Zusammenfassung
Das Bundesverfassungsgericht sieht sich seit seinem Bestehen heftigen Anfeindungen aus Politik und Gesellschaft ausgesetzt. Einerseits dringe es mehr und mehr in den Bereich des Politischen vor und entwickele sich zu einem Ersatzgesetzgeber. Andererseits etabliere es sich zunehmend als Bühne für politische Auseinandersetzungen. Dadurch würde es, so die weit verbreiteten Thesen, einer Verrechtlichung der Politik und einer Politisierung des Rechts Vorschub leisten. Der vorliegende Beitrag fragt in kritischer Absicht nach der theoretischen Fundierung und konzeptionellen Plausibilität dieser Thesen aus der Perspektive der Systemtheorie Niklas Luhmanns. Wie lassen sich die Thesen systemtheoretisch deuten? Welche Konzepte hält die Theorie autopoietischer Funktionssysteme zur Beschreibung der unterstellten Veränderungsprozesse und Mechanismen bereit? Ziel des Beitrags ist es, die Rede von der Politisierung des Rechts und Verrechtlichung der Politik durch das Bundesverfassungsgericht begrifflich aufzuschlüsseln und zu präzisieren, um potentielle Anschlusspunkte für weitere empirische Studien und theoretisch-normative Reflexionen zu eröffnen.
Summary
There is a long tradition of charging the German federal constitutional court for ongoing transgressions into the sphere of politics. The criticism is especially directed at the observation that the court is increasingly taking over legislative functions. As a consequence, many observers contend that the constitutional court is actually encouraging overarching processes towards a ‘politicization of law’ and ‘juridification of politics’. This article assesses the theoretical soundness of these allegations from the vantage point of Niklas Luhmann’s social systems theory. Are there any theoretical arguments in support of these theses? Which concepts could describe the implied transformation processes, the relevant mechanisms at work and the role of the constitutional court? The aim of the paper is to render more explicit the issue of politicisation of law and juridification of politics by the German federal constitutional court as well as to open perspectives for further research and normative reflections on this topic.
© 2007 by Lucius & Lucius, Stuttgart