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Publicly Available Published by De Gruyter March 27, 2021

Mason Clark: Russian Hybrid War. Washington, D.C.: Institute for the Study of War (ISW), Military Learning and the Future of War Series, September 2020

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Reviewed Publication:

Clark Mason Russian Hybrid War Washington, D.C. Institute for the Study of War (ISW) Military Learning and the Future of War Series September 2020


Mason Clark leitet die Abteilung für Russlandstudien am Institute for the Study of War (ISW), eines regierungsunabhängigen Forschungsinstituts in Washington, D.C. Die von ihm verfasste Studie geht davon aus, dass die 2018 angenommene National Security Strategy der Vereinigten Staaten auf einem Missverständnis hinsichtlich des russischen Kriegsansatzes beruhe. Die US-amerikanische Strategie gebe weiterhin der Abschreckung großer konventioneller Kriege Vorrang. Russland versuche aber, solche Kriege zu vermeiden und hätte ein anderes strategisches Konzept entwickelt, um seine außenpolitischen Zielsetzungen zu erreichen: den des hybriden Krieges. Washington betrachte den russischen Ansatz lediglich als eine Reihe von Aktivitäten unterhalb der Schwelle konventioneller Konflikte, Moskau beziehe jedoch einen konventionellen Konflikt auch großen Maßstabes in seine Konzeption und Durchführung eines hybriden Krieges ein. Der Autor wirft infolgedessen dem Verteidigungsministerium vor, sich darauf zu konzentrieren, einen Krieg zu verhindern, den Russland gar nicht zu führen beabsichtige. Im Gegensatz zu US-amerikanischen Auffassungen verstünde die militärische Führung Russlands hybriden Krieg nicht lediglich als Mittel zur Durchführung staatlicher Politik, sondern viel umfassender als eine neue Art von Krieg, der den gesamten Raum der Rivalität zwischen Russland und den Vereinigten Staaten betreffe.

In der US-amerikanischen Diskussion stünde der Einsatz russischer Soldaten ohne Hoheitsabzeichen („kleine grüne Männer“) auf der Krim und der verdeckte Einsatz russischen Militärpersonals und von Moskau kontrollierten Milizen in der Ostukraine häufig im Mittelpunkt der Analysen. Dabei werde übersehen, dass im Verständnis des Kremls nicht nur der Konflikt um die Ukraine, sondern auch der im benachbarten Belarus sowie in Syrien, Libyen und Venezuela hybride Kriege seien.

In Syrien habe der Kreml sowohl konventionelle Kräfte, insbesondere die Luftwaffe, als auch Militärpolizei, Sondereinheiten (Specnaz) der Streitkräfte und „private“ militärische Unternehmen (PMU) wie die Wagner-Gruppe eingesetzt. Zu den russischen hybriden Kriegsanstrengungen in Belarus habe die Entsendung von drei taktischen Bataillonsgruppen aus Luftlandedivisionen zu „Übungszwecken“ im Nachbarland gehört sowie von nuklearfähigen Tu-160-Bombern, offensichtlich zur Abschreckung westlicher Einflussnahme (und, so ist hinzufügen, wohl auch, um der These Minsks und Moskaus Nachdruck zu verleihen, die „Unruhen“ in Belarus würden vom westlichen Ausland geschürt). Das russische Engagement in Libyen sei dagegen hauptsächlich von privaten Militärunternehmen getragen worden.

Die laufenden Anpassungen des Kremls zur Verbesserung der russischen Fähigkeiten, hybride Kriege zu führen, fasst der Autor wie folgt zusammen:

  • Zentralisierung aller wichtigen Entscheidungsgremien − zivile, militärische, wirtschaftliche und informationsrelevante −, um Kohärenz und Konsistenz der Regierungsaktivitäten zu gewährleisten.

  • Anpassung traditioneller militärischer Theorien und Doktrinen, um die hybride Kriegsform als Kernaufgabe der Streitkräfte zu etablieren.

  • Verbesserung der konventionellen Interventionsfähigkeiten der russischen Streitkräfte in regionalen Konflikten.

  • Ausbau von Kräften wie „privaten“ Militärunternehmen und vom Kreml bewaffneten Milizen, die dazu eingesetzt werden können, russische Ziele zu verwirklichen, deren Aktivitäten aber mehr oder weniger plausibel geleugnet werden könnten.

  • Durchführung von gesellschaftsweiten Informationskampagnen, um das „patriotische Bewusstsein“ zu verbessern und um die hybride Kriegsführung innenpolitisch zu legitimieren.

Die Studie wartet nicht gerade mit neuen Erkenntnissen auf. Ihr empirischer Gehalt ist ziemlich schwach. Die aufgelisteten Beispiele für die praktische Anwendung des hybriden Kriegskonzepts in der russischen Außenpolitik werden nur en passant erwähnt, nicht ausgeführt und veranschaulicht. Auch die Kritik an der National Security Strategy erscheint dem Rezensenten übertrieben: Macht es wirklich einen so großen Unterschied, ob das vom Kreml und dem Generalstab entwickelte Konzept und seine Ausführung(en) nicht als Instrument einer zunehmend dem Westen gegenüber feindseligen Politik interpretiert werden müssten, sondern als ein neuer Kriegstypus?

Die Studie ist trotzdem verdienstvoll, denn sie ist reich an Auswertungen von Artikeln führender russischer Militärzeitschriften. Das trifft insbesondere auf zwei Zeitschriften zu, die Voennaja mysl’ (zu übersetzen als Militärisches Denken oder Militärtheorie) und den Armejiskij sbornik („Armee-Sammlung“, ihren Inhalten zufolge, zusammengetragene oder gesammelte Aufsätze zu Militärfragen). Erstere Zeitschrift ist das offizielle Journal des russischen Generalstabs, in dem über Militärdoktrin, Strategie und Szenarien künftiger Kriege diskutiert wird. Die Erörterungen sind zwar von jüngsten Konflikten geprägt, befassen sich jedoch selten mit spezifischen Operationen wie beispielsweise in Syrien oder der Ukraine. Die Artikel in der anderen Zeitschrift gehen eher auf taktische Probleme und operative Planung denn auf strategische Prognosen ein. Aufgrund der vielen Zitate aus den Artikeln kann sich der Leser selbst ein gutes Bild über die zentralen Themen und Thesen der russischen Diskussion und darübermachen, wie stichhaltig die von Clark entwickelten Wertungen sind.

http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Russian%20Hybrid%20Warfare%20ISW%20Report%202020.pdf

Published Online: 2021-03-27
Published in Print: 2021-04-01

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 4.6.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2021-1010/html
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