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Publicly Available Published by De Gruyter March 27, 2021

Der Kampf ums Wasser – Pakistan und die Folgen des Klimawandels

  • Stefan Lukas EMAIL logo

Zusammenfassung

Pakistan wird in Folge von Wetterextremen und dauerhaften meteorologischen Veränderungen zunehmend stärker vom Klimawandel betroffen sein. Die klimatischen Veränderungen werden dabei insbesondere die Wasserversorgung des Landes vor große Herausforderungen stellen. Wie auch in anderen Teilen der Erde wirkt der Klimawandel als Brandbeschleuniger bereits bestehender Probleme im Land, wie etwa Landflucht, gesellschaftliche Spaltung und religiöse Radikalisierung. Auch außenpolitisch wird die zukünftige Entwicklung des Landes in Folge der Klimaveränderungen neue Risiken mit sich bringen, da nahezu alle Himalaya-Anrainer von zunehmender Wasserknappheit in Folge der Gletscherschmelze betroffen sein werden. Während die Regierung in Islamabad vor allem auf neue, klimafreundliche Technologien und ein Umdenken bei der Nachhaltigkeit von Großprojekten setzen muss, können sich die europäischen Akteure durch eine einheitliche Klimapolitik sowie der Erweiterung von Partnerschaftsprojekten und technologischen Transfer mit Pakistan einsetzen.

Abstract

Pakistan will become increasingly affected by the climate change due to weather extremes and lasting meteorological changes. The climatic changes will especially present a challenge for the country’s water supply. Just like in other parts of the world, the climate change serves as an accelerant for already existing problems such as rural migration, social unrest and religious radicalization. Because of the climate changes, the country’s future development will furthermore entail new risks regarding its foreign affairs as almost all Himalaya residents will be impacted by the water scarcity resulting from the glacial melting. While the government in Islamabad has to focus on new, environmentally friendly technologies and a change of thinking when it comes to the sustainability of large-scale projects, the European players can engage by implementing a uniform climate policy and increasing the technology transfer as well as partner projects with Pakistan.

1 Einleitung – Neue Herausforderungen für das Land am Indus

Pakistan, Juli 2010 – Das Land erlebt seine schlimmste Flutkatastrophe seit 80 Jahren. Nachdem innerhalb von 24 Stunden mehr als 250 mm/m² Regen gefallen sind und auch weiterhin keine Besserung durch die Monsunzeit in Aussicht ist, stehen bis zu ein Zehntel des gesamten Landes unter Wasser. Bis zu 14 Millionen Menschen sind in Folge der Krise, die sich bis in das Jahr 2011 hineinzieht, direkt oder indirekt von den Überschwemmungen betroffen. Schätzungen zufolge wurde durch die Flutkatastrophe von 2010 das Land in seiner Entwicklung um neun bis zehn Jahre zurückgeworfen.[1]

Pakistan, Juni 2019 – Nachdem bereits im Vorjahr zunehmend weniger Regen gefallen ist und auch die Grundwasservorräte bedrohlich zur Neige gehen, führt eine extreme Hitzephase mit erneut ausbleibendem Regen, zu einer Dürre, die sowohl das wirtschaftliche als auch das gesellschaftliche Leben auf dem indischen Subkontinent fast komplett zum Erliegen bringt.[2]

Dies sind nur zwei Beispiele von vielen weiteren Extremwetterereignissen aus den letzten Jahren, die das Land am Indus zunehmend häufiger treffen und mit einer allgemeinen Verschlechterung der klimatischen Situation in Pakistan einhergehen. Waren solche Ereignisse den Pakistani bereits früher bekannt, so wird Pakistan vor allem durch die ansteigende Häufigkeit und die zunehmende Intensität dieser Extremwettersituationen im Zuge des Klimawandels vor große Schwierigkeiten gestellt.[3] Hinzu kommt, dass Pakistan bereits jetzt große Probleme wie das Schmelzen der Gletscher, die Überbeanspruchung durch Landwirtschaft oder Wasserverunreinigung durch Umweltverschmutzung in der Versorgung mit Süßwasser hat und diese Probleme perspektivisch zunehmen werden. Allein in Karatschi wurde letztes Jahr mehrfach der Wassernotstand ausgerufen, da zeitweise nur bis zu 40 % der benötigten Trinkwasservorräte zur Verfügung standen. Durch die rasante Schmelze der meisten der pakistanischen Gletscher,[4] wird es langfristig zu noch größeren Herausforderungen in Bezug auf die Wasserversorgung kommen und damit einhergehend wird es auch größere Spannungen in der ohnehin gespaltenen Gesellschaft geben.

Für die Sicherheitspolitik Pakistans, welche bereits durch den Kampf gegen die Taliban und die schwelende Auseinandersetzung mit Indien stark beansprucht wird, führen diese neuen Entwicklungen zu einer sukzessiven Überbelastung. Dadurch, dass der Indus bis zu 20 % seines Wassers aus der Kaschmirregion bezieht, dürfte sowohl für Indien als auch für Pakistan die Region von größerer Bedeutung werden, wodurch die Frage aufgeworfen wird, inwieweit der Klimawandel auch den Kaschmirkonflikt neu beheizt oder ob die Erzfeinde sogar zu einer Kooperation gezwungen sein könnten.[5] Vor diesem Hintergrund stellt sich somit auch für die internationale Politik die Frage, inwieweit die Atommacht Pakistan noch seine innere Stabilität bewahren kann. Des Weiteren müssen neue Lösungsansätze für die europäische Außenpolitik im Umgang mit Pakistan gefunden werden, wobei auf bereits bestehende Projekte zurückgegriffen werden kann. Der vorliegende Aufsatz geht dabei nicht nur auf die derzeitigen klimatischen Bedingungen im Land ein, sondern zeigt auch die Folgen der neuesten klimatischen Veränderungen. Es wird deutlich, dass der Klimawandel auch hier als Brandbeschleuniger für bereits bestehende Probleme fungiert und Islamabad noch große Anstrengungen unternehmen muss, will es seine innere und äußere Stabilität nicht weiter gefährden.

2 Zum Stand der Umweltpolitik in Pakistan

Während in westlichen Medien die Klimadebatte spätestens mit der Aktivistin Greta Thunberg neu aufflammt und die „Fridays for Future“-Bewegung seit einem Jahr auch in den Köpfen der Menschen zumindest scheinbar einen Wandel im Denken hervorruft, nehmen wir aus europäischer Sicht nur selten die klimatischen Entwicklungen auf dem indischen Subkontinent war, auf dem sich derzeit ein gravierender Wechsel vollzieht. Überschattet von der andauernden atomaren Rivalität zwischen Pakistan und Indien und dem wieder neu angefachten Konflikt um Kaschmir, schiebt sich, hervorgerufen durch den von Menschen verursachten Klimawandel, eine neue sicherheitspolitische Dimension in den Vordergrund, die nicht nur die bislang bekannten ökologischen und innenpolitischen Probleme in der Region verschärft, sondern auch zu neuen Herausforderungen in der Außenpolitik führt. Anders als politische Entscheidungsträger in Europa oder den USA, wird insbesondere die Führungsriege in Islamabad mit den harten Veränderungen einer sich negativ verändernden Umwelt schon jetzt konfrontiert.

Als Pakistan 1997 unter der Regierung von Nawaz Sharif sein erstes durchsetzungsfähiges Umweltgesetz auf den Weg brachte, waren Themen wie der Klimawandel oder Wasserknappheit scheinbar noch in weiter Ferne. Zu sehr dominierten die aus dem Punjab kommenden landwirtschaftlichen Akteure die Politik in Islamabad. Sie unterstützten finanziell und ideell maßgeblich die Präsidentschaft Sharifs, des Vorsitzenden der Pakistan Muslim League-N (PML-N). Somit verwunderte es nicht, dass vor allem die großen Latifundien aus dem Osten des Landes nur bedingt Auflagen erhielten und auch die Kontrolle zur Einhaltung der neuen Regelungen nur sporadisch erfolgte.[6] Doch die Realität holte die politischen Entscheider in Islamabad innerhalb eines Jahrzehnts ein. Hervorgerufen durch mehrere ungewöhnlich starke Monsune, Dürren und Epidemien, verstärkte sich auf der einen Seite das Bewusstsein für die eigene Umwelt, während auf der anderen Seite zeitgleich die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den alteingesessenen Parteien wuchs.[7]

Die entscheidende Wende kam schließlich mit den Regierungswahlen von 2018, aus denen der ehemalige Cricket-Spieler Imran Khan als Sieger hervorging. Auffällig war dabei, dass die von Khan geleitete Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI), welche im Wahlkampf neben dem Kampf gegen die Korruption auch auf grüne Themen setzte, vor allem in den Bezirken als Sieger hervorging, welche besonders von den starken Umweltkatastrophen der letzten Jahre beeinträchtigt worden waren.[8] Selbst in ehemaligen Hochburgen der alten Parteien (PML (N) und der Pakistan People’s Party – PPP) wie dem Punjab und Karatschi, konnte die PTI maßgeblich an Stimmen dazugewinnen.[9] Khan hatte sich bereits seit 2014 immer wieder als grüner Vorkämpfer Pakistans inszeniert, indem er die von 2014 bis 2017 andauernde Umweltkampagne „Billion Tree Tsunami“ in den Regionen um Peshawar, Abbottabad und Malakand repräsentierte und unterstützte.[10]

Mit dem Einzug der PTI in die Regierung, veränderte sich nun auch die grundlegende Umweltpolitik des Landes. Dabei setzten Khan und sein Kabinett zum einen weiterhin auf öffentlichkeitswirksame Initiativen und Ansätze, um nicht nur seine Außenwirkung als „grüner Präsident“ zu stärken, sondern auch um das Thema Klimapolitik landesweit mehr in den Vordergrund zu rücken, womit er wohl auch seine eigene Wählerklientel im Blick hatte. Beispielhaft für solche Kampagnen ist die im Oktober 2018 ins Leben gerufene Bewegung „Clean Green Pakistan“, welche mittlerweile auch eng mit staatlichen Stellen verknüpft ist.[11]

Auf der anderen Seite setzte die PTI und ihre Koalitionspartner (PPP/PML N) auch auf administrative Veränderungen im Umgang mit der Umweltpolitik. So stärkte er das bereits 2017 gegründete Ministerium für Klimawandel (MoCC) und bemühte sich, den ebenfalls im April 2017 erlassenen Climate-Change Act effizienter umzusetzen.[12] Pakistan ist somit neben Neuseeland der einzige Staat, welcher eigens für den Klimawandel und seine Folgen ein Ministerium mit einem wahrnehmbaren Budget eingesetzt hat. Seit 2017 gibt das MoCC jährlichere Berichte zum Stand der klimatischen Veränderungen im Land heraus, wobei das Screening bislang wohl nur einem geringen Druck seitens des weiterhin starken Militär und der Landwirtschaft unterliegt.[13]

 Der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan

Der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan

Auch bei anderen staatlichen, halbstaatlichen und privaten Akteuren werden derzeit neue Initiativen im Umgang mit dem Klimawandel und insbesondere der drohenden Wasserknappheit initiiert. Hervorzuheben ist im Besonderen das National Network on Climate Change (NNCC), welches sich aus 20 Einrichtungen und Organisationen aus ganz Pakistan zusammensetzt. Eingebunden sind im NNCC nicht nur die großen Universitäten in Lahore, Islamabad und Karachi, sondern auch staatliche Behörden wie die Water and Power Development Authority (WAPDA) oder private NGOs wie der WWF. Das NNCC kooperiert dabei auch mit der Initiative „LEAD“– Leadership for Environment and Development, welche sich landesweit für ökologische Bildung an Schulen, Universitäten und Unternehmen einsetzt und allein an den Universitäten jährlich etwa 50.000 Studenten erreichen will.[14] Anhand von neuen Kooperationen mit nationalen und internationalen Einrichtungen sollen somit neue Synergien geschaffen werden, um das Wissen über die zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels zu verfeinern und neue Möglichkeiten im Umgang mit der sich verändernden Umwelt zu finden. Dass sich dieses Wissen langsam im Denken der wirtschaftlichen und staatlichen Akteure manifestiert, sieht man vor allem in der zunehmenden Umsetzung und Einhaltung von staatlichen Verordnungen zum Umweltschutz, aber auch in der Berücksichtigung der Umwelt bei neuen baulichen Großprojekten.[15]

Dennoch muss festgehalten werden, dass insbesondere aus dem Militär, welches eng mit der Bau- und Immobilienbranche vernetzt ist, ebenso wie von den landwirtschaftlichen Akteuren, weiterhin viel Widerstand gegen neue Auflagen zum Schutz der Naturgüter kommt. Insbesondere mit Blick auf den Umgang mit Wasser wird diese Tendenz deutlich. In Pakistan verbraucht allein die Landwirtschaft des Punjab mit seinen riesigen Latifundien 94 % der zur Verfügung stehenden Wasservorräte des Landes.[16] Da mittlerweile das Wasser, der durch den Punjab fließenden Flüsse nicht mehr ausreicht, müssen für die wasserintensive Bepflanzung von Reis, Weizen und Baumwolle sogar weitere Flüsse wie der Indus, der Jhelum und der Chenab angezapft und umgeleitet werden, was bereits seit den 1970er Jahren passiert und im letzten Jahrzehnt intensiviert wurde. Allein dem Indus werden dabei in der Hochsaison im Juni/Juli bis zu 25000 m³/sek an Wasser entzogen.[17]

 Ländliches Bewässerungssystem in Pakistan

Ländliches Bewässerungssystem in Pakistan

Während die kleineren bäuerlichen Betriebe dem Druck durch Auflagen und der Konkurrenz kaum noch gewachsen sind und sukzessive von der Karte verschwinden, schaffen es die großen landwirtschaftlichen Betreiber, sich bislang noch gegen die Erlasse zu wehren, wobei insbesondere die Korruption nach wie vor grassierend ist.[18] Auch die Betreiber der großen Industrie- und Textilhersteller wehren sich gegen den zunehmenden Einfluss aus Islamabad, bekommen zugleich aber die Folgen ihres Handelns durch zunehmende Proteste der Bevölkerung und extreme Wettersituationen mit nachfolgenden Stromausfällen zu spüren, was besonders im Jahr 2012 zu starken innenpolitischen Spannungen in Punjab führte, in Folge dessen auch Abgeordnete und Wirtschaftsvertreter auf offener Straße angegriffen und bedrängt wurden.[19]

Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, muss Islamabad verschiedene Ansätze zur Problembewältigung umsetzen. Neben dem verbesserten Monitoring der Urban Migration sollte vorranging die Einrichtung von ökologisch nachhaltigen und den Ballungszentren vorgelagerten Städten in den ländlichen Gebieten und entlang der Agglomerationsräume vorangetrieben werden. Wie Studien aus dem Jahr 2004 zeigen, kann dadurch nicht nur die ungehemmte Ausbreitung von Slums in den Megacities eingedämmt werden, sondern auch der ländliche Raum leichter erschlossen werden. Außerdem müssen bereits begonnene Prozesse zur Entwicklung einer dezentralisierten Verwaltung weiter vorangetrieben werden. Verbunden mit der Entwicklung eines nachhaltigen Risk-Managements, kann dadurch schneller und effizienter auf zukünftige Krisensituationen reagiert werden.[20]

Die Regierung unter Imran Khan steht somit wie kaum ein anderer Regierungschef unter dem Druck, einen Kompromiss zwischen wirtschaftlichem Wachstum bei zeitgleichem ökologischen Wandel zu vollziehen. Auch auf dem außenpolitischen Parkett steht Khan unter Druck, will er doch weiterhin die internationalen Subventionen und chinesischen Investitionen im Rahmen des CPEC-Projektes sichern. Insbesondere im Umgang mit der Ressource Wasser wird Islamabad mit immer intensiveren Extremsituationen konfrontiert, die sich in zunehmendem Maße auf die Außen- und Innenpolitik auswirken werden.

3 Der Faktor Wasser in der nächsten Dekade

Ähnlich wie Ägypten mit dem Nil ist Pakistan mit dem Indus einer der Staaten, dessen Gesellschaft und Geschichte durch einen größeren Strom geprägt ist. Das Zusammenspiel aus Monsun und Überschwemmungszeiten sorgte bereits in der Vergangenheit immer wieder für sicherheitspolitische Extremsituationen, die das Land vor große Herausforderungen stellten. Insbesondere der Zyklon Bhola im Jahre 1970, in Folge dessen sich Ost-Pakistan mit Hilfe Indiens als Bangladesch für unabhängig erklärte, ist in Islamabad ein Mahnmal für die destabilisierende Wirkung, die von Wetter- und Klimaereignissen ausgehen kann. Doch anders als 1970 ist die derzeitige Entwicklung durch den Klimawandel ein teils schleichenderer und zugleich dramatischerer Prozess als Bhola. Dieser Prozess wird vor allem durch drei aktuelle Tendenzen deutlich, welche insbesondere die innere Stabilität Pakistans gefährden können, aber auch Auswirkungen auf die Außenpolitik Islamabads haben.[21]

1. Aufgrund der derzeitigen klimatischen Veränderungen kommt es auch auf regionaler Ebene zu schweren Veränderungen im Weltwetter. Pakistan leidet darunter vor allem durch die sich verändernde Variabilität des lokalen und regionalen Wetters, was es schwerer macht, Überflutungen, Starkregen und andere Extremsituationen vorherzusagen. Hinzu kommt, dass der bislang eher berechenbare Monsunzyklus sukzessive andere Formen annimmt, wodurch sich die Regenfallsaisonalität verändert. Die Folgen sind verkürzte, dafür aber umso heftigere Regenperioden im Sommer, während die Wintermonate bis in den Mai von stärker ausfallenden Dürreperioden betroffen sind. Beispielhaft waren hierfür die letzten beiden Jahre 2018 und 2019. Deutlich wird hier eine Tendenz: Während die ohnehin regenreichen Gebiete im Norden des Landes zusätzliche Niederschlagsmengen verkraften müssen, bekommen die trockenen Gebiete in Sindh und Beluchistan um bis zu 1,2 % weniger Regen ab.[22]

2. Durch den Klimawandel und dem daraus resultierenden Abschmelzen der Polkappen steigt auch im Indischen Ozean und im Arabischen Meer der Wasserspiegel an und lässt nicht nur die Küstenabschnitte nach und nach erodieren. Vor allem aber sorgt der Anstieg dafür, dass das salzige Meerwasser immer tiefer in die Flussmündungen, allen voran des Indus eindringt. Allein im letzten Jahrhundert ist der Meeresspiegel um 17cm in der Region angestiegen, wobei die Anstiegsgeschwindigkeit deutlich zunehmen wird. Für Küstenstädte wie Karatschi mit seinen mehr als 15 Millionen Einwohnern stellt dies nicht nur eine neue Belastung für die Wasserversorgungen durch Wasseraufbereitung dar, der ansteigende Meeresspiegel erhöht auch den Druck auf die nur rudimentär vorhandenen Küstenschutzmaßnahmen. Mag dies für die Innenstadt Karatschis, welche ca. 22m über NN liegt nur bedingt bedrohlich sein, so sind in den letzten Jahren vor allem die ärmeren Stadtränder und küstennahen Stadtgebiete immer wieder von starken Überflutungen betroffen.[23]

3. Die wohl folgenreichste, derzeit wahrzunehmende Entwicklung betrifft jedoch die Lebensader Pakistans, den Indus, in gleich zweierlei Weise. Zum einen führen die bereits oben beschriebenen Maßnahmen zur Bewässerung des Punjab zu einem immer stärkeren Abfluss aus dem Hauptfluss in die Seitenflüsse und deren Bewässerungskanäle. Hinzu kommen neue Staudammprojekte entlang der Himalaya-nahen Flusssysteme, welche ebenfalls den Durchfluss drastisch senken und auch die ökologische Vielfalt beeinträchtigen werden. Projekte wie der Basha-Diamir-Damm oder die Erweiterung des Tarbela-Dammes verschärfen diese Entwicklung, werden jedoch aus wirtschaftlicher Sicht dringend für die Energiegewinnung benötigt – auch hier zeigt sich das Dilemma Pakistans. Zum anderen wird der Durchfluss des Indus bereits an der Quelle beeinträchtigt. Die jüngsten Studien zeigen in immer eindrücklicherem Maße den Rückgang der allermeisten Gletscher des Hindukusch und des Himalayas, welche so wichtig für die Wasserversorgung Pakistans, aber auch der anderen Staaten sind. Fast jeder der 70 Gletscher Pakistans ist derzeit auf dem Rückzug befindlich. Problematisch ist hierbei auch die zunehmende Geschwindigkeit, mit der diese Entwicklung voranschreitet. Konnte man bereits am Siachen-Geltscher einen Rückgang des Eises um 20 % im Zeitraum zwischen 1989 und 2006 erkennen, so vollzieht sich diese Schmelze in teilweise schnellerem Tempo an nahezu allen Gletschern in der Region.[24]

Wenngleich es derzeit scheint, dass Islamabad diese Tendenzen durchaus erkannt hat, so wächst der klimatische Druck auf die Regierung und die Menschen im Land stetig an. Unter dem Eindruck der anwachsenden Bevölkerung (in Pakistan werden nach derzeitigen Berechnungen bis zum Jahr 2050 ca. 306 Millionen Menschen leben)[25],[26] und der zunehmenden Landflucht, welche unter anderem zu einer unkontrollierten Bebauung in Küsten- und Flussnähe führt, wird Pakistan auch sicherheitspolitisch die Ressource Wasser enger ins Auge fassen und seine Versorgung mit dem kostbaren Gut innen- wie außenpolitisch stärker absichern wollen.[27]

4 Pakistans Sicherheitspolitik unter dem Eindruck der Umweltveränderungen

Wie auch der letzte Bericht des World-Ressource-Instituts zeigt, gehört Pakistan hinsichtlich seiner Wasserversorgung weiterhin zu den gefährdetsten Ländern. Sowohl für die innere Stabilität als auch für die auswärtige Politik, wird diese Entwicklung gravierende sicherheitspolitische Folgen mit sich bringen, wie die folgenden Abschnitte zeigen.[28]

4.1 Herausforderungen für die Innenpolitik

Blicken wir zunächst auf die innere Stabilität des Landes, welche bereits in den letzten Jahren durch den Kampf gegen die pakistanischen Taliban und durch einen teils schwachen Staat geprägt war, so wird diese brüchige Sicherheit im Land zukünftig durch drei Entwicklungen beeinträchtigt, welche insbesondere Folgen der klimatischen Veränderungen sind.

Zunehmende Landflucht

Wie das bereits angesprochene Beispiel aus Karatschi zeigt, ist das Gefälle zwischen den reicheren und den ärmeren Schichten in der Bevölkerung beträchtlich. In Folge der sich verschärfenden klimatischen Bedingungen steigt auch der soziale Druck innerhalb der Gesellschaft. Allein das letzte Jahrzehnt hat gezeigt, dass zunächst vor allem die Landbevölkerung die negativen Konsequenzen der derzeitigen Veränderungen zu spüren bekommt. Neueste Studien der Weltbank belegen, dass Pakistan eines der Länder in Süd- und Südostasien ist, deren Landwirtschaft am wenigsten nachhaltig ist und zugleich nur eine geringe Produktionsrate aufweist – und dies bei einem unverhältnismäßig hohem Wasserverbrauch.[29] Kommt es zusätzlich zu langanhaltenden Dürreperioden, so steigt nicht nur die Wasserknappheit in den Privathaushalten, sondern auch in den Fertigungsbetrieben und auch auf den Feldern mangelt es immer häufiger an dem kostbaren Gut. Die Folge sind teils brachliegende Felder und stillgelegte Produktionsbänder, was sich letztendlich auch auf die Arbeitslosenzahlen in Folge von Massenentlassungen auswirkt. Die Unzufriedenheit auf dem Land sorgt schließlich für eine verstärkte Landflucht, was den Druck auf die ohnehin vollen Städte zusätzlich erhöht. Somit werden bereits 2050 57 % der pakistanischen Bevölkerung in Städten leben.[30]

Eng damit verbunden sind auch die steigenden Nahrungsmittelpreise. Sowohl für Weizen als auch für Reis haben sich die Preise in den letzten 10 Jahren nahezu vervierfacht. Eine der Hauptursachen ist, wie Fahad Saeed, Kashif Majeed Salik und Sadia Ishfaq vom PRISE-Program berichten, die Landflucht in Folge von klimatischen Veränderungen: Durch vermehrt vorkommende Wetterextreme wie Hitzewellen und Dürren sinkt die Weizenproduktion, wodurch vor allem ärmere, auf dem Land arbeitende Bevölkerungsschichten, ihre Arbeit verlieren und zur Landflucht getrieben werden. Als Folge der nun brachliegenden Gebiete können sich urbane Räume besser verbreiten, wodurch es zu einer weiteren Verstädterung kommt und weniger bestellbare Anbaufläche für zukünftige Aussaaten zur Verfügung steht. Beispiele für diesen „Feedback-Loop“ lassen sich vor allem im Punjab finden. So ist die Anbaufläche für Agrarprodukte durch unkontrollierte Verstädterung in Lahore von 94 % im Jahr 1972 auf nur noch 29,5 % im Jahr 2010 zurückgegangen.[31]

Dass solche Entwicklungen Folgen für die Sicherheitspolitik eines Staates haben, zeigten zuletzt die Umstände in Syrien von 2000 bis 2011: In Folge von Wassermangel, schlecht organisierter Landwirtschaft und einer langen Dürreperiode, waren zu Beginn der Syrienkrise 2011 mehr als zwei Millionen Syrer von Ernährungsengpässen betroffen. Wie wir heute wissen, waren Demonstrationen, Streiks und zuletzt auch bewaffneter Widerstand die Folge – ein Schicksal, welches auch Pakistan drohen könnte.[32]

Wasserknappheit und eine sich verschlechternde Sicherheitslage

Als 1958 der frisch gewählte Präsident Pakistans, Muhammed Ayub Khan, den Plan für die neue Hauptstadt Islamabad präsentierte, herrschte neben viel Skepsis auch eine neue Aufbruchsstimmung, da die neue Hauptstadt unter der Leitung des griechischen Starstadtplaners Konstantinos Doxiadis, viele Möglichkeiten der politischen und wirtschaftlichen Entfaltung bot. Knapp 60 Jahre später ist von dieser Aufbruchsstimmung kaum noch etwas zu spüren. Während der Kern der von Doxiadis geplanten Stadt Islamabad und deren Schwesterstadt Rawalpindi noch das alte geordnete Schachbrettmuster einer Planstadt aufweist, wuchern entlang der Peripherie immer neue Viertel, scheinbar ohne jede Kontrolle und Ordnung hervor – die Städte Pakistans platzen aus allen Nähten.

So hat sich die Bevölkerung Islamabads innerhalb des Zeitraums von 1998 bis 2017 mehr als verdoppelt und beträgt heute etwas mehr als eine Millionen Einwohner.[33] Dennoch ist Islamabad im Vergleich zu anderen, deutlich größeren Städten des Landes wie Karatschi oder Lahore, noch eine Oase der Lebensqualität. Im Ranking des „Mercer – Quality of Living City Rankings“ von 2019 belegte die Hauptstadt Pakistans Platz 194 – von 231 untersuchten Städte, während Karatschi (201) und Lahore (207) sogar noch schlechter abschnitten.[34] Nicht nur diese Zahlen verdeutlichen, die sich verschlimmernde Lage der Großstädte im Land. Durch den unkontrollierten Zuzug der flüchtenden Landbevölkerung schaffen es die Stadtverwaltungen kaum noch, die Wasserversorgung innerhalb der Städte aufrecht zu erhalten. Während in der Hauptstadt Islamabad zeitweilig nur 50 % der Bevölkerung mit Wasser versorgt werden können, leidet in Karatschi sogar 60 % der Bevölkerung unter regelmäßigen Wassermangel. Vor allem die Instandhaltung der Brunnensysteme wurde in den letzten Jahrzehnten stark von den öffentlichen Stellen vernachlässigt. Allein in der Vorzeigestadt Islamabad sind 33 der 190 öffentlichen Brunnen nicht mehr funktionstüchtig.[35]

Hinzu kommt, dass der Wasserbedarf durch die Verstädterung soweit zugenommen hat, dass selbst die Grundwasserreserven langsam zur Neige gehen: Während in Islamabad der Wasserspiegel zwischen 1982 bis 2000 um ein bis zwei Meter pro Jahr sank, dürfte die Provinzhauptstadt von Baluchistan Quetta innerhalb der nächsten 10 Jahre komplett ohne Grundwasser auskommen müssen.[36]

Neben dem steigenden Mangel an Wasser ist eine weitere Folge der zunehmenden Urbanisation die Verschlechterung der Sicherheitslage in den städtischen Gebieten. Vor allem in den unkontrolliert wachsenden Slums entwickeln sich neue kriminelle Strukturen, die mittlerweile nicht mehr nur in den Stadträndern ihre Claims abstecken, sondern auch die Stadtzentren zunehmend in Mitleidenschaft ziehen. Studien aus dem Jahr 2013 zeigen, dass vor allem Muhajirs, Paschtune and diverse Urdu sprechende Gruppierungen verstärkt um Einfluss in den Metropolen streiten. Damit einhergehend wird nicht nur die Ohnmacht der Behörden deutlich, sondern auch die Unzufriedenheit der allgemeinen Bevölkerung verschlechtert sich zunehmend.[37] Dass diese Unzufriedenheit mittlerweile auch im größeren Stil die innere Stabilität des Landes beeinträchtigt, lässt sich auch anhand der steigenden Zahl an Unruhen, Großdemonstrationen und Aufständen erkennen. Allein in der Zeit zwischen 2005–2015 gab es insgesamt 19 politische Unruhen, wobei sich diese Zahl perspektivisch noch steigern wird.[38]

Auch sorgten die letzten Jahre immer wieder für Zwangsrationierungen in den großen Ballungsräumen des Landes, insbesondere im wasserärmeren Süden Pakistans. Nicht nur in Karatschi, auch in anderen Großstädten des Landes wie Hyderabad oder Peshawar, führten die häufiger auftretenden Extremwettersituationen für Tote im Land. Hauptproblem ist neben der Wasserknappheit auch die Bausituation, insbesondere in den ärmeren Vierteln, in denen viele der Wohnquartiere kaum mehr als aus Blechwänden bestehen, wodurch sich die Temperaturen innerhalb dieser Räumlichkeiten auf deutlich über 50°C erhitzen können. Generell sind von den ansteigenden Temperaturen besonders die ärmeren Gesellschaftsschichten betroffen, die zumeist einer körperlich anstrengenden Arbeit nachgehen und somit einem besonderen Risiko eines Hitzschlages und einer Dehydrierung unterliegen. So gab es in Pakistan allein im Jahr 2015 schätzungsweise mehr als 1000 gezählte Hitzetote in Folge einer schwerwiegenden Hitzeperiode.[39] Ähnlich sah es in den Jahren 2018 und 2019 aus. Während sich die zahlenmäßig deutlich kleinere Oberschicht weiterhin einen bestimmten Luxus bewahrt, steigt in Folge dieser Entwicklungen gleichzeitig die Unzufriedenheit unter den ärmeren Schichten deutlich an – was nicht zuletzt religiöse und extremistische Gruppierungen zu ihrem Vorteil ausnutzen.[40]

Neue Popularität der extremistischen und terroristischen Gruppierungen

Mit der zunehmenden Landflucht und der steigenden Unzufriedenheit der ärmeren Bevölkerung mit der Regierung im Umgang mit den klimatischen Veränderungen, steigt auch die potentielle Bereitschaft für radikalere Ansätze im Umgang mit den Problemen. Besonders die Flucht in die Religion treibt viele Menschen in die Arme extremistischer Organisationen, die den Klimawandel teils leugnen und in den Dürre- und Starkregenepisoden der letzten Jahre eine göttliche Bestrafung sehen. Dass diese Rhetorik auch in den Köpfen der Menschen haftet, zeigt nicht zuletzt eine Gallup-Umfrage aus dem März 2016, in der 41 % der Befragten nicht die klimatischen Veränderungen für die Wetterextreme verantwortlich machten, sondern diese als Gottes Strafe ansahen.[41]

Doch nicht nur ideologisch befeuert der Klimawandel im Land den Zulauf für fundamentalistische Einrichtungen und Gruppierungen. Auch organisatorisch und caritativ erscheinen islamistische Gruppierungen zunehmend in Gebieten, die von akuten Katastrophen betroffen sind. Bestes Beispiel hierfür ist die Flutkatastrophe von 2010. Während die Regierung es anfangs versäumte, Krisenstäbe und Vor-Ort-Hilfen für die Betroffenen einzurichten, wurden islamistische Gruppierungen sehr schnell auf die Notlage in den überschwemmten Gebieten aufmerksam und sahen die Chance für weitere Werbung für die eigene Sache. Neben dem Roten Kreuz, Medicines Sans Frontiers oder UN-Hilfsorganisationen, sind vor Ort insbesondere islamistische Gruppierungen wie Falah-e-Insaniat zu finden, die nicht selten Beziehungen zu Terrorgruppierungen unterhalten. Die Folge ist auch Jahre nach der Katastrophe ein Loyalitätswechsel in der Bevölkerung, die im schlimmsten Fall nun nicht mehr den Staat als Garanten für die eigene Sicherheit sieht.[42]

Dabei ist dieses Vorgehen mittlerweile auch exportiert worden: Sei es innerhalb der Gemeinschaft der geflüchteten Rohingya in Bangladesh oder bei den Hinterbliebenen der letzten Überflutungen in Indonesien. Überall dort, wo es der Staat nicht mehr schafft, den Herausforderungen der klimatischen Veränderungen zu begegnen, werden extremistische Gruppierungen unter dem Deckmantel der caritativen Tätigkeit aktiv, um ihr gefährliches Gedankengut zu verbreiten – der Klimawandel fungiert auch hier als Brandbeschleuniger.

Auch in den ohnehin instabilen Regionen mit einer ethnischen Durchmischung wie in den Tribal Areas im Westen des Landes, spielt diese Entwicklung den Taliban in die Hände. Auf das Land in seiner Gesamtheit betrachtet, steigt damit nicht nur der Druck auf die gemäßigten Parteien und Akteure. Das Ausnutzen der klimatischen Extremwettersituationen durch extremistische Gruppierungen und die damit einhergehende staatliche Schwäche, sorgt zusätzlich für neue Spannungen gegenüber den nicht-islamischen und islamischen Minderheiten im Staat, was nicht zuletzt die innere Stabilität in einigen Regionen gefährdet.[43]

4.2 Herausforderungen für die Außenpolitik

Haben die klimatischen Veränderungen bislang insbesondere die innere Stabilität des Landes beeinflusst, so wird sich auch der Druck auf die schon jetzt sensiblen Beziehungen mit seinen Nachbarstaaten erhöhen. Neben dem Kampf gegen den Extremismus und die Separatismusbewegungen der Belutschen und Paschtunen im Land, wird besonders der Kampf um Kaschmir und damit das Verhältnis zu Indien zukünftig vor neue Herausforderungen gestellt, welches seinerseits zunehmend von immer heftigeren Dürren beeinträchtigt wird. So standen in Folge einer extremen Dürreperiode in den Jahren 2018 und 2019 im Juni 2019 etwa 65 % der indischen Wasserreservoirs kurz vor der Austrocknung.[44]

Während die bisherigen Konflikte um Kaschmir hauptsächlich Grenzstreitigkeiten in Folge von historischen Gebietsansprüchen zur Ursache hatten, spielten ökologische und versorgungstechnische Faktoren in der Vergangenheit nur bedingt eine Rolle. Seit dem Indus-Wasserabkommen, welches 1960 unter Mediation der Weltbank zwischen Indien und Pakistan geschlossen wurde und bis heute die Aufteilung der Fließmenge des Indus und möglicher Ausgleichszahlungen bestimmt, hat sich der Kampf um die wasserreiche Region auf andere Ursachen beschränkt.[45] Doch mit den immer schwerer ausfallenden Dürren, dem steigenden Energiebedarf und der sich fortsetzenden Wasserknappheit zu beiden Seiten der Grenze, verändert sich die Situation auch auf politischer Ebene. Dabei erhebt vor allem Islamabad schwere Vorwürfe, dass sich die Regierung in Delhi nicht mehr an die bestehenden Verbindlichkeiten hält. Spätestens mit der Einweihung des Kishanganga-Dammprojekts im Jahr 2018 ist die Angst in Pakistan groß, dass einer der wichtigsten Zuläufe des Indus direkt nach Indien umgeleitet wird. Zwar hat der Internationale Gerichtshofs das Projekt unter der Auflage genehmigt, dass zumindest ein kleiner Durchfluss nach Pakistan möglich ist, doch ist die Skepsis in Pakistan groß, dass diese Bedingung im Falle eines diplomatischen oder gar offenen Konfliktes auch eingehalten wird.[46] Fraglich ist generell, ob die erneuten Bemühungen der Weltbank zur Beilegung weiterer Dammprojekte erfolgreich sind, da Narendra Modi seit der Abschaffung des Autonomiestatus der Provinz Jammu und Kaschmir, scheinbar immer weniger Rücksicht auf die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarn im Westen nimmt.

Doch auch im Umgang mit China wird das Verhältnis zukünftig auf eine harte Probe gestellt. Denn auf der einen Seite ist Peking der wichtigste Partner auf der wirtschaftlichen Ebene, wodurch Islamabad auf ein gutes Verhältnis zu China angewiesen ist, doch zugleich bedroht nicht nur ein immer größer werdender Schuldenberg gegenüber China den pakistanischen Haushalt. Auch ökologisch werden die riesigen Bauprojekte in den sensiblen nördlichen Flusszügen immer problematischer.[47] Wenngleich Xi Jinping erst jüngst wieder versicherte, dass aus der Belt-and-Road-Initiative (BRI) eine grüne Initiative werden kann, so ist die Bilanz der chinesischen Projekte in Pakistan im Rahmen des CPEC bislang wenig nachhaltig.[48] Es werden nicht nur Dämme und Infrastrukturprojekte in wichtige Naturschutzgebiete gebaut, auch hinsichtlich der Art der neu geplanten Kohle- und Kernkraftwerke ist Imran Khan in der Pflicht – will er seine Versprechungen zu einer grüneren Umwelt einhalten – auf mehr Auflagen für neue Großprojekte zu bestehen. Hier zeigt sich erneut der scheinbar unlösbare Zwiespalt in der Zukunft Pakistans: Auf der einen Seite den gewaltigen Energiebedarf seiner Städte und der Gesellschaft zu decken und zur gleichen Zeit eine nachhaltige und wasserschonende Investitionspolitik zu entwickeln. Eine Mammutaufgabe, bei der auch die europäischen Akteure helfen können.

5 Neue Ansätze für europäische Akteure

Damit die klimatischen Herausforderungen, vor denen Pakistan steht, bewältigt werden können, ist Pakistan auf zweierlei Weise gefordert. Zunächst muss sich die Regierung im Klaren darüber sein, was eine ökologisch zerstörerische Politik für die Zukunft des eigenen Landes bereits für jetzt lebende Generationen zur Folge hätte. Ein Nichthandeln erscheint selbst bei den optimistischsten Prognosen brandgefährlich. Daher ist es notwendig, dass Islamabad neue Akzente in der Innen- und Umweltpolitik setzt und es vermeidet, nur auf ungebremstes Wachstum durch immer neue Investitionen in wenig nachhaltige Konzepte zu setzen – selbst wenn dies zunächst dazu führen könnte, dass Arbeitsplätze nicht umgehend neu geschaffen werden können.

Damit dennoch ein Kompromiss zwischen ökologisch nachhaltiger Politik und zugleich wirtschaftsfreundlicher Politik gefunden werden kann, ist Pakistan zum anderen auf die Hilfe von außen angewiesen. Will Pakistan im 21. Jahrhundert keinem staatlichen Kollaps unterliegen, muss es die Kooperationen mit externen Partnern weiter ausbauen – sowohl auf nicht- und teilstaatlicher Ebene als auch auf staatlicher Ebene. Partnerschaften zwischen Universitäten und Tech-Unternehmen im In- und Ausland müssen ausgebaut und verstärkt subventioniert werden, damit neue Methoden der nachhaltigen technologischen Anwendung auch in Pakistans nach wie vor rückständiger Landwirtschaft neue Einsatzgebiete finden können. Ebenso können in der städtischen Wasseraufbereitung pakistanische Betriebe von einem Wissenstransfer mit europäischen Wasserbetrieben profitieren, was zwingend erforderlich für die Wasserversorgung der überfüllten Städte ist. Auch hier können staatliche Stellen in Europa und Pakistan neue Anreize schaffen. Bereits bestehende Rahmenprojekte wie das INFORMERD-Programme können dabei als Grundlage für weitergehende Forschungs-und Anwendungsmöglichkeiten dienen.[49]

Neben der Erforschung von neuen, zukunftsweisenden Technologien und Arbeitsmethoden ist jedoch auch die fortführende Beobachtung der klimatischen Veränderungen von großer Notwendigkeit. Wie die jüngsten Studien der European Geosciences Union aufzeigen, scheinen Studien, die vor einem Jahrzehnt zum Klimawandel erschienen sind, bereits überholt zu sein. So geht etwa das Abschmelzen der Gletscher und der Polkappen derzeit deutlich schneller von statten, als bislang befürchtet. Insbesondere hierbei ist die regelmäßige Kontrolle der pakistanischen Gletschergebiete von großer Bedeutung, da in kaum einem anderen Land die derzeitigen Veränderungen so gut sichtbar sind, wie hier. Europäische Klimaforschungsinstitute wie das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung oder das Grantham Research Institute on Climate Change and Environment in London, müssen weiter Unterstützung in Ihrer Arbeit finden und deren Analysen auch vermehrt Einzug in sicherheitspolitische Diskurse finden.[50]

Wenngleich es aus europäischer Sicht zunächst schwierig erscheint, wesentlichen Einfluss auf politische Geschehnisse in der Region zu nehmen, da andere Staaten wie China, die USA oder einige arabische Akteure wesentlich dominanter auftreten, können sich die EU und ihre Einzelstaaten durchaus als unterstützende Faktoren empfehlen. Vor allem Frankreich, Deutschland und auch Großbritannien können durch ihre derzeitige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat wesentlichen Einfluss auf aktuelle Debatten nehmen und das Thema Wasserversorgung stärker auf die Tagesordnung setzen. Auch regionalpolitisch gibt es bereits erste Ansätze im Bereich der sogenannten Wasserdiplomatie. So unterstützt das deutsche Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) bereits mit mehreren Projekten die Vermittlung zwischen den Himalaya-Anrainerstaaten in Zentralasien, um dort einen deeskalierenden Einfluss auf Ober- und Unterlieger zu nehmen. Außerdem unterstützt die EU seit 2012 mehrere Projekte, wie das National Rural Support Programme (NRSP)[51], die ausgewählte Regionen und Institutionen in Pakistan bei der Entwicklung einer nachhaltigeren und effektiveren Selbstverwaltung und Landwirtschaft unterstützen.[52] Weiterhin können pakistanische Behörden und Unternehmen auch vom Wissen der europäischen Flusskommissionen, wie der Rheinkommission oder der Elbekommission, profieren, die bereits seit Jahrzehnten bestehen und in Fragen der Krisenbewältigung und der politischen Vermittlung zwischen den Anrainerstaaten eine entscheidende Expertise aufweisen. Ein Wissenstransfer kann und sollte auch hier stattfinden.[53]

Viel wichtiger erscheint jedoch das Finden einer gemeinsamen Position innerhalb der EU zu klimatischen Fragen. Ähnlich wie bei der Flüchtlingspolitik, präsentieren die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bislang auch bei ökologischen Desastern eine uneinheitliche Position. Die Reaktionen auf den Flächenbrand im südamerikanischen Amazonasgebiet haben dies nur allzu sehr verdeutlicht. Während Paris klimatische Fragen recht weit oben auf seiner Agenda positioniert, scheint vor allem Berlin das bremsende Element zu sein. Will man tatsächlich eine Vorreiterrolle in Fragen der Zukunft und der Nachhaltig einnehmen, muss Berlin noch stärker das ökologische Umdenken vorantreiben und dabei wieder verstärkter mit Paris kooperieren. Sollte es nicht gelingen, eine geeinte Position in Sachen Klimafragen zu finden, so dürfte es externen Akteuren, die kein Interesse an einer zukunftsgerichteten Entwicklung haben, leichter fallen, eine global wirksame Agenda für eine nachhaltige Globalisierung zu verhindern. Ebenso wären bereits gefundene Übereinkommen zu Klimafragen, wie das Pariser Abkommen, hinfällig.

Abschließend ist festzuhalten, dass sowohl Pakistan als auch die europäischen Akteure auf sich alleine gestellt, nur wenig bewirken können. Sollten globale Klimaabkommen, wie das von Paris, weiterhin nicht genügend effektive Unterstützung finden, so scheinen die derzeitigen Szenarien für die Zukunft nur wenig Positives offen zu halten. Zuerst spüren werden dies jedoch nicht die Verursacher, sondern die schwächsten Glieder in der Kette der Staaten. Auch Pakistan wird, sollte es kein Umdenken geben, vor kaum noch zu bewältigenden sozialen und klimatischen Herausforderungen stehen. Es ist daher Zeit zu Handeln. Nicht Morgen, sondern bereits gestern.

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Published Online: 2021-03-27
Published in Print: 2021-04-01

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 1.10.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2021-1005/html
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