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Publicly Available Published by De Gruyter June 30, 2020

Psychosoziale Folgen der Corona Pandemie

Erfahrungsbericht aus meiner psychoanalytischen Praxis

  • Christa Schmidt EMAIL logo
From the journal Spiritual Care

Die Folgen der Corona-Pandemie, insbesondere die politischen Eindämmungs-Maßnahmen, haben stark in unser Familien- und Arbeitsleben Leben eingegriffen.

Im Folgenden möchte ich hierzu einige der psychosozialen Folgen, die ich derzeit in meiner Praxis beobachte, beleuchten.

Seit der Corona-Krise klagen viele meiner Patienten vor allem darüber, wie sie und ihre Familie unter den Kontakteinschränkungen leiden. Besorgniserregend ist für manche auch, wie diese begründet werden: „Haltet Abstand zu Euren Eltern und Großeltern, damit Ihr sie nicht ansteckt! Wenn ihr Euch nicht an die Regeln haltet, seid ihr schuld an einer weiteren Ausbreitung des Virus, an den Toten und der Überlastung des Gesundheitssystems.“ Diese Anschuldigungen sind problematisch, da niemand sicher weiß, ob die getroffenen Maßnahmen zu dem gewünschten Erfolg führen. Die Angst vor dem Virus wird in den Medien und von vielen Politkern geschürt, Schuld und Schuldgefühle werden induziert. Mitmenschen werden auf „Virusträger“ reduziert, vor denen man sich schützen muss.

Für Kinder und Jugendliche bedeutet die mehrwöchige Schließung von Kitas, Kindergärten und Schulen die Isolation von Freundinnen und Freunden. Auch die Schließung von Sportvereinen, Musik- und Malschulen hat zur Folge, dass wichtige Strukturen und Ressourcen über Monate verloren gehen. Die Kleinkinder und Kinder reagieren häufig mit Unverständnis, manche auch mit Trauer. Jugendliche, die schon durch die Pubertät, die Identitätskrisen und die ökologischen Probleme belastet sind, sind häufig verunsichert, ziehen sich manchmal zurück oder neigen zu erhöhter Aggression. Viele Kinder und Jugendliche leiden auch unter der Trennung von wichtigen Mitgliedern der Großfamilie.

Bei den betroffenen Erwachsenen führt die Kurzarbeit, die Schließung vieler Betriebe oder der Verlust des Arbeitsplatzes zu großen wirtschaftlichen Einschränkungen. Viele reagieren darauf mit Ängsten, Depressionen und Panikattacken, andere mit verstärktem Suchtverhalten, einzelne mit erhöhter Gewalt. Auch das zum Teil angeordnete Home-office bei gleichzeitig stattfindender Kinderbetreuung ist für viele Familien eine Herausforderung.

Drei Fallbeispiele:

  1. Frau R. (Merkmale der Patienten wurden aus Datenschutzgründen anonymisiert) (38 Jahre), leidet seit einem Abgang vor einigen Monaten unter großen Ängsten. Sie ist nun wieder schwanger, deshalb besonders alarmiert und traut sich kaum mehr aus dem Haus. Ihre Eltern und Großmutter darf sie wegen Corona nicht sehen. Ihre Großmutter hat infolge der Kontaktbeschränkung, die sie schlimmer als den 2. Weltkrieg erlebt, eine Depression entwickelt und verweigert sogar telefonische Kontaktaufnahme. Auch der 6-jährige Sohn der Patientin leidet darunter, seine Freunde nicht mehr zu sehen. Zudem hat er Angst, dass seine Mutter Corona haben könnte. Die Sorge des Sohnes sowie sämtliche Kontaktbeschränkungen bedrücken auch die Patientin. Zudem macht sie sich Gedanken, wie es beruflich weitergehen wird. Sie arbeitet nun im Home-office und befürchtet, dass sie bis zur Geburt ihres zweiten Kindes ihre Arbeitsstelle nicht mehr aufsuchen darf. Auch ihr Mann ist durch die oben genannten Probleme zunehmend überfordert.

  2. Herr T. (40 Jahre), war wegen seiner Neigung zu Wutausbrüchen in Therapie. Damals klagte er, dass er einsam sei und mit niemandem über sein Leid sprechen könne. Inzwischen ist er Krankenpfleger. Er ist verheiratet, hat eine Tochter und die beiden Kinder, die seine Frau in die Ehe mitgebracht hat, angenommen. Da seine Partnerin psychisch labil ist und sich von ihm getrennt hat, muss er auch noch die Aufgaben im Haushalt übernehmen. „Ich bin zur Zeit beruflich völlig überfordert, übernehme, um meine Familie ernähren zu können, häufig Nachtdienste. Mein Adoptivsohn ist arbeitslos. Die beiden Mädchen sind in der Pubertät. Da sie nicht zur Schule gehen können, sind sie meist allein zu Hause. Abends muss ich mit ihnen lernen. Es gibt häufig Streit. Ohne Ihre therapeutische Hilfe würde ich die jetzige Situation nicht so gut bewältigen und würde ausflippen.“

  3. Frau M. (61 Jahre), verlor die letzten Jahre ihre Eltern und erkrankte an Krebs. Sie ist in Psychotherapie, um die Trauer über den Tod der Eltern und die körperlichen Nebenwirkungen und Einschränkungen sowie die seelischen Folgen der Krebstherapie zu bearbeiten. Als sie nach Monaten wieder aktiver wurde, das Haus wieder häufiger verließ und ihre sozialen Kontakte knüpfte, brach die Corona-Krise in ihr Leben ein. Die Ängste, an Covid-19 zu erkranken, triggern viele Ängste, die sie bereits überwunden hatte. Auch der Umgang der Medien mit der Corona-Krise, so die Patientin, reaktivieren ihre Todesängste. Diese führen zu einem zwanghaften Verfolgen der Nachrichten über die aktuelle Entwicklung der Krise. Seit Wochen schränken ihre Ängste ihren Alltag extrem ein. Seit Beginn der Pandemie verließ sie ihr Haus nicht mehr. Nachts verfolgen sie Albträume, in denen sie sich z. B. nur noch als Punkt auf einer Statistikkurve erlebt oder Kranken und Verstorbenen begegnet. Ihre Träume handeln von Tod, Krankheit und Sprachlosigkeit.

Allein Lebende vereinsamen häufig. Patienten, die schon vor Ausbruch der Pandemie körperlich oder seelisch krank waren, trifft diese Krise ganz besonders. Depressionen und Angststörungen verstärken sich.

Wir wissen, wie existenziell bedeutsam eine sichere Bindung vor allem auch in Krisen ist. Das bedeutet, dass man sich jemandem anvertrauen kann, mit dem man sich innerlich verbunden fühlt. So können wir uns seelisch stärken, deshalb sind nahe persönliche Beziehungen für uns so wichtig, oft überlebenswichtig. Die meisten Patienten sind zurzeit dankbar, mit mir über ihre Sorgen reden zu können und beteuern, wie ihnen das hilft. Manche betonen, wie wichtig es für sie ist, einen Gesprächspartner zu haben, zu dem sie persönlichen Kontakt haben dürfen. Die therapeutischen Gespräche beruhigen sie und reduzieren ihre Ängste.

So schildert Frau L. (70 Jahre), deren Mann kürzlich plötzlich verstarb, wie ihr die therapeutischen Gespräche bei der Bewältigung ihrer Trauer helfen. Insbesondere deshalb, weil sie ihre beiden Söhne, ihre Enkel und ihren Freundeskreis seit Wochen kaum sehen könne.

Manche Patienten befassen sich auch mit den positiven Aspekten dieser Krise. Sie betonen, wie entlastend es für sie ist, weniger Terminen nachgehen zu müssen und das Leben auf das Wesentliche zu reduzieren. Manche machen sich auch Gedanken, wie sie nach der Krise ihren Lebensstil gestalten wollen. So erzählt Frau C. (66 Jahre), dass sie es genieße, Zeit für sich und ihren Partner zu haben. Sie begrüße es auch, sich mit ihren wesentlichen Anliegen, z. B. der Ökologie, zu beschäftigen. In dieser Krise sieht sie sogar die Chance zu einer ökologischen Wende. Hierzu schildert sie folgenden Traum: „Ich hatte meinen ersten politischen Traum. Ich träumte, dass sich nach der Corona-Krise alles zum Positiven veränderte, sowohl im ökologischen Bereich als auch im politischen. Plötzlich entwickelte sich alles wieder zum Negativen und war, wie vorher. Die Traumbotschaft hieß: Wir müssen krass demonstrieren! Wir sollen uns engagieren, wenn wir etwas ändern wollen.“ Ihre Assoziationen zum Traum: Eine gesellschaftliche Veränderung zum Guten liegt darin, dass die Pflegefachpersonen besser bezahlt werden, dass die industrielle Nutzung der Landschaft ökologischer wird und dass Menschen mit ihrer Umwelt in Zukunft anders umgehen. Sie erzählt weiter, dass sie 2019 viel demonstrierte, sich auch jetzt nicht hilflos fühle und überlege, ob sie ihre Naturschule, in der sie Schülern die Natur näher bringt, weiter führe und ausbaue.

Möge es sich bei dem Traum von Frau C. um einen prophetischen Traum handeln, der uns ermahnt, unsere nun gewonnenen Erkenntnisse auch nach dieser Krise handelnd umzusetzen.

Online erschienen: 2020-06-30
Erschienen im Druck: 2020-08-03

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 27.3.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/spircare-2020-0090/html
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