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Ganser Daniele Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht Zürich Orell Füssli Verlag 2020 1 400

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind seit langem eine beliebte Projektionsfläche für alles vermeintlich Böse und Schlechte in der Welt. Der Markt für amerikakritische Publikationen ist groß, krisenresistent und auf Wachstumskurs. Dafür sorgen Autoren wie der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, der mit seinen Büchern und Internetaktivitäten das alte Feindbild Amerika pflegt und nährt. In seinem neuesten Buch „Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht“ knüpft er inhaltlich an seine früheren Publikationen an und wartet mit einem langen Sündenregister amerikanischer Verfehlungen auf. Bereits der reißerische Untertitel „Die skrupellose Weltmacht“ lässt schmunzeln: Wann war eine Großmacht jemals voller Skrupel?
Auch im neuen Buch sind Haupt-Narrativ und Dramaturgie die alte: Die USA seien eine imperiale Weltmacht, die für einen Großteil aller Krisen, Konflikte und Kriege auf der Welt alleinverantwortlich wären. Amerika sei zudem keine Demokratie, sondern längst eine plutokratische Oligarchie, die von einer kleinen Gruppe von Superreichen gelenkt wird. Die Rolle des geopolitischen Weltbösewichts und internationalen Strippenziehers wird damit klar Washington zugeschrieben. Auf der anderen guten Seite stehen nicht etwa von den USA unterdrückte Staaten, sondern die internationale Friedensbewegung, für die Ganser das Buch geschrieben hat. Hätte die Welt nur auf die Friedensbewegung gehört – so seine These –, wäre der Welt großes Unheil erspart geblieben. So weit, so simpel.
Bei dieser allzu pauschalen und oberflächlichen Herangehensweise, die auf über 330 Seiten weitgehend ohne analytischen Tiefgang und Kontext auskommt, bleibt es jedoch nicht. Der Autor möchte mehr und sieht sich als friedensbewegter Aufklärer und publizistischer Robin Hood gegen die amerikanische Hegemonie und Deutschlands Mitgliedschaft in der NATO. Dabei spart er nicht mit fragwürdigen Beobachtungen und unbelegten Unterstellungen. In seinem einleitenden Dankeswort wird dies deutlich: „In Europa wird wenig über den US-Imperialismus gesprochen, obwohl dieser einen gewaltigen Einfluss auf die internationale Politik hat. Viele wissen wohl, dass es ihn gibt, trauen sich aber nicht, darüber zu sprechen, weil sie persönliche Nachteile befürchten“ (S. 11–12). Dass es eine Fülle seriöser und weniger seriöser Veröffentlichungen zu den USA gibt, nicht wenige politische (oft populistische) Parteien in Europa mit Amerikakritik erfolgreich Politik machen und Ganser selbst zahlreiche amerikakritische Gewährsleute zitiert (u. a. Noam Chomsky, Michael Lüders, Jürgen Todenhöfer, Ken Jebsen, Udo Ulfkotte), belegt das Gegenteil. Auch die heftige Kritik in Deutschland an den Präsidenten Bush und insbesondere Trump scheint er nicht wahrgenommen zu haben. Sein apostrophiertes Bild von den USA bleibt fest und unveränderbar.
Ganser sieht sich selbst als seriöser Historiker, der zu den Gebieten Zeitgeschichte seit 1945, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Menschenrechte forscht. Obgleich diese Zusammenstellung an Forschungsinteressen erste Fragen zur Qualität der Expertise in allen Gebieten aufwirft, geht Ganser weiter und inszeniert sich als unerwünschter Wissenschaftsrebell, der „wegen der Brisanz meiner Forschungsresultate zum US-Imperialismus unter Druck geriet“ (S. 12). Warum und durch wen Druck auf ihn ausgeübt wurde und ob die Qualität seiner Forschungsarbeit dabei von Bedeutung war, bleibt offen. Er ist der geschasste Wissenschaftler, der sein neuestes Buch auch für eine junge Leserschaft verfasst hat: „Dieses Buch habe ich daher auch für junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren geschrieben, die sich zum Thema US-Imperialismus informieren möchten. Mein Anspruch war, so zu schreiben, dass jeder ohne Vorwissen das Buch verstehen kann“ (S. 12). Es ist zu hoffen, dass nicht nur bei jungen Leserinnen und Lesern vor der Lektüre ein gewisses Vorwissen vorhanden ist.
Das Buch umfasst 16 Kapitel und holt thematisch weit aus. Seine Aufzählung amerikanischer Verfehlungen, Verbrechen und Verschwörungen beginnt bei den Indianer-Kriegen und endet bei den geopolitischen Krisenfeldern der Gegenwart (Syrien, Russland, China). Alle Unterkapitel umfassen meist nur drei bis vier Seiten und sind oberflächlich und einseitig abgefasst. Streng genommen analysiert Ganser nicht, er klagt an und nennt eine Fülle an Details und Fakten, die zwar nicht gänzlich falsch, jedoch mit sparsamem Kontext so angeordnet sind, dass sie durchweg sein Haupt-Narrativ von den USA als größter Bedrohung der Welt stützen. Das Buch ist daher eine Schatzkiste für alle Amerikakritiker und -hasser, die schnell das passende „Argument“ für ihre jeweilige Sichtweise finden möchten. Dies ist jedoch nicht die einzige, und vielleicht auch nicht die größte, Kritik daran. In mehreren Kapiteln wird deutlich, dass Ganser bestimmte historische Groß- und Schlüsselereignisse, wie die beiden Weltkriege und die Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, so umdeutet, dass nur die US-Regierung oder ihre Handlanger – die CIA – (vom FBI und anderen Geheimdiensten wird interessanterweise kaum gesprochen) alleinverantwortlich sind. Das entspricht dann über viele Passagen hinweg einem kruden Mix aus einem affirmativen rechtskonservativen Geschichtsrevisionismus, steilen und zumeist unbewiesenen Thesen und dem bekannten Tableau etablierter Verschwörungstheorien, die allesamt die USA im Zentrum sehen. So ist der Gang zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei Ganser unter Historikern nach wie vor nicht ausreichend und abschließend geklärt. Ganser neigt stark der Ansicht der britischen Publizisten und Verschwörungstheoretiker Gerry Docherty und Jim Macgregor zu, wonach „[e]ine geheime Elite sehr wohlhabender und einflussreicher Männer in London und Washington […] entschieden [habe], mit dem Mord in Sarajevo Deutschland in einen Krieg zu verwickeln und dauerhaft zu schwächen. Diesen Plan habe man mit Erfolg umgesetzt, aber vor der Geschichtsforschung geheim gehalten“ (S. 120–121). Ganser sekundiert diese Ansicht: „gemäß meiner persönlichen Erfahrung wird diese Sicht auf den Ersten Weltkrieg in Deutschland, Österreich und der Schweiz weder an Schulen unterrichtet noch an Universitäten gelehrt“ (S. 121). Womöglich wird sie deshalb nicht gelehrt, weil sie historisch unwahr und wissenschaftlich haltlos ist.
Weitere geschichtsrevisionistische Stimmen, wie Gerd Schultze-Rhonhof, werden gern zitiert und das hierbei verbreitete deutschlandfreundlichere Geschichtsbild weitergesponnen: „Ohne das Eingreifen der USA in den Ersten Weltkrieg ‚wäre es weder zu Versailles noch zum Nationalsozialismus, noch zu einem Hitler als Reichskanzler, noch zum Zweiten Weltkrieg gekommen‘“ (S. 135). Andere Erklärungsfaktoren und Zusammenhänge spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Diese gefährliche Art von monokausaler Geschichtsverflachung, die stellenweise wie eine Fälschungsabsicht scheint, setzt der Autor konsequent – ganz wie sein Untersuchungsgegenstand die USA – skrupellos fort. Überhaupt waren nach Gansers Ansicht der Zweite Weltkrieg von langer Hand in den USA geplant, der japanische Angriff auf Pearl Harbor ein abgekartetes Spiel der Regierung Roosevelt und Hitler nur eine Marionette der Siegermächte (vgl. Kapitel 7). Seine Darstellung des Kalten Krieges beschränkt sich größtenteils auf eine Aneinanderreihung weltweiter amerikanischer Geheimdienstoperationen, das Herumspekulieren über den wahren Drahtzieher hinter dem Kennedy-Attentat und den Vietnam-Krieg. Es entsteht der Eindruck, dass der Kalte Krieg fast ohne die Beteiligung der Sowjetunion ablief und im Wesentlichen durch mehr oder weniger erfolgreiche Regierungsumstürze der CIA geprägt war. Es ist zutreffend und hinlänglich bekannt, dass die USA eine lange Geschichte verdeckter und offener Operationen in strategisch bedeutenden Ländern hatten. Gleiches trifft für die Sowjetunion zu. Dies jedoch als alleiniges Signum jener Jahrzehnte darzustellen, ist – wie so Vieles in diesem Buch – bewusst verkürzend und dadurch verfälschend.
In den Kapiteln 11 und 12 widmet sich Ganser jenen Themen, durch die er in der (Fach)Welt und im Netz Bekanntheit erlangte: den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem daraus folgenden Kampf der USA und ihrer Verbündeten gegen den internationalen Terrorismus. Hier vermengt er erneut Verschwörungstheorien mit bekannter und teilweise berechtigter Kritik an der amerikanischen Politik während der Präsidentschaft von George W. Bush. Ähnlich wie die Vorgeschichte zum Ersten Weltkrieg sei auch das Geschehen von 9/11 nebulös: „Was damals passierte, ist bis heute nicht geklärt“ (S. 252). Dass es ein überraschender Anschlag gegen das mächtigste Land der Erde war, ist nach Gansers Ansicht schlicht unmöglich. Überraschungen, Zufälle, Widersprüche und ein offener Ausgang der Geschichte existieren bei ihm nicht. Hinter allem steckt stets ein geheimer Plan amerikanischer Eliten. Wer genau dazugehört, bleibt geheimnisvoll unklar (vgl. Kapitel 2). Dass dieser geheime Plan der Öffentlichkeit nach wie vor nicht bekannt sei, liege vor allem – wenig überraschend – an den amerikanischen und deutschen Leitmedien. Diese „sind in der Lage, unser Denken und Fühlen zu steuern, zumindest dann, wenn wir unbewusst sind. Sobald wir wach werden, ist dies nicht mehr möglich. […] Vor jedem Krieg wurden durch die Leitmedien in den USA und in den NATO-Ländern die Gefühle Angst und Hass gegenüber dem Land erzeugt, das die USA angriffen“ (S. 275). Umso mehr schätzt Ganser alternative Medien wie KenFM, Sputnik oder RT Deutsch, da sie „dem US-Imperialismus kritisch gegenüberstehen“ (S. 283). Dass Kritik an den USA und am Westen zum kommerziellen und weltanschaulichen Geschäftsmodell dieser neuen alternativen Medien gehört und diese alles andere als quellen- und selbstkritisch informieren, bleibt unerwähnt. Hier beweist der Autor erneut, dass er im Grunde ein instrumentelles Verhältnis zur Wahrheit und zu wissenschaftlichen Qualitätsstandards hat. Demgemäß übernimmt er oft unhinterfragt die Ansichten jener alternativen Medien, wonach die Ereignisse in der Ukraine 2013/2014 ein geheimer Putsch der US-Regierung waren und Russland nur getriebenes und reagierendes Opfer gewesen sei (vgl. S. 317–322). Die Zusammenschau geopolitischer Verfehlungen ist durchweg unausgewogen: Bei amerikanischen Verfehlungen folgt ein Anklage-Stakkato sondergleichen, russische und chinesische Missetaten werden hingegen kleingeredet und nur randständig genannt. Ganser scheint auf dem eurasischen Auge vorsätzlich blind zu sein. Ans Lächerliche grenzt es, wenn er den vermeintlichen Expansionismus der NATO in Osteuropa mit der Verdrängung der Indianer nach Westen durch die junge USA vergleicht: „Schon damals hatte Washington verschiedenen Indianerstämmen versprochen, dass sie sich nur über die Berge zurückziehen müssten, dann würde das US-Militär sie in Ruhe lassen. Diese Versprechen waren eine Kriegslist und wurden immer gebrochen, bis das US-Militär den Pazifik erreichte und alle Indianer getötet oder vertrieben waren[…]. Die Russen können nicht wie die Indianer vertrieben werden“ (S. 319–320). Die einzigen, die jemals ernsthaft an eine gewaltsame Vertreibung der Russen hinter den Ural nachdachten, waren nicht etwa amerikanische Geostrategen, sondern Hitler und seine Nazi-Ideologen.
Das Buch endet mit einem Fazit, das drei Prinzipien nennt, auf die der Autor immer wieder rekurriert. Diese sind das Prinzip der „Menschheitsfamilie“, des „UNO-Gewaltverbots“ und der „Achtsamkeit“ (S. 336–337). Wenn diese konsequent befolgt würden, wäre die Welt ein besserer Ort. Ganser bleibt auch hier seinem Erfolgsrezept aus simpler Darstellung, banaler Logik und leicht bekömmlicher Esoterik treu. Man könnte auch sagen, wenn sich die Menschheit nur endlich in die Arme fallen würde, wie es die internationale Friedensbewegung stets forderte, wären viele Probleme passé und der US-Imperialismus Geschichte (vgl. S. 15, 40, 137, 269).
Insgesamt ist zu konstatieren, dass der Autor – ob unbewusst, aus weltanschaulichen oder verkaufsfördernden Gründen – an einem Negativitäts-Bias leidet. Für nahezu sämtliches Unglück in der Welt ein Land – und sei es das mächtigste – verantwortlich zu machen, ist einseitig und unseriös. Dadurch klärt das Buch nicht auf, sondern klagt an und unterschreitet selbst populärwissenschaftliche Grundstandards wie ein Mindestmaß an sachlicher Ausgewogenheit, analytischer Tiefe und Quellenkritik. Ohne Zweifel bleibt es wichtig und richtig, über die nicht wenigen Fehler und Verbrechen der amerikanischen Außenpolitik zu berichten und aus ihnen zu lernen. Wenn dabei jedoch bewusst fundamentale Erkenntnis- und Analyseprinzipien unterlaufen und im Ergebnis alte Feindbilder bestärkt und Desinformationen verbreitet werden, ist niemandem geholfen – nicht der Wissenschaft und schon gar nicht dem Weltfrieden.
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