und auch heute bildet eine überregionale, westlich geprägte internationalen Ordnung den Kern dessen, was viele unter Weltordnung verstehen.

Jede politische Ordnung beruht auf ihr zugrundeliegenden Machtrelationen. Historisch entstanden Ordnungen häufig im Zusammenhang mit gewaltförmigen Auseinandersetzungen zwischen Gruppen, in denen sich eine Gruppe durchsetzen und ihre dominante Stellung dann institutionell verstetigen konnte.[10] Dies gilt für viele nationalstaatliche Ordnungen, aber auch für Imperien.[11] Alternativ entstanden und entstehen Ordnungen durch kooperative Gründungsakte, etwa durch Verhandlungen nach der Beendigung von Kriegen oder zur Bewältigung spezifischer geteilter Problemlagen und Interessen.

Die Leistungsfähigkeit politischer Ordnungen wird wesentlich bestimmt durch ihre Führung. Im Rahmen von internationalen (Teil-)Ordnungen kommt den großen Mächten hierbei eine besondere Rolle und Verantwortung zu. Politische Führung ist erforderlich, um Ordnungen aufzubauen und zu institutionalisieren, sie an veränderte innere und äußere Gegebenheiten anzupassen und sie so robust und resilient, zugleich aber auch so offen und lernfähig zu gestalten, dass sie sich auf Dauer behaupten können. Politische Führung kann sowohl von einzelnen großen Mächten ausgehen wie auch von Koalitionen bzw. einem „Konzert“ von Mächten. Diese Mächte bezeichnen wir als Ordnungsmächte.

3 Internationale Ordnungen

Internationale Ordnungen weisen mindestens zwei, in der Moderne drei unterscheidbare Ebenen auf: Die Ebene der nationalstaatlichen Ordnungen, auf denen die internationale Ordnung aufbaut und die sie umgreift, sowie die Ebene zwischenstaatlicher Ordnungen. Hier finden sich regionale und funktionale Teilordnungen (letztere werden gewöhnlich als „internationale Regime“ bezeichnet), die die Interaktionen in bestimmten räumlichen (z. B. im Nahen und Mittleren Osten oder in Ostasien) bzw. funktionalen (z. B. Welthandel, Klimapolitik, Nichtverbreitung von Kernwaffen) Segmenten zu ordnen versuchen. Die dritte Ebene ist die Ebene der Weltordnung, die alle anderen Ordnungen umfasst und zugleich eine eigene Ordnung darstellt. Diese Ordnung manifestiert sich in den Institutionen der Vereinten Nationen und ihren Unterorganisationen sowie – normativ – in der UN-Charta sowie im Völkerrecht.

Zwischen den einzelnen Elementen der internationalen Ordnung bestehen Wechselwirkungen in horizontaler und vertikaler Richtung: Entwicklungen innerhalb einer nationalstaatlichen Ordnung beeinflussen, was in (benachbarten) anderen Ländern geschieht. Übergeordnete internationale Ordnungen (wie etwa das Nichtverbreitungsregime für Kernwaffen) wirken auf nationalstaatliche Ordnungen ein, diese auf die internationale Teilordnung. Derartige Wechselwirkungen (man bezeichnet sie mit einem aus der Physik entliehenen Terminus als „Interferenzen“) können intendiert, aber auch unbeabsichtigt sein, stabilisierend oder destabilisierend wirken, von spezifischen Akteuren ausgehen oder auch auf diffuse Einflüsse (wie etwa Massenmigration, Pandemien oder die Ausbreitung radioaktiver Wolken im Gefolge von Havarien in Kernkraftwerken) zurückgehen. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang zwei Merkmale politischer Ordnungen: Ihre relative Offenheit bzw. Abgeschlossenheit gegenüber anderen Ordnungen hinsichtlich äußerer Einwirkungen aus anderen Ordnungen sowie ihre Fähigkeit, Einflüsse von außen zu kanalisieren und konstruktiv zu verarbeiten, ohne dabei ihre Autonomie einzubüßen (Resilienz).

3.1 Autorität, Legitimität, Effektivität

Neben Offenheit und Resilienz von Ordnungen lassen sich diese anhand dreier weiterer Merkmale beschreiben und auch bewerten: Ihre Autorität, ihre Legitimität und ihre Effektivität und Effizienz. Die „Autorität“ einer Ordnung bemisst sich daran, ob die in ihr gefällten Entscheidungen respektiert und von den dabei angesprochenen Mitgliedern der Ordnung umgesetzt werden. „Legitimität“ beschreibt die Einstellung dieser Mitglieder einer Ordnung zu dieser Ordnung insgesamt und ihren Repräsentanten: Sie sind dann legitim, wenn ihnen von den Mitgliedern generell zugestanden wird, Entscheidungen autoritativ zu treffen, und sie bereit sind, diese zu respektieren und sich für ihre Umsetzung auch aktiv einzusetzen – im Extremfalle bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens. Ordnungen sind effektiv, wenn sie die gestellten Aufgaben objektiv (im Sinne anstehender Probleme) und subjektiv (hinsichtlich der an sie herangetragenen Erwartungen von innen und von außen) hinreichend erfolgreich bearbeiten; wir sprechen dann davon, dass eine staatliche Ordnung, ein internationales Regime, eine regionale Ordnung oder die Weltordnung „gut funktionieren“. Effizienz bemisst sich am relativen Aufwand, der in einer gegebenen Ordnung in diesem Zusammenhang betrieben wird, sowie an den Kosten plausibler Alternativen: Effizientes Regieren impliziert, dass diese Kosten im Sinne von Aufwand und Ertrag bestimmter Handlungsstrategien vergleichsweise günstig sind.[12]

3.2 Die Weltordnungen der Moderne

Internationale Ordnungen gibt es, seit es Staaten oder staatsähnliche Gebilde gibt, die miteinander und gegeneinander (ver)handeln[13] – doch „die“ internationale Ordnung, wie wir sie heute verstehen, nämlich als globale, die gesamte Staatenwelt umfassende Ordnung ist vergleichsweise noch recht jung. Ihre Ursprünge liegen in der europäischen Expansion seit Ende des 15. Jahrhunderts, in deren Verlauf auf den anderen Kontinenten die großen europäischen Kolonialreiche, aber auch neue Nationalstaaten nach europäischem Vorbild entstanden, wie etwa die Vereinigten Staaten oder Argentinien. Noch zur Zeit der napoleonischen Kriege in Europa wurden diese zwar teilweise auch in Übersee ausgetragen; dennoch handelte es sich um europäische Kriege. Denn noch zu dieser Zeit scheiterten britische Versuche, das chinesische Kaiserreich für den Austausch mit Großbritannien zu öffnen und so das Reich der Mitte in die internationale Politik hineinzuziehen.[14] Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzieht sich die Herausbildung einer globalen, von Europa dominierten Weltordnung durch die militärisch erzwungene Öffnung und Einbeziehung Ostasiens; den Auftakt bildeten hierbei die beiden Opiumkriege zwischen Großbritannien und dem chinesischen Kaiserreich (1839–1842, 1856–1860). Bis dahin gab es nicht eine, sondern mehrere internationale Ordnungen, die weitestgehend unabhängig voneinander existierten, wie die europäische Ordnung, die sinozentrische Ordnung in Ostasien oder die internationalen Ordnungen in Afrika oder Lateinamerika.

 Pax Britannica im späten 19. Jahrhundert

Pax Britannica im späten 19. Jahrhundert

Voraussetzung für die Entstehung „der“ internationalen Ordnung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die rasante Zunahme von Kommunikations- und Interaktionsprozessen im Weltmaßstab im Gefolge des Zeitalters der Entdeckungen. Dramatische Fortschritte in den Techniken von Transport (Schifffahrt, Eisenbahnen) und Nachrichtenübermittlung (Post, Telegraph, Telefon) ermöglichten die Ausweitung des Handels und der Kapitalinvestitionen über staatliche Grenzen hinweg. Diese Austauschprozesse zwischen Gesellschaften und Kulturen, deren Öffnung oft durch brutale Anwendung überlegener Waffen erzwungen wurde, bildeten und bilden bis heute die materielle Grundlage „der“ internationalen Ordnung.

Die erste wirklich globale Weltordnung entstand in der zweiten Hälfte 19. Jahrhundert unter dem Einfluss Großbritanniens. Die britische Hegemonie (Pax Britannica), die sich auf Großbritanniens Vorreiterrolle in der industriellen Revolution, seine überlegene Seemacht und sein Bündnis mit den USA stützen konnte, ermöglichte die Etablierung einer ersten „liberalen“ internationalen Weltordnung auf der Grundlage der Prinzipien von Freihandel, offenen Kapitalmärkten und festen Wechselkursen, die durch Goldreserven der Zentralbanken gedeckt waren. Die politischen Inhalte des Liberalismus (Rechtsstaatlichkeit, Völkerrecht, Menschenrechte, Demokratie, Einhegung zwischenstaatlicher Gewalt) waren dagegen in dieser Weltordnung nur in Ansätzen erkennbar (etwa in den Bemühungen um die Abschaffung der Sklaverei).[15] Sicherheitspolitisch dominierte nach den napoleonischen Kriegen zunächst das Konzert der Großen Mächte, nach dessen Zerfall in der Folge des Krimkrieges herrschte eine eher zufällige und prekäre Stabilität. Zudem entwickelten sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die europäischen Kolonialreiche: Die liberalen Inhalte der internationalen Ordnung wurden dabei im Sinne einer zivilisatorischen Mission umgedeutet. Überraschend am Ersten Weltkrieg war aus dieser Perspektive, dass er erst 1914 und nicht schon früher ausbrach.[16]

Mit dem Ersten Weltkrieg kollabierte diese erste liberale Weltordnung. Nach dem Kriegseintritt der USA proklamierte Präsident Wilson das Projekt einer neuen internationalen Ordnung. Grundlegend dafür sollten die Prinzipien des Selbstbestimmungsrechtes, der Friedenssicherung und Konfliktregelung durch den Völkerbund und die Ächtung des Krieges sein. Die Umsetzung dieses Projektes gelang im Vertrag von Versailles allerdings nur teilweise und unvollkommen; so blieben etwa Deutschland und die Sowjetunion vom Völkerbund ausgeschlossen. Noch gravierender war, dass die USA selbst dem Völkerbund fernblieben.[17] Die Nachkriegsordnung von Versailles zerbrach dann an ihrer Herausforderung zunächst durch den japanischen Militarismus (Expansion nach China seit 1931) und den italienischen Faschismus (Abyssinienkrieg 1935/36), dann durch den deutschen Nationalsozialismus (Einmarsch im entmilitarisierten Rheinland 1936, in Österreich und der Tschechoslowakei 1938/39, Angriff auf Polen 1939). Zwanzig Jahre nach den Verhandlungen in Versailles und fünfundzwanzig Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mündete der Versuch, eine neue liberale internationale Ordnung zu errichten, um derartige Katastrophen in der Zukunft zu verhindern, in den Zweiten Weltkrieg. Er wurde noch schlimmer, verlustreicher und zerstörerischer als der Erste; zum Paroxysmus der Gewalt gehörte diesmal auch die Vernichtung eines Großteils der europäischen Juden durch industriell organisierten Massenmord und der Einsatz der ersten beiden Atombomben, die unmittelbar rund 100.000 Menschenleben auslöschten. Weitere Zehntausende starben an den Folgen der Explosionen.

4 Die Herausbildung der gegenwärtigen internationalen Ordnung

Schon früh während des Krieges planten die Alliierten die Neuordnung der Weltpolitik nach der Niederlage der Achsenmächte. Dabei knüpften sie an Woodrow Wilsons Bestrebungen an, die Weltpolitik nach dem Ende des Ersten Weltkriegs grundlegend mit dem Ziel neu zu ordnen, derartige Kriege für die Zukunft unmöglich zu machen. Sie versuchten jedoch aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Die Grundprinzipien dieser neuen– und damit der gegenwärtigen – internationalen Ordnung formulierten der amerikanische Präsident F.D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill bereits 1941 in der Atlantik-Charta: Verzicht auf territoriale Ausdehnung der Siegermächte, Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, offene Märkte für Handel und Rohstoffe, Freiheit der Schifffahrt, Gewaltverzicht und Abrüstung sowie enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, um „… für alle bessere Arbeitsbedingungen, wirtschaftliche Fortschritte und soziale Sicherheit“ zu erreichen.[18] Die Atlantik-Charta wurde zur Grundlage der Politik der Alliierten; ihre Prinzipien und Normen fanden Eingang in die Charta der Vereinten Nationen.

4.1 Die zweite liberale Weltordnung (LIO 2.0) und die Weltordnung des Kalten Kriegs

Die rechtliche und organisatorische Infrastruktur für die Neuordnung der Weltpolitik nach 1945 lieferten die völkerrechtlichen Instrumente und das Institutionengefüge der Vereinten Nationen und ihrer Neben- und Unterorganisationen. Allerdings war die normative Grundlage dieser Ordnung von Anfang an prekär. Zwar wurden sowohl die Charta der Vereinten Nationen (auf der Konferenz von San Francisco 1945) wie auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) von 50 bzw. 48 Staaten ohne Gegenstimmen angenommen, doch beruhte diese Zustimmung auf sehr unterschiedlichen Interpretationen so zentraler Begriffe wie „Demokratie“ und „Menschenrechte“, insbesondere zwischen West und Ost.[19] Auch die machtpolitische Grundlage dieser neuen Weltordnung, die Allianz der vier Siegermächte (und Chinas), die sich in der herausgehobenen Rolle der fünf ständigen Mitgliedsstaaten (Vetorecht) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen manifestierte, war brüchig: Voraussetzung für sein effektives Funktionieren war das Zusammenwirken dieser fünf Staaten.

Mit der Verschärfung der Gegensätze zwischen der Sowjetunion und dem Westen seit 1946/7, spätestens jedoch mit dem Ausbruch des Koreakrieges im Juni 1950 mutierte die liberale Nachkriegs-Weltordnung so zu einer neuen, ganz anderen internationalen Ordnung, dem „Kalten Krieg“. Die Natur des Ost-West-Konflikts (insbesondere die Aussicht der verheerenden Wirkungen eines allgemeinen Kernwaffenkrieges) zwangen beide Seiten zu einer gewissen, wenngleich begrenzten Kooperation. Diese basierte auf Prinzipien und Normen (wie etwa „friedliche Koexistenz“, „wechselseitige Vernichtungsfähigkeit“ und klar demarkierten Einflusszonen der beiden Blöcke in der nördlichen Hemisphäre), deren Beachtung helfen sollte, einen für alle Seiten vernichtenden Atomkrieg zu vermeiden.[20] Diese Normen unterschieden sich erheblich von denjenigen der liberalen Weltordnung von 1945.

Die liberale Nachkriegsordnung wurde nun – in modifizierter Form – zu einer regionalen bzw. regionenübergreifenden Teilordnung, die die transatlantische Gemeinschaft und das maritime Ostasien (einschließlich Südkoreas) sowie weite Teile dessen umfasste, was später als Dritte Welt bezeichnet wurde. Dem stand die kommunistische Welt unter Führung der Sowjetunion gegenüber, in der allerdings Jugoslawien, Albanien und dann vor allem die Volksrepublik China eigenständige Wege gingen. Der sowjetische Einflussbereich umfasste eine eigene, auf Planwirtschaft beruhende Wirtschaftsordnung im Rahmen des Rats für gegenseitige Wirtschaftsbeziehungen (RGW bzw. Comecon). Die Interaktionen zwischen den beiden Segmenten der Weltwirtschaft waren zunächst minimal und niemals gewichtig (sieht man einmal von den relativ umfangreichen Getreideimporten und Energieausfuhren der Sowjetunion seit den 1970er Jahren ab). Dagegen entwickelten sich die internationalen Wirtschaftsbeziehungen außerhalb des RGW zwischen den westlichen Industriestaaten wie auch zwischen Nord und Süd im Rahmen der liberalen Weltwirtschafts-(Teil)ordnung sehr dynamisch; seit Einleitung der Öffnungspolitik der Volksrepublik China unter Deng Xiaoping 1978 orientierte sich auch China zunehmend auf diese Teilordnung hin.

4.2 Neubegründung und Entwicklung der internationalen Ordnung nach 1989 (LIO 2.1)

Mit der friedlichen deutschen und europäischen Vereinigung endete der Kalte Krieg; die internationale Ordnung erfuhr dadurch eine erneute Transformation.[21] Die neue internationale Ordnung, die 1990 mit der Charta von Paris ihre formale Grundlegung erfuhr, war eine Fortschreibung der liberalen internationalen Ordnung, wie sie während des Zweiten Weltkriegs von den USA und Großbritannien konzipiert und nach dem Ende des Krieges umgesetzt worden war, dann aber vom Kalten Krieg abgelöst wurde. Die liberale Teilordnung des Westens wurde nun (wie schon 1945 angestrebt) zur universalen Weltordnung. Bei genauerem Zusehen unterschied sich diese liberale internationale Ordnung (LIO 2.1) allerdings durchaus von ihrer Vorgängerin von 1945, und zwar insbesondere dadurch, dass die sozialliberalen Ideen des amerikanischen New Deal und des britischen Welfare State seit den 1980er Jahren durch das kritische Gedankengut des Neo-Liberalismus gewissermaßen entkernt worden war. Damit geriet der innere Zusammenhalt der Gesellschaften durch Politiken des sozialen Ausgleichs aus dem Blickfeld der Politik. Lediglich in der internationalen Politik behauptete sich der Sozialstaatsgedanke im Modus der Entwicklungspolitik. Die Folgen waren wachsende gesellschaftliche Ungleichheiten und soziale Spannungen in vielen Ländern des Westens, die sich schließlich in den populistischen Revolten der Globalisierungsverlierer und derer entluden, die sich durch die Folgen von Globalisierungsprozessen bedroht wähnten.

Die LIO 2.1. durchlief seit 1990 vier klar unterscheidbare Phasen. Zunächst erlebte sie – etwa in Gestalt des Golfkrieges 1991 zur Befreiung Kuwaits nach der Annexion durch den Irak, der Kriege in der zerfallenden „Föderativen Republik“ Jugoslawien (1991–1999) – schwere Herausforderungen. Wenngleich es dabei auch empfindliche Rückschläge gab (so wurde der Genozid in Ruanda 1994 nicht unterbunden, wiewohl dies durchaus möglich gewesen wäre),[22] gelang es doch bis Mitte der 1990er Jahre, die LIO 2.1 zu konsolidieren. In der zweiten Phase (1995 bis 2000) erlebte die LIO 2.1 dann signifikante Fortschritte: Etliche regionale und funktionale Teilordnungen konnten durch Anpassungen vertieft und erweitert werden; in dieser Phase ergab sich damit insgesamt eine bemerkenswerte Fortentwicklung der LIO 2.1, die allerdings auf tönernen innenpolitischen Fundamenten stand: Zwar setzte sich nach 1990 die „dritte Welle der weltweiten Demokratisierung“[23] fort, doch waren die Prinzipien und Normen der westlichen Demokratien und der kapitalistischen Marktwirtschaft, die die Basis der LIO 2.1 bildeten, keineswegs so gefestigt, wie es zunächst den Anschein haben mochte.

Die dritte Phase begann mit den Terroranschlägen des 11. September 2001. Die US-amerikanische Reaktion auf diese Anschläge, der Global War on Terror mit den Interventionen in Afghanistan (2001) und Irak (2003) brachte den Höhe- und zugleich den Wendepunkt amerikanischer Machtentfaltung. Zwar gelang es den USA und ihren Verbündeten rasch, das Taliban-Regime in Afghanistan (mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates und damit international legitimiert) und dann das Regime von Saddam Hussein in Bagdad (ohne Mandat und daher unter Bruch des Völkerrechts) zu stürzen, doch scheiterten die (ohnehin zunächst eher dürftigen und wenig konsequenten) Bemühungen um den Aufbau neuer, stabiler innenpolitischer Ordnungen in den beiden Ländern. Die Opposition gegen die amerikanische Präsenz verstrickten die amerikanischen Streitkräften und ihren Verbündeten in Irak und in Afghanistan in verlustreiche und kostspielige Kriege, in denen die USA nicht nur militärisch weitgehend scheiterten, sondern durch Gräueltaten (wie den Foltertaten im Militärgefängnis Abu Ghraib in Irak) auch massiv an internationalem Ansehen einbüßten.[24]

Die vierte und letzte Phase beginnt mit den Rückschlägen der USA in Afghanistan und Irak und mit der zweiten Amtszeit von George W. Bush als amerikanischem Präsidenten. Zwar versuchte dieser, den sich abzeichnenden Schaden für die USA und die internationale Ordnung durch Kurskorrekturen in seiner Außen- und Sicherheitspolitik abzuwenden bzw. zu minimieren, doch blieben positive Ergebnisse in dieser zweiten Amtszeit weitgehend aus. Hinzu kam die internationale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/9, die von den USA ausgelöst wurde und deren weltpolitisches Ansehen weiter erschütterte.[25]

Bushs Nachfolger Barack Obama gelang es trotz seines weltweit hohen persönlichen Ansehens nur teilweise, den entstandenen Schaden wieder gut zu machen. Damit beschleunigten sich auch die Erosions- und Zerfallsprozesse in der LIO 2.1. Wenngleich die Institutionen dieser Ordnung weiterhin bestehen und in Einzelbereichen auch noch durchaus effektiv funktionieren mögen, ist doch unübersehbar, dass sich die machtpolitischen Grundlagen dieser Ordnung verändert und ihre Grundprinzipien, Normen und Regeln an Bindewirkung verloren haben. Die LIO 2.1 hat demzufolge in den letzten Jahren an Autorität, Legitimität und Effektivität in einer weltpolitischen Situation verloren, in der die Anforderungen an ihre Gestaltungsfähigkeit stark zugenommen haben.

5 Charakteristika der gegenwärtigen Weltordnung

Ordnungen sind ein Instrument, um sozialen Wandel und politische Entwicklungen zu kanalisieren und in bestimmte Richtungen zu lenken. Dies impliziert einen beständigen Drahtseilakt zwischen den Risiken der Verhärtung und Erstarrung einerseits und denjenigen des Kontroll- und Autonomieverlustes andererseits. Verhärtung zieht einen Verlust an Lern- und Anpassungsfähigkeit nach sich, der auf Dauer das Scheitern der Ordnung nach sich ziehen dürfte; öffnet sich eine Ordnung zu sehr nach außen, riskiert sie damit, ihre Handlungsfähigkeit und Eigenständigkeit einzubüßen. Dieser Drahtseilakt findet statt in einer – im präzisen mathematischen Sinne – „turbulenten“ und „komplexen“ Gesellschaftswelt, der es Berechenbarkeit abzuringen gilt. Diese Komplexität erscheint heute so vielschichtig und durchschlagend wie noch nie zuvor.

5.1 Immer mehr relevante Akteure

Zu den einzelnen Facetten dieser gesteigerten Komplexität gehört zunächst die Zunahme der Zahl der für die Weltpolitik relevanten Akteure. Das gilt zum einen für die Nationalstaaten: Die Zahl der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen hat sich von 60 (1950) auf derzeit 193 mehr als verdreifacht.[26] Die Zahl der internationalen Organisationen mit offiziellem Charakter (IGOs) nahm vor allem seit den 1970er Jahren deutlich zu, inzwischen hat sich der Aufwuchs verlangsamt: Von 2005 bis 2015 erhöhte sich die Zahl der IGOs von 1.855 auf 1.890. Wesentlich höher fiel die Zunahme bei internationalen Nichtregierungsorganisationen (INGOs) und bei transnational operierenden Unternehmen (TNCs) aus: Die Zahl der INGOs erhöhte sich von 2005 bis 2015 von 14.130 auf 16.518.[27] Dies belegt die noch immer ungebrochene Wachstumsdynamik der Aktivitäten der internationalen Zivilgesellschaft. Noch dynamischer und exponentiell verlief die Entwicklung bei den transnationalen Unternehmen. Zählte man im Jahr 1969 insgesamt etwa 7.000 TNCs, schätzte man ihre Gesamtzahl bereits 1997 auf etwa 536.000 (mit ca. 450.000 Tochtergesellschaften).[28] Der Gesamtbestand an weltweiten ausländischen Direktinvestitionen, die einen guten Indikator für den Umfang der Aktivitäten transnationaler Unternehmen darstellen, wuchs von 1980 $ 559 Mrd. auf $ 30.975 Mrd. im Jahr 2018; der Anteil der Investitionen aus Nicht-OECD-Staaten verdoppelte sich in diesem Zeitraum von 12,5 auf rund 25 Prozent.[29]

All die bislang diskutierten Akteure sind Organisationen; sie handeln nicht selbst, sondern durch Repräsentanten, also durch Individuen bzw. Gruppen von Menschen, den einzigen wirklichen Akteuren in den internationalen Beziehungen. Aber auch die Zahl der Individuen hat sich seit 1950 mit einer Weltbevölkerung von rund 2,5 Mrd. auf 7,7 Mrd. (2019) mehr als verdreifacht. Noch bedeutsamer als die Zunahme der Zahl von Menschen war aber eine historisch beispiellose Wissens- und Bildungsrevolution, die zugleich auch einen drastischen Machtzuwachs implizierte: Wenn Wissen Macht ist, dann folgt daraus, dass Macht heute sehr viel breiter gestreut ist als in der Vergangenheit: Der Anteil der Erwachsenen, die lesen und schreiben konnten, erhöhte sich von 65 Prozent im Jahr 1976 auf 86 Prozent 2018.[30] Die Bedeutung, die Einzelne ohne besondere politische Funktion für den Gang der Weltpolitik erlangen können, belegen etwa Bill Gates oder George Soros mit den Aktivitäten ihrer Unternehmen und Stiftungen, Greta Thunberg mit ihrem Einsatz für eine wirksamere Eindämmung des Klimawandels und Osama bin Laden, dem es mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erfolgreich gelang, die USA zu provozieren.

5.2 Zunehmende Interdependenz und „Konnektivität“

Die Wissensfortschritte und die neuen Techniken, die den Umbruch zur Moderne ermöglichten, treiben seither die Prozesse von Modernisierung und Globalisierung voran, die Individuen, Gesellschaften, Ökonomien und Staaten immer enger miteinander verbinden und verzahnen. Zu beobachten sind in der Folge nicht nur eine quantitative Zunahme der Verflechtungen im Weltmaßstab, sondern auch die Ausweitung der Reichweite, der Geschwindigkeit und der Eindringtiefe dieser Interdependenzen in die Gesellschaften und in die Lebensbedingungen jedes Einzelnen.[31] Exemplarisch spiegeln sich diese Gegebenheiten in den transnationalen Produktions- und Lieferketten hochentwickelter Volkswirtschaften, in denen Produkte und Dienstleistungen nicht selten aus hunderten hochdifferenzierter Zulieferungen und Zwischenprodukten aus etlichen Ländern entstehen.

Diese Verflechtungen implizieren wechselseitige, in aller Regel aber nicht unbedingt ausgewogene, demnach asymmetrische Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten.[32] Diese lassen sich politisch instrumentalisieren, etwa durch Wirtschaftssanktionen. Nicht selten sind Einflussnahme oder Störungen aber weder intendiert noch auf bestimmte, klar identifizierbare Akteure zurückzuführen. Dennoch gib es auch in diesen Fällen in der Regel politische Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Prozesse der Globalisierung entfalten. Die Politik ermöglicht Globalisierung, etwa durch die Öffnung von Volkswirtschaften für Waren, Dienstleistungen und Kapitalströme; sie be- oder verhindert Globalisierung durch einseitige Maßnahmen, etwa durch Grenzmauern und –kontrollen; und schließlich reguliert und steuert sie Globalisierung – alleine oder im kooperativen Handeln mit anderen politischen Akteuren.

5.3 Wachsende Diversität und Heterogenität

Ein weiteres strukturelles Charakteristikum der gegenwärtigen internationalen Beziehungen ist die Zunahme von Diversität und Heterogenität. Auch diese Entwicklung erfasst viele unterschiedliche Dimensionen gesellschaftlicher Realität – von der wachsenden Bedeutung aufsteigender Wirtschaftsmächte und dem Aufstieg neuer, nichtwestlicher Mächte über zunehmende sozio-ökonomische Ungleichheiten in der Weltgesellschaft bis hin zu ideologischer und kultureller Diversität und wachsender politischer Polarisierung innerhalb bestehender Staaten und internationaler Ordnungen. Diese Zunahme von gesellschaftlicher Diversität und Heterogenität und ihre politischen Auswirkungen sind ebenso objektiv nachweisbar wie subjektiv bedeutsam: Letzteres belegt nicht zuletzt der weltweit zu beobachtende Aufschwung von Identitätspolitik.[33] Auf der Ebene der Weltordnung manifestiert sich diese neue Diversität seit etwa zehn Jahren in einer Wiederkehr des Systemkonfliktes zwischen dem – liberalen – demokratisch-kapitalistischen Ordnungsmodell und dem – marxistisch-leninistischen – zentralistischen und planwirtschaftlichen Gegenentwurf der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in neuem Gewande: Nach der Finanzmarktkrise 2008/2009, die das Ansehen und die Attraktivität des Washington Consensus weltweit erheblich beschädigte, begann die Volksrepublik China zunehmend damit, ihr eigenes, alternatives Entwicklungsmodell auch anderen Staaten als vorbildlich nahezubringen – nicht im Sinne der unmittelbaren Nachahmung einer Erfahrung, die nach Auffassung der Kommunistischen Partei Chinas auf sehr spezifischen Bedingungen beruhte, wohl aber in der Propagierung der Kombination aus markwirtschaftlichen Elementen und zentral gelenkter, autoritärer politischer und wirtschaftspolitischer Steuerung.[34] Beijings wichtigster Hebel im Sinne der Propagierung dieses Modells ist die Belt-and-Road-Initiative, die Chinas umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Volkswirtschaften im eurasischen und indo-pazifischen Raum (wie auch darüber hinaus mit Afrika und Lateinamerika) vorantreiben soll.[35]

5.4 Machtverschiebungen und Machtdiffusion

Prozesse der Machtverschiebung und der Machtdiffusion bilden ein weiteres wichtiges Merkmal der gegenwärtigen internationalen Beziehungen. Sie lassen sich bereits seit den 1950er Jahren mit dem Aufstieg Japans und Westeuropas, insbesondere Westdeutschlands beobachten. „Machtverschiebungen“ betreffen dabei die Machtverhältnisse zwischen den großen Mächten (und ihren Verbündeten), „Machtdiffusion“ beschreibt dagegen die Ausbreitung und damit die Ausdünnung von Macht innerhalb der Weltordnung. Sowohl nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wie auch nach dem Ende des Kalten Krieges befanden sich die USA zunächst in einer überlegenen Machtposition, wenngleich nach 1945 die konventionelle militärische Macht der Sowjetunion und ihre Einflusszone in Europa und Ostasien die Struktur der Weltordnung eher bipolar, nach 1990 dagegen eher als unipolar erscheinen lässt. Machtverschiebungen zwischen den großen Mächten betreffen vor 1990 vor allem Veränderungen zugunsten der Sowjetunion bis etwa 1979 und dann zugunsten der USA und des Westens in den 1980er Jahren. Die wichtigsten Faktoren waren in diesem Zusammenhang einerseits der Aufbau der sowjetischen Nuklearmacht, die das Gleichgewicht der nuklearen Abschreckung begründete, andererseits die überlegene technologische Innovationsdynamik der USA und die wachsenden wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion bei der Umstellung von extensivem auf intensives Wachstum insbesondere in den 1980er Jahren. In der „zweiten Liga“ der Großmächte vollzogen sich Machtverschiebungen vor allem zugunsten Japans, Westdeutschlands und einiger Länder der „Dritten Welt“ und zulasten Großbritanniens und Frankreichs.

Bereits dieser grobe Überblick zeigt, dass Prozesse der Machtverschiebung, also der Umverteilung von Macht innerhalb einer Gruppe von Akteuren, in der Entwicklung der internationalen Beziehungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges weniger bedeutsamer waren als die der Machtdiffusion. Diese wurde begünstigt durch bestimmte Strukturmerkmale der Nachkriegsordnung, insbesondere durch die Öffnung von Märkten in den westlichen Industriestaaten und die Liberalisierung der Kapitalströme, die das Volumen ausländischer Direktinvestitionen nicht nur innerhalb der OECD-Staatenwelt, sondern bald auch darüber hinaus in anderen Weltregionen (insbesondere in Ostasien) drastisch ansteigen ließen. Anschaulich verdeutlicht auch die Entwicklung der Weltwirtschafts-Gipfeltreffen die Prozesse der Machtdiffusion: Sie fanden bzw. finden ursprünglich mit fünf, danach mit sieben bzw. acht (G7/8) und inzwischen mit mehr als zwanzig Teilnehmern statt (G20).

Die Machtdiffusion beschränkte sich freilich nicht auf die Staatenwelt, sondern sie vollzog sich auch darüber hinaus: Wie bereits festgestellt, erhöhte sich die Zahl der relevanten Akteure in vielen Kategorien. Der vielleicht wichtigste, zugleich aber auch ein besonders diffuser Aspekt der Ausdünnung von Macht in der Weltpolitik sind die Folgen der Wissens- und Bildungsexplosion der Weltbevölkerung sowie der Ausbreitung von Technologien, die es vielen Menschen erlauben, ihr Wissen anzuwenden und in Macht und Einfluss umzusetzen.

5.5 Autoritätsverlust des Staates, Fragmentierung von Macht

Zu den Folgen dieser Diffusion von Macht gehörte der insbesondere in den westlichen Demokratien, aber auch anderswo („Arabischer Frühling“, Lateinamerika) verbreitet zu beobachtende Vertrauensverlust in die Repräsentanten des Staates und damit die Schwächung staatlicher Autorität. Diese Herausforderung staatlicher Autorität, Legitimität und Effektivität von unten beeinträchtigt auch die Autorität, Legitimität und Effektivität übergeordneter internationaler Ordnungen wie der Weltordnung insgesamt. Am klarsten erkannt hat diese Entwicklung – die sich als umfassende „Krise der Politik“ verstehen lässt – die chinesische kommunistische Partei: Spätestens seit Amtsantritt der jetzigen Führungsgeneration um Xi Jinping setzte die KP Chinas auf eine Rezentralisierung der Macht mittels verschärfter Repression, vor allem aber neuer Technologien sozialer Kontrolle.[36] Die Auseinandersetzungen in Hongkong um die Zukunft des Status der Stadt und der Rechte der Bevölkerung forderte dieses neue Herrschaftsmodell heraus und zeigte, dass der Erfolg der Strategie auf Dauer nicht gesichert erscheint.

5.6 Rückkehr der Gewalt?

Die internationale Ordnung des Kalten Krieges vermochte zwar einen erneuten, womöglich noch viel katastrophaleren Weltkrieg zwischen den großen Mächten zu verhindern, sie forderte aber dennoch einen hohen Blutzoll, der seit dem Ende dieser Ordnung deutlich gesunken ist: Die Zahl der Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen war nach 1990 zunächst weltweit rückläufig. Dies stellt einen elementaren Fortschritt der neuen Weltordnung nach 1990 dar: Hohe soziale Gewalt verstößt nicht nur gegen die normativen Grundlagen aller modernen politischen Ordnungen, sie behindert auch ihre ökonomische Leistungsfähigkeit.

Allerdings bedeuten diese Fortschritte nicht, dass das Gewaltproblem der gegenwärtigen Weltordnung gelöst wäre. Zum einen verzeichnen die entsprechenden Statistiken in den letzten Jahren im Schnitt wieder etwas höhere Opferzahlen aus inner- und zwischenstaatlichen Kriegen, als dies in den 1990er und 2000er Jahren der Fall war (sieht man einmal ab von dem Völkermord 1994 in Ruanda).[37] Zum anderen belegen die Statistiken die bleibende Gewaltanfälligkeit der Politik innerhalb wie auch zwischen Staaten. Dabei verschiebt sich die Gewaltproblematik allerdings offenbar zunehmend aus dem zwischenstaatlichen Bereich in die Staaten und Gesellschaften hinein und verweist damit auf die tendenzielle Überforderung vor allem der nationalstaatlichen Ebene der Weltordnung.

5.7 Die Summe: Gesteigerte Komplexität der Weltgesellschaft

All diese Merkmale der gegenwärtigen internationalen Ordnung lassen sich in einem Stichwort zusammenfassen: Sie ist – im Sinne der mathematischen Chaostheorie – komplex und turbulent. Die gesteigerte Komplexität der Weltgesellschaft erschwert ihr Regieren und verlangt nach Ordnungen, die in der Lage sind, die mit Volatilität und Unberechenbarkeit verbundenen Risiken und Gefahren einzuhegen und den Gang des Wandels so zu kanalisieren, dass die Zukunft friedlich und nachhaltig ist. Diese Herausforderung betrifft alle Ebenen der Weltordnung und damit das gesamte Spektrum der Politik, von ihren lokalen bis hin zu universalen Dimensionen. Die Herausforderung ist keineswegs neu, aber heute so anspruchsvoll und risikobehaftet wie wohl niemals zuvor in der Geschichte.[38]

6 Treiber der Evolution der globalen Ordnung der Moderne

Wie lassen sich die skizzierten Entwicklungen der internationalen Ordnung, wie lässt sich insbesondere der Aufstieg und der Verfall der LIO 2.1 im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte erklären? Eine umfassende Bestimmung der Kausalzusammenhänge in (im präzisen Sinne der Chaostheorie) komplexen Zusammenhängen ist nicht möglich; diese sind in einem von Turbulenz gekennzeichneten System grundsätzlich unüberschaubar. Es kann demnach nur um Annäherungen, um begründete Vermutungen dazu gehen, was die Entwicklung der internationalen Ordnung seit 1990 angetrieben hat und weiter antreibt.[39]

6.1 Strukturelle Faktoren I: Technologische Innovation

Der wichtigste Treiber in der Entwicklung der Weltgesellschaft und ihrer internationalen Beziehungen ist die Explosion von Wissen und seine Umsetzung in technologischen Innovationen. Gegenwärtig suchen mehr Wissenschaftlerinnen und Ingenieure nach neuen Lösungen für individuelle und gesellschaftliche Probleme und Wünsche als zuvor kumuliert in der gesamten Geschichte der Menschheit; im Zeitraum von 1990 bis 2018 etwa verdreifachte sich die Zahl der jährlich weltweit angemeldeten Patente von 970,000 auf 3,3 Millionen.[40] Diese Wissensexplosion ermöglicht beständig neue Problemlösungen, aber sie eröffnet auch neue Risiken und Zerstörungspotenziale. Beide Aspekte treiben gesellschaftlichen Wandel im Weltmaßstab voran. Die direkten und indirekten Auswirkungen technologischer Innovationen sind in ihrer Reichweite und ihrer Tiefenwirkungen dabei schlicht nicht zu überschätzen.[41] Beispiele für die positiven Auswirkungen technologischer Innovation finden sich in den Fortschritten auf dem Weg zur Realisierung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs): Bei der Sicherung der Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung etwa sind es z. B. die Entwicklung neuer Saatgüter, Anbau- und Bewässerungsmethoden, bei der Ausrottung verbreiteter Krankheiten neue Impfstoffe, bei der steigenden Lebenserwartung die verbesserten sanitären Bedingungen usw. Besondere Bedeutung kommen in diesem Zusammenhang Basisinnovationen wie dem Internet und dem Smartphone zu. Auf der anderen Seite stehen die destruktiven Potenziale der technologischen Innovation, etwa im Bereich der Massenvernichtungswaffen oder der Cyberkriegsführung bzw. der organisierten Kriminalität im Cyberspace sowie nicht intendierte Folgewirkungen technologischer Innovation wie der globale Klimawandel.

Die Auswirkungen technologischer Innovation erfassen alle Bereiche individuellen und gesellschaftlichen Lebens; dazu zählen natürlich auch die Möglichkeiten sozialer Organisation, Kontrolle und Zwangsmaßnahmen und damit Machtrelationen innerhalb und zwischen Kollektiven, also auch die Machtverhältnisse in der internationalen Politik.

6.2 Strukturelle Faktoren II: Machtverschiebungen, Machtdiffusion und die Schere zwischen Angebot und Nachfrage politischer Steuerung

Der zweite wichtige Treiber der Entwicklungen in den internationalen Beziehungen betrifft das Gefälle zwischen den Dynamiken der technologischen Innovation und ihren Auswirkungen auf nationale und internationale Wirtschaftsentwicklungen, gesellschaftlichen Wandel und kulturelle Veränderungen einerseits und den Beharrungskräften in politischen Ordnungen. Diese Dynamiken führen zu (objektivem) Bedarf und zu (subjektiver und intersubjektiver) Nachfrage nach politischer Steuerung, um die Chancen und Gefahren der Veränderungen und ihre Verteilungswirkungen zu beeinflussen.

Selbst innerhalb nationalstaatlicher Ordnungen stellt der in diesem Zusammenhang entstehende permanente und sich tendenziell weiter beschleunigende Anpassungsdruck auf die Politik diese vor schwierige Aufgaben mit dem beständigen Risiko des politischen „Verfalls“ (decay)[42] in Gefolge ihrer Verknöcherung durch intellektuelle Erstarrung und die Ausbreitung organisierter Interessensvertretung.[43] Für die internationale Politik, die ohne zentralisiertes Gewaltmonopol auskommen muss, verschärfen sich diese Probleme noch durch die Prozesse der Machtverschiebungen und Machtdiffusion: Regieren jenseits des Nationalstaats sieht sich daher neben all den Problemen, die nationalstaatliche Ordnungen unter den Bedingungen globalisierter technologischer Innovationsdynamiken zu bewältigen haben, mit einer Reihe weiterer, spezifischer Schwierigkeiten auf dem Wege zu effektivem und nachhaltigen Regieren konfrontiert.

Allerdings zeigten sich selbst etliche Nationalstaaten diesen Anforderungen an politische Innovation nicht gewachsen: Symptome prekärer, fragiler, zerfallender und zerfallener Staatlichkeit verbreiteten sich keineswegs nur in Staaten des Südens, sondern auch in den Industriestaaten des Nordens. In unterschiedlichen Ausprägungen erfuhren dies seit Ende der 1970er Jahre die USA, die Sowjetunion, die Volksrepublik China und die Europäische Gemeinschaft/Europäische Union. In der Sowjetunion führte dies zum Zusammenbruch der alten politischen Ordnung und zur Auflösung des sowjetischen Imperiums und der Sowjetunion selbst. In China mündete eine erste Phase der politischen Innovation unter Deng Xiaoping in die Repressionen von 1989, danach aber in zwei weitere politische Innovationsschübe (ab 1991 bis etwa 2001 und dann wieder ab 2010) mit jeweils unterschiedlichen Vorzeichen (Fortsetzung der wirtschaftlichen Öffnungspolitik und politische Institutionalisierung der Machtübertragung; Rezentralisierung der Macht an der Spitze der KP Chinas und Aufhebung der zeitlichen Befristung des Spitzenamtes). In den USA dagegen wurde die Krise vom Zusammenbruch der Sowjetunion überlagert; die USA erlebte einen „unipolaren Moment“ in ihrer Geschichte als Weltmacht. Der Europäischen Gemeinschaft gelangen in den 1980er und 1990er Jahren wichtige politische Innovationen, die allerdings auf der nationalstaatlichen Ebene nur teilweise (Machtwechsel in Deutschland 1998 und Harz IV Reformen, Reformen in Skandinavien Anfang der 1990er Jahre,[44] Labour-Regierungen in Großbritannien) Parallelen fanden: In Frankreich und Italien, aber auch in Großbritannien waren die politischen Anpassungen insgesamt unzureichend.

Der Umbruch der Weltpolitik 1989/1990 ermöglichte, wie gezeigt, die Neuaufrichtung einer universalen, liberal grundierten Weltordnung; als sich diese in den ersten Belastungen insgesamt als hinreichend belastbar und leistungsfähig erwies, konnte sie in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre deutlich vertieft und erweitert werden – wobei die Führungsleistungen der USA unter den Präsidenten George H.W. Bush und Bill Clinton daran erheblichen Anteil hatten.[45] Mit der katastrophalen Überdehnung der amerikanischen Machtmöglichkeiten im Gefolge der Anschläge des 11. September 2001 während der ersten Amtszeit von George W. Bush und den Prozessen der Machtdiffusion und Machtverschiebung seither setzte die Logik der überforderten Politik erneut machtvoll ein; unzureichende politische Führungsleistungen begünstigten diese Entwicklung.

6.3 Akteursbezogene Faktoren I: Die Rolle der USA

Wie sich politische Ordnungen im Einzelnen entwickeln, hängt von spezifischen Ereignissen und Konstellationen ab, nicht zuletzt von den Entscheidungen und Handlungen einzelner Akteure. Politischer Führung kommt dabei besondere Bedeutung für die erfolgreiche Anpassung, aber auch für den Verfall politischer Ordnungen zu.

Im Kontext der Weltordnung LIO 2.1 übernahmen seit 1990 die USA die Funktion der Ordnungsmacht, die (zusammen mit ihren Verbündeten in Europa und Ostasien) zunächst die liberale internationale Ordnung als Weltordnung neu errichtete und dann ihre Anpassung vorantrieb, sich um die Durchsetzung der Regeln bemühte und zur Bereitstellung öffentlicher Güter wesentlich beitrug. Wie die USA diese Rolle im Einzelnen definierten und ausfüllten, trug entscheidend zur Evolution der LIO 2.1 bei. Insbesondere war es die Reaktion Amerikas auf die Terroranschläge des 11. September 2001 in New York und Washington mit dem „globalen Krieg gegen den Terror“ und den Interventionen in Afghanistan 2001 und in Irak 2003, die den Entwicklungspfad der LIO 2.1 erheblich beeinflusste. Die USA überschätzten dabei ihre militärischen Machtmittel und die damit verbundenen Gestaltungschancen, sie unterschätzten und vernachlässigten die Herausforderungen des Staatsaufbaus in Afghanistan und Irak und beschädigten weltweit ihre soft power – ihr internationales Ansehen und die Glaubwürdigkeit ihres Engagements für Demokratie und Menschenrechte – durch die menschenverachtenden Praktiken in Guantanamo und Abu Ghraib. Die Legitimitätsprobleme der amerikanischen Führungsrolle wurden im Folgenden noch durch die internationale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/9 verschärft, die durch die spekulative Aufblähung des Immobilienmarktes in den USA verursacht wurde.

Die Außenpolitik der ersten Präsidentschaft von George W. Bush (2001–2005), als sich Amerika aus internationalen Verträgen und Institutionen zurückzog und es vorzog, mit Ad-hoc-Koalitionen zu agieren und die völkerrechtliche Legitimierung ihrer Politik – etwa bei der Intervention in Irak ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates – vernachlässigte, zerstörte die noch bestehenden Reste der alten nationalstaatlichen Ordnung des Irak und verursachte darüber hinaus gravierende Schäden und folgenschwere Fehlentwicklungen in zahlreichen regionalen und funktionalen Teilordnungen. Dies betraf etwa die regionale Ordnung im Nahen und Mittleren Osten, die Nichtverbreitungsordnung für Kernwaffen oder die internationale Klimapolitik. Die Versuche, diese Fehler im Rahmen der zweiten Amtszeit des Präsidenten (2005–2009) zu korrigieren und zu den bewährten Formen US-amerikanischer Außenpolitik zurückzukehren, konnten die Schäden nicht mehr abwenden.

Bushs Nachfolger Barack Obama forcierte die bereits von George W. Bush eingeleiteten Kurskorrekturen an der amerikanischen Außenpolitik und betonte insbesondere die Notwendigkeit für die USA, mit Verbündeten und Partnern zusammenzuwirken. Die weitere Erosion und den Verfall der LIO 2.1 konnte er allerdings nicht verhindern.

Wie innere und internationale Strukturveränderungen und Entwicklungen politischer Ordnung bei dieser Entwicklung der LIO 2.1. ineinandergriffen, demonstrierten dabei die innenpolitischen Hintergründe des außenpolitischen Kurswechsels unter George W. Bush: Seine erste Präsidentschaft beruhte nicht auf einer Entscheidung der amerikanischen Wählerinnen und Wähler, sondern des bereits damals politisierten und republikanisch dominierten Obersten Gerichtshofs und reflektierte den Vormarsch der neuen, ideologisierten und radikalisierten Kräfte in der Republikanischen Partei.[46] Unter dem Eindruck der terroristischen Anschläge vom 11. September gewannen auf dieser Basis autoritäre Tendenzen in der Administration an Bedeutung. Nicht nur die Außenpolitik der USA, sondern auch die LIO 2.1 hätte unter einem Präsidenten Al Gore wohl eine andere Entwicklung genommen. Die strukturellen Ursachen und die Symptome des Verfalls der politischen Ordnung der USA waren also zu Beginn dieses Jahrhunderts bereits deutlich erkennbar.[47]

6.4 Akteursbezogene Faktoren II: Defizite im Führungspotential des Weltregierens

Allerdings war die Erosion der LIO 2.1 seit 2003 und dann beschleunigt seit 2008 nicht ausschließlich den USA anzulasten. Gewiss verstärkte sich der ordnungspolitische Handlungsdruck im Gefolge der internationalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise seit 2010 noch einmal deutlich, während die Prozesse der Machtverschiebungen insbesondere zugunsten Chinas und der Machtdiffusion die Gestaltungsmacht der USA wohl auch unter anderen außenpolitischen Rahmenbedingungen und Weichenstellungen in Washington verringert hätten. Aber es fanden sich auch keine anderen Akteure, die in die Bresche gesprungen wären. Russland, dessen Anspruch als Ordnungsmacht ohnehin auf prekären wirtschaftlichen Voraussetzungen beruhte, verfolgte seit spätestens 2007 (Georgienkrieg) eine Strategie der Disruption internationaler Ordnungsstrukturen, um so die wahrgenommene Bedrohung der innenpolitischen Machtverhältnisse in Russland durch die „Farbenrevolutionen“ in Osteuropa abzuwehren. China verfolgte zwar im Gegensatz zu Russland keine Politik der Destabilisierung der internationalen Ordnung und trug in etlichen Bereichen sogar zu ihrer Stabilisierung bei. Allerdings forderte es zugleich auch Reformen und ausgeweitete Mitspracherechte für sich selbst und die Länder des Südens generell. Zudem agierte China vor allem in Ostasien – insbesondere im Südchinesischen Meer – zunehmend offensiv mit dem Ziel einer Revision der regionalen Ordnung. Insgesamt war die Einstellung und die Politik Beijings gegenüber der LIO 2.1, zu dessen größten Nutznießern die Volksrepublik zweifellos gehörte, deshalb ambivalent und jedenfalls unzureichend im Sinne einer effektiven Stabilisierung der liberalen Weltordnung. Die Verbündeten der USA in Europa und Ostasien schließlich leisteten zwar gewichtige Beiträge zum Unterhalt der LIO 2.1, etwa durch die Unterstützung der NATO und auch Japans für den Krieg der USA in Afghanistan, aber weder die Europäische Union oder Japan verfügten über hinreichende Mittel und politische Entschlossenheit, um auf Washington konstruktiv einzuwirken und/oder die Breschen zu schließen, die durch die Defizite der USA als Welt-Ordnungsmacht entstanden waren. Kurzum: Die Auflösungserscheinungen der LIO 2.1 setzten sich auch deshalb fort, weil es zu den USA keine ordnungspolitische Alternative gab.

7 Die Zukunft der internationalen Ordnung

Bereits seit einigen Jahren zeichnet sich immer deutlicher eine neue weltpolitische Bipolarität zwischen den USA und dem Westen einerseits und der Volksrepublik China andererseits ab.[48] Diese neue Bipolarität unterscheidet sich von der internationalen Ordnung des Kalten Krieges allerdings in zweierlei Hinsicht sehr einschneidend: Erstens bestehen zwischen den beiden Polen – den USA und China – und Lagern (dem Westen und China) ein hohes Maß an gegenseitiger Verflechtung und damit ausgeprägte wechselseitige Abhängigkeiten. Zweitens sind die im Kontext der neuen Bipolarität angesiedelten bzw. neu entstehenden internationalen Teilordnungen und die neue Weltordnung insgesamt aufgrund der Diffusion von Macht in den internationalen Beziehungen und der weiter steigenden Anforderungen an die Leistungsfähigkeit politischer Ordnungen tendenziell eher schwach, auf Konsens ausgerichtet und ineffektiv als stark und hierarchisch. Das Dilemma einer Weltgesellschaft, die dringend effektive politische Ordnungen benötigt, sie aber viel zu wenig bekommt, dürfte sich damit weiter verschärfen. Im Mittelpunkt des Dilemmas steht dabei das vielschichtige, schwierige und konfliktbeladene Verhältnis zwischen den USA und der Volksrepublik China: Über ihre bilateralen Beziehungen werden diese beiden großen Mächte auch die zentralen Parameter der zukünftigen Weltordnung gestalten. Denn es ist offensichtlich, dass effektive internationale Ordnungspolitik nur dann möglich wird, wenn sich Amerika und China auf gemeinsame Positionen verständigen können.[49] Freilich ist dies eine zwar notwendige, aber doch noch keine hinreichende Bedingung für internationale Ordnungspolitik! Dazu bedarf es zusätzlich a) einer substanziell effektiven bilateralen Übereinkunft der beiden und b) der Zustimmung anderer Vetomächte und relevanter Akteure.

7.1 Machtrelationen

Zwar ist die Machtfülle der USA als der dominanten internationalen Ordnungsmacht seit 1990 im Vergleich zu anderen Staaten in ihrer Mehrdimensionalität und Durchsetzungsfähigkeit grundsätzlich noch immer einzigartig. Dennoch ist die Volksrepublik China inzwischen zu einem gleichrangigen Mit- und Gegenspieler in der Weltpolitik aufgestiegen und hat damit die einst unipolare Konfiguration der Weltordnung von 1990 in eine bipolare transformiert.[50] Diese Einschätzung reflektiert die Tatsache, dass Chinas noch immer vergleichsweise rasch wachsende Volkswirtschaft das statistische Gewicht der amerikanischen – je nach Berechnungsmodus – bereits überflügelt hat oder in Kürze überflügeln wird, sie bezieht jedoch eine Reihe weiterer Faktoren ein. Dazu zählt etwa der rasche Aufwuchs von Chinas militärischen Machtpotenzialen, die in Ostasien die US-amerikanische regionale militärische Überlegenheit bereits weitgehend, wenn nicht gar vollständig nivelliert haben,[51] aber auch Chinas weltwirtschaftliche Präsenz, seine weltpolitische Ambition und seine zielstrebig verfolgte strategische Orientierung auf eine umfassende Revision der internationalen Ordnung zu seinen Gunsten.[52] Die USA haben dem gegenüber durch ihre innere Zerrüttung und durch selbst verschuldete Fehler erhebliche Schäden in der internationalen Ordnungspolitik verursacht, dabei selbst massiv an Ansehen und Legitimität verloren und auch internationale Unterstützung eingebüßt.[53] Schließlich gilt es bei der Bestimmung von Machtrelationen auch den „Schatten der Zukunft“ zu berücksichtigen: In den Wahrnehmungen der Akteure schlagen sich schon heute Zukunftserwartungen nieder und beeinflussen damit ihr Verhalten in der Gegenwart. Der Ausblick in die Zukunft wird heute jedoch plausibel von der Einschätzung bestimmt, dass China eine weiterhin aufsteigende Weltmacht darstelle, die USA dagegen ihren Zenit überschritten und (relativ) weitere Einbußen bei ihrer internationalen Macht und ihrem Einfluss zu gewärtigen habe.[54]

Gegenüber den USA und der Volksrepublik China agieren alle anderen großen Mächte eindeutig in einer anderen, zweiten Liga. Russland verfügt zwar noch immer über das Nukleararsenal der alten Supermacht Sowjetunion und agiert in dieser Hinsicht auf Augenhöhe mit den USA; auch seine konventionellen Fähigkeiten zu militärischer Machtprojektion, seine Rüstungstechnologien sowie seine Erdöl-, Erdgas- und Rüstungsexporte stellen global relevante Machtressourcen dar, die Moskau in den letzten Jahren auch geschickt zu nutzen verstand. Die wirtschaftliche Basis, auf der diese Militärmacht beruht, ist jedoch wesentlich beschränkter als diejenige der USA oder auch Chinas und zugleich auch wenig nachhaltig: Die angestrebte umfassende Modernisierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des russischen Staates ist gescheitert.[55] Moskau driftet deshalb zusehends ab in Abhängigkeiten gegenüber China und damit in die Rolle eines Juniorpartners der Volksrepublik.[56] Japan weist zwar noch immer die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt auf, doch ist es sicherheitspolitisch zu eng mit den USA verbunden, als dass es eine eigenständige Welt-Ordnungspolitik betreiben könnte und wollte.[57] Indien verfügt zwar über das Bevölkerungspotenzial und die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer zukünftigen Weltmacht, doch ist noch völlig offen, ob und inwieweit das Land und der indische Staat diese Potenzial realisieren können. Die Europäische Union schließlich verfügte über die besten Voraussetzungen für eine Rolle als Welt-Ordnungsmacht, ist bislang aber nur selten in der Lage, ihr Potenzial auszuspielen und als gestaltungswilliger und gestaltungsfähiger Akteur aufzutreten.[58] Ob es der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen und dem neuen Ratsvorsitzenden Charles Michel gelingen wird, dem Anspruch einer geopolitischen Union in gemeinsamem europäischem Handeln gerecht zu werden, bleibt abzuwarten, erscheint aber eher unwahrscheinlich. Wie immer die zukünftige Weltordnung aussehen wird – sie wird auf absehbare Zeit nach Prinzipien und Regeln und mit Institutionen funktionieren, die im Schatten der zentralen Machtachse Beijing – Washington bestehen können. Dabei dürften alle anderen Akteure, selbst die Verbündeten der USA, allerdings stets bemüht sein, zu beiden Polen dieser Achse so gute Beziehungen zu unterhalten, wie das die Umstände erlauben.

7.2 Konflikte

Zwei wesentliche Gegensätze bestimmen den Konflikt zwischen den USA und der Volksrepublik China: Status und innenpolitische Ordnung. Die USA agieren in der Weltpolitik seit langem aus dem Anspruch einer Ordnungsmacht, die keine gleichgestellten Rivalen neben sich duldet. Die Grundlage dieses außenpolitischen Rollenverständnisses liefert die Überzeugung, als „auserwähltes Land“ eine weltpolitische Sendung erfüllen zu sollen; dies wurde zwar in der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik durchaus nicht immer, aber doch häufig als außenpolitische Gestaltungsaufgabe verstanden. Internationale Ordnungspolitik war dabei stets auch bezogen auf das amerikanische Gemeinwesen: Sie sollte, in den Worten des Präsidenten Woodrow Wilson, „die Welt für die Demokratie sicher machen“, also das demokratisch-kapitalistische Modell der USA zuhause festigen und weltweit ausbreiten.[59] Den Status als Ordnungsmacht beanspruchte Amerika dabei zunächst regional in Mittel- und Südamerika (Monroe-Doktrin), dann aber auch an den beiden Gegenküsten des nordamerikanischen Kontinents in Europa und Ostasien. Faktisch implizierte dies eine dominante Position in der internationalen Ordnung insgesamt: Wer Westeuropa und Ostasien dominierte, dominierte die Weltpolitik. Umgekehrt würde der Verlust dieser Positionen auch die Rolle der USA als Welt-Ordnungsmacht beeinträchtigen: Wer in Zukunft Ostasien dominiert, wird es zumindest jeder anderen Macht unmöglich machen, die Weltordnung insgesamt zu dominieren. Das Ringen zwischen Washington und Beijing um ihren jeweiligen weltpolitischen Status wird somit in den kommenden Jahren vor allem in Ostasien ausgetragen. Gelingt es China dort, die amerikanische Dominanz abzulösen, dann wäre sie auch weltweit nicht mehr zu halten.

Die Sowjetunion ertrotzte sich die Gleichberechtigung mit den USA in der internationalen Ordnung des Kalten Krieges durch ihre Militärmacht und das „Gleichgewicht des Schreckens“ der wechselseitigen atomaren Bedrohung. Allerding sprachen sich die beiden Supermächte gegenseitig die Legitimität ab: Beide betrachteten die innenpolitische Ordnung des anderen als Anathema und propagierten die universelle Überlegenheit ihrer jeweiligen Ordnungen; beide – Amerika wie die Sowjetunion – bemühten sich dann auch, in ihrer Konkurrenz um Einfluss ihre jeweiligen Ordnungsmodelle in Europa, Ostasien und der Dritten Welt zu implantieren. Die Volksrepublik China dagegen gab nach 1978 zunächst den Anspruch auf, über ein exportfähiges ordnungspolitisches Modell von universeller Relevanz zu verfügen. Allerdings änderte sich das nach der internationalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/2009, die aus chinesischer Sicht die eklatanten Defizite des „Washington consensus“ offenlegte. Seither propagiert Beijing durchaus die Überlegenheit seines Modells einer dynamischen, aber politisch gelenkten Volkswirtschaft unter straffer autoritärer Führung zur internationalen Nachahmung.[60]

Vor allem jedoch zielt Chinas Streben nach Legitimität auf die Anerkennung seiner innenpolitischen Ordnung.[61] Aus der Sicht Beijings stellt Amerika den Machtanspruch der kommunistischen Partei in China selbst infrage; danach streben die USA auf lange Sicht eine „Farbenrevolution“ in China an. Die internationale Dimension dieser Sichtweise ist insofern offensichtlich, als der Legitimitätsanspruch Beijings auch Taiwan sowie das gesamte Südchinesische Meer umgreift. Diese Befürchtungen sind vor dem Hintergrund des außenpolitischen Selbstverständnisses der USA nicht völlig von der Hand zu weisen, belegen jedoch auch die zwischen den beiden Staaten herrschende, bisweilen paranoid anmutende Furcht und das wechselseitige Misstrauen.[62] Für die Volksrepublik China kommen hinzu die offenkundig beständig nagenden Zweifel an der Stabilität der eigenen marxistisch-leninistischen Ordnung gegenüber inneren und äußeren Herausforderungen: Denn wie anders lassen sich die hohen Auslandsvermögen und die Mehrfach-Staatsangehörigkeiten samt Reisepässen in der chinesischen Nomenklatura erklären? Es gibt in diesem Konflikt also sehr wohl – ähnlich wie im Kalten Krieg – eine innen- und ordnungspolitische Komponente.

Neben diesen zentralen Gegensätzen bestehen im Verhältnis zwischen Amerika und China eine Reihe nachgeordneter Interessensunvereinbarkeiten; weitere werden – insbesondere in den Wirtschaftsbeziehungen – zweifellos dazukommen. Beispiele hierfür sind Konflikte um den Zugang zu Rohstoffvorkommen und Absatzmärkten, um die Beziehungen zu Drittstaaten und um Fragen der Ausgestaltung internationaler Teilordnungen etwa im Nahen und Mittleren Osten oder in der Rüstungskontrolle. Allerdings dürften diese Gegensätze häufig eher situativer Natur und Kompromissen generell leichter zugänglich sein. Zudem entstehen aus den vielfältigen bilateralen und globalen Verflechtungen der beiden Volkswirtschaften und Gesellschaften sowie aus der wechselseitigen Verwundbarkeit im Gefolge der nuklearen Eskalationsrisiken bei militärischen Auseinandersetzungen auch starke, innenpolitisch gut verankerte Interessen, die auf Konfliktbegrenzung und konstruktive Zusammenarbeit bei bilateralen Fragen, aber auch in der internationalen Ordnungspolitik drängen.

7.3 Konfliktaustragung

Die Austragung der bilateralen Konflikte zwischen Amerika und China werden in vielfältiger, im Einzelnen oft gar nicht vorhersehbarer Weise auf andere Länder und Regionen und auf alle drei Ebenen der Weltordnung einwirken. Drei große Felder der Konfliktaustragung (und der Bemühungen der beiden Ordnungsmächte, diese Konflikte einzudämmen und durch Kooperation aufzulösen) und ein regionaler Schwerpunkt lassen sich bereits erkennen: Die nationalen Wirtschafts- und Industriepolitiken, Technologie (einschließlich ihrer militärischen Dimensionen) und die innenpolitischen Grundlagen von Außenpolitik bilden die drei Konfliktfelder; der regionale Schwerpunkt wird in Ostasien liegen, einer Region also, die Amerika seit Ende des Krieges auf der koreanischen Halbinsel 1953 und (trotz der Niederlage in Vietnam) sicherheitspolitisch dominierte.

Wirtschaftspolitisch kreisen die Auseinandersetzungen zwischen Amerika und China um die Ursachen und Implikationen der jahrzehntealten US-amerikanischen Außenhandelsdefizite, für die inzwischen zu einem großen Teil der Außenhandel Amerikas mit der Volksrepublik China verantwortlich zeichnet.[63] Der amerikanisch-chinesische Handelskrieg, den die USA unter Präsident Trump eingeleitet haben, kratzt freilich nur an der Oberfläche des Problems: Die Ursachen liegen tiefer und betreffen strukturelle Ungleichgewichte innerhalb und zwischen der beiden Volkswirtschaften:[64] Die Fixierung auf ein exportgetriebenes Wachstumsmodell mit hoher Investitionsquote zu Lasten der Binnennachfrage sowie – seit etwa 2010 – erneut verstärkte staatliche, insbesondere industriepolitische Eingriffe in China und die ungebrochene Konsumneigung, die niedrige Sparquote und die hohen Haushaltsdefizite in Amerika. Abbauen ließen sich diese Ungleichgewichte nur durch einschneidende Reformen, die an die Kernsubstanz der gegenwärtigen Wirtschaftsordnungen beider Länder rühren würden und deshalb politisch kaum durchsetzbar erscheinen. Darin zeigt sich auch ein fundamentaler normativer Konflikt: Zwar sind die USA Gründungsmitglied der Welthandelsorganisation WTO, während China 2001 beitrat, doch widerspricht Chinas wirtschaftspolitische Ordnung und die Ausrichtung seiner Politik in wichtigen Aspekten dem Geist und auch den Buchstaben der WTO-Vereinbarungen. Aber auch die USA, deren jetzige Regierung mit ihrer unilateralen und bilateralen Außenhandelspolitik und der Lähmung des WTO-Streitschlichtungsmechanismus die Demontage der WTO systematisch vorantreibt,[65] agieren nicht mehr im Rahmen des normativen Konsenses der WTO, sondern außerhalb. Eine Konfliktlösung wäre auf diesem Feld also nur zu erreichen, wenn beide Seiten ihr wirtschaftspolitisches Modell grundlegend zu modifizieren bereit wären.

Es ist offenkundig, dass dies weitreichende innenpolitische Voraussetzungen und Folgen hätte. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Eine Konfliktlösung ist derzeit nicht absehbar; die wirtschaftspolitischen Inkompatibilitäten und ihre internationalen Verwerfungen dürften sich daher in immer neuen Kontexten krisenhaft zuspitzen und bilaterales Krisenmanagement zur Konflikteindämmung erfordern. Dabei besteht das Risiko, dass dies auf dem Rücken Dritter (zum Beispiel der Europäer) geschieht. Zudem erschwert diese Form der Konfliktbearbeitung umfassendere ordnungspolitische Regelungen oder verhindert sie gar und belastet damit die Weltordnung zusätzlich.

Das zweite Feld der Konfliktaustragung ist die Technologie. Hier geht es um intellektuelle Eigentumsrechte und den Diebstahl geistigen Eigentums, vor allem aber um die Zusammenhänge zwischen technologischer Innovation und nationaler Sicherheit.[66] Neue Technologien eröffnen Möglichkeiten der Sabotage, vor allem aber Chancen auf militärische Überlegenheit in der Rüstungskonkurrenz zwischen Amerika und China (und anderen Staaten). Technologische Innovation entsteht jedoch heute in der Regel in zivilen Wirtschaftszusammenhängen; diese werden dann für militärische Anwendungen spezifiziert genutzt.[67] Ebenso, wie industrielle Produktion inzwischen in hochgradig ausdifferenzierten transnationalen Lieferketten entsteht, könnte man auch von „Innovationsketten“ sprechen: Innovationen entstehen im Kontext intensiver Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg. Die Abgrenzung der Bereiche „zivil“ und „militärisch“ ist daher stets schwierig; unter den Bedingungen verschärfter Konkurrenz, wie sie sich seit etwa 2010 zwischen Amerika und China abzeichnen, verwischen sich die Grenzen weiter. So forciert Beijing derzeit systematisch die Integration der zivilen und der militärischen Produktion mit dem Ziel einer vollständigen Verschmelzung der beiden Bereiche.[68] Aber auch die amerikanische Regierung setzte in der Auseinandersetzung um die militärtechnologische Führungsrolle bereits unter Präsident Obama auf die Zusammenarbeit zwischen dem Pentagon und Silicon Valley.[69] Das Wettrüsten zwischen den USA und China vor allem, aber nicht mehr nur in Ostasien ist seit spätestens 2010 in vollem Gange; es konzentriert sich dort primär auf die Entwicklung und Indienststellung neuartiger Waffensysteme und militärischer Strategien.[70]

Wie schon die Konflikte um die nationalen Wirtschaftspolitiken, wird auch die technologische Innovationskonkurrenz tendenziell de-globalisierende Auswirkungen haben. Damit ist gemeint, dass sich in den kommenden Jahren der politische Druck auf eine Verlagerung bzw. Entflechtung der Produktions- und Innovationszusammenhänge zwischen Amerika und China, aber auch anderen Staaten erhöhen wird. Die im Kontext der Globalisierung auf der Grundlage der Effizienzsteigerung entstandenen Gewebe werden nun also vor allem seitens der USA tendenziell infrage gestellt, gegebenenfalls wieder aufgetrennt bzw. zerrissen und dann entweder repatriiert oder neu konfiguriert, wo Nachteile für die nationale Sicherheit wahrgenommen oder auch nur vermutet werden. Dabei wird es sicherlich nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner geben; dass dabei aber auch unbeabsichtigte negative Auswirkungen in diesen beiden Ländern, aber auch bei Dritten zu erwarten sind, liegt auf der Hand.[71] Wie, wie schwerwiegend und wo diese Auswirkungen anfallen werden, ist nur schwer abzuschätzen. Immerhin ist damit zu rechnen, dass die Versuche, die im Rahmen der Globalisierungsprozesse entstandenen Interdependenzen zurückzudrängen, erhebliche Friktionen für die Weltwirtschaft und die internationalen Beziehungen insgesamt mit sich bringen werden.

Das dritte Feld der Konfliktaustragung sind innenpolitische und internationale (Teil-)Ordnungen. Neben den Versuchen Amerikas und Chinas, die inneren Entwicklungen im jeweils anderen Staat zu beeinflussen, sind derartige Anstrengungen auch in Drittstaaten vermehrt zu beobachten. Es geht dabei darum, die Außenpolitiken gegenüber China bzw. den USA und die transnationalen Beziehungen im jeweils eigenen Sinne zu beeinflussen. Einen Vorgeschmack dessen, was in diesem Zusammenhang von China erwartet werden kann und muss, liefern die entsprechenden Aktivitäten der KP Chinas in Australien.[72] Die engen Verflechtungen zwischen diesen beiden Ländern und dem Rest der Welt in praktisch allen Lebensbereichen werden dabei – wie auch die oben diskutierten Konflikte in wirtschaftlichen Zusammenhängen – vermutlich in immer neuen konkreten Zusammenhängen zu Spannungen und Verwerfungen führen.

Die säuberliche Trennung von Innen- und Außenpolitik wird unter diesen Voraussetzungen kaum noch möglich sein. Die weltweit zu beobachtenden populistischen Revolten gegen die Folgen der Globalisierung setzen auf Politiken der Re-Nationalisierung – mit weitreichenden internationalen Konsequenzen dort, wo sie zur Anwendung kommen. Ein Beispiel hierfür liefert Brasilien unter seinem derzeitigen Staatspräsidenten Bolsonaro und dessen Umgang mit dem brasilianischen Regenwald, der im Kontext des Klimawandels eine wichtige globale Funktion als „grüne Lunge“ der Erdatmosphäre einnimmt.[73] Wie könnte Brasiliens Regierung veranlasst werden, ihrer internationalen Verantwortung im Rahmen der globalen Bemühungen um Klimaschutz gerecht zu werden? Wie die gegenwärtige US-Regierung unter Donald Trump, deren innenpolitischer Umgang mit Amerikas klimapolitischer Verantwortung sich kaum von demjenigen Brasiliens unterscheidet? Wie können, allgemein formuliert, nationalstaatliche Ordnungen davon überzeugt und in die Lage versetzt werden, ihre Beiträge zu internationaler Ordnungspolitik zu erbringen und damit Anpassungslasten zu internalisieren, anstatt umgekehrt die negativen Auswirkungen ihres eigenen Politikversagens zu externalisieren, sie also anderen und den globalen Allmenden aufzubürden?

Besondere Sorge bereitet in diesem Zusammenhang die prekäre Verfassung von nationalstaatlichen Ordnungen in vielen Ländern (und keineswegs nur in Ländern des Südens). Denn in aller Regel müssen internationale ordnungspolitische Leistungen nationalstaatlich umgesetzt werden. Die administrativen und politischen Voraussetzungen hierfür sind allerdings in vielen Ländern unzulänglich, und manchmal fehlen sie völlig: Staatlichkeit hat dann fiktiven Charakter, wie die sprichwörtlichen potemkinschen Dörfer. Internationale Vereinbarungen stehen dann auf dem Papier, während in der Umsetzung die gesellschaftlichen Realitäten ihrer eigenen, abweichenden Logik folgen.[74] Im Ergebnis werden damit Anpassungen unterlaufen und die Kosten des Politikversagens externalisiert. Umgekehrt zeigt das Beispiel der amerikanischen Klimapolitik, dass substaatliche Akteure (wie etwa einzelnen Staaten wie Kalifornien oder Städte wie New York) sich auch entgegen der Politik der eigenen Regierung für internationale Verantwortung engagieren können.

Wo staatliche Strukturen unzureichend sind, erhebt sich die Frage der Unterstützung von außen. Bereits in den vergangenen drei Jahrzehnten nahm das Problem des Staatsaufbaus durch internationale Interventionen in Ländern und Räumen zerfallener Staatlichkeit in der internationalen Politik großem Raum ein; seine Bewältigung erwies sich als außerordentlich schwierig und anspruchsvoll.[75] In den letzten Jahren hat sich die Staatengemeinschaft in derartigen Situationen deshalb zurückgehalten. Für die Zukunft sind freilich unschwer Szenarien politischer Instabilität in einem Staat vorstellbar, die für andere Staaten und die Weltgesellschaft so gefährliche Auswirkungen haben könnte, dass der politische Druck zu intervenieren massiv zunehmen würde. Die Alternative zur Zurückhaltung bestünde dann vermutlich darin, entweder kooperativ und legitimiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (wie im ehemaligen Jugoslawien oder in Osttimor) oder kompetitiv zu intervenieren (wie in Syrien).

Neben diesen drei funktionalen Konfliktfeldern wird das Ringen zwischen den USA und China um Status und Einfluss in den kommenden Jahren noch stärker, als dies bislang bereits der Fall war, in Ostasien stattfinden. Hier versteht sich Amerika als die Ordnungsmacht, die zusammen mit ihren Verbündeten Japan, Südkorea, den Philippinen und Australien und einigen ASEAN-Staaten (Vietnam, Singapur, Indonesien) den gegenwärtigen territorialen Status Quo garantiert. Seit 2010 fordert China diesen Status Quo jedoch zunehmend forsch heraus und setzt sich dabei auch über völkerrechtliche Vorgaben hinweg.[76] Kein Zweifel: In Ostasien agiert China als revisionistische Macht, die den Status Quo zu ihren Gunsten verändern und die ihm (aus chinesischer Sicht) traditionell zukommende Führungsrolle zurückerhalten möchte. Die herausgehobene Bedeutung der Region in den internationalen Beziehungen impliziert aber, dass die Entscheidung der Konkurrenz zwischen Amerika und China um die Vorherrschaft in Ostasien auch die Zukunft der Weltordnung entscheiden dürfte. Die Auseinandersetzungen in und um Ordnungen, um die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahrensweisen, werden in Zukunft vermutlich aber nicht nur in Ostasien noch größeren Raum einnehmen als schon in den letzten Jahren, sondern generell – gleichviel ob es dabei um einzelne nationalstaatliche Ordnungen, internationale Teilordnungen oder die Weltordnung geht.

Die Welt scheint in der Tat „aus den Fugen“ geraten, wenn man „Fugen“ als Metapher für funktionierende politische Ordnungen begreift, die die turbulenten internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts zu stabilisieren vermögen. Allerdings suggeriert diese Metapher Statik, während sich globale Entwicklungen gegenwärtig mit hoher Dynamik, großer Durchschlagskraft und nicht selten in rasantem Tempo vollziehen.[77] Es geht daher politisch eher darum, zu kanalisieren und Schleusen anzulegen, um den Wandel so zu lenken, dass extreme Gefährdungen und Risiken vermieden werden können. Dazu bedarf es neuer Formen von Staatskunst und Führungspersönlichkeiten, die Ordnungspolitik nicht nur im nationalstaatlichen Rahmen und in der Außenpolitik praktizieren, sondern das gesamte Spektrum der Weltordnungspolitik einbeziehen und Ordnungspolitik holistisch – „aus einem Guss“ – verstehen und betreiben.

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Published Online: 2020-03-31
Published in Print: 2020-04-01

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 11.6.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-1002/html
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