Zusammenfassung
In der Rechtssoziologie ist wieder ein Interesse an einer gesamtgesellschaftlichen Analyse des Rechts erwacht, das sich in zwei Richtungen zeigt: in Theorien der Rechtsentwicklung und im Vergleich von Rechtskulturen. Beide Richtungen lassen sich verknüpfen im Rahmen einer Analyse der Entwicklung der (vier oder fünf) deutschen Rechtskulturen seit 1871. Die Entwicklung weist Ähnlichkeiten, Kontinuitäten aber auch Brüche und Unterschiede auf, die unter einer evolutionären wie einer komparativen Perspektive von Bedeutung sind.
Die Verrechtlichungs-Diskussion wird bislang unhistorisch geführt, obwohl in ihr Hypothesen über geschichtliche Verläufe aufgestellt werden. Anhand langfristiger Daten wird die These von der ,Gesetzesflut‘ und – auf der Grundlage von Statistiken der Zivilgerichtsbarkeit und der Arbeitsgerichtsbarkeit – die These von der ,Prozeßflut‘ überprüft. Darüberhinaus wird auch ein Versuch unternommen, Annahmen über Änderungen in den Regelungsbereichen des Gesetzgebers und in den legislativen Regelungsformen während der letzten 100 Jahre einer empirischen Prüfung näherzubringen. Abschließend werden methodische Probleme und Mängel vorliegender Untersuchungen zu langfristigen Rechtsentwicklungen diskutiert und ein eigener Vorschlag unterbreitet.
Summary
The interest of sociologists of law in macro-societal analysis recently has been reawakened in two forms: theories of legal evolution and comparisons of legal cultures. Both approaches are utilized in an analysis of the development of the (four or five) German Legal Cultures since 1871. Similarities and continuities, as well as dissimilarities and contradictions among them are discussed.
The literature on (increasing) legalization – although it assumes a dynamic process – has until now failed to employ an historical perspective. In this paper long-term analysis of legislative activity is used to cast doubt on the thesis of an „explosion of statutory law“. Likewise, the thesis of a „litigation explosion“ is refuted by using data from civil- and labor-courts over approximately 100 years. An effort is made to consider possible changes in the objects and forms of legal regulation. The paper ends with considerations of methodological problems and weaknesses in longterm statistical analysis of legal phenomena.
© 1985 by Lucius & Lucius, Stuttgart