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Weber Joachim (Hrsg.) Handbook on Geopolitics and Security in the Arctic. The High North Between Cooperation and Confrontation Cham Springer Nature Switzerland 2020 1 378

Nach 2015 (Nomos) und 2018 (Routledge) erscheint mit dieser Veröffentlichung des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) ein drittes Handbuch zu geopolitischen und sicherheitspolitischen Fragen in der Arktis. Diese rasche Abfolge ist einerseits Ausdruck schneller politischer Veränderungen einer über Jahrzehnte eher unbeachteten Region, andererseits locken vermutete Bodenschätze immer neue Staaten wie z. B. China an, eigene Interessen kundzutun. Daneben führt der Klimawandel bereits heute zu einschneidenden Veränderungen auch im sicherheitspolitischen Umfeld. Weber als Herausgeber hat daher einen weitergehenden Ansatz für das nun vorliegende Handbuch gewählt. In fünf Kapiteln tragen 32 Autoren in ihren Aufsätzen zu einem umfassenden Bild handelnder Akteure, geopolitischer Konzepte und wirtschaftlicher wie sicherheitspolitischer Problemstellungen bei.
Kapitel 1 beleuchtet die divergierenden Interessen der Anrainerstaaten Russland, USA, Kanada, Norwegen und Dänemark (The Arctic Five). Dekaden der Ruhe sind einem Wettstreit um vermutete Bodenschätze gewichen. Überlappende Exklusive Ökonomische Zonen (Exclusive Economic Zones –EZ) wie auch Streit um Begrenzung des Kontinentaleises warten auf eine rechtliche Lösung, da die VN Seerechtskonvention von 1982 vieles im Vagen gelassen hat. Russland hat den Bau von Stationen mit militärischen Besatzungen in Richtung Nordpol vorgeschoben und signalisiert damit seine Bereitschaft, bei ungelösten Streitfällen eigene Forderungen auch militärisch durchsetzen zu wollen. Die USA wachen langsam wieder auf und versuchen, ihre Interessen zu definieren. Kanada möchte Gebietsstreitigkeiten bei der Nutzung der Nordwest-Passage in seinem Sinne lösen (interne Wasserstraße). Norwegen manifestiert seine Interessen immer klarer und bestimmter, während Dänemark bemüht ist, seine politischen Standpunkte um und mit Grönland auch gegenüber den USA deutlich zu machen.
In Kapitel 2 werden Staaten und Staatenbündnisse in ihren Interessen für die Region analysiert (China, EU, Indien, Singapur). China, das sich selbst seit kurzem als near Arctic state bezeichnet, artikuliert zunehmend deutlich seine Interessen für und in der Region. Zwei Aufsätze beleuchten daher näher, was China in der Arktis will und wie die Anrainer darüber denken. Bereits heute ist klar, dass China die Northern Sea Route (NSR) für Seetransporte nach Europa nutzen wird. Auch beim vorstellbaren Run auf vermutete Bodenschätze dürfte China seine Interessen robust einbringen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten möchten zwar eigene Vorstellungen vortragen, haben hierzu aber noch kein überzeugendes Konzept vorlegen können. Mit Indien und Singapur wird deutlich, dass auch geographisch entfernte Staaten ein wachsendes wirtschaftliches und politisches Interesse an der Arktis entwickeln.
Kapitel 3 behandelt Ökonomie, Infrastruktur und Völkerrechtsfragen der Arktis. Hier wird untersucht, was bis heute in der Realität und auf der Grundlage rechtlicher Regelungen erreicht wurde. Dabei existiert kein rechtlich bindendes Vertragswerk – wie in der Antarktis –, sondern es gibt verschiedene Regelungen in Verträgen wie der Seerechtskonvention, aber auch regionale Vereinbarungen, die nun von Newcomern wie China, aber auch Russland in Frage gestellt werden.
Kapitel 4 untersucht das Spannungsverhältnis zwischen bisher eher ausgeübter Kooperation und wachsender Konfrontation wie beispielsweise Regeln für Search and Rescue (SAR), Fischereirechte, Nutzung der Northern Sea Route für den Handelsschiffverkehr, bei der Russland staatliche Regeln vor internationale Regeln setzen will, oder spezifische Regeln um Spitzbergen, die von dem Vertrag von 1920 deutlich abweichen.
Im Kapitel 5 beschreibt der Herausgeber Möglichkeiten begrenzter Kooperation und untersucht die Frage nach einer möglichen Entstehung von (Militär-)Allianzen mit Schwerpunkt Russland und China. Das Buch endet mit einem kurzen, aber sehr sinnvollen Vergleich zwischen Arktis und Antarktis.
In seiner Vielschichtigkeit der Einzelbetrachtungen und Analysen erfüllt dieses Handbuch das selbstgesteckte Ziel eines Kompendiums für Studierende, Doktoranden, wissenschaftliche Mitarbeiter wie auch politische Entscheider. Die den einzelnen Aufsätzen angefügten Bezugsdokumente geben den heutigen Stand von Wissenschaft und Forschung wieder, bieten aber auch Grundlagen für erste politische Empfehlungen. Insgesamt wird deutlich, dass die bisher als friedlich eingestufte Region sich in eine Region der Dispute und möglichen militärischen Auseinandersetzungen verwandelt. Ideen von Kooperation und der Schaffung vertrauensbildender Maßnahmen werden zwar unterbreitet, konnten sich bisher jedoch noch nicht in Vereinbarungen oder Verträgen niederschlagen.
Leider dürfte der recht hohe Verkaufspreis dazu führen, dass das Handbuch eher seinen Weg in Universitätsbibliotheken, Institutsbibliotheken und den Handapparat einschlägiger Ministerien findet und nicht so stark in die Bibliothek einzelner Interessierter. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass der Fleiß und die gelungenen Analysen der Autoren und des Herausgebers durch eine vielfältige Nutzung von Lesern honoriert und anerkannt werden.
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