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Cancian Marc F. U.S. Military Forces in FY 2021: Navy Washington, D.C. Center for Strategic & International Studies (CSIS) November 2020
In 2020 überholte die Marine der VR China (PLAN) zahlenmäßig die US-Navy, und das Pentagon mit dem damaligen Verteidigungsminister Esper forderte die Navy auf, ihre bisherige Planung mit 355 Schiffen auf den Prüfstand zu stellen. In seiner jährlich erscheinenden Analyse und Bewertung der amerikanischen Streitkräfte betrachtet Marc F. Cancian vom Center for Strategic & International Studies (CSIS) für das Haushaltsjahr 2021 daher die divergierenden Sichtweisen von Marine und Pentagon. Während Air Force und Army bereits von weniger Haushaltsmitteln ausgingen, hoffte die Navy auf einen deutlichen Anstieg ihrer Mittel. Auch wenn dies grundsätzlich gegeben schien, war das Pentagon nicht mehr bereit, die Konzentration der Navy auf große Einheiten weiterhin zu unterstützen. Cancian vergleicht daher die Vorgaben aus dem Esper-Papier des Pentagon vom 7.10.2020 A 500+ ship future fleet. Ever-present, resilient, and dominating fighting force mit den nicht mehrheitsfähigen Plänen der US Navy für eine 355 Schiff-Marine in 2045.
Im Einzelnen untersucht der Autor die Personalentwicklung der aktiven Marineangehörigen und der Reservisten mit dem Ergebnis, dass hier eher eine Platzhalterfunktion für die künftige Flotte gewahrt wird. Bei der Betrachtung von Schiffseinheiten konnte zwar eine leichte Steigerung erreicht werden, allerdings lag dies am Zulauf von DDG 51 sowie littoral combat ships (LCS). Ungelöst blieben auch in 2020 die Probleme der abnehmenden Zahl im Vergleich zur gleichbleibenden Entsendung von Einheiten (100 in jedem Quartal). Eingehend widmet sich Cancian den Gründen des Scheiterns der Marinevorstellungen (355 Schiffe), die auf großen Einheiten beharrte und einen Übergang zu unbemannten Systemen kaum vorsah.
So kommt es, dass im Haushaltsjahr 2021 nur wenige Einheiten der Navy zulaufen werden. In einer Tabelle verdeutlicht der Autor dann den Unterschied der Marineplanung mit der von Verteidigungsminister Esper. Dieser wollte auf einige Träger zugunsten unbemannter Systeme in der Größenordnung von 140–220 jeweils für Überwasser- und Unterwassereinsätze verzichten. Bis dato gibt es jedoch nur wenige Erprobungsträger. Die Hauptgründe liegen in einer zahlenmäßig auf über 500 Einheiten aufwachsenden Marine, die über große Seegebiete verteilt werden kann, um selber weniger gefährdet und im vernetzten Verbund einen Gegner erfolgreicher bekämpfen zu können.
Einen Schwerpunkt nimmt natürlich die Frage der Anzahl künftiger Träger und der dann notwendigen Bedeckungskräfte ein. Während Esper die Zahl der Träger auf Acht verringern möchte, hielt die Navy an der Zahl Elf fest. Damit kann die erforderliche Größenordnung der Plattformen nicht mehr gebaut werden.
Mit der Herausgabe einer neuen Strategie für Navy, Marines und Coast Guard unter dem Titel Advantage at Sea vom Dezember 2020 möchte die US-Marine wieder verstärkt alliierte Einheiten mit in künftige Einsätze einbinden. Dies setzt jedoch voraus, dass diese über kompatible Führungs- und Waffeneinsatzsysteme verfügen. Die Grundidee war ja schon in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts unter dem Stichwort „1.000 Schiff-Marine“ propagiert worden. Die Idee wirkt bestechend, wenn auch alliierte Partner gleiche Zielvorstellungen zum möglichen Einsatz ihrer Schiffe und Flugzeuge haben. Und hier liegt natürlich bei näherem Hinsehen das Hauptproblem. So hat die NATO gerade erst eine politische Diskussion um einen möglichen Einsatzraum Indo-Pazifik und ihren künftigen Umgang mit China gestartet.
Im weiteren Verlauf seiner Studie untersucht Cancian die künftige Bedeutung von Zerstörern, neuen Fregatten, LCS, kleineren schnellen Einheiten, aber auch Landungsschiffen, Angriffsunterseebooten und strategischen Unterseebooten. So wollte Esper unter anderem die Zahl jährlich zulaufender Unterseeboote erhöhen. Hier weist der Autor mit Recht auf die derzeitigen kapazitären Grenzen der wenigen Bauwerften in den USA hin.
Ein weiteres Problem sieht Cancian in der künftigen Entwicklung der trägergestützten Luftfahrzeuge. Die aktuelle Situation bei Anzahl und Klarständen der Luftfahrzeuge stuft er als zufriedenstellend ein. Die explodierenden Kosten für Instandhaltung und neue Luftfahrzeuge könnten hier aber schon in wenigen Jahren zu einem limitierenden Faktor werden. Auch setze die Marine weiterhin auf bemannte Flugzeuge und zögere bei der Entwicklung unbemannter Kampfdrohnen. Er stellt dazu berechtigt fest, dass die Navy zwar viel Energie in die Entwicklung künftiger unbemannter Unterwasser- wie Überwassersysteme stecke. Bei den luftgestützten Systemen sei sie aber weiterhin sehr zögerlich.
Letztlich vermisst der Autor eine klare Entscheidung für künftige weitreichende Flugkörper und seegestützte Marschflugkörper (sea-launched cruise missiles – SLCM, die den bereits heute erkennbaren Entwicklungen der russischen wie chinesischen Marine ein vergleichbares Pendant entgegensetzen könnten. Es bleibt daher abzuwarten, welche veränderten Schwerpunktsetzungen die neue US-Regierung unter Präsident Biden setzen wird. Die Planungen des Pentagon dürften bereits früh in 2021 einer strengen Überprüfung unterzogen werden.
https://www.csis.org/analysis/us-military-forces-fy-2021-navy
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston