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Karen Dawisha Putin´s Kleptocracy Who owns Russia? New York, London, Toronto, Sydney, New Delhi Simon & Schuster 2014 1 464
Der US-Amerikanerin Karen Dawisha (1949–2018) verdanken wir es, dass der Begriff der Kleptokratie (Diebesherrschaft) erstmals auf das „System Putin“ angewendet wurde. Die damalige Professorin für Politikwissenschaften an der Miami University in Oxford, Ohio, und Direktorin des dortigen Havighurst Center for Russian and Post-Soviet Studies, hatte das „System Putin“ akribisch erforscht. Sie trug eine Fülle von Fakten zusammen, die sie im Jahr 2014 in ihrem Buch „Putin’s Kleptocracy. Who owns Russia“ der Öffentlichkeit vorstellte. Das Werk ist heute, da Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, ausgezeichnet dazu geeignet, Hintergründe und Zusammenhänge der oft erratisch wirkenden Kremlpolitik besser zu verstehen.
Dawisha arbeitete den kriminellen Charakter des Putin-Regimes als Existenzbedingung des aktuellen russischen Staates heraus. Dessen Spezifik besteht, wie Dawisha nachwies, in der Verbindung von organisiertem Verbrechen und Geheimdienst. Bereits in den frühen 1990er Jahren nutzte der ehemalige KGB-Oberstleutnant Putin, der nach dem offiziellen Ausscheiden aus dem Geheimdienst weiterhin als „aktive Kaderreserve“ geführt wurde, diese Verbindungen – u. a. mit der Tambowsker Mafia – für seinen eigenen und den Vorteil seiner loyalen Freunde aus. Als stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg, zuständig für Außenwirtschaftsbeziehungen, war er an zahlreichen zwielichtigen und kriminellen Geschäften im Immobilienbereich, bei der Gründung einer Treibstoffgesellschaft sowie bei der illegalen Exportlizenzvergabe beteiligt. Mindestens zwei Ermittlungsverfahren waren anhängig. Nach seiner Amtseinführung als Präsident wurden die Verfahren stillschweigend beendet. Putins St. Petersburger Aktivitäten im kriminellen Milieu, die geeignet waren, ihn vor Gericht zu bringen, verschwanden aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit.
Das gelang, wie Dawisha analysierte, auch deshalb, weil Putin bereits im Sommer 2000 begann, die unabhängigen Medien anzugreifen. Der TV-Sender ORT des Oligarchen Boris Beresowskij wurde zum ersten Opfer, es folgte Wladimir Gussinskijs Fernsehsender NTW. 22 Jahre später ist die russische Medienlandschaft „bereinigt“, kritische Medien sind inzwischen verboten oder ins Ausland abgewandert.
Das Jahr 2000, in dem seine erste Präsidentschaft begann, wurde auch zum Startpunkt eines Umbaus des russischen Staatssystems. Schon mit der geschickt inszenierten Inaugurationszeremonie habe Putin die „zentrale Bedeutung eines starken Staates für die russische Geschichte, verortet innerhalb des Kremls“ unterstrichen. Putin habe geschickt eine Symbiose zwischen dem Kreml und seiner eigenen Macht als Präsident geschaffen. Ihm sei es von Anfang an darum gegangen, „ein autoritäres Regime zu schaffen, das von einer eng verbundenen Clique regiert wird … die die Demokratie eher zur Dekoration als zur Orientierung benutzt hat,“
Dieses eherne Grundprinzip einer durchgreifenden Zentralgewalt, ob es nun „gelenkte Demokratie“ oder „Vertikale der Macht“ genannt wird, bestimmte die Art seiner Amtsführung bis heute. „Putin ist Russland, Russland ist Putin“, formulierte Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin, nachdem Putin 2018 wieder einmal zum Präsidenten gewählt worden war.
Bei der Durchsetzung russischer Interessen im Ausland spielte der zeitweilig weltgrößte Erdgaskonzern Gazprom eine wesentliche Rolle. „Beginnend mit Putins zweiter Amtszeit (2012 – MQ) benutzte Russland Energiekriege zunehmend als Mittel zur Zähmung undankbarer und unkooperativer Nachbarn, wann immer diese Unabhängigkeit suchten von der in Moskau vorgegebenen Linie.“ Dawisha nannte in dem Zusammenhang Moldova, Georgien, Belarus und die Ukraine, die alle bereits mit Lieferunterbrechungen bei Energieträgern oder deren Androhung konfrontiert waren. Sie trug zahlreiche überzeugende Belege dafür zusammen, die allerdings in Westeuropa, besonders in Deutschland, weitgehend ignoriert wurden. Stattdessen gerieten die Europäer zunehmend in ein Netz der Energie-Abhängigkeit. In der Bundesrepublik hieß es parteienübergreifend und die Tatsachen ignorierend, Moskau sei immer ein verlässlicher Partner gewesen, der selbst während des Kalten Krieges stets die Verträge eingehalten habe.
Das stellt sich jetzt ganz anders dar. Das Erstaunen darüber, dass der Kreml Erdgas als Waffe benutzt, ist allenthalben groß. Karen Dawisha hatte indes mit ihrer schon 2014 veröffentlichten Analyse vor den Gefahren gewarnt, die von der kriminellen Führung in Moskau ausgehen.
Im Vorfeld der Veröffentlichung stieß die amerikanische Wissenschaftlerin damals auf merkwürdige Widerstände. Ihr Manuskript wurde von Cambridge University Press (CUP) in Cambridge in Großbritannien, wo sie vorher bereits erfolgreich publiziert hatte, zurückgewiesen. Sonderbarer als die Absage war die Begründung. Der Verlag bestätigte ihr, dass die Entscheidung „nichts zu tun hat mit der Qualität Ihrer Forschung oder Ihrer wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit. Es ist einfach eine Frage der Risikobewertung im Lichte unserer begrenzten Ressourcen.“ Und damit auch alle Unklarheiten beseitigt wären, berief sich der Verlag in seinem Schreiben an die Autorin auf die von ihr im Buch aufgestellte Prämisse, „dass Putin einen geschlossenen Kreis krimineller Oligarchen zu seiner Verfügung hat und er seine Karriere damit verbracht hat, diesen Kreis zu kultivieren.“ Da man keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser These hege, sei es wahrscheinlich, dass diese Kreise vor Gericht gehen würden. Selbst dann, wenn CUP in so einem Prozess erfolgreich wäre, würden die Kosten dafür die Möglichkeiten des Verlages übersteigen. Der renommierte US-Verlag Simon & Schuster sprang ein und veröffentlichte „Putin’s Kleptocracy.“ Interessant in dem Zusammenhang ist, dass sich in Deutschland – Stand Sommer 2022 – kein Verlag gefunden hat, der das Dawisha-Buch übersetzt und verlegt hätte. Und das in einem Land, in dem das Interesse an den Vorgängen in und um Russland traditionell sehr groß ist. Furcht vor der Finanzgewalt und der Skrupellosigkeit der Putin-Umgebung? Oder verfängt auch in den Verlagen die „gefährliche neue Liebe der Deutschen zu Russland“, wie Professor Karl Schlögel das von blinden Flecken übersäte Bild vieler Deutscher vom Putin-Staat bezeichnete?
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Karen Dawisha (geborene Hurst) kam 1949 in Colorado Springs zur Welt. Sie studierte Politikwissenschaft und promovierte an der London School of Economics. Sie hat sich wissenschaftlich und beruflich hauptsächlich mit Russland beschäftigt. Nach einer Zeit als Mitarbeiterin im Council on Foreign Relations wechselte sie in den 80er Jahren ins U.S. Department of State. In den 90er Jahren war sie Professorin für Politikwissenschaft an der University of Maryland in College Park und Direktorin des Center for the Study of Post-Communist Societies. Von 2000 bis zu ihrem Tod im Jahre 2018 arbeitete sie als Professorin an der Fakultät für Politikwissenschaft der Miami University in Oxford (Ohio) und war Direktorin des Havighurst-Zentrums für russische und postsowjetische Studien. |
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