Zusammenfassung
Im Zuge seiner Rechtsprechung zu den Nachbesserungs- und Überprüfungspflichten des Gesetzgebers hat das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit wiederholt auf eine entsprechende Verpflichtung zur Beobachtung der sozialen Wirklichkeit und der Gesetzeswirkungen hingewiesen; in der Entscheidung zur Neuregelung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs hat sich diese Verpflichtung bereits zu einer eigenständigen Rechtspflicht verdichtet. Diese Entwicklung kommt der nun vielfach vertretenen Auffassung entgegen, daß es in einer Risikogesellschaft zu den vorrangigen staatlichen Aufgaben gehört, die Beschaffung des zur Erkennung und Bewältigung dieser Risiken erforderlichen Wissens zu organisieren. Der Beitrag weist demgegenüber darauf hin, daß eine Beobachtungspflicht des Gesetzgebers nur in sehr engen Grenzen eine verfassungsrechtliche Grundlage findet und zu einer problematischen Steuerung der Setzung politischer Prioritäten durch das Verfassungsgericht führt.
Summary
In the course of its judgments on the duties of the legislature to review and revise legislation, the Federal Constitutional Court has recently referred again to a corresponding duty of the legislature to observe social reality and to monitor the effects of legislation; in its decision in relation to the reform of abortion law this duty has evolved into an independent legal obligation. This development supports the currently widespread view that one of the most important functions of the state in a risk society is to accumulate the necessary knowledge to recognise and deal with these risks. This article, however, draws attention to the fact that this monitoring duty of the legislature is only justified to a limited extent by constitutional law and leads to a problematic regulation of the setting of political priorities by the Federal Constitutional Court.
© 2003 by Lucius & Lucius, Stuttgart