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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter November 29, 2022

Ashley J. Tellis: Striking Asymmetries. Nuclear Transitions in South East Asia. Washington, D.C.: Carnegie Endowment 2022, 318 Seiten

  • Heinz Dieter Jopp

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AshleyJ.Tellis: J. Tellis: Striking Asymmetries Nuclear Transitions in South East Asia Washington, D.C. Carnegie Endowment 2022 1 318


Ashley J. Tellis von der Carnegie Stiftung in Washington legt mit diesem Buch eine Zusammenfassung seiner mehr als zwanzig jährigen Beschäftigung mit Fragen der Nuklearbewaffnung, ihrer Abschreckungsfunktion, ihrer Modernisierung, der politischen Führung und Entscheidung, der Stationierung (Land, Luft, See) und der gesicherten Kommunikation in der Volksrepublik China, Indien und Pakistan vor. Außerdem befasst er sich mit den Auswirkungen der Nuklearbewaffnung aller drei Staaten auf den südasiatischen Raum wie auch auf die USA. Während für China die erste Krise um die Taiwanstraße 1954–55 Auslöser für die Entwicklung eigener Nuklearwaffen war, dürfte die indische Niederlage im Grenzkonflikt mit China 1962 und die Niederlage Pakistans im Krieg mit Indien 1971 Auslöser für deren jeweilige Forschung und Entwicklung hin zu Nuklearwaffen gewesen sein.

1998 testeten Indien und Pakistan offen ihre Kernwaffen und erklärten sich selber zu Nuklearwaffen-Staaten. Damit ging auch die Zeit Jahrzehnte langer Vermutungen über geheime nukleare Programme zu Ende. Daher wählt der Autor diesen Zeitpunkt als Beginn seiner vertieften Untersuchungen. Außerdem hatten sich alle drei Staaten 1998 noch auf das Ziel einer minimalen nuklearen Abschreckung beschränkt. In den nachfolgenden drei Kapiteln untersucht Tellis jeden der drei Staaten einzeln, wobei er die Bedeutung persönlich geführter Gespräche hervorhebt. Diese seien besser geeignet für eine vergleichende Analyse als die sehr eingeschränkte, offen zugängliche Literatur. Es geht ihm hauptsächlich um die Verfolgung technologischer Entwicklungen, die Analyse der Veränderungen des politischen Kontextes und der Entwicklung von Einsatzstrategien für Kernwaffen.

Chinas Bestrebungen zu einer eigenen Nuklearfähigkeit beruhten, so Tellis, zu Beginn auf der Annahme Maos, dass derartige Waffen wegen ihrer immensen Zerstörungskraft nicht zur Kriegführung geeignet seien, sondern nur dem Schutz vor neuen Kriegen mit konventionellen Streitkräften dienten. Dieses Denken führte zu der erwähnten minimalen nuklearen Abschreckung bis Ende des Kalten Krieges. China sah sich – ähnlich wie Frankreich und Großbritannien – an der Seitenlinie des bilateralen nuklearen Wettrüstens zwischen den USA und der Sowjetunion stehend. Pekings nukleares Potenzial bestand aus wenigen, recht verwundbaren Interkontinental-Raketen und nur regional einsetzbaren luftgestützten Bomben.

Die konventionelle militärische Überlegenheit der USA im Irak-Krieg 1991, die amerikanische Machtdemonstration in der Taiwanstraße 1995–1996, aber auch der Beschuss der chinesischen Botschaft 1999 in Belgrad hätten aber, so der Verfasser, zu einem drastischen Umdenken in China geführt. Neben der Entwicklung weitreichender konventionell bewaffneter Raketen und Marschflugkörper sei das Nuklearwaffenpotenzial grundlegend modernisiert worden. China stellte auf Raketen mit Feststoffantrieb um und führte auch landmobile Raketen mit Mehrfachsprengköpfen ein. Auch beschaffte China strategische U-Boote, die es erlaubten von Meerespositionen aus weitreichende Raketen abzufeuern. Spätestens in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts wurde die Absicht Chinas deutlich, in Konkurrenz zu den USA zu einer Weltmacht aufzusteigen. Damit einher gingen, so der Autor, die oben erwähnten Veränderungen der Ausrüstung und der Nukleardoktrin. Dies habe ab 2020 erkennbar zu einer Zunahme der Anzahl der nuklearen Sprengköpfe geführt. Diese Entwicklung bedeutete auch das Ende der Doktrin der nuklearen Minimalabschreckung. Da die nuklearen Streitkräfte zu einem strategischen Vergeltungsschlag fähig sein sollen, wurde deren Schutzbedürftigkeit zu einem Primärziel der chinesischen Militärpolitik. Der Verfasser baut seine Thesen auf einer präzisen Analyse des chinesischen Nukleararsenals auf. Insbesondere analysiert er auch die Problematik der Führungsfähigkeit durch das zentrale Militär-Komitee: diese würde derzeit eine schnelle Reaktion auf einen Nuklearangriff behindern. Tellis gelangt zu dem Ergebnis, dass China zwar sein Nuklearpotenzial vergrößere, sich aber nicht an einem Nuklearwettlauf beteiligen werde. Eine mögliche Einbindung in nukleare Rüstungskontrolle sei vorerst auch nicht zu erwarten.

Ähnlich ausführlich geht Tellis im Folgekapitel der Entwicklung der indischen Nuklearbewaffnung nach. Dabei zieht sich wie ein roter Faden durch alle Entwicklungsstufen die Festlegung, dass für Indien Nuklearwaffen eine rein politische Bedeutung hätten und nicht zur Kriegführung geeignet seien. Neben einer bis heute gültigen Doktrin der minimalen Abschreckung, des No first use und Countervalue punishment habe Indien auch seine Waffenträger für land-, luft- und seegestützten Einsatz entsprechend fortentwickelt. Damit hätten sich nach Tellis trotz aller Weiterentwicklungen nach 1998 folgende Grundsätze für eine nukleare Abschreckung nicht geändert:

1. Die Befehlsgewalt über nukleare Kräfte verbleibt bei der Politik, und nur der Premierminister kann den Einsatz von Nuklearwaffen anordnen.

2. Der Einsatz von ballistischen Raketen von nuklear angetriebenen Strategischen U-Booten (SSBN) erfolgt über einen Zwei-Wege Kommunikationsstrang (politisch und militärisch).

3. Es gibt keine Vorabdelegation an militärische Kräfte zum Einsatz von Nuklearwaffen.

4. Nuklearwaffen sind nicht in operative Planungen für konventionelle Operationen eingebunden.

Zusammenfassend würde Indien seine Nuklearwaffen erst nach einem Nuklearangriff auf das Land einsetzen. Dies könnte auch Tage bis zur Entscheidung dauern.

Im dritten Kapitel untersucht der Autor die Entwicklungen in Pakistan, die seit dessen Gründung insbesondere auf die Abwehr eines indischen Angriffs ausgerichtet ist. Während man sich bis Mitte der 1950er Jahre auf die Unterstützung der USA verließ, begann Anfang der 1960er der Aufbau einer eigenen nuklearen Forschungskapazität. Die Entwicklung einer Kernwaffe wurde durch den Nukleartest Indiens 1974 drastisch beschleunigt. Der 1974 aus den Niederlanden zurückkehrende Abdul Qadeer Khan brachte nicht nur Erfahrungen zur Herstellung hoch wirksamer Zentrifugen zur Urananreicherung mit, sondern erweiterte auch schnell sein informelles Netzwerk zur möglichen Herstellung von Nuklearwaffen.

Im Gegensatz zu Indien, aber im Einklang mit China, entwickelte Pakistan seine eher undurchsichtige Doktrin zum Einsatz von Nuklearwaffen. Nukleare Zurückhaltung bei gleichzeitiger Abschreckung Indiens wurde eines der Leitmotive. Nuklearwaffen seien, so Tellis, als militärische Mittel angesehen worden, um der konventionellen Überlegenheit Indiens (wie vielleicht auch Chinas) begegnen zu können. Die Doktrin veränderte sich seit der Jahrhundertwende von einer minimalen Abschreckung zu einer full-spectrum deterrence. Somit wurden Nuklearwaffen für den taktischen, operativen und strategischen Einsatz mit einer Abstützung auf Land-, Luft- und Seestreitkräfte entwickelt und entsprechend disloziert. Pakistan gehe von der Überlebensfähigkeit einiger seiner Nuklearwaffen nach einem Nuklearangriff aus und hoffe damit, nuklear abschreckend zu wirken.

Im vierten Kapitel vergleicht Tellis die drei Staaten und deren Interaktionen unter dem Aspekt der Fortentwicklung der Nuklearwaffen und der absehbaren strategischen Stabilität im südlichen Asien. China, so der Verfasser, habe durch seine neue Stellung als kommende Supermacht und Herausforderer der USA erheblichen Bedarf an Modernisierung. Dabei gehe es um die Steigerung der Zielgenauigkeit, die Erhöhung der Überlebensfähigkeit wie auch die Führungsfähigkeit seiner Nuklearwaffen und deren Verbringungssysteme. Chinas Abschreckung werde künftig interkontinental und regional wirken. Indien hingegen betrachte seine nukleare Abschreckung nur regional, Pakistan sogar nur bilateral.

Aufgrund dieser Zuordnung vergleicht Tellis die Nuklearwaffen und Einsatzdoktrinen der drei Staaten nur im regionalen Kontext Südasiens. Er geht in dieser Analyse detailliert auf die bekannten Leistungsparameter wie Reichweite, Zielgenauigkeit, Sprengkraft und jeweiligen Schutz vor Angriffen ein. Eine Vertiefung würde allerdings den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Das Studium muss daher mit Empfehlung dem Leser überlassen werden.

Aus seiner Zusammenfassung sind folgende Feststellungen herauszuheben: Obwohl durch Chinas Orientierung an den USA auch ihre Nuklearwaffen wesentlich moderner und zielgenauer geworden sind, scheint dies kaum etwas an der Sicht und Einschätzung indischer Abschreckungspolitik gegenüber China zu ändern. Indien dürfte bei eigener Modernisierung weiterhin eher an der Fortgeltung seiner Countervalue-Strategie Interesse haben und ansonsten auf die Modernisierung seiner konventionellen Streitkräfte setzen.

Ähnliches gilt für die indisch – pakistanische nukleare Rivalität, die zwar in der Öffentlichkeit stets ein großes Interesse hervorruft, aber die sich bisher kaum in ihren Grundbedingungen verändert hat. Pakistan möchte seine Nuklearwaffen einsetzen, um eine konventionelle Auseinandersetzung mit Indien zu vermeiden, während Indien Nuklearwaffen nur als Abschreckung für jedweden Einsatz von Kernwaffen gegen das eigene Land einstuft.

Die bis heute feststellbare Einschätzung in allen drei Staaten, dass Nuklearwaffen ein primär politisches Instrument sind, dürfte trotz aller Modernisierung die strategische Stabilität in Südasien sichern. Eine mögliche Gefährdung dieser Stabilität sieht Tellis eher in dem Aufbau einer strategischen Raketenabwehr, der aufkommenden Möglichkeit der Zerstörung gehärteter militärischer Ziele und dem Aufbau einer asymmetrischen technischen Nachrichtenaufklärung.

Am Ende stellt der Autor die Frage nach einer Verbesserung der seegestützten Abschreckung Indiens durch eine denkbare Zusammenarbeit zwischen Indien, Frankreich und den USA (INFRUS). Hier sind aber Zweifel angebracht, da weder Frankreich noch die USA bis heute nicht erkennen lassen, dass sie ihre Nukleartechnologie zum Bau Strategischer wie Angriffs-U-Boote an Dritte weitergeben möchten.

About the author

Heinz Dieter Jopp

Autor

Published Online: 2022-11-29
Published in Print: 2022-12-16

© 2022 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 19.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2022-4017/html
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