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Bierling Stephan America First – Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz München C H Beck Verlag 2020 1 271

Die Ära Trump ist erst einmal zu Ende, am 20. Januar 2021 hat Joseph Biden sein Amt angetreten, der die Stimmen von über 82 Millionen Amerikanern bekam. Die Mehrzahl der Wähler wollte am 3. November 2020 nur eines: keine zweite Amtszeit von Donald Trump. Er dürfte der kontroverseste Präsident sein, der in den vergangenen 120 Jahren das Weiße Haus bewohnt hat. Es gibt mittlerweile eine Fülle von Büchern über Trump und seine Regierungszeit. In Deutschland sticht dabei das Buch von Stephan Bierling hervor, der im Oktober 2020 eine Bilanz von Trumps Amtszeit vorlegte. Stephan Bierling ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg und einer der besten Amerikakenner in der deutschen akademischen Welt.
Seine Bilanz unterscheidet sich von anderen Büchern dadurch, dass er sich nicht an jeder passenden Stelle die moralische Verwerflichkeit, die Ignoranz und die Unfähigkeit Trumps durch Zeugen aus dessen Umfeld oder von amerikanischen Journalisten bescheinigen lässt. Er geht vielmehr systematisch vor und versucht, ein komplexes Bild des 45. Präsidenten zu entwerfen, welches auf Fakten, Daten und Hintergrundanalysen beruht. Im Gesamtbild kommt Trump hier auch nicht gut weg, aber im Vergleich zu vielen journalistischen Sachbüchern und Dokumentationen fällt die hier vorgelegte Analyse nüchterner und sachlicher aus. Bierling sucht zudem nach Möglichkeiten, Trump in einem besseren Licht erscheinen zu lassen – die wenigen Funde enthalten jedoch nichts, was die im Großen und Ganzen negative Bilanz erschüttern könnte.
Das Buch beginnt mit einem Überblick über die Lebensgeschichte Trumps, vor allem seine auffälligen Immobilienprojekte, seinen Hang zur Selbstinszenierung, seine Rolle in der Fernsehserie The Apprentice und seine vielen außerehelichen Affären. Dann legt der Verfasser die Entwicklung seiner politischen Karriere in den Jahren 2015 und 2016 dar, wo Trump als völliger Außenseiter in die Vorwahlen der Republikanischen Partei einstieg und es ihm durch seine Redegabe und seinen hemmungslosen Populismus gelang, die Vorwahlen zu dominieren. Sein Markenzeichen waren Attacken gegen das Washingtoner Establishment und Einwanderer, bewusste Tabubrüche und Lügen sowie Ausfälle gegen politische Rivalen. Es gelang ihm damit, Millionen von Nichtwählern zu mobilisieren, die bislang am politischen Prozess nicht teilgenommen hatten. Viele von seinen Fans neigten zu Verschwörungstheorien, die meisten gingen davon aus, dass Washington D.C. ein großer Sumpf sei, der ausgetrocknet gehöre. Mit diesem Vorgehen konnte Trump die Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton gewinnen, die zwar 3 Millionen Stimmen mehr erhielt als Trump, aber in den entscheidenden Swing States knapp hinter ihm landete.
Bierling geht im nächsten Kapitel auf den Führungsstil Trumps ein, der durch mittlerweile viele Aussagen von ehemaligen oder geschassten Mitarbeitern bestätigt ist. Trump lese offenbar nicht, er höre nur selten zu, er rede lieber selber und wisse alles besser. Briefings erfolgten in der Regel unter Zuhilfenahme von möglichst einfachen Bildern und Graphiken. Dieses Kapitel zeigt das Bild eines Mannes, der intellektuell und charakterlich nicht in der Lage ist, das Präsidentenamt auszufüllen.
In den nachfolgenden Kapiteln beleuchtet Bierling Trumps Politik in den Bereichen Einwanderung, Handelskonflikte, Wirtschaftspolitik, Kulturpolitik und Außenpolitik. Auffallend sei die Abkehr von der US-Führungsrolle in den internationalen Beziehungen („America First“), die Verachtung gegenüber Verbündeten und Freunden und die Geringschätzung von NATO und G7. In den anderen außenpolitischen Bereichen, so Bierling, sei eine klare Linie nicht zu erkennen gewesen. Das gelte sowohl für die Politik gegenüber Russland und China oder im Nahen Osten. Sein ungeschickter und vordergründiger Erpressungsversuch gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Selinski habe ihm ein Impeachmentverfahren eingebracht. Ein ganzes Kapitel widmet Bierling auch der desaströsen Politik angesichts der Corona-Pandemie.
In der Zusammenfassung macht Bierling deutlich, dass die einzige „Leistung“ Trumps darin bestehe, dass er sehr viele konservative und meist noch junge Bundesrichter und Verfassungsrichter berufen habe, die dort lange verbleiben und damit Politik und Gesellschaft im Sinne traditioneller Werte gestalten werden. Ansonsten sei seine Bilanz negativ. Trump brüste sich zwar mit seinen Erfolgen in der Wirtschaftspolitik (hohes Wachstum, niedrige Arbeitslosenquote). Aber die Strategie des Präsidenten – wenn man diese als „Strategie“ bezeichnen kann – würde weitgehend aus kurzfristigen Maßnahmen bestehen, wie der Abschottung nach Außen, der Anhebung von Zöllen und Subventionen und aus Steuersenkungen, die das Haushaltsdefizit erhöhten. Diese Maßnahmen ließen aber keinerlei Visionen dahingehend erkennen, wie die US-Wirtschaft in mittelfristiger Perspektive ihre globale Wettbewerbsfähigkeit erhalten und ausbauen könne. Die Defizite in den Bereichen öffentliche Infrastruktur, Gesundheitswesen, Schul- und Hochschulausbildung seien in seiner Regierungszeit nicht beseitigt worden. Im Gegenteil: Trump habe alles getan um den deep state zu schwächen, d. h. staatliche Einrichtungen und Agenturen auf Bundesebene zu schwächen, sofern diese nicht mit innerer und äußerer Sicherheit befasst sind.
In der Außenpolitik habe Trump eher als sein Vorgänger erfasst, dass die Welt in einen Zustand der Großmachtrivalität abgleitet. Aber die Antworten, die er gegeben habe, seien oberflächlich und widersprüchlich. Anstatt angesichts der rauen internationalen Verhältnisse die Unterstützung der Verbündeten zu suchen, habe er diese vor den Kopf gestoßen und gar als „Feinde“ bezeichnet. Zudem habe er autoritäre Herrscher wie Putin oder Kim Jong-un umworben und mit ihnen merkwürdige Deals verhandeln wollen – aus denen dann nie etwas geworden sei. Er habe wichtige internationale Abkommen gekündigt und einen Unilateralismus verfolgt, der das Ansehen der USA weltweit massiv habe absinken lassen. „Vertrauen in amerikanische Führung und in amerikanische Schutzgarantien“, so Bierling, „war seit 1945 die wichtigste Währung der internationalen Politik gewesen. Trump zerrüttete dieses Vertrauen beträchtlich“ (S. 226).
Beachtenswert sind auch die Schlussfolgerungen Bierlings über die Konsequenzen von Trumps Aufstieg für die Demokratie in Amerika. Es sei Trump 2016 gelungen, mit Ethnopopulismus und der Mobilisierung weißer Wähler das Präsidentenamt und beide Häuser des Kongresses zu erobern. Er habe besser als alle anderen das Reservoir an Globalisierungs- und Modernisierungsängsten erkannt und sich zu deren Volkstribun aufgeschwungen. Mit dieser Kernwählerschaft im Rücken habe er die Republikanische Partei nach seinem Ebenbild geformt und diese zu einer populistischen Partei werden lassen. Wann immer er das Weiße Haus verlasse, so Bierling wird er die Grand Old Party „als fremden- und minderheitenfeindliche, anti-intellektuelle, protektionistische und fiskalpolitisch verantwortungslose Partei zurücklassen“ (S. 227). Wie recht der Verfasser mit dieser Aussage hat, wird deutlich, wenn man sich anschaut, wie sehr die Mehrheit der Republikaner Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl übernommen hat und wie sehr die Vernünftigen dort in der Minderheit sind. Und wie sehr Trump noch immer erneut Wählerschichten für sich mobilisieren kann, wird deutlich, wenn man sieht, dass er 74 Millionen Stimmen auf sich vereinen konnte –11 Millionen mehr als vor 4 Jahren. Die Beschäftigung mit Trump, so Stephan Bierling in der Einleitung, heißt daher auch grundsätzlich über den Zustand der Demokratie nachzudenken und „darüber zu reflektieren, wie schnell selbst das älteste freiheitliche Staatswesen der Welt an seine Belastungsgrenzen geraten kann (S. 12).“
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