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Itzkowitz Shifrinson: Joshua R. Rising Titans, Failing Giants. How Great Powers Exploit Power Shifts Ithaca and London Cornell University Press 2018 276

Die Literatur zur Frage, wie relativ absteigende Großmächte strategisch auf ihre Herausforderer regieren und wie aufsteigende Großmächte mit absteigenden Großmächten umgehen, füllt seit gut einem Jahrzehnt wieder die Bücherregale der akademischen Disziplin Internationalen Politik. Angesichts der möglicherweise bevorstehenden Bipolarität zwischen China und den USA wird der Frage besondere Beachtung geschenkt, wie die USA den Aufstieg Chinas verhindern, verlangsamen oder generell damit umgehen kann. Auch die aus der Theorie der Power Transition herrührende Beobachtung, dass Machtübergänge zumeist mit einem Krieg zwischen der ab- und der aufsteigenden Großmacht einhergehen, beschäftig politisch Verantwortliche und Analytiker weltweit.
Was bei der zumeist dichotomen Betrachtungsweise oftmals verloren geht, ist zweierlei. Zum einen die Erkenntnis, dass Machtauf-, Machtabstiege und Machtübergänge sich in der Realität differenzierter gestalten, als es die wissenschaftliche Literatur oftmals annimmt. Und zum zweiten gibt es relativ wenige Studien zu Strategien der aufsteigenden Mächte. Und genau diese differenzierten Strategien aufsteigender Mächte sind es, die in der Arbeit von Itzkowitz Shifrison Berücksichtigung erfahren. Ausgehend von den Grundannahmen des strukturellen Realismus eines Kenneth Waltz lenkt Itzkowitz Shifrison die Aufmerksamkeit des Lesers auf Strategien des „aufsteigenden Staates“. Sein Kernargument lautet dabei, dass aufsteigende Staaten nur dann aggressiv auf absteigende Staaten reagieren, wenn sie der Auffassung sind, dass der absteigende Staat dem aufsteigenden Staat nicht mehr dabei behilflich sein kann, andere Großmächte zu balancieren, und ihm die militärischen Mittel fehlen, den aufsteigenden Staat ernsthaft zu bedrohen. Liegen beide Voraussetzungen vor wird der aufsteigende Staat ein aggressives Verhalten gegenüber dem absteigenden Staat an den Tag legen, dessen Ziel es ist, den relativen Machtabstieg und damit den Machtübergang zu beschleunigen.
Sollte aber aus der Perspektive des aufstrebenden Staates, der sich im relativen Abstieg befindliche Staat von Hilfe bei der Ausbalancierung anderer Großmächte sein, dann wird der aufsteigende Staat ein eher kooperatives bzw. unterstützendes Verhalten an den Tag legen, da ihn der absteigende Staat, wie bereits erwähnt, dabei behilflich sein kann, andere aufsteigende Großmächte im Zaum zu halten.
Nachdem Itzkowitz Shifrison seine Theorie dargelegt hat, überprüft er sie an zwei historischen Fällen. Zum einen an dem Umgang der USA und der Sowjetunion nach dem zweiten Weltkrieg mit Blick auf das absteigende Großbritannien und zum anderen anhand des US-amerikanischen Umgangs mit der absteigenden Sowjetunion (deren Abstieg bereits in den 80er Jahren einsetzte). Die zweite Fallstudie irritiert ein wenig, da die Sowjetunion bereits seit den 70er Jahren nur noch wegen ihres Nuklearwaffenarsenals noch als Supermacht/Großmacht gelten konnte, aber nicht mehr wegen ihrer Wirtschaftskraft.
Trotz dieser marginalen Kritik an der Fallauswahl zeigt Itzkowitz Shifrison anhand detaillierter empirischer Studien, wie sich Strategien der aufsteigenden Großmächte mit Blick auf die Brauchbarkeit der absteigenden Großmacht für deren politische Kalküle veränderten. Relativ unbekannt für den politikwissenschaftlichen Beobachter dürfte z. B. die Tatsache sein, dass sich die Sowjetunion unmittelbar nach Ende des WK II intensiv darum bemühte, Großbritannien als Partner zur Ausbalancierung der USA zu gewinnen und erst davon abließ, als sich Großbritannien unter anderem wegen der ideologischen Affinität zum Juniorpartner der USA erklärte.
Alleine die theoretische und die empirische Arbeit des Autors verdient Beachtung, da er unser Wissen hinsichtlich einer zentralen, aber bislang untertheoretisierten Frage erheblich erweitert. Aber auch für alle Policy Interessierten ist dieses Buch ausdrücklich zu empfehlen, da es Hinweise auf die chinesische Strategie mit Blick auf die gegenwärtige systemweite Auseinandersetzung liefert. Aus chinesischer Perspektive (die der aufstrebenden Macht) kann die USA zum einen bei der Ausbalancierung anderer potentieller Konkurrenten nicht behilflich und hilfreich sein, da es keine weiteren peer competitor im gegenwärtigen internationalem System gibt. Zudem sind die USA aber auch noch (wohl auf lange Sicht) die militärisch überlegene Macht. Letzter Punkt erklärt, warum sich die chinesische Staats- und Parteiführung bislang in Fragen der direkten militärischen Herausforderung der USA weitgehend moderat verhält. Aber die vorliegende Studie hilft uns auch die Politik der VR China gegenüber der Russischen Föderation und der EU zu verstehen. Beide sind für Beijing wichtig, um die noch – aus chinesischer Sicht – bedrohliche Macht, die USA, auszubalancieren und dadurch deren relativen Abstieg zu befördern.
Es bleibt festzuhalten, dass es Itzkowitz Shifrison gelungen ist, eine hochinteressante akademische Arbeit zu verfassen, die zugleich aber auch eine hohe praktische Relevanz hat. Ein selten gewordenes Beispiel angewandter Politikwissenschaft.
© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston