Zusammenfassung
Die rechtspolitische Auseinandersetzung für oder gegen eine Privilegierung insbesondere der öffentlich-rechtlichen Insolvenzgläubiger, Z-B. bei der Insolvenzanfechtung wurde und wird gleichermaßen unter der Fahne der par condicio creditorum geführt. In jüngster Zeit wird dabei der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz auf eine untergeordnete und subsidiäre Regel bloßer Verteilungsgerechtigkeit herabgestuft, die insbesondere für die Insolvenzanfechtung keinerlei Bedeutung habe. Unter Berufung auf verfassungsrechtliche Grundsätze und Rechtstaatlichkeit wird für eine Privilegierung plädiert. Der folgende Beitrag konzipiert in Fortsetzung früherer dogmatischer Überlegungen die par condicio creditorum und ihr Verhältnis zum allgemeinen vefassungsrechtlichen Gleichheitssatz im Rahmen eines systemtheoretischen Ansatzes und versucht zu zeigen dass das Insolvenzrecht bei der rechtsimmanenten Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit, die es steuern will, deren Abstraktionsebenen übernehmen muss und deswegen zwischen verschiedenen Gläubigergruppen nicht differenzieren darf. Die systemtheoretische Konzeption erlaubt, den Gerechtigkeitsgehalt des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Gläubigerseite zu gewichten, und die ihr nur scheinbar widersprechende insolvenzrechtliche Privilegierung von Insolvenzschuldnern, die natürliche Personen sind, im deutschen Insolvenzrecht und in anderen Rechtsordnungen zu erklären. Mit diesem Ergebnis verstehen sich die folgenden Überlegungen ab Beispiel dafür, wie sich Rechtsdogmatik soziologische Theorie für die Beantwortung konkreter Einzelfragen zum Thema Gleich-/Ungleichbehandlung nutzbar machen kann.
Abstract
The polity debate whether or not public creditors in insolvency proceedings should be privileged continues to take place under the guiding principle of equal treatment for all creditors, known as par condicio creditorum. Recently, however, this principle has been increasingly relegated in that debate to an inferior and subsidiary rule concerning simply the distribution of the estate, considered irrelevant especially when contesting transactions made prior to the opening of insolvency proceedings. Instead constitutional principles and rule of law considerations are advanced to argue for the privileging of certain creditors. Building on earlier doctrinal analysis, this article uses a systems theory approach to develop the principle of par condicio creditorum and its relationship to the constitutional rule of equality before the law. It will thus be shown that when insolvency law reconstructs social reality, it must adopt the levels of abstraction prevailing in this reality. As a consequence, no group of creditors may be privileged. This systems theory approach allows weight to be given to the principle of equal treatment of creditors before the law and helps explain why German law and certain other legal systems permit a seemingly contradictory approach privileging debtors who are natural persons. The analysis and conclusion here provide a good example of how sociological theory can be used in legal doctrine to answer specific doctrinal questions.
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