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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter Oldenbourg April 4, 2020

Folterbarkeit. Eine soziologische Analyse menschlicher Verletzungsoffenheit

Torturability. A Sociological Analysis of Human Vulnerability
  • Frithjof Nungesser

    Frithjof Nungesser, geb. 1980 in Darmstadt. Studium der Wissenschaftlichen Politik, Soziologie und Philosophie in Freiburg i. Br. und an der University of Toronto. Promotion an der Universität Graz und am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Seit 2010 Universitätsassistent Institut für Soziologie der Universität Graz. Forschungsschwerpunkte: Sozialtheorie, Soziologie der Gewalt, Anthropologie, Soziologiegeschichte, Kultursoziologie. Wichtigste Publikationen: Die Sozialität des Handelns. Eine Aktualisierung der pragmatistischen Sozialtheorie. Frankfurt am Main/New York 2020 (im Erscheinen); The Evolution of Pragmatism. On the Scientific Background of the Pragmatist Conception of History, Action, and Sociality, European Journal of Sociology 58(2), 2017: 327–367; Ein pleonastisches Oxymoron. Konstruktionsprobleme von Pierre Bourdieus Schlüsselkonzept der symbolischen Gewalt, Berliner Journal für Soziologie 27(1), 2017, 7–33.

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Zusammenfassung

Der Artikel analysiert, welche Formen der Verletzbarkeit sich im Rahmen der Folter zeigen und warum diese für die Folter ausgenutzt werden können. An einem konkreten Gegenstand wird damit die „Verletzungsoffenheit“ (Popitz) des Menschen systematisch erkundet. Empirische Grundlage sind zwei moderne Folterkomplexe: die US-amerikanischen Folterungen im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“ sowie die Folterpraktiken in chinesischen „Umerziehungslagern“. Anhand dieser Fälle werden sechs Kanäle der Verletzbarkeit identifiziert: Demnach zielen Folterpraktiken auf die Untergrabung der Körperkontrolle, der Territorien des Selbst und des personalen Status; ferner greifen sie die soziale Einbettung, die identitätsstiftenden Werte und die Erwartungshorizonte der Opfer an. Abschließend werden drei gewalt- und sozialtheoretische Implikationen der Analyse umrissen. Im Zentrum stehen dabei die Verschränkungen der Verletzungsoffenheit mit den Bedingungen menschlicher Handlungsfähigkeit, das Verhältnis von Machtvollkommenheit und Widerständigkeit sowie die Humanspezifik der Folter.

Abstract

The article analyzes which forms of vulnerability can be identified in contexts of torture and why they can be exploited in torture. The aim is to use a concrete object to explore the human “openness to harm” (Popitz) in a systematic way. The empirical material is taken from two modern torture complexes: US torture in the context of the “War on Terror” and torture practices in Chinese “re-education camps”. Based on these two cases, six channels of vulnerability are identified: Torture practices, it is argued, aim at undermining bodily control, the territories of the self, and the personal status; furthermore, they attack the social embeddedness, the identity-constitutive values, as well as the horizons of expectation of the victims. Finally, three more general implications for the sociology of violence and social theory are outlined, which pertain to the interconnections between vulnerability and the conditions of human agency, the relationship between absolute power and resistance, and the human-specificity of torture.

1 Folterbarkeit als gewaltsoziologisches und sozialtheoretisches Problem

Dass der Mensch, wie es Heinrich Popitz (2004[1992]: 24) formuliert, „in vielfältiger und subtiler Weise verletzungsoffen“ ist, lässt sich an kaum einem Phänomen so deutlich nachvollziehen wie an der Folter. Der körperbezogene Charakter der Folter darf nicht dazu führen, die Verletzbarkeit der Betroffenen auf die Dimension physischen Schmerzes zu reduzieren (Grüny 2003; Inhetveen 2011). Natürlich ist direkte physische Gewalt zentraler Teil vieler Folterpraktiken. Wesentlich für ein angemessenes Verständnis der Folter ist allerdings, dass diese sich dem Zugriff auf den Körper bedient, um das Spektrum menschlicher Verletzungsoffenheit in seiner gesamten Breite auszunutzen.

Schon ein flüchtiger Blick auf unterschiedliche moderne Folterpraktiken legt nahe, dass die menschliche Verletzbarkeit nicht in körperlicher Vulnerabilität aufgeht. Oftmals werden Folteropfer dadurch verletzt, dass sie oder ihre Familie beleidigt werden. In deutschen Konzentrationslagern mussten Häftlinge tagelang sinnlos Steine umhertragen. Die Gefangenen im Militärgefängnis Abu Ghraib litten darunter, dass sie zur Masturbation genötigt wurden oder sich zu ‚Menschenbergen‘ aufeinanderlegen mussten. Falun Gong-Mitglieder und Uiguren werden in chinesischen „Umerziehungslagern“ dazu gezwungen, ihre Überzeugungen schriftlich als „Irrlehren“ zu verwerfen. Invasive physische Gewalt spielt in diesen – hier zunächst kursorisch angeführten – Beispielen keine oder lediglich eine untergeordnete Rolle.

Die Mannigfaltigkeit solcher Techniken fordert dazu heraus, der Folterbarkeit des Menschen systematisch nachzugehen, also zu fragen, auf welche Weise der Mensch verletzbar ist und wie diese Verletzbarkeit für die Folter ausgenutzt werden kann.[1] Dieser Herausforderung will sich die vorliegende Untersuchung stellen. Ihr Material entnimmt sie zwei gegenwärtigen Folterkomplexen: den US-amerikanischen Folterungen im Rahmen des „War on Terror“ sowie den Folterpraktiken in chinesischen „Umerziehungslagern“. Ausgewählt wurden diese Fälle nicht nur aufgrund ihrer Aktualität, sondern auch weil sie typische Charakteristika moderner Folter aufweisen, zugleich aber in instruktiver Weise voneinander abweichen. In Abschnitt 2 werden sowohl die beiden Folterkomplexe als auch die konkret untersuchten Orte der Folter (Abu Ghraib und Guantanamo bzw. Masanjia) kurz dargestellt, um eine gewisse Vertrautheit mit den Untersuchungsgegenständen und den herangezogenen Materialien zu etablieren.

Um die in den beiden Fällen zutage tretende Folterbarkeit detailliert zu erfassen, ist es nötig, eine „mikroskopische“ (Trotha 1997: 21) Gewaltanalyse vorzunehmen, die im Hinblick auf die Folter lange „nachdrücklicher begrüßt als erprobt“ (Burschel et al. 2000: 3) wurde. Eine solche Analyse erfordert allerdings eine Umkehrung der üblichen Forschungsperspektive (Nungesser 2019). Für gewöhnlich betrachten sozialwissenschaftliche Studien das Gewalthandeln.[2] Im Hinblick auf die Folter wird dann gefragt, wie Menschen zu solch grausamen Handlungen fähig sind, welche Situationsdynamiken, Organisationsstrukturen oder sozialen Klassifikationsschemata Folter befördern.[3] Deutlich seltener kommt das Gewalterleiden, also die „Kehrseite der Vita activa“ (Sofsky 1996: 11), in den Blick. Zurückführen lässt sich dieser Bias wohl vor allem darauf, dass die Handlungstheorie im Allgemeinen „ihrer ganzen Anlage nach eine Schlagseite zu einem aktivistischen Verhältnis zur Welt auf[weist]“ (Joas 2002[1992]: 245 f.).

Die Relevanz der folgenden Überlegungen ergibt sich maßgeblich aus der Inversion der üblichen Betrachtungsweise. Fruchtbar ist diese Perspektivenumkehr auf zwei Ebenen: Zunächst zwingt sie zu einem differenzierten Blick auf das Phänomen der Folter, speziell auf die durch sie verursachten Verletzungserfahrungen. Wie in Abschnitt 3 gezeigt wird, können diese Erfahrungen anhand von sechs Kanälen der Verletzbarkeit auf instruktive Weise analysiert werden. Jenseits oder im Verbund mit aktiver physischer Gewalt – so das Argument – greifen Folterpraktiken die Körperkontrolle, die Territorien des Selbst und den personalen Status der Opfer an; ferner untergraben sie ihre soziale Einbettung, identitätsstiftenden Werte und Erwartungshorizonte (3.1 bis 3.6).

Die Perspektivenumkehr erlaubt nicht nur, die Verletzbarkeit des Menschen an einem konkreten Phänomen im Detail greifbar zu machen. Darüber hinaus wirft die Exploration von Foltererfahrungen auch Fragen von grundlegender gewaltsoziologischer und sozialtheoretischer Relevanz auf, die in Abschnitt 4 diskutiert werden. Zu Beginn des Abschnitts wird eine soziologische Systematisierung der menschlichen Verletzungsoffenheit skizziert, die bisher nicht vorliegt. Dabei werden die zuvor erfassten Verletzungskanäle im Rückgriff auf pragmatistische Überlegungen mit den Grundbedingungen menschlicher Handlungsfähigkeit und ihrer Fragilität in Zusammenhang gebracht (4.1). Hieran anknüpfend wird gezeigt, dass die Systematisierung von Verletzungsoffenheit auch für die Analyse von Coping- und Widerstandspraktiken gewinnbringend ist. Deutlich wird damit auch, dass die systematische Einbeziehung von Verletzbarkeit nicht zu einer Überbetonung von Passivität führt (4.2). Der folgende Unterabschnitt widmet sich der Humanspezifik der Folter. Es wird argumentiert, dass Tiere zwar verletzungsoffen sind, aber nicht gefoltert werden können. Dadurch wird Folterbarkeit als eine hochvoraussetzungsvolle Ausprägung einer allgemeineren Verletzbarkeit erkennbar (4.3). Im Ausblick wird dann angedeutet, in welche Richtungen sich die präsentierte Analyse vertiefen ließe (5).

2 Abu Ghraib, Guantanamo, Masanjia. Orte zweier moderner Folterkomplexe

Das international institutionalisierte Verbot der Folter „gehört zu den wenigen Menschenrechtsnormen, die ‚absolute‘, ausnahmslose Rechtsgeltung beanspruchen“ (Bielefeldt 2007: 4).[4] Trotz ihrer rechtlichen Ächtung ist die Folter alltägliche Realität. In ihrem Bericht über die globale Verbreitung der Folter, den die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) im Jahr 2014 veröffentlichte, wird von Folter und anderen grausamen Behandlungs- und Strafmethoden in 141 Ländern während der vergangenen fünf Jahre berichtet (vgl. AI 2014: 10).[5] Gefoltert wird keineswegs nur in totalitären oder autokratischen Regimen. Wenngleich es diesbezüglich deutliche Korrelationen gibt, tragen auch demokratisch verfasste Staaten zur Persistenz der Folter bei (v. a. Rejali 2007).

Charakteristisch für die moderne Folter ist ihre mehrfach paradoxe Struktur: Sie ist weithin geächtet, aber global verbreitet; sie ist gesetzlich verboten, aber staatliches Herrschaftsmittel; sie findet im Geheimen statt und sendet doch eine Mitteilung an Dritte.[6] Diese widersprüchlichen Merkmale charakterisieren auch die beiden Folterkomplexe, welche die empirische Grundlage der folgenden Überlegungen bilden.

2.1 „War on Terror“: Abu Ghraib und Guantanamo

Herangezogen werden zum einen die Folter- und Missbrauchspraktiken des US-Militärs und der US-Geheimdienste, die insbesondere aus dem Gefängnis im irakischen Abu Ghraib[7] und aus dem Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba bekannt sind. Sie ereigneten sich im Rahmen des sogenannten „Krieges gegen den Terror“, der bekanntlich durch die US-amerikanische Regierung unter George W. Bush nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 ausgerufen wurde. Ein zentrales Element dieses „Krieges“ war die Intensivierung geheimdienstlicher Befragungen von „illegalen Kombattanten“ abseits des bis dahin geltenden Rechts.[8] Organisatorisch ging damit die Schaffung eines Netzes von Geheimgefängnissen („black sites“) jenseits des US-amerikanischen Staatsgebiets einher, in denen Terrorverdächtige mittels „enhanced interrogation techniques“ verhört wurden (z. B. Fletcher & Stover 2009: 3 ff.). Öffentliche Bekanntheit erlangte dieser Folterkomplex vor allem ab April 2004 durch die Veröffentlichung der ersten Fotografien aus dem Militärgefängnis Abu Ghraib, das infolge der Irakinvasion im Jahr 2003 mehrere Jahre unter US-amerikanischer Kontrolle stand. Hunderte weitere Fotos und Videos wurden im Jahr 2006 veröffentlicht (Binder 2013: 291 f.).

Um die zunächst in den „black sites“ verhörten Personen dauerhaft festzusetzen, erachtete es die US-Administration als notwendig, eine Institution zu schaffen, die logistisch stabil und gut erreichbar, zugleich aber jenseits der Reichweite der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit verortet war. So kam es zur Einrichtung des Gefangenenlagers Guantanamo innerhalb des bereits seit über hundert Jahren bestehenden US-Marinestützpunkts Guantanamo Bay, der kubanisches Staats-, aber US-amerikanisches Hoheitsgebiet ist (Fletcher & Stover 2009: 4 ff.). Im Juli 2003 erreichte die Lagerpopulation mit 660 Insassen ihren Höhepunkt. Die meisten Gefangenen stamm(t)en aus Afghanistan, Saudi-Arabien, dem Jemen und Pakistan. Fletcher und Stover (2009: 42 f.) geben die durchschnittliche Haftdauer im Jahr 2009 mit 36,8 Monaten an. Das Lager blieb auch während der Präsidentschaft von Barack Obama (2009–2017) bestehen, wobei die Zahl der Insassen von 242 auf 41 reduziert wurde (Hajjar 2018: 303 ff.). Sein Nachfolger Donald Trump hat im Januar 2018 per Dekret die unbefristete Nutzung des Lagers verfügt. Aktuell sitzen noch 40 Gefangene im Lager ein (NYT 2018).

Die Veröffentlichung der Abu Ghraib-Fotos und die anschließenden Militärgerichtsprozesse lösten eine enorme nationale und internationale Reaktion aus und ermöglichten einen detaillierten Einblick in die Folterpraktiken des US-Militärs im Irak (Binder 2013; Mestrovic 2007). Auch das Lager Guantanamo wurde in den Folgejahren Gegenstand intensiver Debatten. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Folter und auch die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit für dieses Thema hat sich durch diese beiden Fälle deutlich verstärkt (Binder 2013: 11 ff.; Hajjar 2013: Kap. I).

Aufgrund dieser breiten Aufmerksamkeit existiert zu Abu Ghraib und Guantanamo eine umfangreiche Literatur. Für die hier durchgeführte Analyse ist darüber hinaus wesentlich, dass für beide konkreten Folterorte Schilderungen von Betroffenen vorliegen. Zahlreiche Zeugenaussagen der Abu Ghraib-Insassen aus dem Jahr 2004 wurden vor einigen Jahren freigegeben.[9] Von ehemaligen Guantanamo-Insassen liegen sogar mehrere Erfahrungsberichte und Interviews in Buchlänge vor (Begg 2007; Habib & Collingwood 2008; Kurnaz 2007; Slahi 2015; Willemsen 2006). Meine Analyse konzentriert sich auf zwei dieser Bücher. Zum einen auf den detaillierten Erfahrungsbericht von Murat Kurnaz (2007), der zwischen Januar 2002 und August 2006 auf Kuba festgehalten wurde. Das Buch wurde ausgewählt, da es überaus informativ ist und weil Kurnaz’ Fall für die Diskussion in Deutschland zentral war. Zum anderen beziehe ich mich auf das Guantanamo-Tagebuch des Mauretaniers Mohamedou Ould Slahi[10] (2015), der von 2002 bis 2016 ohne Anklage in Guantanamo festgehalten wurde. Slahis Bericht ist der einzige, der während der Haft verfasst wurde und zeichnet sich durch besonders präzise Beobachtungen aus. Sowohl aufgrund der Anzahl der Quellen als auch aufgrund der Überschneidungen zwischen Zeugenaussagen, offiziellen Berichten (Taguba 2004) und Fotomaterialien bzw. zwischen Erfahrungsberichten und Forschungsergebnissen (v. a. Fletcher & Stover 2009) kann die Datenbasis für den US-amerikanischen Fall als sehr zuverlässig beurteilt werden.

2.2 „Umerziehung“: Masanjia

Die Aufmerksamkeit für die Folter ist sehr ungleich verteilt und unterliegt starken Konjunkturen. Noch zwei Wochen vor Einreichung der überarbeiteten Fassung dieses Artikels lag der zweite hier analysierte Folterkomplex – die „Umerziehungslager“ in der Volksrepublik China – weitgehend außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dies änderte sich abrupt aufgrund von durchgestochenen Regierungs-Dokumenten der Kommunistischen Partei und Recherchen des „Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten“.[11] Im Detail sichtbar wurde damit, was schon länger vermutet wurde (z. B. AI 2018). China etabliert in der Provinz Xinjiang ein Netz von Internierungslagern, das der Assimilation der uigurischen Bevölkerung dient. Die Dokumente und Recherchen legen nahe, dass „Chinas Führung in kürzester Zeit eines der größten Gulagsysteme der Geschichte errichtet hat“, in dem „etwa eine Million Menschen festgehalten werden“ (SZ 2019a). Erste Belege sprechen für eine Nutzung von Folter in diesen Lagern (ICIJ 2019; SZ 2019b).

Auch wenn die Dimensionen des Lagersystems in Xinjiang sowie die Geschwindigkeit seines Aufbaus beispiellos zu sein scheinen, ist es wichtig zu sehen, dass weder Masseninternierungen noch die Nutzung der Folter zur „Umerziehung“ ein neues Phänomen in China sind.[12] Berichte über Folter in chinesischen Lagern sind der Laogai Research Foundation (LRF) zufolge seit langem „weitverbreitet“ (LRF 2006: 17). Vielfältige Demütigungen und körperliche Bestrafungen sowie massive gesundheitliche Beschwerden infolge der Zwangsarbeit sind regulärer Teil der Haftpraxis. Manfred Nowak, von 2004 bis 2010 UN-Sonderberichterstatter über Folter, schließt aus den Erfahrungen seiner Beobachtermission in China, „dass das Ausmaß der Folter im normalen Strafprozess in den letzten Jahren, insbesondere in den Städten, zwar zurückgegangen“ ist, aber „immer noch als weit verbreitet bezeichnet werden“ muss (Nowak 2012: 102). Aus Sicht der Kommunistischen Partei schützen die „Umerziehungslager“ die „öffentliche“ und „nationale Sicherheit“ (LRF 2006: 6, 11). Zudem dient die in den Lagern verrichtete Zwangsarbeit der „geistigen Umerziehung“ und befördert die „Einsicht“ in das „fehlerhafte Verhalten“ (AI 2013: 17 f.; LRF 2006: 12 ff.; Nowak 2012: 101 ff.). Zu bedenken ist auch, dass die Zwangsarbeit von Hunderttausenden Häftlingen einen nicht unerheblichen Faktor in den ehrgeizigen Wachstumskalkulationen der chinesischen Führung darstellt (LRF 2006: 14 ff., 23 ff.).

Traditionell teilt sich das Lagersystem seit seiner Etablierung in den 1950er Jahren in „Laogai“– („Reform durch Arbeit“) und „Laojiao“-Lager („Umerziehung durch Arbeit“). Als politisches Unterdrückungsinstrument fungieren vor allem die „Laojiao“-Lager (bzw. deren Nachfolgeinstitutionen). In diese geraten Menschen, die für „leichtere Vergehen“ ohne Gerichtsverfahren zu einer sogenannten „Administrativhaftstrafe“ von bis zu 4 Jahren verurteilt werden. Als „leichtere Vergehen“ gelten neben Drogenbesitz, Prostitution oder Bagatelldiebstahl vor allem „konterrevolutionäre“ Tätigkeiten wie das Engagement in der Menschenrechts-, Demokratie-, Umwelt- oder Petitionsbewegung.[13] Massiv betroffen sind zudem religiöse und/oder ethnische Gruppen – neben der uigurischen Bevölkerung etwa auch die Meditationsbewegung Falun Gong, die christlichen Hauskirchen oder die tibetische Bevölkerung.[14]

Aufgrund der globalen Verbreitung des Menschenrechtsdiskurses sieht sich die Volksrepublik China – wie auch andere autoritäre Regime – dazu veranlasst, Folter offiziell zu verurteilen (Kent 2010: Kap. 3). Auch deswegen wurde von der chinesischen Führung im November 2013 die Abschaffung des „Laojiao“-Systems angekündigt. Ob durch diese Entscheidung die staatliche Willkür sowie die Gewalthaftigkeit der Strafinstitutionen reduziert wurde, lässt sich aufgrund der schlechten Datenlage zwar nicht mit Sicherheit beurteilen, scheint aber unwahrscheinlich. So werden zunehmend alternative Methoden der „Administrativhaft“ verwendet (AI 2013: 8 f., 34 ff.; 2014: 34). Die neuesten Berichte aus Xinjiang deuten eher auf einen intensivierten Umerziehungsdruck gegenüber Gruppen hin, die einer „harmonischen Gesellschaft“ entgegenstehen (AI 2018; NYT 2019; SZ 2019b).

Trotz der enormen Ausmaße des chinesischen Lagersystems sind Berichte von Betroffenen kaum zugänglich. Einen seltenen Einblick in die „Laojiao“-Lager gewährten in den Jahren 2012 und 2013 verschiedene Nachrichten, die aus dem Frauengefängnis Masanjia in der Nähe der Großstadt Shenyang im Nordosten Chinas herausgeschmuggelt werden konnten. Ein erster Brief wurde in eine im Lager hergestellte Halloween-Dekoration versteckt, die anschließend in die USA exportiert wurde, wo die Mitteilung entdeckt wurde und anschließend ihren Weg in die Lokalzeitung The Oregonian fand (Edwards 2012). Ein Bericht im Lens Magazine wiederum basierte auf Schilderungen, welche die Häftlinge bei ihrer Entlassung in ihrem Körper mit sich trugen (Tatlow 2013). Diese Dokumente lieferten genaue Informationen zu einer Vielzahl von Missbrauchs- und Folterpraktiken. Die detailliertesten Berichte entstammen der Filmreportage Above the Ghosts’ Heads: The Women of Masanjia Labor Camp des Journalisten Du Bin (2013), in der zwölf ehemalige Lagerinsassinnen ihre Erfahrungen schildern. Die meisten dieser Frauen waren interniert, weil sie Anhängerinnen von Falun Gong sind und/oder weil sie von ihrem Petitionsrecht Gebrauch gemacht hatten.

Von offizieller Seite werden Berichte über die Lager und aus den Lagern grundsätzlich angezweifelt, als Propaganda diffamiert und ihre Verbreitung durch Zensur bekämpft (z. B. SZ 2019b). Personen, die Erfahrungsberichte verbreiten, gehen ein großes Risiko ein. Du Bin etwa wurde aufgrund seiner Arbeit in der Vergangenheit ebenfalls inhaftiert. Im Vergleich zu den US-amerikanischen Fällen ist die Datenlage daher undurchsichtiger. Jedoch betonen Menschenrechtsorganisationen, dass die Erfahrungsberichte glaubhaft sind und dass sie mit anderen Informationen und Aussagen aus den Lagern korrespondieren (LRF 2006: 13 ff., 185; AI 2013; 2014: 33 f.; 2018). Die Übereinstimmungen mit Einschätzungen von Expertinnen und Experten wie dem UN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak (2012: 101 ff.) verleihen den Berichten zusätzliche Glaubwürdigkeit. Die jüngsten Erkenntnisse zur Situation in Xinjiang belegen zudem, dass die „Umerziehung“ weiterhin mit aller Gewalt vorangetrieben wird. Aus diesem Grund können die Masanjia-Berichte als glaubwürdiges Anschauungsmaterial für den chinesischen Komplex gelten.

Für eine Analyse der Folterbarkeit bieten sich der US-amerikanische und der chinesische Fall im Allgemeinen, aber auch die beschriebenen Institutionen im Besonderen an, da es sich um spezifisch moderne Folterkontexte handelt, die sich zugleich in verschiedener Hinsicht deutlich unterscheiden: Während Abu Ghraib und Guantanamo auf den Antiterrorkrieg eines demokratischen Staates zurückgehen, steht Masanjia stellvertretend für das Kontroll- und Disziplinierungsinstrumentarium eines autoritären Regimes. Während die Vereinigten Staaten ausländische Personen im Ausland folter(te)n, werden von China größtenteils inländische Personen im Inland gefoltert. Während das System der „black sites“ kurzfristig etabliert wurde, um eine spezifische Personengruppe jenseits des tradierten Rechts zu foltern, erfasst das fest institutionalisierte „Umerziehungssystem“ in China seit Jahrzehnten unterschiedliche Gruppen, die von der KP als Gefahr erachtet werden. Während in Abu Ghraib und Guantanamo vorwiegend Männer gefoltert wurden, sind die Opfer im Lager Masanjia Frauen. Vor dem Hintergrund dieser Kontraste soll im Folgenden ein konzeptueller Rahmen präsentiert werden, der einerseits die Möglichkeiten der Folterbarkeit fallübergreifend zu erfassen vermag, andererseits aber Raum für die soziokulturelle Variabilität der Fälle bietet.

3 Kanäle der Verletzbarkeit. Eine Exploration von Foltererfahrungen

Die nun folgende Betrachtung der genannten Fälle versucht, anhand der Folter die menschliche Verletzungsoffenheit konzeptuell aufzufächern.[15] In Auseinandersetzung mit dem Material traten – zunächst auf explorativ-induktivem Wege[16] – sechs wesentliche Zugriffs- beziehungsweise Leidenspfade hervor, die ich als „Kanäle der Verletzbarkeit“ bezeichne. Die „Kanäle“ bilden die Bindeglieder zwischen der „Verletzungsmacht“ der Folterer und der „Verletzungsoffenheit“ der Gefolterten (Popitz 2004[1992]: 61). Wichtig ist, sich diese Kanäle nicht als isolierte Verbindungen vorzustellen. Wie sich zeigen wird, gewinnen sie ihre Wirkung vielmehr oft gerade dadurch, dass sie mit anderen Kanälen gemeinsam angesteuert werden, wodurch sich die verletzende Wucht potenziert.

3.1 Körperkontrolle

Zahlreiche Foltermethoden zielen auf die Unterminierung von Körperkontrolle. Das gilt auch für die direkte physische Gewaltzufügung, die in vielen Varianten Element von Folterpraktiken ist. Das Spektrum reicht von einfachen, oft spontanen Schlägen und Tritten[17] bis hin zu ausgefeilten Techniken wie der sogenannten „Tigerbank“[18], die vor allem in chinesischen „Umerziehungslagern“ Anwendung findet. Der durch physische Gewalt von außen zugefügte Schmerz zwingt das Opfer zu unkontrolliertem Verhalten. Dies äußert sich insbesondere im Schrei, der unterhalb der Schwelle intentionaler und symbolischer Kommunikation liegt. Der Schmerz, so Elaine Scarry (1992: 13), „versetzt uns in einen Zustand zurück, in dem Laute und Schreie vorherrschen, deren wir uns bedienten, bevor wir Sprache lernten“. Gerade die Unkontrollierbarkeit des Schreis ermöglicht dem Folterer ein ‚Feedback‘, das über die Wirksamkeit der Folter informiert.

In vielen Foltersituationen wird die Körperkontrolle nicht durch direkte, invasive Gewalt, sondern indirekt über die Ausnutzung physiologischer Grundbedürfnisse und Belastungsschwellen angegriffen. Der Entzug von Wasser, Nahrung, Luft, Schlaf, sensorischer Stimulation oder Wärme; aber auch Hitze, Lärm oder grelles Licht – all dies kann als Foltermittel dienen (Inhetveen 2011: 382 f.; Nowak 2012: 61 ff.; AI 2014: 24 f.). Die Körperkontrolle wird außerdem dort passiv unterminiert, wo Wunden nicht versorgt oder Medikamente verweigert werden (AI 2014: 25, 34; Slahi 2015: 295 ff., 301), aktiv manipuliert hingegen, wo Gefangenen Medikamente oder Drogen verabreicht werden, um sie zu desorientieren oder ihnen Schmerzen zuzufügen (AI 2013: 20, 22; 2014: 24; Fletcher & Stover 2009: 95).

Untergraben wird die Körperkontrolle auch durch Folterpraktiken, die selbstbestimmte Bewegungen verhindern. Ob stundenlanges Stehenlassen, Fesseln oder Einsperren in einer Kiste – die „fixierte Zwangshaltung erzeugt genauso heftige Muskel- und Knochenschmerzen wie der ausgeklügeltste Apparat“ (Sofsky 1996: 94). Da diese Methoden nicht nur sehr effektiv sind, sondern auch wenig Spuren hinterlassen, sind sie seit Jahrzehnten ein verbreitetes Foltermittel. Schon das KUBARK-Verhörhandbuch der CIA aus dem Jahr 1963 empfiehlt dieses Vorgehen (Inhetveen 2011: 383 f.). Es verwundert daher nicht, dass diese Praktiken gerade im Kontext von Abu Ghraib und Guantanamo weitverbreitet sind – insbesondere in Verbindung mit Schlafentzug und Kälte (Fletcher & Stover 2009: 63 f.; Kurnaz 2007: 139, 144 f.; Slahi 2015: 288 ff., 306 ff.).

Gerade die Insassen von Masanjia leiden auch wiederholt unter dem Verlust selbstverständlicher regulativer Körperfunktionen. Dies kann wiederum durch Fixierung geschehen, die den Betroffenen auch die Möglichkeit nimmt, zur Toilette zu gehen (AI 2013: 22). Das Versagen der Körperregulation ist darüber hinaus auch Folge invasiver sexueller Gewalt. Die Opfer sind dabei „mit all ihren Körperfunktionen (sexuellen Erregungszuständen, Darm- und Blasenentleerung) der Willkürherrschaft vollständig ausgeliefert“ (Götz von Olenhusen 2000: 234). Der körperliche Schmerz sowie die Wut, Erniedrigung und Verzweiflung verbinden sich mit Gefühlen von Scham und Ekel, wenn die eingesperrten oder fixierten Opfer ihre Körperausscheidungen nicht dauerhaft zurückhalten können (Inhetveen 2011: 383 f.; AI 2013: 24).

Untergraben wird die Körperbeherrschung oft auch durch Wahrnehmungsmanipulation, insbesondere durch perzeptuelle Verengung. Auffällig ist, dass Folteropfern häufig die Augen verbunden werden, die Ohren aber unverschlossen bleiben (z. B. Nowak 2012: 36; Al-Yasseri 2004). Mit Simmel lässt sich das dadurch verstehen, dass „sich weithin das Ohr vom Auge durch den Mangel jener Reziprozität [scheidet], die der Blick zwischen Auge und Auge herstellt“. Da man sich mit „dem Blick, der den Andern in sich aufnimmt, [selbst] offenbart“, wird während der Folter die Wahrnehmungsbeziehung häufig durch eine Augenbinde oder eine Kapuze vereinseitigt.[19] Das Ohr hingegen – „das schlechthin egoistische Organ“[20] – bleibt in Befragungssituationen für Erniedrigungen, Drohungen oder schmerzenden Lärm empfänglich.[21] Die auditive Vereinseitigung wird gegebenenfalls vom Knebel übernommen. Wie das Ohr ist auch die Nase ein „egoistisches Organ“. Das wird etwa dadurch ausgenutzt, dass Körper- und Zellenreinigung unmöglich gemacht werden, weswegen die Opfer unter Gestank und Ekel leiden (z. B. Slahi 2015: 305; Du 2013: 20:30).[22]

3.2 Territorien des Selbst

Das materielle Verletzungspotential von Folterpraktiken resultiert nicht nur aus ihrem Körperzugriff im engeren Sinne, sondern auch daraus, dass sie die Räume und Dinge im Umfeld des betroffenen Individuums miteinbeziehen. Für eine Unterscheidung der verschiedenen Verletzungssphären bietet sich der Rückgriff auf Goffmans (1971: Kap. 2) Differenzierung unterschiedlicher „Territorien des Selbst“ an. Obwohl diese von Goffman nicht im Hinblick auf Gewaltphänomene entwickelt wurde, lässt sie sich für eine Analyse der Folterbarkeit fruchtbar machen. Denn territoriale Verletzungen, die auch in anderen Kontexten vorkommen, werden im Rahmen der Folter intensiviert und verstetigt. Grundlegend ist hierbei jedoch, dass Folteropfer „lozierender Gewalt“ (Reemtsma 2013: 104 ff.) ausgesetzt sind und ihre Territorien damit – anders als bei Goffman angenommen – heteronom bestimmt werden (Nowak 2012: 18). Im sogenannten „Vielfliegerprogramm“ der CIA wurde diese Heteronomie ins Extrem gesteigert, um die Häftlinge durch ständige Ortswechsel und permanenten Schlafentzug zu desorientieren (Kurnaz 2007: 85 ff.; Nowak 2012: 37, 62; Hajjar 2018: 316).

Betrachtet man nun die „Territorien“ einzeln, so fällt zunächst auf, dass Insassen in Folterinstitutionen keine Kontrolle über ihr „Gesprächsreservat“ haben. Sie können also nicht darüber befinden, wer sie anspricht und wann dies geschieht; sie befinden sich in einer extremen Ausprägung der „exponierten Position“ (Goffman 1963: 125 ff.). Zudem sind für die Häftlinge Eingriffe in ihr „Besitzterritorium“ und „Informationsreservat“ Alltag. Denn weder haben sie Zugriff auf ihre persönliche Habe (soweit überhaupt noch vorhanden), noch können sie die Informationen, die über sie verfügbar sind, im üblichen Maße regulieren. So berichten die Masanjia-Insassinnen, dass sie auf der Toilette kontrolliert oder beim Duschen videoüberwacht wurden (Du 2013: 16:15; 25:48, 26:04). Sowohl Masanjia- als auch Guantanamo-Häftlinge geben an, dass ihr Arbeitsraum bzw. ihre Zellen regelmäßig durchsucht und häufig auch Leibesvisitationen – folglich auch Eingriffe in den „persönlichen Raum“ – durchgeführt wurden (Du 2013: 15:55, 26:05; Kurnaz 2007: 164 ff.). Im Fall von Abu Ghraib lassen sich auch die weltweit bekannten Fotografien als massiver Eingriff in das „Informationsreservat“ betrachten. Zeugenaussagen belegen, dass das Fotografieren die Übergriffe kontinuierlich und deutlich wahrnehmbar begleitete und die Verletzungen vertiefte (z. B. Al-Aboodi 2004; Al-Zayiadi 2004). Die mediale Speicherung von Erniedrigungspraktiken kann demnach selbst erniedrigend wirken, da das Opfer um die Verewigung des erniedrigenden Anblicks weiß (Mestrovic 2007: 163).[23] Auch der „Benutzungsraum“, also der Raum der aktuell zu vollführenden Handlung, wird in Foltersituationen rigoros beschnitten. Kurnaz (2007: 92, 158) berichtet, dass seine Maschendrahtzelle zu Beginn (in Camp X-Ray) die Maße von 1,80 mal 2 Meter hatte; später (in Camp Delta) reduzierte sich seine Bewegungsfläche auf 1 mal 1,10 Meter. Seine Schilderungen des Alltags zeigen eindrücklich, wie die Unterminierung der Körperkontrolle und die Verhinderung der elementaren, gemeinhin selbstverständlichen Umweltkontrolle wechselwirken: Insassen können sich beispielsweise nicht vor Tieren schützen, nicht dem Wind, dem Regen oder der Sonne entgehen und ihre Zelle nicht sauber halten. Die Masanjia-Insassinnen berichten, dass ihnen die Reinigung ihres Benutzungsraums verwehrt wurde. Auf Hygienestandards wird ihnen zufolge nur Wert gelegt, wenn das Gefängnis kurzzeitig für die Medienberichterstattung geöffnet wird (Du 2013: 20:30). Dazu passt, dass die Insassinnen vor der Haftentlassung zwei Flaschen mit heißem Wasser erhalten, damit sie sich den angesammelten Dreck abwaschen können, bevor sie in die Außenwelt zurückkehren (Du 2013: 27:10).

Allgemein gesprochen kommt es in Folterinstitutionen zu einer systematischen Verengung oder gar Auflösung der „Territorien des Selbst“. Es gibt keinen sicheren Rückzugsort, nichts Eigenes, kaum Manövrierraum und im Grunde keine Privatsphäre. Wie an Mestrovics (2007: 4) Ausführungen zu Abu Ghraib zum Ausdruck kommt, entspricht dieser radikalen Begrenzung auf Opferseite die Entgrenzung auf folternder Seite: „[T]he abuse was pervasive and occurred in showers, stairways, hallways, storage containers, vehicles, and so on. In fact, soldiers could not make out the difference between ‚interrogation‘ and ‚detention‘.“

3.3 Personaler Status

„[U]m jeden Menschen“ liegt laut Simmel (2006[1908]: 396) „eine ideelle Sphäre […], nach verschiedenen Richtungen und verschiedenen Personen gegenüber freilich ungleich groß, in die man nicht eindringen kann, ohne den Persönlichkeitswert des Individuums zu zerstören.“ Simmels These lässt sich insbesondere im Hinblick auf die „Hülle“ bestätigen, die sich nach Goffman (1971: 38) um Haut und Kleidung einer Person legt. Verletzungen der Hülle führen im Rahmen der Folter zu vielfältigen Verletzungen des personalen Status.[24]

Zahlreiche Ausführungen aus den untersuchten Folterkontexten machen deutlich, dass insbesondere sexualisierte Übergriffe auf die Hülle eine massive Verletzung des personalen Status darstellen und in vielen Fällen einen „Desintegrationsprozeß beim Opfer“ (Götz von Olenhusen 2000: 234; meine Herv.) in Gang setzen.[25] Hierbei lassen sich verschiedene sexualisierte Zugriffsweisen auf die Hülle unterscheiden.[26] Erzwungene Nacktheit und entwürdigende Körperhaltungen sind eines der auffälligsten Merkmale der Vorfälle in Abu Ghraib. Die Insassen wurden dazu gezwungen, dauerhaft unbekleidet zu bleiben und nackt in verschiedensten Körperstellungen zu posieren. Zugleich mussten sie weibliche Unterwäsche oder Plastikbeutel auf dem Kopf tragen. Die gewöhnliche Kleidungslogik wurde hier also umgekehrt (Mestrovic 2007: 32 ff., 64 ff.; Binder 2013: 320 ff.). Auch zu indirekter sexualisierter Folter – beispielsweise der Nötigung zur Masturbation – kam es in Abu Ghraib (Binder 2013: 322 ff.). In diesen Fällen wird zur Schau gestellt, was üblicherweise im Verborgenen vollzogen wird. Während die öffentliche Person gegen ihren Willen isoliert wird, leidet die private Person an erzwungener Sichtbarkeit. Verbreitet sind in Folterkontexten zudem die Stimulation von Sexualorganen und erogenen Zonen sowie die direkte sexuelle Folter. So sind aus Masanjia zahlreiche Fälle von Vergewaltigungen durch Wachpersonal oder Mithäftlinge bekannt (Du 2013: 19:09; 20:25). Schließlich sind direkte physische Angriffe auf den Genitalbereich zu nennen. Masanjia-Insassinnen schildern, dass ihnen Elektroschocker, Zahnbürsten oder gemahlener Pfeffer in die Vagina eingeführt wurden (Du 2013: 0:16; 19:34; AI 2014: 22, 24).[27] In schroffer Form bestätigt sich hier die allgemeinere Beobachtung, dass zahlreiche Foltertechniken auf Körperöffnungen zielen – auf Körperstellen also, die nicht nur physiologisch besonders empfindlich, sondern auch für die Erniedrigung und Beschämung der Opfer prädestiniert sind (Inhetveen 2011: 381 f.; Nowak 2012: 60 f.).[28]

Verletzt wird der personale Status von Folteropfern auch durch Erfahrungen der „Vergegenständlichung“ (Sofsky 1996: 92). Einerseits werden Folteropfer immer wieder derart fixiert, dass sie sich nicht selbst bewegen können, womit sie einem wesentlichen Kennzeichen des Dinglichen entsprechen (z. B. Hanfosh 2004). Andererseits lassen sie sich in diesem Zustand nahezu beliebig bewegen. Gefangene aus dem Lager Masanjia berichten etwa, dass sie an ihren Haaren „wie ein Mob herumgeschleift“ wurden (Du 2013: 20:15). Bekannt sind auch Aufnahmen, die zeigen, wie die Gefangenen in Abu Ghraib ‚zusammengeschnürt‘ oder ‚aufeinandergestapelt‘ wurden. Auf diesen Bildern sind die Gefangenen „nicht einmal Statisten, sondern Requisiten einer Inszenierung der Soldaten“ (Binder 2013: 311).

Ein weiteres Foto, das durch den Abu Ghraib-Skandal Berühmtheit erlangte, zeigt, wie ein am Boden liegender Gefangener von der Soldatin Lynndie England mit einem Seil um den Hals gehalten wird (vgl. Morris 2008: 13:00). Assoziationen mit einem Hundespaziergang sind unausweichlich und waren auch intendiert. Werner Binder (2013: 308) macht in seiner Studie zu Abu Ghraib darauf aufmerksam, dass auch auf anderen Fotografien die Folteropfer Tieren angeähnelt werden. So lässt sich in der triumphalen Präsentation der ‚Pyramide‘ aus menschlichen Leibern deutlich die Pose des Großwildjägers erkennen. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Soldatinnen und Soldaten im Irak die Gefangenen lächerlich machten, indem sie auf ihnen „ritten“ oder sie „wie Hunde“ durch die Gänge laufen und „bellen“ ließen (z. B. Al-Aboodi 2004; Al-Zayiadi 2004). Auch diese Vertierung verfehlt ihre Wirkung nicht. Sehr häufig berichten zum Beispiel die Insassinnen von Masanjia, sie seien „wie Tiere“ behandelt worden (Du 2013: 5:06; 17:56; 25:43). Slahi (2015: 81) wiederum schreibt, dass er sich manchmal „wie ein Schaf“ fühlte, „das zur Schlachtbank geführt wird“.[29]

Verbreitet ist auch die Anonymisierung als Entpersonalisierungsmethode. Sowohl in Abu Ghraib als auch in Guantanamo wurde jedem Insassen eine Nummer, in Abu Ghraib meist auch ein ‚Spitzname‘ gegeben, der anstelle des wirklichen Namens verwendet wurde (Fletcher & Stover 2009: 129; Mestrovic 2007: 11; Morris 2008: 39:40). Im Abu Ghraib-Gefängnis bezogen sich die Namen wiederholt auf Tiere oder Fäkalien („Big Bird“, „Shit Boy“), wodurch sich eine Kombination der genannten Methoden ergibt.[30]

Die beschriebenen Foltermethoden erschüttern den personalen Status der Opfer. Sie erfahren sich als Dinge, Tiere, Kinder oder „lebende Tote“ (Du 2013: 17:47); teils geht gar jeglicher Selbstbezug verloren. Auf symbolischer Ebene überschreitet sich die maximal asymmetrische Sozialbeziehung zwischen Folterern und Folteropfern damit gewissermaßen selbst. Einerseits kommt es zu einer Überhöhung, ja Selbst-Apotheose der Folterer;[31] auf der anderen Seite werden die Opfer zu etwas Nichtmenschlichem herabgewürdigt. Dem Opfer wird vermittelt, dass es kein Mensch ist, obwohl – so die zynische Pointe – nur ein Mitmensch dazu fähig ist, diese Mitteilung zu verstehen. Wesentlich für diese Entpersonalisierungserfahrungen ist, dass die Opfer ihren gewohnten sozialen Beziehungen entrissen wurden und ihre Identität damit kaum noch Bestätigung erfahren kann (Reemtsma 1991b: 13; Trotha 2010: 88). Die Bedingungen einer solchen sozialen Auslöschung rücken nun in den Blick.

3.4 Soziale Einbettung

„Für ein Wesen, für das Zugehörigkeit lebensnotwendig und konstitutiv ist, hat die Grausamkeit mit der Aktionsmacht des sozialen Ausschlusses vielfältige Wege, soziale und psychische Wunden zu schlagen.“ Diese Feststellung Trutz von Trothas (2010: 86) bewahrheitet sich auch im Fall der Folter immer wieder eindrücklich – und zwar in zweierlei Richtung:

Zum einen werden die engen Bindungen nach außen ausgenutzt. Slahi (2015: 306 f.) schildert, dass ihm immer wieder angedroht wurde, dass er seine Familie nie wieder sehen werde. In chinesischen Lagern wird der Zugang zur Familie oder zu Anwälten als Druckmittel eingesetzt. Der Besuch von Familienmitgliedern wird teils angekündigt und dann unterbunden, um Gefangene zu bestrafen. Auch der Briefkontakt wird nach Belieben eingeschränkt (Du 2013: 23:45; 26:22). Teils werden die Angehörigen über die Verhaftung oder den Haftort verzögert oder gar nicht in Kenntnis gesetzt, sodass auf beiden Seiten völlige Ungewissheit herrscht (AI 2013: 17).[32] Die Folterer forcieren demnach die Isolation des Opfers und wirken auf eine Auslöschung seiner bisherigen sozialen Existenz hin. Der Guantanamo-Häftling Mohamedou Slahi (2015: 287 f., 307) berichtet beispielsweise, dass ihm wiederholt damit gedroht wurde, ihn „in ein Loch“ zu stecken und seinen „Namen aus der Häftlingsdatenbank“ zu löschen, wodurch „man […] vergessen [wird], dass du noch lebst“.

Die bestehenden sozialen Bindungen der Häftlinge können darüber hinaus aufgrund der massiven Informationsasymmetrien in Foltersituationen ausgenutzt werden. Dies gelingt einerseits durch die Androhung von Gewalt oder anderen Strafen gegen nahestehende Personen. Ob diese Drohungen wirklich umgesetzt werden, können die Gefangenen nicht nachvollziehen, auch können sie niemanden informieren oder warnen (Mestrovic 2007: 11 f.; AI 2014: 24; Slahi 2015: 316 f., 339 ff.). Andererseits ist es möglich, die Gefangenen durch Falschinformation zu manipulieren. Slahi (2015: 262 ff.) berichtet beispielsweise, dass während seiner Zeit in Guantanamo nicht nur der Briefverkehr beliebig unterbunden und kontrolliert wurde, sondern sogar angebliche Briefe seiner Familie gefälscht wurden, um ihn unter Druck zu setzen.

Angriffe auf die soziale Einbettung zielen auch auf die internen Beziehungen. Hierzu wird das Opfer zum einen von internen Kontakten abgetrennt, was am konsequentesten durch Isolationshaft gelingt (z. B. Kurnaz 2007: 170 ff., 213 ff.; Slahi 2015: 285 f, 359; Du 2013: 13:40). Generell wird sowohl in den chinesischen Lagern als auch in Guantanamo versucht, unbeaufsichtigte Kommunikation unter Gefangenen zu unterbinden (z. B. Kurnaz 2007: 162, 194; Du 2013: 16:35). Darüber hinaus kann das anhaltende Ignorieren von Gefangenen in kopräsenten Situationen – eine radikale Form des „nonperson treatment“ (Goffman 1963: 84) – als Technik sozialer Deprivation genutzt werden. Wie der Bericht einer Masanjia-Insassin eindrücklich belegt, lassen sich äußere und innere Abschottung auch kombinieren, um die soziale Verletzbarkeit zu potenzieren: „One night they played a recording of a young child crying for its mother, over and over again all night, so loudly in the cell where I was being held in solitary confinement. It was so loud and constant that I could hardly sleep. They knew I had a young daughter at home.“ (AI 2013: 23) Hier wird die akustische Überlastung mit einer doppelten sozialen Deprivation verbunden. Die Abschottung von den internen Verbindungen wird benutzt, um die schmerzhafte Trennung von der Tochter verstärkt ins Bewusstsein zu heben.

Zum anderen werden die internen Sozialkontakte sabotiert, indem Rivalitäten und Konflikte zwischen den Insassen gezielt befördert werden. Dies geschieht in den „Laojiao“-Lagern vor allem dadurch, dass Gefangenen Statusverbesserungen und Hafterleichterungen zugebilligt werden, wenn sie andere überwachen, verraten oder verletzen (LRF 2006: 21). Das Resultat ist eine mehrstufige, arbeitsteilige Gefangenenhierarchie, die politisch „zuverlässige“ Insassen belohnt und die anderen unter zusätzlichen Umerziehungsdruck setzt (LRF 2006: 13; AI 2013: 25). Das Spektrum der Binnengewalt unter den Gefangenen reicht von einfachen Schlägen bis hin zu Folter und angeordneten Gruppenvergewaltigungen (AI 2013: 21, 26 f.; Du 2013: 12:52; 19:09). Im Lager Guantanamo wird die soziale Spaltung dadurch befördert, dass die Gefangenen aufgefordert oder gezwungen werden, belastende Informationen über andere Verdächtige preiszugeben (bzw. zu erfinden), die sich teils ebenfalls im Lager befinden. Zudem wird mittels Berichten über angeblich kooperierende (Ex-)Häftlinge Misstrauen gesät (z. B. Kurnaz 2007: 183; Slahi 2015: 352 ff., 363).[33]

All diese Techniken zeigen, dass direkte Angriffe auf den personalen Status in Folterkontexten durch indirekte Verletzungstechniken ergänzt werden, welche die soziale Einbettung der Opfer untergraben und ihnen damit die Möglichkeit nehmen, für ihre Identität Bestätigung und Anerkennung zu erfahren. Die Wirksamkeit dieses Folterkanals spiegelt sich in dem Risiko, das manche Häftlinge eingehen, um zumindest einseitig mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. So gelang es verschiedenen Insassen des Lagers Masanjia auf kreative Weise, Erlebnisberichte aus dem Lager herauszuschmuggeln (siehe Abschnitt 2). Die Berichte aus Guantanamo belegen zudem, dass auch der interne Zusammenhalt unter den Gefangenen trotz der Dissoziationsstrategien ein beträchtliches Resilienzpotential darstellen kann (z. B. Slahi 2015: 283 ff., 315).

3.5 Identitätsstiftende Werte

Ein fünfter Kanal der Verletzbarkeit besteht im Angriff auf identitätsstiftende Werte und damit verbundene Objekte und Praktiken. Als identitätsstiftend verstehe ich jene Werte, die für das Individuum sakralen Status im durkheimianischen Sinne haben. Die Werte werden also als subjektiv evident erfahren und sind mit starken Emotionen verbunden; zudem müssen sie aus Sicht der Individuen vor profanen oder unreinen Kräften geschützt werden.[34] In diesem Sinne kann nicht nur religiösen, sondern auch politischen oder ethischen Werten sakraler Status zukommen.

In den letzten beiden Jahrzehnten zielt das chinesische „Umerziehungssystem“ vor allem dort auf das religiöse Sakrale, wo die Meditationsbewegung Falun Gong oder der muslimische Teil der Bevölkerung betroffen sind (AI 2013: 20; NYT 2019; SZ 2019b). Von Falun Gong-Mitgliedern wird verlangt, Dokumente zu verfassen, in denen sie ihre „beleidigenden“ Überzeugungen als „Irrlehren“ verwerfen. Zudem müssen sie beeiden, dass sie alle Verbindungen zu anderen Mitgliedern durchtrennen und keine Falun Gong-Materialien mehr verbreiten. Ihre sogenannten „Geständnisse“ werden teils auf Video aufgenommen, um diese zu Propagandazwecken zu nutzen (AI 2013: 19). Wie im Fall von Abu Ghraib wird die Erniedrigung demnach vertieft, indem sie medial festgehalten wird, wenn auch für andere Zwecke. Auf säkulare Formen des Sakralen zielt die Folter, wo Bürgerrechtlerinnen oder Menschenrechtsaktivisten „umerzogen“ werden sollen. Sie müssen zugeben, dass sie kein Recht dazu hatten, ihre individuellen Beschwerden vorzubringen, und dass es keine legitime Basis für ein solches Vorgehen gibt (AI 2013: 19). Die abschließende Überprüfung des „Umerziehungserfolgs“ besteht dann in der Bereitschaft der Gefolterten, selbst aktiv an der „Umerziehung“ anderer Gefangener mitzuwirken, indem sie sie überwachen, unter Druck setzen oder foltern (AI 2013: 27). Nowak (2012: 105) berichtet, dass die meisten Lagerinsassen, die aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen einsitzen, früher oder später „dem ständigen Umerziehungsdruck einfach nicht mehr standhalten“ können. In Berichten von ehemaligen Insassen wird deutlich, dass dieser Prozess der Verleugnung und des Verrats als besonders schmerzhaft und beschämend empfunden wird (AI 2013: 27).

Identitätsstiftende Werte wurden auch regelmäßig in den US-amerikanischen Folterinstitutionen angegriffen. So wurden den muslimischen Männern etwa die Bärte abrasiert und Gebete unterbunden (Fletcher & Stover 2009: 30, 53 ff.). Darüber hinaus wurden sie zu Handlungen gezwungen, die ihren religiösen und moralischen Vorstellungen widersprechen: Beispiele sind die Nachahmung homosexueller Praktiken, der Körperkontakt mit fremden Frauen oder der Zwang zu (Falsch-)Aussagen gegen Glaubensgenossen (Morris 2008: 34:20, 35:20, 36:40; Binder 2013: 322 ff.; Kurnaz 2007: 169 ff.; Slahi 2015: 352 ff., 363).

Die Verbundenheit der Individuen mit den für sie konstitutiven Werten wird in den beschriebenen Fällen somit auf zwei unterschiedliche Weisen attackiert. Zum einen werden die Folteropfer – etwa durch das Gebetsverbot – daran gehindert, ihren gewohnten „positiven Kult“ zu praktizieren, also jene rituellen Handlungen, die eine geordnete Verbindung zum Bereich des Sakralen ermöglichen. Zum anderen wird der „negative Kult“ der Insassen angegriffen.[35] Die üblicherweise sorgsam aufrechterhaltene Abtrennung des Sakralen und Profanen wird niedergerissen, wenn etwa sexuelle Tabus gewaltsam überschritten, Reinigungsriten sabotiert oder heilige Gegenstände – wie der Koran – beschmutzt werden (z. B. Kurnaz 2007: 148 ff.; Slahi 2015: 284 f.). Das Sakrale – sonst mit Gefühlen von „Respekt, Begierde und Schrecken“ verbunden (Leiris 2012[1938]: 98) – wird somit entwertet und der Lächerlichkeit oder Verachtung preisgegeben. Es wird gewaltsam in die profane Welt gezerrt und/oder durch das linke – also unreine – Sakrale beschmutzt.[36]

Die Verletzungen des Sakralen, so zeigt sich, weisen in den beiden Fällen ein unterschiedliches Muster auf. Die Insassen von Abu Ghraib und Guantanamo leiden vor allem an der Profanierung ihrer identitätsstiftenden Werte, während die Insassen der chinesischen Lager Opfer von Zwangskonversion werden. Wie in anderen Kontexten lässt sich die Folter also auch in den hier untersuchten Fällen „als extreme Form gewalttätiger sekundärer Sozialisation, als erzwungene Erschütterung und Umstrukturierung des Individuums“ betrachten (Burschel et al. 2000: 10). Auffällig ist hierbei, dass es gerade im Zusammenhang mit Angriffen auf identitätsstiftende Werte wiederholt zu Rückgriffen auf körperlich-dingliche Grunderfahrungen kommt. Die erwähnte „Erschütterung“ und vor allem die wiederholt verwendete Metapher des „Brechens“ verweisen auf die untrennbare Verschränkung von körperlicher, religiöser, moralischer und sozialer Integrität (z. B. Mestrovic 2007: 6; Kurnaz 2007: 198; Du 2013: 19:12).[37] Innerhalb dieses metaphorischen Rahmens lässt sich dann festhalten, dass die Folteropfer im „War on Terror“ den Vorgaben entsprechend „gebrochen“ und ihre „Splitter“ achtlos liegen gelassen wurden. Im Gegensatz dazu sollen die Insassen der chinesischen Lager zunächst systematisch gebrochen werden, bevor aus den „Bruchstücken“ neue Menschen „zusammengesetzt“ werden, die den Ansprüchen der Staatsideologie entsprechen.

3.6 Erwartungshorizonte

Eine weitere grundlegende Möglichkeit, Leid zuzufügen, besteht in der Unterminierung von Erwartungshorizonten. Den Betroffenen wird damit die Möglichkeit genommen, ihrem eigenen Handeln eine zeitliche Struktur zu verleihen und ihren Werten gemäß zu handeln.

Die Manipulation von Erwartungshorizonten kann erstens durch Affordanzdeprivation gelingen, also dadurch, dass man die Umgebung der Gefangenen von Beschäftigungsmöglichkeiten freihält und auch die verbleibenden Handlungsspielräume strikt reglementiert. Erzeugt wird dadurch ein ‚leerer‘ Erwartungshorizont, der die Betroffenen in eine scheinbar endlose Langeweile zwingt. Diese Strategie wurde (und wird) in radikaler Form im Gefangenenlager Guantanamo praktiziert. Die Eingriffstiefe dieser Maßnahmen wird an den Ausführungen von Murat Kurnaz (2007: 96) deutlich:

„In der ersten Nacht musste ich lernen, dass ich die Decke lediglich über meine Beine schlagen durfte. Dass ich nicht auf der Seite liegen durfte, sondern nur auf dem Rücken. In den Tagen danach musste ich lernen, dass ich im Käfig nicht aufstehen und herumlaufen durfte, sondern tagsüber zu sitzen und in der Nacht zu liegen hatte, und wenn man sich tagsüber hinlegen wollte, wurde man auch bestraft. Wir durften den Maschendraht nicht berühren und uns im Sitzen nicht daran anlehnen. Wir durften nicht sprechen. Wir durften die Wärter nicht ansprechen und sie nicht ansehen. Wir durften nicht mit dem Finger im Staub malen, nicht pfeifen, summen, singen oder lächeln.“

Einen Angriff auf Erwartungshorizonte stellt auch die Überlastungsfolter dar, die in gewisser Weise das Gegenteil der Handlungsdeprivation ist. Sehr häufig tritt diese Form in den chinesischen Lagern auf. Die zunehmende ökonomische Konkurrenz, eine stärkere Exportorientierung und politische Vorgaben führten im Laufe der Zeit zu einem erhöhten Druck auf die einzelnen Lager, wodurch es zu einer nochmaligen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kam (LRF 2006: 24; AI 2013: 18). Unter Hunger leidend, ohne die notwendige Schutzausrüstung und von Gewalt bedroht, arbeiten die Insassen 10 bis 16 Stunden jeden Tag. Gefangene aus dem „Laojiao“-Arbeitslager Masanjia berichten von unmöglich zu erreichenden Zielvorgaben (AI 2013: 17 f.; Du 2013: 8:35, 9:52, 12:00). Da die Vorgaben verfehlt werden, wird den Insassinnen regelmäßig ihr finanzieller Unwert vorgehalten (Du 2013: 14:10, 27:20). Das Ergebnis ist in diesen Fällen ein ‚überfüllter‘ Erwartungshorizont, in dem sich körperliche Überanstrengung und ständige Angst vor disziplinierender Gewalt mit der Unerfüllbarkeit der Aufgaben verbinden.

Eine dritte Möglichkeit, Erwartungshorizonte zu zerstören, ist die Konfrontation mit radikaler Willkür und absurden Handlungssituationen. In den chinesischen Lagern müssen etwa viele Gefangene das Strafgesetzbuch auswendig lernen – selbst jene Häftlinge, die „kein Wort Chinesisch“ (Nowak 2012: 103) sprechen. Im Lager Guantanamo werden immer wieder willkürlich die Regeln verändert, um ad hoc Normverstöße und damit Strafgründe zu kreieren (Kurnaz 2007: 188 f.; Slahi 2015: 356). Bekannt sind auch Verhöre, bei denen jede Aussage als Lüge charakterisiert und jedwede Möglichkeit der kommunikativen Klarstellung verhindert wird (Kurnaz 2007: 95 ff., 101 ff.). Hier leiden die Betroffenen an einem ‚chaotischen‘ Erwartungshorizont.

Das Leiden in Folterinstitutionen resultiert demnach zum Teil daraus, dass ihre Abläufe und Sanktionsmechanismen – im Gegensatz zu vielen anderen totalen Institutionen (Goffman 1961: 6) – keinem übergreifenden und nachvollziehbaren Plan folgen. Folterinstitutionen untergraben das Verlangen nach typisierten und institutionalisierten Mustern (Berger & Luckmann 2007[1966]: 49 ff.). Sie frustrieren auch das Bedürfnis der Insassen, die Absichten, Motive und Ziele des Gegenübers nachzuvollziehen. Warum ihnen etwas Bestimmtes angetan wird und was sie tun müssten, damit es aufhört oder nächstes Mal verhindert werden kann, bleibt in vielen Situationen opak. Auch die gesteigerte Intensität und Genauigkeit von Beobachtung und Perspektivenübernahme, die etwa Missbrauchsopfern teils eine gewisse Voraussicht des Täterverhaltens und damit eine situative Restkontrolle ermöglichen (z. B. Forte et al. 1996), sind für Folteropfer meist keine Hilfe. Und das obwohl in Erfahrungsberichten deutlich wird, wie geschickt die Betroffenen Informationen zusammenklauben (z. B. Slahi 2015: 284 ff., 357 ff.).

Abb. 1: Systematisierung menschlicher Verletzungsoffenheit am Beispiel der Folter
Abb. 1:

Systematisierung menschlicher Verletzungsoffenheit am Beispiel der Folter

4 Gewalt- und sozialtheoretische Implikationen

Im Anschluss an die konkrete Folteranalyse und die konzeptuelle Auffächerung der Verletzbarkeit drängen sich Fragen von allgemeinerer gewalt- und sozialtheoretischer Tragweite auf.[38] Zentral erscheint zunächst die Frage, ob sich die identifizierten Verletzungskanäle in einen systematischen Zusammenhang bringen lassen. Diese Frage soll im Rückgriff auf pragmatistische Grundüberlegungen zur Verschränkung von Verletzungsoffenheit und Handlungsfähigkeit bejaht werden (4.1). Gerade der Zusammenhang von Verletzbarkeit und Handlungsfähigkeit ist dann auch zentral, wenn die Möglichkeiten des Widerstands in Kontexten vollkommener Macht reflektiert werden (4.2). Aus einer anthropologischen Warte erscheint schließlich die Frage wesentlich, ob die aufgezeigten Verletzungsmöglichkeiten humanspezifisch sind. Diesbezüglich wird argumentiert, dass Tiere zwar auf mannigfaltige Weise verletzungsoffen, nicht aber folterbar sind (4.3).

4.1 Verletzungsoffenheit – ein Systematisierungsvorschlag

Anknüpfend an zwei pragmatistische Kernideen soll nun gezeigt werden, dass sich in der Vielfalt auch eine Systematik der Verletzbarkeit erkennen lässt. Ausgangspunkt des Systematisierungsvorschlags ist die Vermutung, dass sich das Verletzungspotential der identifizierten Kanäle daraus ergibt, dass sie unauflöslich mit Grundbedingungen menschlicher Handlungsfähigkeit verschränkt sind.

Wesentlich für das erste Argument ist der konstitutiv relationale Charakter der menschlichen Handlungsfähigkeit (grundlegend Dewey 1958[1925/29]). Diese Annahme führt zum einen dazu, dass nicht nur betrachtet wird, wie der Mensch in seine Umwelt hinein handelt, sondern immer auch, wie diese kontingente Handlungsumwelt darauf reagiert. Handeln beinhaltet also stets aktive wie passive Momente, es ist im Grunde „action-undergoing“ oder „doing and suffering“ (Dewey 1958[1925/29]: 23; 2004[1920]: 49). Die relationale Perspektive impliziert zum anderen, dass Handlungskompetenzen erst im Zuge der Umweltinteraktion konstituiert werden. Beispielsweise wird laut Mead selbstreflexives Handels und Identitätsgenese erst im sozialen Austausch möglich (dazu Nungesser 2020). Daraus ergibt sich eine unaufhebbare Abhängigkeit des Menschen von seiner Handlungsumwelt.

Die konstitutive Abhängigkeit von der Umwelt wird von den klassischen Pragmatisten nicht eingehend mit Gewalterfahrungen in Verbindung gebracht. Sie betrachten meist, wie Handeln aufgrund von Widerfahrnissen angepasst wird und wie Erfahrung sich im Austausch mit der Umwelt anreichert. Vor dem Hintergrund der hier betrachteten Phänomene lässt sich diese Perspektive erweitern. Die Folter lässt sich dann als Versuch verstehen, die Verwobenheit der Individuen mit ihrer Umwelt auszunutzen. Dies geschieht zum einen, indem die Handlungsumwelt anvisiert wird. In diesem Sinne lassen sich die Eingriffe in die Territorien des Selbst, in die soziale Einbettung und in die Erwartungshorizonte als Manipulation der materiellen, sozialen und temporalen Dimensionen der Umwelt interpretieren. Von den Eingriffen in die Handlungsumwelt lassen sich Angriffe auf die grundlegenden Handlungskompetenzen der Folteropfer unterscheiden. Zu diesen zählen die ontogenetisch angeeignete Körperkontrolle, der sozial konstituierte personale Status und die soziokulturell grundierten Wertorientierungen. Metaphorisch gesprochen lassen sich Körperkontrolle, personaler Status und identitätsstiftende Werte als „Grundpfeiler“ der Handlungsfähigkeit verstehen, die im Zuge vergangener Umweltinteraktionen erworben wurden. Diese Pfeiler werden von den drei Dimensionen der Handlungsumwelt gestützt. Die Territorien des Selbst, die soziale Einbettung und die Erwartungshorizonte lassen sich daher als „Streben“ der Handlungsfähigkeit verstehen.

Die Unterscheidung von Pfeilern und Streben lässt erkennen, dass Verletzungserfahrungen aus Angriffen auf Kernkompetenzen und -eigenschaften eines Subjekts resultieren oder aber aus Eingriffen in seine konstitutiven Umweltbeziehungen folgen können. Hiervon ausgehend lässt sich fragen, in welchem Verhältnis die verschiedenen Pfeiler und Streben zueinander stehen. Instruktiv ist in diesem Zusammenhang der Rückgriff auf Hans Joas’ (2002[1992]: Kap. 3) Rekonstruktion von drei Grundbedingungen der Handlungsfähigkeit, die ihm zufolge in der soziologischen Theorie lange Zeit ignoriert wurden. Diese Grundbedingungen lassen sich als drei Konstitutionsachsen menschlicher Handlungsfähigkeit verstehen, die ich als „Körperlichkeit“, „Sozialität“ und „Sinnstiftung“ bezeichne.[39] Die identifizierten Verletzungskanäle lassen sich entlang dieser drei Konstitutionsachsen paarweise anordnen:

Folterpraktiken, so wurde gezeigt, unterminieren – teils direkt, teils indirekt – die Körperkontrolle der Opfer. Zugleich werden in Folterinstitutionen die Territorien des Selbst systematisch verengt. Minimiert wird dadurch die Möglichkeit, Körperkontrolle aufrechtzuerhalten und sich der Wirksamkeit des eigenen Körpers im Raum und durch Dinginteraktion materiell zu versichern. Die Kompetenz der Körperkontrolle und die sie stützenden Territorien sind demnach mittels der Achse der Körperlichkeit verkoppelt. Folterpraktiken greifen darüber hinaus den personalen Status an. Die Betroffenen werden auf Nichtmenschliches reduziert – etwa durch Vertierung oder Anonymisierung. Zugleich wird die soziale Einbettung der Opfer ausgehöhlt – etwa durch Abtrennung von außen und Konflikt nach innen. Verhindert wird damit, dass die Betroffenen ihre persönliche Identität im sozialen Kontakt stabilisieren und Anerkennung erfahren. Personaler Status und soziale Einbettung sind damit auf der Achse der Sozialität verklammert. Schließlich zielen Folterpraktiken auf die identitätsstiftenden Werte der Betroffenen; sie beschädigen oder entweihen jene „starken Wertungen“ (Taylor 1988), welche die Wünsche des Subjekts etwa in tugendhafte oder lasterhafte unterteilen und seinem Handeln damit einen sinnstiftenden Rahmen geben. Zugleich werden die Erwartungshorizonte der Opfer durch Affordanzdeprivation, Überlastung oder Willkür in einer Weise deformiert, die ein Leben gemäß starken Wertungen systematisch verunmöglicht. Werte und Erwartungshorizonte lassen sich demnach auf der Achse der Sinnstiftung verorten.

Am Beispiel der Folter lässt sich demnach eine Systematisierung der menschlichen Verletzungsoffenheit entwickeln, die in Abbildung 1 grafisch zusammengefasst wird. Dieser Systematisierung zufolge lassen sich die sechs Kanäle der Verletzbarkeit einerseits in drei ontogenetisch erworbene Pfeiler und drei aus den Umweltrelationen erwachsende Streben unterscheiden. Andererseits lassen sich die sechs Kanäle mit den drei Konstitutionsachsen der Handlungsfähigkeit – Körperlichkeit, Sozialität und Sinnstiftung – verknüpfen.[40]

4.2 Vollkommene Macht und Widerständigkeit

Folter ist eine radikal asymmetrische Form der Gewalt, die sich zumeist in Kontexten nahezu „vollkommener“ oder „absoluter Macht“ ereignet.[41] Richtig erscheint daher Sofskys (1996: 89) und Grünys (2003: 98 f.) Warnung davor, die Folter zugleich zu verharmlosen und misszuverstehen, indem man sie als eine Art von „Duell“, „Kraftprobe“ oder „Wettkampf“ charakterisiert. Problematisch erscheint jedoch, aus der radikalen Asymmetrie pauschal zu schließen, dass die Folter jegliches Handeln auf Seiten des Opfers „eliminiert“ (Sofsky 1996: 89). Die hier vorgeschlagene Systematisierung kann einen alternativen Blick auf diese Streitfrage eröffnen, da sie Handeln und Erleiden konzeptuell verknüpft. Sie erlaubt einerseits, Folterakte als Angriffe auf die Pfeiler der Handlungsfähigkeit und die sie abstützenden Streben in der Handlungsumwelt zu interpretieren. Andererseits ermöglicht sie es, Coping- und Widerstandspraktiken als Versuche zu deuten, die Pfeiler und Streben des Weltzugangs zu verteidigen oder zumindest in Fundamenten zu bewahren. Unverzichtbar bleibt dabei jedoch, die grundsätzliche Asymmetrie der Folterkonstellation nicht aus dem Blick zu verlieren, innerhalb derer sich das Widerstandshandeln ereignet. Hier ergeben sich erneut Nähen zu Popitz’ Position, der die „Antinomien der Machtvollkommenheit“ diskutiert und anhand der „beiden großen Symbolfiguren des radikalen Widerstandes“ illustriert: Der Attentäter ist hierbei das „Symbol des radikal aktiven“, der Märtyrer hingegen das „Symbol des radikal passiven Widerstandes“ (Popitz 2004[1992]: 57, 58, 59).

Auch in den analysierten Fällen finden sich solche großen Widerstandsmomente, wobei zwei passive Strategien dominieren. Zum einen nutzten etwa die Gefangenen in Guantanamo immer wieder das Mittel des Hungerstreiks, um gegen bestimmte Maßnahmen oder Übergriffe – insbesondere Koranschändungen – zu protestieren (Fletcher & Stover 2009: 74 ff.; Kurnaz 2007: 148 ff., 170 f., 200 f.; Slahi 2015: 255, 299, 313). Da der Tod im Rahmen der Folter ein „Kunstfehler“ (Sofsky 1996: 88) ist[42] und zudem weiter die Hoffnung auf Informationsgewinnung im Zuge der Verhöre besteht, scheint diese Strategie tatsächlich ein gewisses Druckmittel darzustellen. Kurnaz (2007: 150, 154) berichtet, wie ein wochenlanger kollektiver Hungerstreik zu Zugeständnissen der Lagerleitung führte und er daraufhin den Eindruck gewann, „nicht völlig machtlos“ zu sein. Mit dem Wechsel der Leitung setzte sich dann aber die Einsicht durch, dass dies „nur eine Illusion“ gewesen sei. Die eigenen Belastungsgrenzen und auch die Möglichkeit der Zwangsernährung sorgten dafür, dass die radikale Asymmetrie der Situation bestehen blieb. Aus dieser Einsicht ergibt sich gewissermaßen die andere große Widerstandsstrategie: „Eine letzte Bewährung persönlicher Freiheit ist der Entschluß, sich selbst das Leben zu nehmen. Wer sich selbst tötet, entzieht sich aller Unterwerfung.“ (Popitz 2004[1992]: 59) Trotz des großen Aufwands, diese letztmögliche Protesthandlung zu unterbinden,[43] kam es in beiden Folterkomplexen wiederholt zu Suizidversuchen, die oft verhindert werden konnten (Kurnaz 2007: 200; Du 2013: 23:51; 24:05), teils aber tödlich endeten (für Guantanamo siehe Fletcher & Stover 2009: 55, 80 ff.).

Die präsentierte Analyse der Verletzungskanäle deutet allerdings darauf hin, dass sich Widerständigkeit nicht in den Figuren und Strategien des großen Widerstands erschöpft. Sie legt vielmehr nahe, dass auch die kleinen Widerstandsmomente in Gewaltanalysen im Blick zu behalten sind. Damit meine ich jene Praktiken, die das jeweilige Machtgefüge nicht grundlegend verändern, aber eine gewisse – oft nur kurzfristige – Entlastung auf Seiten der Betroffenen ermöglichen. Die Herausforderung besteht darin, eine Sprache zu finden, welche die radikale Asymmetrie des Folterkontexts nicht relativiert, zugleich aber sensibel bleibt gegenüber Resilienzen, Coping-Strategien und widerständigen Handlungen.[44]

Trotz des erdrückenden Machtungleichgewichts können solche kleinen Widerstandsmomente im Material für jeden der Verletzungskanäle identifiziert werden: Beispielsweise lernten die Guantanamo-Gefangenen nach und nach trotz Bewegungslosigkeit und Kälte eine Restkontrolle über den Körper zu erhalten (Kurnaz 2007: 142 f., 168). Slahi (2015: 324) provozierte während der Verhöre manchmal bewusst die anwesenden Personen, da ihm der üblicherweise folgende Tritt eine leichte Veränderung der aufgezwungenen Stressposition erlaubte. Auch gibt es ein stetes Bemühen, manche Informationen, Gespräche, Gegenstände oder Lebensmittel – sozusagen Kleinstterritorien des Selbst – geheim zu halten (Kurnaz 2007: 163; Slahi 2015: 283 f., 303; Du 2013: 15:27; 16:07). Um den personalen Status zu bewahren, versuchen die Gefangenen, dem identitätsgefährdenden Umfeld statusstützende Momente entgegenzusetzen. Wichtig sind hierbei etwa die Anerkennung durch Leidensgenossinnen und -genossen oder die gelegentliche Unterstützung durch mitfühlende Wärter (Kurnaz 2007: 205 ff.; Slahi 2015: 277; Du 2013: 6:23; 6:34). In manchen Camps von Guantanamo gelang es den Gefangenen Kurnaz (2007: 148 ff.) zufolge sogar, trotz der massiven kommunikativen Einschränkungen eine informelle Hierarchie und strukturierte Entscheidungsprozesse zu etablieren. Erkennbar wird damit auch schon die soziale Unterstützung durch die anderen Insassen als zentrale Resilienzquelle. Auch die Verschriftlichung der Erfahrung während der Gefangenschaft – wie im Fall der Masanjia-Häftlinge oder bei Slahi – ermöglicht einen minimalen Kontakt zur Außenwelt.[45] Ein wesentliches Widerstandspotential ergibt sich zudem aus den vielfältigen wertbasierten Coping-Strategien. Individuell zeigen sich diese in der Relativierung körperlicher Verletzungen gegenüber der übergeordneten Bedeutung moralischer Integrität (Du 2013: 18:55), in den heimlichen Gebeten (Kurnaz 2007: 142, 193; Slahi 2015: 283 f., 303) oder in der Hoffnung auf eine höhere, jenseitige Gerechtigkeit (Kurnaz 2007: 146 f., 191).[46] Kollektiv versichern sich die Gefangenen durch das gemeinsame Aufbegehren gegen missachtende Erfahrungen ihrer Werte (Kurnaz 2007: 148 ff.; Du 2013: 22:37). Deutlich wird in den Berichten schließlich das Bemühen, den Erwartungshorizonten Inhalt und Struktur zu verleihen. Dies geschieht etwa, indem Informationen zu Ort und Zeit zusammengeklaubt werden (Kurnaz 2007: 167), die eigene Arbeitsleistung betont wird (Du 2013: 9:52), „die Löcher des Käfigs“ gezählt werden („Es sind rund viertausendeinhundert“) (Slahi 2015: 359 f.) oder Sprachen von Mitgefangenen erlernt werden (Kurnaz 2007: 153, 162).

4.3 Folterbarkeit und anthropologische Differenz

Um die Folter soziologisch angemessen zu verstehen, ist es unerlässlich, sich von den Verdrängungs- und Pathologisierungsnarrativen zu lösen, welche für den modernen Gewaltdiskurs charakteristisch sind (v. a. Reemtsma 2013: 256 ff.). Die Folter ist nicht „barbarisch“, „vormodern“ oder „krank“; und sie wird nicht von „Unmenschen“ oder „Tieren“ durchgeführt. Im Gegenteil: Sowohl das Ausführen als auch das Erleiden von Folter ist nur aufgrund von humanspezifischen Formen der Handlungsstrukturierung, Imagination und Sozialkognition möglich. Damit ist nicht gesagt, dass nichtmenschliche Tiere nicht in verschiedener Hinsicht verletzungsoffen sind. Auch für tierische Lebensformen ließen sich Verletzungskanäle identifizieren. Viele Tiere leiden etwa unter Einschränkungen der Körperkontrolle, fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten oder sozialer Isolation (z. B. Aaltola 2012) – eine Tatsache übrigens, die in der Gewaltsoziologie gewöhnlich ausgeblendet wird (Buschka et al. 2013). Spezifisch für die Folter ist jedoch, dass Verletzungshandlungen und -erfahrungen hier eingespannt sind in einen kommunikativen, organisatorischen und politischen Kontext. Ohne diesen Kontext würde die Folter von anderen Formen der Grausamkeit ununterscheidbar. Und erst ein Verständnis dieses Kontexts lässt eine Person folterbar werden. Zumindest drei menschliche Charakteristika sind für ein solches Verständnis unverzichtbar:

i) Anknüpfend an Popitz (2004[1992]: 48) liegt zunächst der Verweis auf die „Entgrenzung des menschlichen Gewaltverhältnisses“ nahe. Die Folter ist nicht an spezifische Situationsmerkmale, Schlüsselreize oder Aggressionspotentiale gebunden. Sie zeugt in großer Deutlichkeit von der „relativen Instinktentbundenheit“ des Menschen, also von der Loslösung sowohl von „Handlungszwängen“ wie von „Handlungshemmungen“.[47]

ii) Wesentlich ist zweitens die Verknüpfung von kulturellem Gewaltwissen und Imagination. Die betroffenen Personen wissen um die Institution der Folter und die folternde Seite kann auf dieses Wissen zählen. Tradierte Wissensbestände dienen dann als Basis für die Imagination möglichen Leids, deren Bedeutung für die „Entgrenzung des Gewaltverhältnisses“ wiederum von Popitz betont wird. Zu Recht betont Popitz, dass die Gewalt „nicht an Erlebtes gebunden“ ist. Dennoch knüpft die „Uferlosigkeit unserer Vorstellungskraft“[48] an kulturell tradiertes Wissen an. Das „Zeigen der Instrumente“ (Reemtsma 2013: 126) kann als geradezu archetypische Situation angesehen werden, in der dieses Gewaltwissen zum Treibmittel der Imagination wird.[49]

iii) Unmöglich wäre die Folter zudem ohne die Fähigkeiten zur Perspektivenübernahme, geteilten Intentionalität und symbolischen Kommunikation, deren Entstehung im Zuge der Anthropogenese sich im Anschluss an Autoren wie George Herbert Mead und Michael Tomasello verstehen lässt (z. B. Mead 1980[1925]; Tomasello 2008; Nungesser 2016b). Die genannten Autoren bringen die Genese dieser Kompetenzen vor allem mit der Zunahme von Kooperation im Laufe der Menschwerdung in Verbindung. Im Hinblick auf die Folter ist jedoch die Einsicht zentral, dass diese Humanspezifika auch zuvor (im wahrsten Sinne des Wortes) undenkbare Formen von Gewalt ermöglichten. Dies gilt für die verletzende Seite, die implizit oder explizit um die Verletzungsoffenheit des Opfers weiß und die Verletzungskanäle daher gekonnt ausnutzen kann.[50] Es gilt aber auch für die erleidende Seite. Menschen sind nur deswegen folterbar, weil sie die Perspektive Anderer übernehmen und damit deren Aussagen, Drohungen und Verletzungsabsichten verstehen können.[51] Während die Perspektivenübernahme in Situationen praktischer Zusammenarbeit ein wesentlicher Vorteil ist, verkehrt sich dieser in Situationen wie der Folter ins Gegenteil. Die Opfer leiden unter ihren Fähigkeiten zum Teilen von Perspektiven und zum Verstehen von symbolischer Kommunikation (dazu detaillierter Nungesser 2016a).

Im Zusammenspiel lassen die drei genannten Humanspezifika den Menschen folterbar werden. Nur auf ihrer Grundlage verstehen die Betroffenen, dass ihnen grenzenlose Gewalt angetan werden kann – aber nicht muss. Sie erkennen auch, dass sie sich in einem Folterkontext befinden und was in einem solchen Kontext mit ihnen passieren kann. Schließlich begreifen sie, dass der potentiell grenzenlosen Gewalt in Folterkontexten eine symbolische Funktion zukommt, dass sie also auch deswegen verletzt werden, um auf etwas anderes zu verweisen. Diese Funktion kann konkret erkennbar sein – etwa wenn Informationen gewonnen oder Geständnisse erzwungen werden sollen (Nowak 2012: 64 ff.).[52] Es kann aber auch kein konkreter kommunikativer Inhalt erkennbar sein. In diesen Situationen besteht der Mitteilungswert der erratisch wirkenden Gewalt meist darin, eine ständige Drohkulisse aufzubauen und zu zeigen, wer „Herr im Haus“ ist (Grüny 2003: 85; Nowak 2012: 66). Damit richtet sich die kommunikative Absicht der Folterer gerade auch an Dritte (Grüny 2003: 81 ff.).[53]

In den analysierten Materialien lässt sich erkennen, dass sich die Betroffenen den Bedingungen ihrer Folterbarkeit in gewisser Weise bewusst sind und dass sie um die kommunikative Struktur der Foltersituation wissen:

i) Die Opfer leiden offensichtlich an der Entgrenzung der Gewalt. Identifizierbare Faktoren, die Gewalt auslösen oder verhindern, scheinen meist nicht zu existieren. Den Guantanamo-Insassen wird etwa vermittelt, dass sie jederzeit, ohne Anlass und grenzenlos gefoltert werden können. So wird z. B. Slahi (2015: 319) von dem ihn verhörenden Offizier mitgeteilt: „‚Jetzt habe ich die totale Kontrolle über dich. Ich kann mit dir machen, was ich will […]‘“. Entsprechend leiden die Opfer an der Entgrenzung und Kontingenz der Gewalt und daran, dass sie um diese Entgrenzung und Kontingenz wissen. Denn ihre Peiniger sind Menschen, die jederzeit auch anders handeln, das heißt auch aufhören könnten. Nüchtern konstatiert Slahi (2015: 118): „Die Häftlinge […] sind der Willkür derer, die sie verhören, vollständig ausgeliefert, was für die Vernehmungsbeamten ideal ist.“[54]

ii) Auch die Bedeutung von Gewaltwissen und Imagination zeigt sich im Material: Kurnaz (2007: 159) berichtet, wie Filme und Berichte über US-Gefängnisse anfangs seine Zukunftserwartungen prägten, während Slahi (2015: 329) seine Situation stetig mit den Berichten von Bekannten abglich. Dieses diffuse Gewaltwissen diente dann jeweils der Imagination als Nährboden: „Die übrige Zeit redete ich mit mir selbst, dachte wieder und wieder über mein Leben nach und malte mir aus, was mir schlimmstenfalls noch bevorstehen konnte.“ (Slahi 2015: 359 f.) Teils wird diese Imagination auch von folternder Seite angeregt. So wird etwa Kurnaz (2007: 88) gleich zu Beginn prophezeit: „Wir werden eine sehr schöne Zeit zusammen haben.“[55]

iii) Immer wieder findet sich in den Materialien der Wunsch, der Folterbarkeit zu entgehen, indem man unfähig wird, an Perspektivenübernahme und Kommunikation teilzuhaben. Slahi (2015: 83) etwa schreibt: „Ich verfluchte den Tag, an dem ich angefangen hatte, mir mein erbärmliches englisches Vokabular anzueignen. In solchen Situationen ist es einfach hundertmal besser, wenn man kein Englisch versteht.“ An anderer Stelle schreibt er: „Ich sehnte mich danach, in Ohnmacht zu fallen, um nicht leiden zu müssen. Das war der Hauptgrund für meinen Hungerstreik.“ (Slahi 2015: 299) Auch bei Kurnaz (2007: 187) findet sich dieser Wunsch, die folterbare Verfassung hinter sich zu lassen: „Tage, Nächte ohne Schlaf. Schläge, neue Käfige. Wieder dieses Stechen im ganzen Körper, wie von tausend Nadeln. Ich wäre gern aus meinem Körper ausgestiegen, herausgesprungen, aber es ging nicht.“ Er hätte auch mit Popitz (2004[1992]: 45) sagen können „Wir können uns in der Beziehung zu einer anderen Person nicht aus unserem Körper zurückziehen.“

Die Erfahrungsberichte bringen die Grundbedingungen der Folterbarkeit somit oft in erstaunlich klarer Weise zum Ausdruck. Zum einen dort, wo sie den verzweifelten Wunsch formulieren, diese Bedingungen nicht mehr zu erfüllen. Zum anderen dort, wo sie beschreiben, dass die folternde Seite etwa im Rahmen von Hungerstreiks darauf achten muss, dass ihre Opfer folterbar bleiben (Kurnaz 2007: 187 f.).[56]

5 Vielfalt und Variabilität menschlicher Verletzbarkeit. Ausblick

Die Tendenz der Soziologie, mehr das Handeln als das Erleiden, mehr die Aktivität als die Passivität zu betrachten, wurde in den letzten Jahren im Hinblick auf verschiedene Phänomenbereiche vermehrt wahrgenommen und problematisiert.[57] In Verlängerung dieses theoriekritischen Impulses wurde in diesem Aufsatz argumentiert, dass der aktivistische Bias auch die gewaltsoziologische Ausblendung der Momente der Verletzbarkeit und des Erleidens befördert hat. Ziel der präsentierten Analyse war, anhand einer detaillierten Analyse von Foltererfahrungen dieser Ausblendung entgegenwirken und zu einer differenzierten Erfassung von Verletzungsoffenheit beizutragen, die zum einen phänomensensibel und theoretisch weiterführend ist und zum anderen das Wechselspiel von Erleiden und Handeln im Blick behält.

Zum Abschluss der Untersuchung sollen nun noch drei mögliche Erweiterungen der hier eröffneten Perspektive angedeutet werden, durch welche die i) soziokulturellen Muster und ii) die Historizität von Folterbarkeit sowie iii) die Formen menschlicher Verletzbarkeit im Allgemeinen verstärkt in den Fokus rücken würden.

i) Aufgrund seiner Zielsetzung konzentrierte sich der Aufsatz darauf, aus den konkreten Verletzungserfahrungen in den beiden sehr unterschiedlichen Folterkomplexen ein kategoriales Schema abzuleiten und theoretisch zu reflektieren, um so zu einer fallübergreifend anwendbaren Systematisierung von Verletzungsoffenheit zu gelangen. Die Eigenheiten der Fälle und die Kontraste zwischen ihnen waren hingegen von nachrangiger Relevanz. Gerade auf Grundlage der fallübergreifenden Systematisierung wird es jedoch möglich, nach spezifischen soziokulturellen Mustern der Verletzbarkeit zu fragen, die sich in spezifischen Folterkontexten zeigen.[58]

Auch wenn der Fokus nicht auf dieser Frage lag, so ermöglicht ein Vergleich der beiden Fälle doch einige Einsichten. Auffällig sind zunächst unterschiedliche Muster gruppenspezifischer Verletzbarkeit – insbesondere im Zusammenhang mit Geschlecht und Religion. Greifbar wird dies vor allem an den sexualisierten Entwürdigungen, die jeweils Angriffe auf die Körperkontrolle mit Verletzungen des personalen Status und der identitätsstiftenden Werte verbinden (3.3). In den Aussagen der Abu Ghraib-Insassen wird deutlich, wie ihre kulturellen Normen und Geschlechtervorstellungen verletzt wurden, da sie zur Nachahmung gleichgeschlechtlicher Sexualpraktiken oder zum Tragen weiblicher Unterwäsche gezwungen wurden. Die Entwürdigung zielt in diesem Fall also anscheinend darauf, die Geschlechterposition der Betroffenen im Sinne einer ‚Entmännlichung‘ zu verändern.[59] Im Vergleich dazu scheinen die teils extrem gewaltsamen sexualisierten Übergriffe in den chinesischen Lagern auf die Bestätigung und Vertiefung der traditionell untergeordneten Geschlechterposition der Frau zu zielen. Darüber hinaus lässt sich im Material immer wieder erkennen, dass gruppenspezifische Verletzbarkeiten nicht konstant sind, sondern bestimmte Konjunkturen durchlaufen. In Masanjia trifft das etwa für Frauen während ihrer Monatsblutung zu, durch die sie besonderen Beschämungsrisiken ausgesetzt sind (Du 2013: 22:30). Aussagen der Guantanamo-Insassen wiederum lassen erkennen, dass sie während des Ramadans besonders vulnerabel für Angriffe auf ihre Werte sind (z. B. Slahi 2015: 299). Deutliche Differenzen zwischen allen drei Folterorten zeigten sich ferner auf organisationaler Ebene. Dies wurde etwa am Kanal der Erfahrungshorizonte ersichtlich (3.6). Während die Situation in Abu Ghraib durch radikale Willkür und damit durch einen chaotischen Erwartungshorizont geprägt war, werden die Guantanamo-Insassen einer umfassenden psychosozialen Deprivation und damit einer Entleerung des Horizonts unterzogen. Der Alltag im Lager Masanjia wiederrum ist vor allem durch physisch kaum zu bewältigende Zwangsarbeit geprägt, woraus ein überfüllter Horizont resultiert. Schließlich unterscheiden sich die Verletzbarkeitsmuster in den analysierten Fällen aufgrund der übergreifenden politischen Logik, was insbesondere im Hinblick auf die Verletzung identitätsstiftender Werte erkennbar wird (3.5): Während die Folterungen in den US-amerikanischen Kontexten auf das Brechen von fremden Kombattanten zielen, sind im chinesischen Fall fast ausschließlich inländische Staatsbürgerinnen und -bürger betroffen, die nicht nur ‚gebrochen‘, sondern anschließend auch der Staatideologie gemäß neu ‚zusammengesetzt‘ werden sollen.

Diese kurzen vergleichenden Überlegungen legen somit nahe, dass die Identifikation spezifischer Muster der Verletzbarkeit eine Analyse der konkreten Situierung der betroffenen Individuen verlangt, wobei diese Situierung etwa aus Gruppenzugehörigkeiten und Konjunkturen der Verletzbarkeit, aber auch aus der konkreten Einbettung in die Folterorganisation sowie der generellen politischen Rahmung hervorgeht. Weitere Untersuchungen könnten der Frage nachgehen, inwieweit die Situierung von Folteropfern regelmäßige Muster der Verletzbarkeit hervorbringt, die sich etwa darin zeigen, dass vorwiegend bestimmte Verletzungskanäle in bestimmter Weise und zu bestimmten Zeitpunkten angesteuert werden.

ii) Vergleiche zwischen gegenwärtigen Folterphänomenen könnten somit soziokulturell variable Muster der Verletzbarkeit erkennbar machen. Darüber hinaus ließe sich die Variabilität der Folterbarkeit auch aus einer langfristigen historischen Perspektive beleuchten, um die Spezifik moderner Folterbarkeit herauszuarbeiten. Zumindest drei, jeweils überaus komplexe Fragen wären dann zu stellen: Erstens ließe sich nach der Historizität der Verletzbarkeit fragen. Naheliegend wäre etwa im Anschluss an Elias (1997[1939/1976]) zu untersuchen, in welcher Weise sich Sensibilitäten beispielsweise im Hinblick auf Eingriffe in die Territorien des Selbst oder Verletzungen des personalen Status im Zeitverlauf verändert und verstärkt haben. Fragen ließe sich auch, ob „moderne Körperindividuen“ in anderer Form folterbar sind als „christliche Seelenindividuen“ (Lindemann 2018). Untrennbar damit verknüpft ist die zweite Frage nach der Historizität der Verletzungsartikulation. Übergriffe auf den Körper sprechen nicht für sich. Je nachdem, welche Artikulationsregime kulturell verfügbar sind, kann ein äußerlich ähnlicher Vorgang sehr unterschiedlich erfahren und artikuliert werden. Was heute als kontingente Handlung zur politischen Unterdrückung wahrgenommen wird, könnte in anderen Kontexten beispielsweise als notwendige Maßnahme zur Wahrheitsfindung oder als alternativloser und sakraler Initiationsritus erfahren werden (z. B. Oberdiek 2000). Auch die Erfahrung der Folter als Unrecht ist historisch hochvoraussetzungsvoll, da sie spezifische Vorstellungen von Staatlichkeit, persönlicher Würde und individuellen Abwehrrechten erfordert.[60] Hiervon ausgehend liegt dann drittens die Frage nach der Historizität der Verletzungsstrategien nahe. Gerade die moderne Delegitimierung der Folter hat zur Verbreitung von ‚weißen‘, also im Nachhinein nicht oder schwer nachweisbaren Foltertechniken geführt. Diese Entwicklung korrespondiert wiederum stark mit einer Verwissenschaftlichung der Folter, die sich auf entsprechende psychologische Forschungen stützen konnte (z. B. Mausfeld 2009; Gorman & Zakowski 2018). An diese Überlegungen anschließend ließe sich untersuchen, wie die historischen Veränderungen der Verletzbarkeit, der Verletzungsartikulation und der Verletzungsstrategien miteinander im Verhältnis stehen und ob es beispielsweise in allen drei Dimensionen eine Verschiebung innerhalb der Verletzungskanäle hin zu schwer nachweisbaren Verletzungsformen gibt.

iii) Ein noch weiteres Feld von Untersuchungsmöglichkeiten eröffnet sich, wenn man die hier präsentierte Systematisierung der Verletzungsoffenheit vom Phänomen der Folter löst. Untersuchen ließe sich dann, ob diese Systematisierung auch im Hinblick auf andere Verletzungs- und Leidensphänomene weiterführend ist. Neben Kontexten physischer Verletzungen (wie der Folter), ließen sich so auch Kontexte untersuchen, in denen der physische Zugriff weniger dominant ist (z. B. Mobbing). Darüber hinaus ließen sich strukturelle (z. B. Arbeitslosigkeit) oder andere nicht-intendierte Verletzungserfahrungen (z. B. Krankheit) untersuchen (dazu Nungesser 2019). Eine solche Weitung der Perspektive würde die generelle Einbindung von Verletzungs- und Leidenserfahrungen, aber auch von Coping- und Widerstandshandlungen in die soziologische Forschung voranbringen. Damit würde sich die Soziologie Simmels Vorstellung annähern, wonach Gesellschaft grundsätzlich als etwas betrachtet werden sollte, „was die Individuen tun und leiden“ (Simmel 1993[1917]: 182).

About the author

Frithjof Nungesser

Frithjof Nungesser, geb. 1980 in Darmstadt. Studium der Wissenschaftlichen Politik, Soziologie und Philosophie in Freiburg i. Br. und an der University of Toronto. Promotion an der Universität Graz und am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Seit 2010 Universitätsassistent Institut für Soziologie der Universität Graz. Forschungsschwerpunkte: Sozialtheorie, Soziologie der Gewalt, Anthropologie, Soziologiegeschichte, Kultursoziologie. Wichtigste Publikationen: Die Sozialität des Handelns. Eine Aktualisierung der pragmatistischen Sozialtheorie. Frankfurt am Main/New York 2020 (im Erscheinen); The Evolution of Pragmatism. On the Scientific Background of the Pragmatist Conception of History, Action, and Sociality, European Journal of Sociology 58(2), 2017: 327–367; Ein pleonastisches Oxymoron. Konstruktionsprobleme von Pierre Bourdieus Schlüsselkonzept der symbolischen Gewalt, Berliner Journal für Soziologie 27(1), 2017, 7–33.

Danksagung

Dieser Aufsatz ist das Ergebnis eines längeren Arbeitsprozesses, in dessen Verlauf ich von vielen Anregungen und Einwänden profitiert habe. Sehr wichtig waren für mich Diskussionen im Rahmen des Arbeitskreises „Gewalt als Problem der soziologischen Theorie“ innerhalb der DGS-Sektion „Soziologische Theorie“, im Kolloquium des Philosophie-Instituts in St. Gallen sowie im Forschungsschwerpunkt „Theorie und Geschichte der Soziologie“ am Grazer Institut für Soziologie. Wertvolle Hinweise zu unterschiedlichen Aspekten des Arguments verdanke ich Maximilian Breger, Katharina Inhetveen, Gesa Lindemann, Stephan Moebius, Verena-Susanna Nungesser und Don E. Walicek. Nachhaltig profitiert habe ich darüber hinaus von den beiden anonymen Gutachten sowie von den Anmerkungen der Herausgeberinnen und Herausgeber der Zeitschrift für Soziologie. Schließlich danke ich der Universität Graz für die finanzielle Unterstützung der Open Access-Publikation.

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Published Online: 2020-04-04
Published in Print: 2020-03-26

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 28.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2019-0027/html
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