Zusammenfassung
Seit Mitte der 1980er Jahre hat die Verfassungsrechtsprechung den steuergesetzgeberischen Gestaltungsspielraum immer weiter eingeschränkt. Der vorliegende Beitrag sucht nach den Gründen für diesen scheinbaren judiziellen „Aktivismus“. Anhand einer Analyse der Rechtsprechung und ihres politischen Umfelds wird deutlich, dass der steuerpolitische „Aktivismus“ das Ergebnis einer Dynamik ist, die die vier Merkmale pfadabhängiger Prozesse aufweist. Diese Entwicklung war zu Beginn keineswegs unausweichlich. Sie stabilisierte sich jedoch im weiteren Verlauf zusehends; zum einen weil die Präzedenzwirkung des Fallrechts und das darauf abgestimmte Klageverhalten gemeinsam die einmal eingeschlagenen Tendenz verstärkten; und zum anderen, weil das Fallrecht weder auf legislativem noch auf judikativem Weg ohne weiteres korrigiert werden kann. Auf diese Weise entstand ein selbst stabilisierender „Pfad“, der schwer zu verlassen ist.
Abstract
Since the mid-1980s, the Federal Constitutional Court has increasingly constrained the legislative leeway for tax policy-making. This article investigates the causes of the Court’s ostensible judicial “activism” in tax matters. The following analysis of the jurisdiction and its political environment shows that the alleged “activism” indeed exhibits the features of a path-dependent process. Initially, this evolution was far from inevitable but it became increasingly entrenched in the process. Precedence and co-ordinated law-suits acted as positive feedback, while the new case-law was all but impossible to revise by law-making or further litigation. Constitutional tax jurisprudence became “locked in”.
© 2011 by Lucius & Lucius, Stuttgart