Zusammenfassung
Der Artikel beschreibt vor dem Hintergrund der Spannung zwischen Autonomie und Theonomie im Menschenbild des Islam, wie mit Fragen der Selbstbestimmung bei muslimischen Patientinnen und Patienten angesichts des Sterbens in einem westlichen, durch die moderne Medizin beeinflussten Kontext umgegangen werden kann. Auf der Grundlage eines islamischen Verständnisses des Todes als Erlösung und des Todeszeitpunkts als von Gott bestimmt, wird für eine größtmögliche Selbstbestimmung des sterbenden Menschen gegenüber einer drohenden Fremdbestimmung durch das Machbarkeitsdenken mancher Ausprägung der modernen Medizin plädiert. In diesem Zusammenhang wird sowohl zum Verfassen einer Patientenverfügung geraten als auch ein eigenständiges Beenden des Lebens durch einen ärztlich assistierten Suizid für Muslime ausgeschlossen.
Abstract
This article outlines – against the background of the tension between autonomy and theonomy within the Islamic view of humanity – how to deal with Muslim patients’ issues of self-determination considering questions of dying in western modern medicine context. Based on an Islamic understanding of death as salvation and time of death as a moment destined by God, the author argues for the dying’s greatest possible autonomy in contrast of the jeopardy of the heteronomy of some characteristics of modern medicine. In this context it is recommended to draft a living will. Moreover, terminating one’s life by means of assisted suicide is ruled out.
Über den Autor / die Autorin
Dr., studierte Islamwissenschaften, Islamische Theologie und Religionspädagogik an den Universitäten in Rabat, Fes und Meknes in Marokko und an den Universitäten Bonn und Tübingen. Etwa zehn Jahre war er Lehrer, Imam und Prediger in Marokko und in Deutschland und arbeitet seit 2012 am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen. Im Jahr 2016 wurde er dort zum Juniorprofessor berufen. Seine Lehr- und Forschungs-schwerpunkte sind unter anderem: Islamische Mystik, Seelsorge, Imam-Fortbildung, Interreligiöser Dialog und Fragen der Migration und Integration.
Seit vielen Jahren setzt sich Dr. Hibaoui für den interkulturellen und interreligiösen Dialog ein. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit in Tübingen ist er unter anderem Mitglied der Deutschen Islam-konferenz, der Muslimischen Akademie in Deutschland, des „Runden Tischs Islam“ des Ministeriums für Integration in Baden-Württemberg. Er ist im Vorstand der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Interessenkonflikt
Der Autor bestätigt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
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