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Publicly Available Published by De Gruyter Oldenbourg November 27, 2020

Radikalisierung oder die Hegemonie eines Paradigmas – Irrititationspotenziale einer biografischen Fallstudie

Radicalization or the Hegemony of a Research Paradigm – Potentials of a Biographical Case Study
  • Nadine Jukschat

    Nadine Jukschat, geb. 1984, Studium der Kulturwissenschaften, Theaterwissenschaft und Journalistik sowie Promotion (2016) an der Universität Leipzig. Seit 2018 wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut e. V. in Halle. 2010–2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. in Hannover. Forschungsschwerpunkte: Methoden rekonstruktiver Sozialforschung, kritische (De-)Radikalisierungsforschung, deviantes Verhalten und soziale Probleme. Jüngste Publikationen: „die sagen wirklich dass das radikal ist ein Kopftuch zu tragen. Ich bin jetzt schon für die Extremistin“ – Zum Umgang praktizierender Musliminnen mit stigmatisierenden Fremd(heits)zuschreibungen und Terrorismusverdacht, in: Zeitschrift für Religion Gesellschaft und Politik. https://doi.org/10.1007/s41682-020-00051-z (2020, zus. m. Lena Lehmann), Navigating a Rugged Coastline. Ethics in empirical (de-)radicalization research. CoRE-NRW Forschungspapier Nr. 1. (2020, zus. m. Kerstin Eppert, Lena Frischlich, Nicole Bögelein, Melanie Reddig und Anja Schmidt-Kleinert), „Was ist denn, wenn einer sagt ‚Allahu Akbar‘?“ – Wie Islam in Fortbildungen für JVA-Bedienstete verhandelt wird. In: Langner, J./Herding, M./Hohnstein, S./Milbradt, B. (Hrsg.): Religion in der pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischen Extremismus, Halle (Saale): Deutsches Jugendinstitut, S. 186–209 (2020, zus. m. Maria Jakob und Maruta Herding).

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    and Katharina Leimbach

    Katharina Leimbach, geb. 1991, Studium der Soziologie und empirischen Sozialforschung an der Universität Bremen. Seit 2018 Doktorandin an der Universität Kassel. 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens und Konfliktforschung. Von 2017–2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Leibniz Universität Hannover. Forschungsschwerpunkte: Soziale Kontrolle und soziale Probleme, qualitative Methoden, Kriminologie, Prävention und Intervention, kritische (De-)Radikalisierungsforschung. Jüngste Publikationen: Radikalisierung als hegemoniales Paradigma: Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Behemoth 12(2), 2019: 11–23 (zus. m. Nadine Jukschat), Gefängnisse im Blickpunkt der Kriminologie. Interdisziplinäre Beiträge zum Strafvollzug und Wiedereingliederung. Wiesbaden. Springer. (Erscheint im November 2020, Herausgeber*innenschaft zus. mit Bernd-Dieter Meier), Die kommunikative Konstruktion einer Problemgruppe. Zur Praktik der Ausstiegsbegleitung bei rechtsextremistischen Jugendlichen. In: D. Negnal (Hrsg.), 2019: Die Problematisierung sozialer Gruppen in Staat und Gesellschaft. Springer VS.

Zusammenfassung

Das „Radikalisierungsparadigma“ hat im gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs Omnipräsenz erlangt. Dabei erweist es sich bei genauerer Betrachtung als konzeptionell wie analytisch schwach und mit Blick auf seine gesellschaftlichen Implikationen hochproblematisch. Der Beitrag gründet in einem wachsenden Unbehagen der Autor*innen mit dem Radikalisierungsparadigma angesichts eigener Felderfahrungen. Der zugrundeliegende Forschungskontext wird nach einer theoretisch-informierten kritischen Bestandsaufnahme zum Radikalisierungsparadigma skizziert. Es folgt eine ausführliche Einzelfallrekonstruktion einer Biografie, die auf der manifesten Ebene als klassische „Radikalisierung“ erscheint, das Radikalisierungsparadigma jedoch grundlegend irritiert und seine ‚blinden Flecken‘ und Präsumtionen hervortreten lässt. Dies führt uns im Fazit zu einem Plädoyer für einen multiparadigmatischen Gegenstandszugriff sowie eine deutlich stärker kritisch-reflexive Befragung der eigenen Forschungen und ihrer Implikationen.

Abstract

The „radicalization paradigm“ became omnipresent in social, political, and academic discourse. On closer examination we argue that the paradigm is conceptually and analytically weak and its implications for society are highly problematic. The article focuses on fieldwork and other data which were collected in the context of researching radicalization processes. The growing discomfort while researching this topic gave occasion to writing this contribution. For this reason, the authors of the article are proposing a critical inventory of conventional radicalization models and theories and are contrasting it with their own field experiences. The reconstructive analysis of a biographical-narrative interview with an imprisoned and apparent Islamist will show a difference between manifest and latent meaning structure and bemuse the assumptions about Islamist radicalization. The analyzed case study will lead to a plead for alternative perspectives through the use of multiparadigm approaches and an increasingly critical reflection on one’s own research and its implications.

Einleitung[1]

„Radikalisierung[2]“ hat in prominenten Arbeiten als Bezeichnung für den „Prozess, durch den Personen oder Gruppen zu Extremisten werden“ (Neumann 2013: 3) im gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Diskurs in den vergangenen 20 Jahren eine enorme Konjunktur erfahren. Radikalisierung ist zu einem hegemonialen Paradigma im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs avanciert, das maßgeblich prägt, wie wir über bestimmte Formen politischer Gewalt nachdenken und sie zu erklären suchen (Malthaner 2017). Angesichts seiner breiten Verwendung auch im wissenschaftlichen Fachdiskurs wird leicht übersehen, dass Radikalisierung zunächst einmal ein normativer und politisch aufgeladener und kein wissenschaftlich-analytischer Begriff ist (Coolsaet 2019). Als wissenschaftliches Konzept bleibt Radikalisierung unscharf, besitzt genuin wenig Erklärungskraft und tendiert dazu, das Problem individualisierend und linear zu denken, es zu dekontextualisieren und zuvorderst mit islamistischer Radikalisierung zu verknüpfen (Schmidt-Kleinert 2018, Malthaner 2017, Sedgwick 2010). Obschon kritische Reflexionsprozesse seinen Aufstieg begleiteten (Sedgwick 2010, Stampnitzky 2011) und gegenwärtig verstärkt Kritik daran formuliert wird (Jukschat & Leimbach 2019; Larsen 2019; Fadil et al. 2019; Logvinov 2018; Schmidt-Kleinert 2018; Crone 2016), dominiert das Konzept wissenschaftliche Fachdiskurse um die Erklärung politisch-weltanschaulich oder religiös motivierter Gewalt sowie antidemokratischer und/oder gewalttätiger Ideologien.

Radikalisierungsforschung ist angesichts der gesellschaftlichen Konstruktion einer omnipräsenten Bedrohung durch Terrorismus und „massenmedial angeheizte[r] Angst- und Erregungsdiskurse[n] der Gegenwart“ (Witte 2018: 256) ein florierendes Gebiet. Hierzu haben nicht zuletzt die in den vergangenen Jahren aufgelegten umfangreichen und ökonomisch sehr gut ausgestatten Forschungsförderungsprogramme zur Förderung der (zivilen) Sicherheit etwa der Europäischen Union oder des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) (siehe hierzu: European Commission 2019; Rahmenprogramm der Bundesregierung zur Förderung der zivilen Sicherheit 2018) beigetragen. Die in diesen Programmen verortete Radikalisierungsforschung wird ganz im Sinne politischer Zielstellungen wesentlich von dem Gedanken getragen, Radikalisierungsprozesse zu erklären, um diese in der Folge verhindern bzw. ihnen entgegenwirken zu können. In diesem Sinne ist eine Zusammenarbeit mit Praxisakteur*innen, insbesondere aus dem Sicherheitsbereich, sowie die Erwartung, Praxisnutzen zu generieren, für diese Förderprogramme nahezu konstitutiv (kritisch zur sozialwissenschaftlichen Indienstnahme für die Sicherheitsforschung: Wehrheim 2018).

Die in der Radikalisierungsforschung beobachtbare Fokussierung auf Radikalisierung als Herausforderung für die innere Sicherheit prägt, wie auch die mit dem Radikalisierungsbegriff einhergehenden konzeptuellen Probleme, in unproduktiver Weise theoretische wie empirische Zugänge. In die Forschung hält eine „normative Logik des Verhinderns statt des Erschließens und Verstehens Einzug“ (Dollinger & Negnal 2019), die für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt hinderlich ist. Alternative Problembeschreibungen auf der Basis von analytischen Perspektiven sind unter dem Label der Radikalisierungsforschung schwer auffindbar. Weil Forschungsbefunde immer auch in den öffentlichen und fachpraktischen Diskurs zurückwirken, steht diese Forschung zudem in der Gefahr, hierdurch als verstärkende diskursive Praktik zu wirken und Radikalisierung als Problem mit zu konstruieren (vgl. hierzu auch Jukschat & Leimbach 2019; Stampnitzky 2011).

Der vorliegende Beitrag nimmt die am Radikalisierungsparadigma verschiedentlich bereits artikulierte Kritik auf, reichert sie empirisch an und führt sie weiter. Er hat seinen Ausgangspunkt in Felderfahrungen der Autorinnen im Kontext des Forschungsverbundprojektes „Radikalisierung im digitalen Zeitalter – Risiken, Verläufe und Strategien der Prävention“ (RadigZ), das 2017 startete und neben mehreren anderen sozialwissenschaftlichen Verbundprojekten in der Förderlinie „Zivile Sicherheit – Aspekte und Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wurde. Dieses Forschungsprojekt war – ganz in der Logik des Radikalisierungsparadigmas – ursprünglich angetreten, in unterschiedlichen Teilprojekten und im Rückgriff auf verschiedene methodische Zugänge (De-)Radikalisierungsprozesse zu analysieren, um hieraus Implikationen für Prävention abzuleiten (Kudlacek et al. 2017). Je mehr wir jedoch ins Feld eintauchten und Material sammelten, wuchs in uns ein Unbehagen mit Blick auf das unsere Forschung rahmende Radikalisierungsparadigma. Der vorliegende Beitrag versucht, dieses aus unseren Felderfahrungen erwachsene Unbehagen nun produktiv zu wenden.

Im Folgenden führen wir zunächst kritisch in die dominante (westliche) Radikalisierungsforschung mit ihren zentralen Strängen und Spannungslinien ein. Dies dient nicht einer umfassenden Darstellung des Forschungsstandes, sondern im Sinne der Clarkeschen Situationanalyse (Clarke 2012) dazu, zentrale Konzepte und Diskurse des Feldes herauszuarbeiten und in den reflexiven Forschungsprozess miteinzubeziehen. Es geht uns hierbei auch darum, die Befunde der feinanalytischen Rekonstruktion unseres empirischen Datenmaterials im zweiten Schritt zu rekontextualisieren und vor dem Hintergrund der vorherrschenden Forschung zu Radikalisierung reflektieren zu können, um auf diese Weise Alternativbeschreibungen zu ermöglichen. Auf diese theoretischen Überlegungen folgen die Darstellung und Reflexion unseres methodischen Vorgehens, die auf einer Metaebene betrachtet bereits erste Hinweise auf die problematischen Implikationen des Radikalisierungsparadigmas geben. Im empirischen Hauptteil rekonstruieren wir ein biografisch-narratives Interview mit einer Person, die durch eine Radikalisierung in Haft und eine darauffolgende versuchte Syrienausreise als Fall die wissenschaftlich-hegemonialen Diskurse um Radikalisierung repräsentiert. Bei der Rekonstruktion der Handlungen innerhalb spezifischer sozialer Settings (Rosenthal 2014) in Kombination mit der Rekonstruktion des latenten und strukturgebenden Sinns (Wernet 2000) werden Details sichtbar, die bei einer bloßen Betrachtung von „übergeordneten Gesamthandlungen“ (Reichertz 2007: 116) im Verborgenen bleiben. Diese irritieren das Radikalisierungsparadigma empirisch basiert und machen auf seine ‚blinden Flecken‘ und Präsumtionen aufmerksam. Ausgehend von unseren Felderfahrungen und empirischen Befunden plädieren wir schließlich mit Blick auf künftige Forschung im Themenfeld für einen multiparadigmatischen Gegenstandszugriff sowie eine deutlich stärker kritisch-reflexive Radikalisierungsforschung, insbesondere für selbstkritische Reflexionen der eigenen Forschungen und ihrer Implikationen.

Radikalisierung – ein hegemoniales Paradigma

Radikalisierung stellt kein klar umrissenes wissenschaftliches Konzept dar und es existieren vielfältige Definitionen (exemplarisch McClauley & Moskalenko 2017; Borum 2012). Die wissenschaftlichen Differenzen machen sich vor allem an der Stellung der Gewalt, dem Zusammenhang von kognitiver und gewaltbefürwortender Radikalisierung ebenso wie dem Verhältnis von Ideologie und sozialem Kontext fest. Konsens scheint vorwiegend darüber zu herrschen, dass Radikalisierung als ein Prozess zu verstehen ist, bei dem sich abhängig von der Auslegung Einstellungen und/oder das Handeln der Akteur*innen über einen gewissen Zeitraum verändern. Damit wird Radikalisierung, wie es häufig bei kriminologischer Forschung der Fall ist, aus einer ätiologischen Perspektive heraus dimensionalisiert.

Nichtsdestotrotz oder möglicherweise gerade aufgrund dieser konzeptuellen Ambiguität dominiert der Begriff seit einigen Jahren nicht nur die Politik und die Öffentlichkeit, sondern auch die Forschung (Kundnani 2012; Sedgwick 2010). Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem hegemonialen diskursiven Paradigma.[3] Dabei haben sich vor allem Perspektiven der kriminologischen und psychologischen Radikalisierungsforschung durchgesetzt, die Radikalisierung als ein soziales Problem der inneren Sicherheit fassen (Borum 2012; Githens-Mazer 2012) und auf spezifische Weise konzeptualisieren. Wir arbeiten dies in den folgenden Abschnitten detaillierter heraus, indem wir angeregt durch kritische Perspektiven auf die Konzepte des Feldes den Forschungsstand der konventionellen und im wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskurs dominanten Radikalisierungsforschung darstellen.

Konzeptuelle Eindimensionalität: Individualisierung, Determinismus, Islamismus-Fokus, Pathologisierung

Die Betrachtung der gängigen bestehenden Radikalisierungstheorien bzw. -modellierungen zeigt, dass diese typischerweise auf islamistische Radikalisierung fokussieren (Logvinov 2019:24), ein sich radikalisierendes Individuum ins Zentrum stellen und dabei implizit lineare Prozesse unterstellen, die je nach Modell unterschiedliche Faktoren zu unterschiedlichen Zeitpunkten als besonders relevant erachten.[4] Dieser Determinismus wird oft schon begrifflich sichtbar: So spricht beispielsweise Borum (2011) vom „Vier-Stufen-Modell“, Moghaddam (2005) vom „Treppenhaus-Modell“ oder Wiktorowicz (2005) vom „Vier-Phasen-Modell“. Andere Autor*innen orientieren sich stärker an der Bewegungsforschung und ordnen Faktoren- oder Mechanismensets auf der Mikro-, Meso- und Makroebene an – wie das Zwölf-Mechanismen-Modell von McClauley und Moskalenko (2008) oder der Multidimensionenansatz von Gill (2007). Des Weiteren werden Radikalisierungsdeterminanten gebildet und modellhaft auf die drei „I’s“ (Walther 2014) – injustice, ideology, ingroup – oder die drei „N’s“ (Webber, Kruglanski 2016) – needs, narratives, networks – reduziert. Unabhängig von der Darstellungsweise produzieren alle Modelle verkürzte Betrachtungsweisen, die immer stärker zu einem Herausfiltern von (individuellen) ‚Risikofaktoren‘ avancieren, um anschließend von Sicherheitsbehörden aufgegriffen zu werden.

Zentraler (zeithistorischer) Bezugspunkt dieses dominanten Paradigmas sind die terroristischen Akte vom 11. September 2001. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen beziehen sich hierauf und konstruieren damit eine Zäsur, die verschleiert, dass bereits vor 2001 in der Wissenschaft ein Trend beobachtbar war, ausländische jugendliche Kriminelle zu Problemgruppen zu konstruieren und beispielsweise rechtsextreme Gewalttaten zu vernachlässigen (Inowlocki 2000). Die Ereignisse von 9/11 legitimieren, den Fokus (erneut und verstärkt) auf ausländische und muslimische Menschen zu richten und Sicherheitsapparate aufzurüsten. ‚Radikal‘ und ‚gefährlich‘ sind hierdurch Zuschreibungen geworden, die in erster Linie an Personen mit Migrationsgeschichte, an Geflüchtete, an Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten aber auch an Jugendliche generell geheftet werden (Figlestahler & Schau 2019). Vor allem wird Radikalisierung aber in Bezug auf den Islam problematisiert (Leschkar 2019; Ali 2015; Kundnani 2015).

Auffällig sind in diesem Zusammenhang die vielfältigen Bemühungen in den vergangenen Jahren, mit wissenschaftlicher Beteiligung Instrumente zur Risikobeurteilung (Lösel et al. 2018) zur Früherkennung von islamistischer Radikalisierung zu entwickeln und einzusetzen. Derlei Risikoeinschätzungsinstrumente, wie das „Terrorist Radicalization Assessment Protocol“ (TRAP-18) nutzen psychologische Kategorien und sollen Erkenntnisse über Persönlichkeitsmerkmale der betreffenden Individuen liefern (Logvinov 2019: 2). Damit wird der Blick weggelenkt von problematischen sozialen und politischen Strukturen, das Problem wird individualisiert und diskursiv etabliert. Hierbei wird eine Korrelation zwischen Radikalisierung, Terrorismus und psychopathologischen Auffälligkeiten[5] unterstellt. Obwohl psychologische Studien zu islamistischen Terrorismus zeigen, dass sich (allein) über psychopathologische Faktoren terroristische Taten nicht erklären lassen (Victoroff 2005; Borum 2004), entwickeln sich dennoch aktuell (wieder) Bestrebungen, einen Zusammenhang zu erschließen (Kudlacek 2018; Logvinov 2019; Misiak et al. 2019). Durch das Anheften pathologischer Absonderheiten an politische Abweichungen entsteht eine antagonistische Konnotation zwischen „Abweichung – Extrem – Krank“ und „Normal – Mitte – Gesund“, die schon Oppenhäuser (2011: 48) konstatierte. Soziale Abweichung psychopathologisch zu deuten und gleichzeitig zu politisieren übernimmt die Funktion, Abweichung zur individuellen Abnormalität zu machen und als politisches Sicherheitsproblem zu bearbeiten.

Die Suche nach psychopathologischen Auffälligkeiten bei Terrorist*innen erscheint ebenso wie die Modelle, die eine Reihe von Risikofaktoren benennen, als komplexitätsreduzierende Maßnahme, das vermeintlich ‚Abnormale‘ zu erklären. Die Möglichkeit, dass es sich um ‚normale‘ Menschen handelt, wird von medialen Diskursen der Verunsicherung überlagert. Komplementär dazu wird im Radikalisierungsparadigma eine ‚normale‘ Mitte konstruiert und entproblematisiert, denn insofern als Extremismus typischerweise als Endpunkt von Radikalisierung gedacht wird, bleibt das Extremismuskonzept mit seiner hufeisenförmigen Gesellschaftsvorstellung letztlich theoretischer Bezugspunkt (Schmidt-Kleinert 2018). Dabei gibt es von Seiten einer kritischen Rechtsextremismusforschung schon seit längerem Kritik an diesen Vorstellungen (siehe hierzu: Oppenhäuser 2011; Falter 2011).

Individualisierung, Pathologisierung und Dramatisierung treten kombiniert in medialen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu (De-)Radikalisierung und Strafvollzug auf. Dort, wo Individuen extremen Situationen der Geschlossenheit ausgesetzt sind (Neuber & Zahradnik 2019) und sich soziale Probleme akkumulieren, treten öffentliche und politische Problematisierung noch deutlicher hervor (Groenemeyer 2010). So hat sich eine weitere diskursive Konstruktion[6] etabliert, bei der Sicherheit und Radikalisierung im Kontext des Strafvollzugs dramatisiert[7] werden. Gefängnisse werden zuweilen als „Durchlauferhitzer“ (Korn 2015) oder „Brutstätten“ (Vidino 2013: 31) für Radikalisierungsprozesse beschrieben und erhalten damit eine besondere Rolle bei der Konstruktion des sozialen Problems Radikalisierung. Demnach stünden Inhaftierte in der Gefahr, sich während ihres Aufenthaltes innerhalb der „totalen Institution“ Gefängnis (Goffman 2016 [1973]) sowohl auf ideologischer Ebene, in Form von Rechtfertigungs- und Neutralisierungstechniken, als auch auf der Handlungsebene, in Form von Aneignung besonderer ‚skills‘, wie etwa dem Umgang mit Waffen, zu radikalisieren (Basra et al. 2016). Auch hier steht die islamistische Radikalisierung im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen (Hoffmann et al. 2017) und medialer Debatten (Völlinger 2017). Als Ergebnis dieser Thematisierung von islamistischer Radikalisierung in Haft sind europaweit in den vergangenen Jahren zahlreiche Deradikalisierungsprogramme für Gefängnisse aufgelegt worden (BMFSFJ 2017; Ronco et al. 2019). Prävention und Intervention von Radikalisierung, insbesondere in Gefängnissen, haben sich als weiteres Feld für Politik, Medien, Wissenschaft und Fachpraxis etabliert.

Versicherheitlichte Forschungsperspektiven und Politisierung der Forschung

Einer gleichsam pointierten wie unscharfen aber prominenten Definition von Peter Neumann zufolge beschreibt Radikalisierung „what goes on before the bomb goes off.“ (Neumann 2008: 4) Diese Charakterisierung legt einen zentralen Punkt des hegemonialen Radikalisierungsparadigmas offen: Als Endpunkt von Radikalisierung wird ein terroristischer Akt gedacht und es sind in weiten Teilen Sicherheitsinteressen, die die öffentliche wie auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen motivieren und bestimmen. Forschungen über Radikalisierungsprozesse verfolgen auf einer Metaebene das Ziel, die Gesellschaft durch gezielte Aufklärung ‚sicherer‘ zu machen. Der Aufstieg dieses politisierten und versicherheitlichten Radikalisierungsparadigmas korrespondiert mit einem allgemeinen Trend der „Versicherheitlichung“ sozialer Probleme (Brand 2016; Schabdach 2011) und dem Aufstieg von „Prävention“, sprich vorbeugendem Handeln, zum „übergreifenden Modus des Zukunftsmanagements zeitgenössischer Gesellschaften.“ (Bröckling 2008: 47) Ökonomische Krisen und terroristische Anschläge erwecken den Eindruck dauerhafter Unsicherheit. Besonders in westlichen Staaten ist die Bewahrung oder Wiederherstellung öffentlicher Sicherheit zur obersten Prämisse avanciert (Carvalho 2017: 1). Die Herstellung von Sicherheit habe so sehr an Bedeutung gewonnen, dass Prävention von Kriminalität über das Wohl des Einzelnen gestellt werde. Diese Entwicklung bezeichnet Carvalho (2017: Preface) als „preventive turn“. Er versteht sie als „direct consequence of a tension which lies at the core of liberal society and which is expressed through the law.“ Das Leitprinzip der „Prävention“ ist einzuordnen in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die unter Begriffen wie „Risikogesellschaft“ (Beck 1986; Hughes 2003) und „Sicherheitsgesellschaft“ (Singelnstein & Stolle 2012) subsumiert werden und zu einer „präventiven Sicherheitsordnung“ (Trotha 2003) führen. Die konstruierten Bedrohungslagen werden durch die Idee von Prävention ad absurdum geführt. Das Paradox der Prävention besteht in der Aufrechterhaltung einer Gefahrensituation, bei gleichzeitiger Suggestion einer Beherrschbarkeit dieser Gefahr (Zabel 2018). Auf die darin enthaltene dialektische Ambivalenz von gesellschaftlicher Sicherheit auf der einen und Einschränkungen der individuellen Freiheit auf der anderen Seite ist bereits vielfach hingewiesen worden (Carvalho 2017; Singelnstein & Stolle 2008; Peters 2019).

Die Diskurse um Radikalisierung und Terrorismus stehen meist im Zentrum von Sicherheitsdebatten und sind somit zugleich Produkt und Produzent von Prozessen der Versicherheitlichung. Forschung über Radikalisierungsprozesse, insbesondere wenn sie durch Drittmittel der Sicherheitsforschungsförderung finanziert wird, steht damit in der erheblichen Gefahr, zu Dynamiken der Versicherheitlichung beizutragen (Wehrheim 2018; Dollinger & Negnal 2019).

Zwischenfazit: Implikationen der paradigmatischen Hegemonie

Radikalisierung ist zu einer gesellschaftlichen Kategorie geworden, die performativ und diskursiv hergestellt wird. Durch das Zusammenwirken politischer Interessen, Praktiken der Institutionen sozialer Hilfe und sozialer Kontrolle, medialer Konstruktionen und der Wissenschaftspraxis ist die Radikalisierungskategorie, die, wie oben dargestellt, durch bestimmte Konzepte getragen wird, zu einem hegemonialen Paradigma avanciert. Dabei geht es nicht primär um die Frage, wer die Deutungshoheit innehat, sondern vielmehr um die Konsequenzen, Phänomene zuvorderst durch die Folie von versicherheitlichter, individualisierter und subsumtionslogisch geordneter Radikalisierungsforschung zu betrachten.

Die beobachtbare diskursive Verfestigung der Sicherheitsperspektive als Konzept des Feldes führt durch die damit einhergehende konzeptuelle Engführung insbesondere zu einem problematischen Ausschluss marginalisierter Perspektiven, wie auch Abbay Gaspar und Kolleg*innen konstatieren:

„Doch durch diese weitgehende Gleichsetzung des Radikalisierungsbegriffs mit Terrorismus wird ein gewaltgebundenes Verständnis von Radikalisierung gefestigt, das in empirisch-analytischer Hinsicht verhindert, dass wir die Mechanismen von Radikalisierung besser verstehen können, weil wir einen Teil des Phänomens von vornherein aus der Analyse ausschließen. Wir verzerren also systematisch unsere Untersuchungen. In normativ-praktischer Hinsicht geraten so auch potenziell emanzipatorische Prozesse in den politischen Sog einer Sicherheitsdebatte, die ihnen ihre Legitimität abspricht.“ (Abbay Gaspar et al. 2018: 3).

Forschung in einem auf diese Weise politisierten und versicherheitlichten Handlungsfeld zu betreiben, stellt Wissenschaftler*innen somit vor vielfältige forschungspraktische, insbesondere aber auch ethische Herausforderungen (vgl. auch Eppert et al. 2020). Die Gefahr, das hegemoniale Radikalisierungsparadigma zu (re-)produzieren, erscheint groß, ebenso wie das Risiko, dass die eigene Forschung für sicherheitspolitische Interessen in den Dienst genommen wird (Wehrheim 2018). Im Rückgriff auf einen verstehenden, die eigene Rolle als Forscher*innen kritisch hinterfragenden Forschungsansatz verfolgt dieser Beitrag das Anliegen, für diese Probleme und Herausforderungen zu sensibilisieren und eine kritische Radikalisierungsforschung zu stärken.

Methoden und Reflexion der Felderfahrungen

Der Annahme folgend, „dass das eigene Handeln und Empfinden im Forschungsprozess genauso auf seinen latenten Sinn oder auf seine impliziten Wissensbestände zu befragen ist, wie das der untersuchten Subjekte“ (Bereswill 2003: 512), legen wir im Folgenden nicht nur unser methodisches Vorgehen während des Forschungsprozesses dar, sondern reflektieren unsere Felderfahrungen in der Heuristik der Situationsanalyse (Clarke 2012), um sie als konstituierende Teile der „Situation“ (Clarke et al. 2018) in die Analyse des Phänomens Radikalisierung mitaufzunehmen.

Mit dem Ziel, (De-)Radikalisierungsprozesse sowohl im Themenfeld Rechtsextremismus als auch im demokratiefeindlichen und gewaltbereiten Islamismus zu rekonstruieren, starteten wir unsere Teilvorhaben innerhalb des Verbundprojektes RadigZ. Wir wählten dabei einen rekonstruktiven, auf biografisch-narrativen Interviews aufbauenden, selbstreflexiven Forschungsansatz. Neben den biografisch-narrativen Interviews wurden außerdem 28 Interviews mit Expert*innen der Extremismusprävention geführt (weiterführend hierzu vgl. Jukschat & Leimbach 2019; Leimbach 2019).

Wie wir im Folgenden zeigen möchten, erwies sich diese rekonstruktive Forschungshaltung als produktiv, um das unsere Forschung − durch die Drittmittelförderung wie auch die grundlegende Anlage des übergeordneten Verbundprojekts − rahmende Radikalisierungsparadigma zu irritieren und darüber hinauszugehen.

Diese Irritation erfolgte auf zwei Ebenen, die wir im Folgenden näher ausführen: 1) auf der Ebene des (verstehenden) Feldzugangs und 2) auf der Ebene der sequenziellen Fallrekonstruktion.

Irritations- und Erkenntnispotenziale eines verstehenden Feldzugangs

Unser Interesse an biografischen Verläufen einer „hard-to-reach group“ (Larsen 2019) legte einen in der Kriminologie hierfür typischen Feldzugang über institutionelle Gatekeeper nahe. Neben dem Kontaktieren von Akteur*innen präventiver und interventiver Maßnahmen aus dem sozialpädagogischen und sicherheitsbehördlichen Feld wurden vor der Folie der bereits beschriebenen Forschung zu Radikalisierung im Strafvollzug zudem Anträge bei den Kriminologischen Diensten gestellt. Schnell erwies sich die Frage der Kommunikation unseres Forschungsvorhabens als zentraler Fallstrick, sowohl in der Kommunikation mit den Gatekeepern, die uns geeignete Interviewpartner*innen hätten vermitteln können, als auch mit potenziellen Interviewpartner*innen selbst. Insbesondere die Thematisierung des Forschungsinteresses und der Umgang mit dem Begriff der Radikalisierung, bei dem es sich zunächst um eine Fremdzuschreibung handelt, erwiesen sich in jeglichen Kommunikationszusammenhängen als Balanceakt zwischen ethischen Transparenzgeboten und der Vermeidung von stigmatisierenden Zuschreibungen. In der Kommunikation mit Gatekeepern bedeutete dies etwa, zu reflektieren, dass in der für die Erhöhung von Zugangschancen naheliegenden und beispielsweise für den Strafvollzug oft auch qua Antragsformular nötigen Strategie, die Relevanz des eigenen Forschungsvorhabens (auch für die Praxis) herauszustellen, die nicht unerhebliche Gefahr lag, Radikalisierung als gesellschaftliches Problem mit zu konstruieren und zu dramatisieren (kritisch zu den Folgen der Regulierung der Strafvollzugsforschung durch die Kriminologischen Dienste der Länder: Schmidt 2016).

Da das diesem Aufsatz zugrundeliegende Interview über den Feldzugang des Vollzugs entstand, soll das hier angewendete Rekrutierungsverfahren kurz erläutert werden: Nach Genehmigung durch den zuständigen Kriminologischen Dienst stellten wir unser Forschungsinteresse den Haftanstalten vor und baten um Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Interviewpartner*innen. Schnell spiegelten die Haftanstalten eine ambivalente Haltung in Bezug auf die Unterstützung des Forschungsvorhabens. Während einige Anstalten Unterstützung von vornherein ablehnten, kommunizierten andere, dass sie die Vielzahl an Anfragen zur Unterstützung von Forschungsprojekten mit dem Thema Radikalisierung kaum bearbeiten könnten. Somit waren die Rückmeldungen bis auf wenige Ausnahmen tendenziell zurückhaltend. War die Anfrage erfolgreich, mussten geeignete Interviewpartner*innen identifiziert und gewonnen werden. Während in einigen Anstalten die Anstaltsvertreter*innen nach Aktenlage oder auf Basis einer anstaltsinternen Erkundigung bei Bediensteten in den Hafthäusern oder des Sozialen Dienstes aus ihrer Sicht geeignete Interviewpartner*innen vorschlugen, wählten andere Anstalten den Weg, über ein von uns erstelltes Informationsblatt via Aushang über die Studie zu informieren. Unsere Möglichkeiten, diese Verfahrensweisen als Forschende mitzugestalten, begrenzten sich angesichts der Konstitution des Gefängnisses (Neuber & Zahradnik 2019), in dem auch Kommunikationsprozesse nach dem Prinzip der Geschlossenheit und der Abschottung verlaufen. Um die Interviewsituation nicht zu stark vorzuprägen und Interviewpartner*innen nicht durch unsere Forschung zu stigmatisieren, sie gleichzeitig aber im Sinne des informed consent aufzuklären, wurde die Studie auf dem Informationsblatt mit dem Titel „Forschungsprojekt: Radikale Orientierungen und Lebenswelten“ präsentiert und herausgestellt, dass sich das Forschungsprojekt für die Lebensgeschichten und Erfahrungen jener Personen interessiert, „die sich in politisch oder religiös stark beeinflussten und geprägten Lebenswelten befinden oder befunden haben“. Den Inhaftierten wurde darin zudem eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 20 € für die Teilnahme in Aussicht gestellt[8], Vertraulichkeit zugesichert und auf die Freiwilligkeit der Teilnahme hingewiesen. Welche Inhaftierten überhaupt angesprochen wurden und unter welchen Umständen die Ansprache und die Vermittlung unseres Vorhabens geschah, mithin auch wie freiwillig eine Teilnahme im Zwangskontext der totalen Institution Gefängnis erfolgen konnte[9], lag vollständig außerhalb unserer Handlungsmacht.

Die so entstandenen Interviews lassen darauf schließen, dass das Label Radikalisierung in der Vollzugspraxis zwar klare Vorstellungen weckt, diese aber keineswegs mit den wissenschaftlichen Konzepten übereinstimmen. Vielfach wurden auf diese Weise Inhaftierte vermittelt, die im Justizvollzug als islamistisch Radikalisierte gehandelt wurden. Insbesondere im Themenfeld des demokratiefeindlichen und gewaltorientierten Islamismus beobachteten wir eine Hypersensibilität bei den Bediensteten. Die Auswahl von vermeintlich islamistisch radikalisierten Personen durch die Bediensteten wurde durch die Vermittlung kurdischer oder ezidischer Personen ohne jeglichen islamistischen Bezug ad absurdum geführt.

Diese Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen der zeitlich zuvor geführten Experteninterviews mit Akteur*innen der Extremismusprävention, deren Arbeit nur selten die Betreuung islamistisch radikalisierter Personen beinhaltete, sondern als ein Abarbeiten von Fehlalarmen beschreibbar ist. Es seien besonders verunsicherte Lehrer*innen, Eltern und andere Familienangehörige, die Kontakt zu Deradikalisierungsberatungsstellen aufnehmen. So würde oft schon das Anlegen eines Kopftuches als eine ideologisierte und ‚gefährliche‘ Handlung gedeutet. In eine ähnliche Richtung weisen auch Befunde aus der wissenschaftlichen Begleitung von Modellprojekten der Prävention von demokratiefeindlichen islamistischen Orientierungen und Handlungen im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ (Figlestahler & Schau 2019) und der Evaluation der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ansässigen Beratungsstelle Radikalisierung (Uhlmann 2017: 32).

Eine Gefahr, die mit Radikalisierungsforschung in dieser Gemengelage einhergeht, besteht darin, durch die Forschungsintervention diese dramatisierende Problemkonstruktion des Feldes möglicherweise zu reifizieren. So galt es beispielsweise mitzureflektieren, dass die Teilnahme an unserem Forschungsprojekt in den Augen der Justizbediensteten oder auch von Mitinhaftierten die Kategorisierungen dieser Interviewpartner*innen als Fälle von Radikalisierung bestätigen bzw. hierüber reproduzieren könnte, und die eigene Kommunikation über das Forschungsvorhaben gegenüber den Anstaltsvertreter*innen entsprechend differenziert zu gestalten. In der Kommunikation an der Pforte, bei der Einlasskontrolle oder auf den Fluren bedeutete dies beispielsweise, sich allgemein als Forscherin/Soziologin und gerade nicht als Radikalisierungsforscherin vorzustellen. Auch wenn wir auf verschiedene Weise versuchten, diesem Effekt entgegenzusteuern, blieb der anstaltsinterne Diskurs über unsere Anwesenheit weitgehend außerhalb unserer Kontrolle.[10]

Die hier skizzierten Beispiele und Beobachtungen lassen erkennen, wie sehr wir als Forschende selbst in diskursive Praktiken um Radikalisierung verstrickt und im Forschungsprozess hierdurch mit ethischen Herausforderungen konfrontiert sind (vgl. auch Eppert et al. 2020). Die Problematik verschärft sich, wenn durch extensive Drittmittelförderung durch staatliche Programme mehrere Forschungsvorhaben parallel zu ähnlichen Fragestellungen im Feld aktiv sind und um Fälle ‚konkurrieren‘. Im Forschungsprozess halfen uns eine enge Zusammenarbeit im Forschungsverbund und insbesondere der kritisch-reflexive offene Austausch über Felderfahrungen über die formal getrennten Teilprojekte hinweg, zu erkennen und zu reflektieren, dass wir als Forschende selbst Trägergruppe dieses Radikalisierungsdiskurses sind und in der Interaktion mit Praktiker*innen wechselseitig zur Reproduktion eines sozialen Problems beitragen (können), welches unter dem Label Radikalisierung läuft. Diese Einsichten sensibilisierten uns (weiter) für die problematischen Implikationen des Radikalisierungsparadigmas und führten dazu, dass wir in der weiteren Analyse diesem Irritationspotenzial der Empirie nachspürten, um hierüber die ‚blinden Flecken‘ und Präsumtionen des Radikalisierungsparadigmas zu rekonstruieren.

Methodisches Vorgehen und Erkenntnispotenziale einer Einzelfallrekonstruktion

Wie im theoretischen Unterkapitel ausgeführt, verorten konventionelle Radikalisierungstheorien das Problem zuvorderst beim Individuum und versuchen, vor allem ‚Faktoren‘ ausfindig zu machen, die als ‚Grund‘ für Radikalisierung zu benennen sind und konkret genug erscheinen, um daraus Präventionsmaßnahmen ableiten zu können. Demgegenüber zeichnet sich eine rekonstruktive Forschungshaltung durch eine offene Herangehensweise aus, die alternativen Erkenntnissen methodisch Raum gibt.

Um dem Prinzip der Offenheit Rechnung zu tragen und im Bewusstsein darüber, dass Begriffe wie Radikalisierung oder Extremismus das Interview auf eine bestimmte Weise rahmen, fokussierten wir in der Interviewsituation noch einmal stärker als im Informationsblatt zur Studie auf eine Öffnung des Themas und betonten unser Interesse an der gesamten Biografie. Entsprechend wählten wir als Erhebungsmethode das biografisch-narrative Interview (Rosenthal 2014) und eröffneten dieses mit einem auf die gesamte Lebensgeschichte zielenden offenen Erzählstimulus, was in der Praxis auch zu umfangreichen, selbstläufigen lebensgeschichtlichen Narrationen führte. Offenheit kennzeichnete auch den Prozess der Datenauswertung, bei der wir uns an der Objektiven Hermeneutik (Oevermann 2013; Wernet 2000) und der biografischen Fallrekonstruktion (Rosenthal 1995) orientierten. Hier ging es uns zuvorderst um biografisches Prozessverstehen, um die Rekonstruktion biografisch prägender Strukturen und Mechanismen. Was hierbei herausgearbeitet werden konnte, lies die Fremdzuschreibungen der Gatekeeper genau wie unser eigenes Vorwissen und eigene Vorannahmen schnell brüchig werden. Bei der Einhaltung rekonstruktiver Vorgehensweisen, so unser Argument, drängen sich alternative Deutungen auf, die das Potenzial haben, auch hegemoniale Paradigmen zu irritieren, in unserem Fall die Kategorie Radikalisierung zu dekonstruieren.

Obwohl im Kontext des Forschungsprojektes mit unterschiedlichen Akteursgruppen mehr als 50 Interviews geführt wurden, soll an dieser Stelle die Rekonstruktion eines Einzelfalls im Vordergrund stehen. Es geht uns in diesem Beitrag weniger um eine gegenstandsbezogene empirisch begründetet Theoriebildung, die Einzelfallrekonstruktion dient vielmehr der methodologischen Strategie der Differenzierung sowie der Exemplifizierung des Potenzials eines verstehenden Zugangs. Die Rekonstruktion eines Falles, der auf der manifesten Sinnebene das Wissen um Radikalisierung reproduziert, wird exemplarisch veranschaulichen, wie rekonstruktive und reflexive Forschung zur Irritation hegemonialer Diskurse beitragen kann.

Für diesen Beitrag haben wir einen Fall unseres Samples ausgewählt, der die ‚blinden Flecken‘ des Radikalisierungsparadigmas in besonders prägnanter Weise offenlegt: Es handelt sich um ein Interview von knapp dreieinhalb Stunden, mit zweieinhalbstündiger selbstläufiger Einstiegsnarration. Der junge Mann, den wir Jamal Afridi genannt haben, wurde uns von der Haftanstalt als Fall islamistischer Radikalisierung präsentiert. Er ist zudem Klient der Einzelberatung im Rahmen eines Deradikalisierungsprogramms[11] in Haft. Schon dies lässt ihn auf den ersten Blick als klassischen Fall islamistischer Radikalisierung erscheinen. Die Fallrekonstruktion legte jedoch schnell tieferliegende Sinnstrukturen offen, die sehr eindrücklich verdeutlichen, dass der Fall mit dem Radikalisierungsparadigma nicht zu greifen ist. Mehr noch, sie macht sichtbar, wie Diskurse um Radikalisierung bis in biografische Selbstdeutungen hinein Wirksamkeit entfalten können, mithin, wie Fälle von Radikalisierung im Radikalisierungsdiskurs erst hervorgebracht werden.

Jamal Afridi: „Eine Biografie, ähnlich sehr viele Leute, die nach Syrien später ausgereist sind oder sonst was.“

Die Fallrekonstruktion beginnt mit der Zusammenschau und Interpretation der aus dem Interview extrahierten biografischen Daten. Für die daran anschließenden sequenziellen Feinanalysen wählten wir neben der Eingangssequenz Passagen aus, die den Fall auf der manifesten Ebene als Radikalisierung beschreibbar machen, und rekonstruieren die dazu quer bzw. konträr gelagerten latenten Sinnstrukturen. Anders als das Radikalisierungsparadigma nahelegen würde, lassen diese Analysen biografische Diskontinuität, prekäre Zugehörigkeiten und das Ringen um Handlungsmacht als zentrale biografische Bezugsprobleme erkennbar werden und machen deutlich, wie Selbstdeutungen als ‚Radikalisierter‘ vor diesem Hintergrund Handlungspotenziale eröffnen.

Interpretation der biografischen Daten

Jamal Afridi wird als fünftes Kind und zweiter Sohn seiner Eltern in Afghanistan geboren, als der Krieg mit der Sowjetunion gerade zu Ende geht und das Land insgesamt instabil ist. Über seine Eltern erfährt man wenig. Jamal führt sie über die soziale Stellung der Großväter ein: Der Vater stammt aus einer einflussreichen und zugleich gewaltvollen Paschtunen-Dynastie, der Großvater mütterlicherseits war Naturheiler. In der politischen Umbruchszeit nach Kriegsende schließen sich Teile seiner Familie väterlicherseits Mudschaheddingruppen an, andere Teile sind im internationalen Drogenhandel verstrickt.

Jamal ist noch ein Säugling, als die Eltern mit ihm und den Geschwistern nach Deutschland migrieren. Jamals Kindheit ist von schweren familiären Konflikten geprägt. Die Ehe seiner Eltern bewegt sich entlang äußerer, intergenerationaler sowie innerer Konfliktlinien. Körperliche Misshandlungen der Mutter durch den Vater sind ebenso Alltag für die Familie wie dessen Alkohol- und Glücksspielsucht. Etwa zur Zeit von Jamals Einschulung unternimmt die Mutter einen Suizidversuch. In den darauffolgenden Jahren versucht die Mutter Handlungsmacht zu gewinnen, erwirkt ein Hausverbot gegen den Vater und sucht Zuflucht in einem Frauenhaus. Es folgt ein Mordversuch des Vaters an der Mutter, der nur durch das Eingreifen der Kinder verhindert werden kann. Trotz allem bleibt die Mutter bei dem Vater, dessen Spielschulden zum Verlust des städtischen Hauses führen und die Familie zwingen, in eine ländliche Region zu ziehen.

Jamal und seine Geschwister leben in ständiger Sorge um ihre Mutter. In der Schule ist Jamal verhaltensauffällig und sein Verhalten führt zu mehreren Klassenkonferenzen in der Orientierungsstufe. Jamal berichtet, dass in der Folge Eltern seiner Freunde den Umgang mit ihm verbieten. Die schulischen Interventionen führen somit zum Verlust relevanter Bezugspersonen. Jamal freundet sich zunehmend mit delinquenten Jugendlichen an. Nachdem Jamals Vater eine zweite Frau heiratet und mit ihr weitere Kinder zeugt, verlässt Jamals Mutter ihren Mann. Jamals Vater erleidet eine schwere Psychose, wird stationär behandelt und begeht nach der Entlassung Suizid.

Jamal besucht die 7. Klasse der Realschule, als in New York die Terroranschläge auf das World Trade Center ausgeübt werden. Am Tag nach dem Anschlag gibt ein Freund Jamal Flugblätter mit in die Schule. Darauf abgebildet ist das in die Türme fliegende Flugzeug und die Aufschrift „Afghan Airlines, wir fahren Sie direkt in Ihr Büro“. Es folgt eine Klassenkonferenz. Nachdem in der Schule bekannt wird, dass Jamal einem Dritten für 1.000 € eine Schusswaffe besorgt hat, wird er der Schule verwiesen.

Zusammen mit seinen delinquenten Freunden begeht Jamal mehre Kiosk- und Wohnungseinbrüche und konsumiert vermehrt Alkohol. Aus Sorge um Jamals Lebensstil lässt seine Familie ihn für einige Zeit in eine psychiatrische Klinik einweisen. Als Jamal mit dem 14. Lebensjahr strafmündig wird, folgt die erste Unterbringung in einer Jugendhaftanstalt. Die Aufenthalte in diesen totalen Institutionen scheinen einen verstärkenden Effekt zu haben. Jamal beginnt regelmäßig Cannabis und Kokain zu konsumieren. Er gerät hierüber immer wieder in Konflikte mit anderen. Nach einem Streit mit einem Mitschüler, den Jamals Bruder noch zu schlichten versucht, attackiert er den Mitschüler unter Drogen mit einem Messer. Er verletzt diesen schwer und wird zu fünf Jahren Jugendhaft verurteilt. Die örtliche Boulevardpresse berichtet über den „schlimmsten Jugendintensivtäter“ der Stadt. Konservative Politiker*innen fordern öffentlich seine Abschiebung nach Afghanistan.

Die Haft ist als Krisenerfahrung lesbar. Jamal beantragt eine Therapie, die jedoch abgelehnt wird. Jamal erlebt Gewalt unter Gefangenen, konsumiert Cannabis und erlebt den Umgang einiger Bediensteter mit ihm als rassistische Diskriminierung. Gleichzeitig erlangt er den erweiterten Realschulabschluss und beschreibt den verantwortlichen Lehrer als zugewandt. Mit dem heranrückenden Haftende wird das Thema der Abschiebung wieder virulent. Jamal beginnt sich in dieser Zeit mit dem Islam zu beschäftigen. Er kommt in Kontakt mit einer Gruppe um einen charismatischen Islamisten. Einige dieser Mitinsassen reisen später nach Syrien aus, um sich dort dem Kampf des sogenannten IS anzuschließen. Seinen Anschluss an die Gruppe stellt Jamal nun auch durch ein verändertes Äußeres zur Schau. Dies lässt sich als Versuch deuten, unter den Mitinsassen und Vollzugsbediensteten gesteigerte Aufmerksamkeit zu erhalten. Diese Transformation bleibt für Jamals Innenleben nicht ohne Konsequenz. Er berichtet von mehreren „Nervenzusammenbrüchen“ in dieser Zeit, in deren Folge er innerhalb der Haftanstalt auf eine andere Station verlegt wird. In diesem labilen Zustand wird Jamal kurz darauf aus der Haft entlassen.

Die Ausländerbehörde spricht eine neue Duldung für Jamal aus. Er bewirbt sich an mehreren Schulen, um sein Abitur nachzuholen. Erst als er die Haftzeit verheimlicht, wird er angenommen. Jamal wird zum Schulsprecher gewählt, geht seine erste Partnerschaft ein und schließt zugleich an den alten Lebensstil an. Er beginnt mit Glücksspielen und konsumiert zumeist am Wochenende Drogen wie Kokain. Dennoch absolviert er erfolgreich das Abitur. Mit 22 Jahren beginnt Jamal Wirtschaftsingenieurwesen an der städtischen Universität zu studieren. Zeitgleich enden Jamals Duldung und seine erste Beziehung. Glücksspiel und Drogenkonsum führen zu einer 30-tägigen wohnungslosen Zeit. Nach einem emotionalen Zusammenbruch nimmt er schließlich die Hilfe seiner Freunde an und unternimmt mit ihrer Unterstützung einen Drogenentzug. Hilfe bekommt Jamal auch von seinem älteren Bruder, der in früheren Konfliktsituationen ebenfalls meist präsent war. Dennoch kommt es auch nach dem Entzug immer wieder zu Konfrontationen mit der Polizei und schließlich zu einer kurzen Haftstrafe. Jamals Familie macht ihm ihre Enttäuschung über seinen Lebensstil deutlich, als sie ihn an Weihnachten nach seiner Haftentlassung nicht bei sich aufnimmt. Der Dezember 2015 ist weltpolitisch von den islamistischen Anschlägen in Frankreich und der darauffolgenden militärischen Intervention durch europäische Staaten in Syrien bestimmt. Obwohl Jamal nach seiner ersten Haft keine Berührungen zu islamistischen Kreisen hatte, entschließt er sich im Winter 2015 zu einer Ausreise nach Syrien. Mit falschen Papieren reist er zu einem internationalen Flughafen. Dort angekommen kontaktiert ihn ein Cousin, der vor Ort lebt, und lädt ihn nichts ahnend zu einem Fest ein. Jamal nimmt die Einladung an, erlebt das Fest als starke Gemeinschaftserfahrung, berauscht sich danach im Hotel mit illegalen Drogen und fliegt schließlich nicht nach Syrien.

Jamal kehrt in seine Heimatstadt zurück und wird von einem Freund und dessen Familie aufgenommen. Er beginnt eine Therapie. Ein in dieser Zeit laufendes Gerichtsverfahren endet und Jamal wird erneut zu drei Jahren Haft verurteilt. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Jamal 27 Jahre alt, drogenfrei und wird in Haft in einem Deradikalisierungsprogramm betreut.

Schon die Zusammenschau der biografischen Daten verdeutlicht die Komplexität des Falls, die mit den simplifizierenden deterministischen und individualisierenden Radikalisierungsmodellierungen nicht zu greifen ist. Unter der Perspektive des Radikalisierungsparadigmas wäre die Aufmerksamkeit zuvorderst auf die manifesten Bezüge zu islamistischen Akteur*innen und Aktivitäten gerichtet. Es ließe sich ein fortschreitender Radikalisierungsprozess konstruieren, der mit Jamals jugendlichen Sympathiebekundungen für die Attentäter der Terroranschläge von 9/11 beginnt, in der ‚Brutstätte‘ Jugendhaft über seine Annäherung an eine Gruppe von Mitinhaftierten, von denen später einige zum Kampf für den sogenannten Islamischen Staat ausreisten, befeuert wird und schließlich in der eigenen versuchten Ausreise nach Syrien kulminiert. Der offene Blick rekonstruktiver Forschung hingegen zeichnet schon auf dieser Ebene ein differenzierteres Bild: Jamals Kindheit ist von extremen innerfamiliären Gewalterfahrungen und dem Fehlen verlässlicher, stabiler Bezugspersonen geprägt. Seine Jugend wird von Interventionen und totalen Institutionen bestimmt, wohingegen er als junger Erwachsener versucht, Handlungsmacht zu gewinnen. Das Migrationsprojekt der Familie, dem zunächst das Potenzial eines Neuanfangs in Freiheit innewohnt, scheitert dramatisch und gipfelt im Suizid des Vaters. Jamals Überforderung bricht sich früh in aggressivem und destruktivem Verhalten Bahn, auf das sein (institutionelles) Umfeld nicht mit Zuwendung, sondern mit Sanktionierung und Ausschluss reagiert. Von der Familie über die Schule bis hin zum Staat – seine Zugehörigkeiten sind stets prekär. Delinquente Peers werden vor diesem Hintergrund ein Zufluchtsort für Jamal. Zudem zeigt sich ein psychosoziales Muster, auf biografische Krisen- und Überforderungssituationen ähnlich wie sein Vater und weitere Mitglieder der Familie väterlicherseits destruktiv zu reagieren. Parallel zu der sich verfestigenden Delinquenz deuten sich aber auch Bildungsaspirationen und alternative biografische Optionen an. Wiederholt treten jenseits des delinquenten Milieus signifikante Andere in Erscheinung, die Hilfe anbieten. Der Islam als Religion scheint lebenspraktisch kaum von Bedeutung. Näher liegt, dass es kulturelle Zugehörigkeitskonflikte und das Ringen um Handlungsmacht sind, die Jamals Situation anschlussfähig für islamistische Narrative machen. Die Feinanalyse des Interviewtextes wird zeigen, wie sich die Eigenlogik des Falls zu der Radikalisierungszuschreibung verhält, welche Rolle Ideologie und religiös begründete Gewalt dabei überhaupt spielen und welche Funktion und Bedeutung beispielsweise der versuchten Syrienausreise biografisch zukommt.

Interpretation der Eingangssequenz: Selbstpositionierung als „der Radikalisierte“

Die Interviewsituation ist durch strukturelle Asymmetrien gekennzeichnet: Jamal als mehrfach verurteilter Straftäter mit Migrationshintergrund steht einer etwa gleichaltrigen, weißen Akademikerin gegenüber. Für das Interview sind beide im Anwaltszimmer eingeschlossen, dennoch ist klar, dass die Interviewerin im Anschluss das Gefängnis wieder verlassen wird, während Jamal bleibt. Die Interviewerin legt das Forschungsinteresse zu Beginn noch einmal ausführlich dar und macht dabei vor allem das Interesse an der „kompletten Lebensgeschichte“ stark. Dabei signalisiert sie Interesse an „allem, was irgendwie dazugehört“. Jamals erste Reaktion auf den lebensgeschichtlich orientierten Erzählstimulus und die Aushandlung der Interviewsituation geben bereits wichtige Hinweise auf die Fallstruktur:

„Hm. Ich glaube, Sie werden auch verstehen, dass es nicht allzu einfach für mich ist. Wie gesagt, also, das Thema spricht mich ja auch an, und ich war ja in Jugendhaft. Und da hatte ich, muss ich ganz ehrlich gestehen, auch ein bisschen Feindbild gegenüber den deutschen Staat entwickelt in meiner Biografie. Das werden Sie wahrscheinlich auch raushören. Und das ist das erste Mal, dass ich jemanden mich rantrete. Und ich denke, das muss auch sein. Das wird mir auch mehr helfen, da diese Konflikte zu lösen, die ich auch lösen möchte, aber es wird nicht einfach sein. Ne, der mich anzuvertrauen den Menschen, von denen ich mich auch eigentlich ungerecht behandelt fühle.“ (BI Jamal, Z. 25–33)

Jamal beginnt nicht direkt mit seiner biografischen Stegreiferzählung, sondern stellt ihr eine Rahmung voran, die seine Auskunftsbereitschaft gegenüber der Interviewerin als Offenbarung auflädt, indem die Öffnung als persönliche Herausforderung markiert wird („nicht allzu einfach für mich“), die zudem exklusiven Charakter hat („das ist das erste Mal“, „muss ich ganz ehrlich gestehen“, „mich anzuvertrauen“). Dieser Eindruck wird durch Jamals ruhigen und bedeutungsvoll aufgeladenen Tonfall zu Beginn des Interviews unterstrichen, das Gespräch erhält dadurch eine konspirative Stimmung. Zudem wird das Gespräch als Chance für eine persönliche Entwicklung und hinsichtlich seines quasi therapeutischen Wertes thematisiert („Das wird mir auch mehr helfen, da diese Konflikte zu lösen“). Mit dieser Aussage markiert Jamal darüber hinaus seine Fähigkeit zur Selbstreflexion. Das Einnehmen der Vogelperspektive auf die eigene Biografie deutet auf den Versuch hin, die Asymmetrie der Interviewsituation auszugleichen und sich als Wissender zu positionieren. Wie stark diese Asymmetrie jedoch latent präsent bleibt, wird deutlich, wenn er am Ende der Sequenz – im Präsens – davon spricht, sich „anzuvertrauen den Menschen, von denen ich mich auch eigentlich ungerecht behandelt fühle“ und damit die Interviewerin als Repräsentantin der Mehrheitsgesellschaft, als zugehörig zum „deutschen Staat“ und damit als Teil des von ihm als repressiv empfundenen Systems markiert. Jamals Ringen um Souveränität und Deutungshoheit bei gleichzeitiger situativer Asymmetrie drückt sich auch in der zwischen Aktiv und Passiv changierenden Formulierung „das ich jemanden mich rantrete“ aus.

Bemerkenswert eindeutig erscheint demgegenüber Jamals Selbstdeutung auf der manifesten Ebene. Sehr klar beschreibt er sich als geeigneten Informanten mit Blick auf das durch das Informationsblatt zur Studie gesetzte Thema „Radikale Orientierungen und Lebenswelten“. Obwohl die Interviewerin in ihrem Erzählstimulus bewusst auf die gesamte Lebensgeschichte abstellt, bildet „das Thema“ den Bezugsrahmen seiner Selbstdarstellung und Positionierung. In seiner Selbstpräsentation reduziert Jamal seine – wie wir aus der biografischen Skizze bereits wissen – komplexe Lebensgeschichte auf diese Facette: Zentral stellt er das Bekenntnis „ein bisschen Feindbild gegenüber den deutschen Staat entwickelt“ zu haben und macht sich damit thematisch anschlussfähig an das Forschungsinteresse der Interviewerin.

Zugleich liefert Jamal im Sinne einer Globalevaluation seine (subjektiv von individueller Verantwortung entlastende) Eigentheorie für die Ursachen dieser Entwicklung: seine Diskriminierungs- und Ungerechtigkeitserfahrungen in Jugendhaft. Damit reproduziert Jamal auf bemerkenswerte Weise einen zentralen Deutungsrahmen im Radikaliserungsparadigma, wonach Diskriminierungs- und Unrechtserfahrungen zu Abwertungen der Fremdgruppe (hier des deutschen Staates und Deutscher allgemein) führen. Dabei irritieren jedoch seine abstrakte, theoretisierende Sprache (insbesondere Begriffe wie „Feindbild“ und „Biografie“), die eher einer akademischen Draufsicht entspricht sowie die im Vergleich zum Redefluss an vielen anderen Stellen im Interview holprige Satzarchitektur. Inwieweit diese Eigentheorie an das eigene Erleben angebunden ist, muss der weitere Interviewverlauf zeigen. Sichtbar wird hier aber in jedem Fall, dass sich das Deutungsschema ‚Radikalisierung‘ ganz prominent in der Selbstbeschreibung niederschlägt, obwohl sich die Interviewerin darum bemüht, diese Zuschreibung aufzuheben. An dieser Stelle lässt sich als These die Frage formulieren, inwieweit möglicherweise das Dispositiv der Radikalisierung zur biografischen Selbstdeutung herangezogen wird, auch weil es durch die von ihm in Haft wahrgenommene Beratung im Deradikalisierungsprogramm möglicherweise als biografisches Deutungsschema etabliert wurde.

Die Interviewerin reagiert auf mehreren Ebenen auf diese Vorrede. Zum einen signalisiert sie ihr nach wie vor bestehendes Interesse an Jamals Geschichte, wenn sie im Anschluss an Jamals Positionierung sagt: „Ja. Ich bin total neugierig all das zu hören“. Indem sie fortfährt: „Also, was Sie sozusagen ungerecht empfinden“ wird ihre Betroffenheit angesichts der Zuschreibung zur Gruppe der ungerecht Handelnden erkennbar. Während Jamal in seiner Positionierung um Souveränität ringt, ist die Interviewerin in einer hierzu gegenläufigen Bewegung darum bemüht, dem Interviewten angesichts der strukturellen Asymmetrie Autonomieräume zu eröffnen, was insbesondere daran deutlich wird, dass sie ihm im weiteren Verlauf der Sequenz die Interviewführung übergibt: „Sie leiten im Grunde jetzt dieses Interview. Ja?“. Diese situativen Aushandlungen vor dem Beginn der eigentlichen Stegreiferzählung verweisen auf der Ebene der Interviewinteraktion darauf, dass Fragen von Zugehörigkeit und ungleichen Machtstrukturen für Jamal ein biografisch zentrales Thema darstellen könnten. Die performative und rhetorische Nivellierung der strukturellen Machtasymmetrie zwischen Interviewerin und Jamal sind wie auch die von der Interviewerin ausgesendeten Signale der Offenheit Voraussetzungen dafür, dass Jamal bereit ist, der Interviewerin seine Biografie anzuvertrauen.

Religion und Syrienausreise oder der Versuch, prekäre Zugehörigkeit zu überwinden

Die nachstehende Sequenz ist einer späteren Passage der Stegreiferzählung entnommen und thematisiert Jamals erste Inhaftierung. Sie erweist sich als aufschlussreich hinsichtlich der Frage nach der biografischen Bedeutung des Islam und dem Verhältnis der Fallstruktur zur Radikalisierungszuschreibung. Auf der manifesten Ebene beschreibt Jamal hier seinen religiös-fundamentalistischen Aneignungsprozess des Islam während einer Haftzeit:

„Dann kam die Haftende, die Abschiebung kam ja ganz extremer Form. Immer wieder war ja thematisiert, wir schieben Sie ab. Und wo ich mich also extremster Form abgelehnt, in die Ecke gedrängt gefühlt habe, wo ich auch immer wieder gesagt habe, ich will eine Chance, und wie könnt ihr mich dahin abschieben, ich gehöre doch gar nicht nach Afghanistan, und aus Afghanistan jeden Tag Kriegsberichte gehört habe. Wo auch meine Träume tatsächlich auch sich anfangs da gebildet hatten von Krieg und allem. Und da kam der Moment, (…) ja, wo ich halt mich dahin vertieft habe und auch mich langsam mit dem Islam befasst habe von neuem, aber auch was ich da nicht gemerkt habe. Den Koran, den ich damals in Haft studiert habe in einer Phase, wo ich tatsächlich nicht klar bei Verstand war, überhaupt nicht klar bei Verstand war, habe ich gesehen, was ich sehen wollte. Also, das habe ich auch später gesehen. Eine Biografie, ähnlich sehr viele Leute, die nach Syrien später ausgereist sind oder sonst was. Denen ging es ähnlich. Also, denen ging es ähnlich, nicht nur aus Grund der Umstände, Familiengeschichte oder sonst was, sondern auch bezüglich diese Missverständnis, dass sie in Koran genau das gesehen haben, was sie eigentlich sehen wollten. Sprich, ihre eigenen Hass, ihre eigene Feindseligkeit quasi da reinzuprojizieren. Weil, der Koran an sich ist ja voll und voll ein kritisches Buch. Dass es, der kritisiert als Allererstes den Leser und den Menschen. Wenn jemand den Koran studieren sollte, klar bei Verstand ist, als Allererstes müsste er in Selbstzweifel verfallen und sich selber kritisieren, aber was haben wir gemacht? Ich habe das im Hass gesehen. Und ich habe dann die Rechtfertigung, meine Opferrolle gesehen. Sprich, die Ungläubigen sind an allem schuld. Und das waren für mich die Deutschen, der deutsche Staat, von dem ich ja immer wieder diese unsensible Ablehnung gespürt hatte.“ (BI Jamal, Z. 951–974)

Das nahende Haftende ist strukturell charakterisiert durch ein ambivalentes Verhältnis von Freiheit und unsicheren Zukunftsaussichten (Sykes 2007). Nachdem dem Gefangenen in der totalen Institution Gefängnis jegliche Autonomie, Entscheidungsgewalt und Individualität genommen wurde, steht er nun vor der Herausforderung, zurück in ein selbstbestimmtes Leben zu finden. Die neugewonnene unsichere Freiheit lässt sich von ehemaligen Inhaftierten nur selten in eine Normalbiografie (Kohli 1988) umwandeln. Im Fall von Jamal wird das Haftende durch die drohende Abschiebung zu einer einschneidenden identitätsbedrohenden Situation. Jamals deutsche Existenz und somit die Zugehörigkeit zu dem Land, in welchem er aufgewachsen ist, ist nicht länger gesichert. Sein Flehen um eine weitere Chance unterstreicht zusätzlich seine ausweglose Situation. Sein nicht vorhandener Bezug zum Herkunftsland Afghanistan, bei gleichzeitig an ihn herangetragener Reduzierung auf seine ethnische Herkunft, erzeugt Bedrohungs- und Ohnmachtsgefühle („in die Ecke gedrängt“). Das Erleben einer Machtasymmetrie, ausgelöst durch ein gewaltvoll und aggressiv erlebtes Gegenüber in Gestalt des deutschen Staates, fördert einen kulturellen Zugehörigkeitskonflikt.

Die beschriebenen Kriegsträume gehen einerseits auf den für Jamal präsenten Krieg in Afghanistan zurück, sie können aber zugleich als symbolhafter Ausdruck von Jamals konfliktreicher Situation interpretiert werden, die, so Jamals Selbstdeutung, ihn in einen pathologischen psychischen Zustand geführt hat. Angesichts dieser subjektiven Zuspitzung der Prekarität und eigenen Ohnmacht wird die Hinwendung zur islamischen Religion zu einem Ventil, das den Konflikt kanalisiert. Entscheidend scheint für Jamal nicht die Religion zu sein, sondern seine eigene Hilflosigkeit und ein ungewisser Blick in die Zukunft. Für beides macht Jamal staatliche Institutionen verantwortlich, die ihm als machtvolle Gegenspieler gegenübertreten und die Gewalt besitzen, seine Existenz als Deutscher zu beenden. Auch wenn Jamal keinen deutschen Pass besitzt, hat er doch die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland verbracht. Dass er sich der deutschen Kultur näher fühlt als der afghanischen, wird im Interview immer wieder deutlich, wenn es um seine Angst vor der Abschiebung geht. Dennoch gibt es für Jamal Zugehörigkeitskonflikte, die vor allem dadurch entstehen, dass er zwar mit deutschen Werten sozialisiert wurde, seine Familien- und Freundesnetzwerke sich aber über einen gemeinsamen muslimisch-migrantischen Erfahrungshintergrund bilden. Dies ist mitunter auch ein Grund für Jamals zwiespältiges Verhältnis zur islamischen Religion. In seiner biografischen Erzählung spielt Religion eine untergeordnete Rolle. Es wird deutlich, dass sich der islamische Glaube seiner Familie, wenn überhaupt, als kulturelle bzw. soziale Praktik äußert und am stärksten durch das subkulturelle Einfügen in muslimisch-migrantische Netzwerke beeinflusst wird. Fundiertes Wissen über den Islam lässt sich bei Jamal weder auf manifester noch latenter Ebene rekonstruieren, ebenso wenig eine gelebte Glaubenspraxis. Und dennoch ist die religiöse Auseinandersetzung vor dem Hintergrund der Migrationsgeschichte und dem damit verbundenen unsicheren Aufenthaltsstatus als distinktiver Vorgang zu verstehen, bei dem auf vertrautes und gleichsam zugeschriebenes Wissen rekurriert wird.

Jamal markiert seine Hinwendung zum Islam in dieser Phase als biografischen Wendepunkt („Und da kam der Moment“). Implizit verknüpft er seine Auseinandersetzung mit dem Koran mit seiner ideologischen Radikalisierung und parallelisiert seine eigene Entwicklung mit der von „anderen“ Syrienausreisenden. Vom aktuellen Standort aus markiert Jamal diese Entwicklung als Ergebnis seiner psychopathologischen Situation und distanziert sich davon. Die rhetorische Frage, „was haben wir gemacht?“, wird zu einem Vorwurf an sich und die vorher angesprochene Gruppe der Syrienausreisenden, der er sich zurechnet. Jamal rekurriert hier auf sein alltagstheoretisches Wissen über Radikalisierung.

Es zeigt sich, dass Jamal angesichts existenzieller Ängste, Unsicherheitserfahrungen und prekärer Zugehörigkeiten sowie unter dem Eindruck, ethnisch kategorisiert und ausgegrenzt zu werden, Orientierung in der Auseinandersetzung mit dem ihm kulturell nah erscheinenden Islam sucht. Die beginnende Koranlektüre wird als zentraler Wendepunkt markiert, der zu einer Art Selbstermächtigung führt, die sich in der Erzählung auch mit einem sprachlichen Wechsel vom Passiv zum Aktiv widerspiegelt. Der Islam und die Korantexte werden zum Vehikel, die destruktiven Gefühle nicht mehr nach innen, sondern nach außen zu richten. Wenn er sich retrospektiv von dieser Indienstnahme des Islam distanziert und den Prozess über den Vergleich seiner Biografie mit der von Syrienausreisenden implizit als Radikalisierung beschreibt, ist dies als neuerlicher Versuch zu interpretieren, angesichts seiner brüchigen und durch Widersprüche gekennzeichneten Biografie eine plausible Deutung des eigenen Lebens zu entwerfen und – zumindest auf der Ebene der biografischen Selbstdeutung – Autonomie und Souveränität zurückzuerlangen und sich aufzuwerten.

Dieses Muster reproduziert sich in ähnlicher Weise in Jamals Schilderung seiner versuchten Syrienausreise. Auch diese Sequenz beginnt mit der Darstellung einer Haftentlassung. Sie fällt in eine Lebensphase, in der Jamals delinquente Karriere bereits erste Brüche erkennen lässt und biografische Veränderungsprozesse in Gang gekommen sind, er aber noch eine auf ein früheres Vergehen zurückgehende Haftstrafe verbüßt:

„Kurz vor Weihnachten kam das dann so, dass ich rausgelassen wurde wegen dieser Geldstrafe. Und ich wusste, dass die Geschwister zusammen feiern als Familie jeden Tag. Und dann war ich bei meiner Schwester, hat mich angerufen und, und. Und ich war dann bei ihr zu Hause und habe dann/ Ihr Laptop war auf bezüglich der Feier, und sie ist eine halt die versucht auch halt immer das Gute zu machen. Und dann habe ich die Nachricht von meinem Bruder über Facebook gelesen, ja, wenn Jamal kommt, ich komme nicht und, und, und, und, und quasi. Und das war für mich so der Moment, wo ich gesagt habe, okay, jetzt wenn die mich nicht haben wollen auf deren Feier und so was. Weil, vorher war schon die Kritik und so was, dann. Ich habe es halt damals nicht verstanden. Okay. Ich benehme mich daneben und so. Weil, er hat halt geschrieben, ja, wenn er schon wieder Alkohol trinkt und so was, dann will ich ihn da nicht haben. Das war so für mich der Moment, wo ich auch von der eigenen Familie mich ausgeschlossen gefühlt habe. Ich habe gesagt, okay. Das war so der Moment, und ich habe über die Jahre durch diese Fantasie, die ich mir dort aufgebaut habe, durch dieses Psychosen in Haft/ Habe ich mir tatsächlich jahrelang durch die Kindheit, durch diesen ganzen (unv.) durch die Lebensgeschichte, durch die Schuldgefühle, die auch verstärkt und habe ich mir die Frage gestellt, Gott, willst du womöglich, dass ich kämpfe?“ (BI Jamal, Z. 1556–1574)

Wie bereits beschrieben, markiert eine Haftentlassung extrem prekäre Zustände. In Jamals Fall fällt die Entlassung in die Weihnachtszeit, und damit in eine Zeit, die nicht nur idealisiert wird und kulturell auf besondere Weise emotional und symbolisch aufgeladen ist, sondern die auch in Jamals Familie zum Anlass für ein Familienfest genutzt wird. Diese Kontextualisierung scheint für Jamal bedeutsam, denn er leitet die Sequenz mit Verweis auf diese familiären Festlichkeiten ein.

Insgesamt wird deutlich, dass Jamal über eine familiäre Unterstützungsstruktur verfügt, an die er nach der Haft anknüpfen kann. Darauf verweist sowohl der Umstand, dass er über die familiären Feierlichkeiten informiert ist – die Verbindung zur und Kommunikation mit der Familie also über die Haft hinweg aufrechterhalten wurde – als auch, dass er nach der Haftentlassung bei seiner Schwester unterkommt und sie sich eigeninitiativ um ihn kümmert. Die Unterstützung durch die Schwester wird nicht erklärt und erscheint damit als selbstverständlich. Gleichzeitig bleibt die Schilderung fokussiert auf die Sachebene, die Rolle der Schwester ähnelt damit eher der einer Bewährungshelferin. Jamal scheint somit einerseits strukturell in die Familie integriert, gleichzeitig steht er aber außerhalb, wie deutlich wird, wenn er sagt „die Geschwister zusammen feiern als Familie“ anstatt von „wir“ zu sprechen.

In dieser prekären Situation erhält Jamal nun eher zufällig über den Facebook-Account seiner Schwester Einblick in den innerfamiliären Diskurs über seine Person, der eine enorme Kränkung hervorruft. Mehrfach wird das Lesen der Facebook-Nachricht seines Bruders an seine Schwester als zentraler Einschnitt thematisiert („Das war […] der Moment“), der einen folgenreichen Wendepunkt markiert. Die Verwendung der gleichen Semantik wie bereits in der obigen Sequenz ist auffällig.

Das enorme Kränkungspotenzial ergibt sich zunächst ganz grundsätzlich daraus, dass hier für Jamal offenkundig wird, dass es einen kritischen innerfamiliären Hinterbühnendiskurs über ihn gibt, von dem er ausgeschlossen bleibt. Das familiäre Reden über ihn anstatt mit ihm spricht ihm den Subjektstatus ab und stellt eine Entmündigung dar, die auch als Missachtungserfahrung (Honneth 1994: 212) gelesen werden kann. Hinzu kommt, dass die Nachricht von seinem Bruder stammt, d. h. der Person, die in Jamals bisheriger Erfahrung immer als zwar kritisches, aber doch stets verlässliches und unterstützendes Gegenüber erlebt wurde. Dass ausgerechnet sein Bruder sich nun von ihm abwendet, verstärkt das Kränkungs- und Enttäuschungserleben. Gleichzeitig deutet sich in Jamals Darstellung an, dass es innerfamiliär schon zuvor Kritik an seiner Person und seinem Handeln gegeben hat, die bislang aber nicht zu einem Familienausschluss geführt hatte. Mittlerweile scheint (mindestens) für den Bruder eine Grenze überschritten, was mit dem Ausschluss vom Familienfest sanktioniert werden soll. Aus Jamals Perspektive muss dies umso schmerzlicher empfunden werden, war er doch nach seiner Krise, dem emotionalen Zusammenbruch und dem daran anschließenden Drogenentzug vor der Inhaftierung dem eigenen Empfinden nach gerade mitten in einem biografischen Veränderungsprozess zum Positiven.

Insgesamt bemerkenswert ist, dass die Position des Bruders als Position der ganzen Familie generalisiert wird („wenn die mich nicht haben wollen“), obwohl die Schwester Jamal gegenüber augenscheinlich loyal ist und als Vermittlerin innerhalb der Familie agiert. Die mögliche Offenheit der Situation wird von ihm nicht wahrgenommen, sondern der Familienausschluss wird als total und unumkehrbar interpretiert. Jamals Darstellung lässt erkennen, dass es für ihn keine Grautöne in der familiären Beziehungskonstellation gibt, die empfundene Ablehnung wird übergeneralisiert und Jamal fügt sich sofort in eine Opferrolle. Für Jamal reiht sich diese familiäre Ausschlusserfahrung zudem ein in vorangegangene gesellschaftliche Ausschlusserfahrungen („wo ich auch von der eigenen Familie“). Er scheint die Rolle des Außenseiters und Diskreditierten internalisiert zu haben. Er zeigt sich hypersensibel für Ausschlusserfahrungen und sieht nicht die potenzielle Offenheit und Aushandelbarkeit der Situation.

In der Eigentheorie bildet diese subjektiv als fundamental empfundene Enttäuschungserfahrung den Nährboden für seine Syrienausreisepläne. Sie führt in einen Fatalismus und eine Krise, die mit einem veränderten Geisteszustand korrespondiert („Psychosen“). Die Parallelen zur obigen Sequenz sind augenscheinlich. Der Rückgriff auf Gott in Kombination mit dem Narrativ des Kampfes und Krieges, der hier als rhetorische Frage („Gott, willst Du womöglich, dass ich kämpfe?“) am Ende der Sequenz erkennbar wird, scheint zu einer psychosozialen Bewältigungsstruktur geworden zu sein. Darüber hinaus wird ein Hang zur Dramatik deutlich, der sich nicht nur in vereinzelten semantischen Verwendungen wiederfindet, sondern auch durch die drastische Entscheidung repräsentiert wird, als Reaktion auf einen familiären Streit nach Syrien auszureisen. Dies allein erklärt Jamals Handeln jedoch nicht.

Im Interview mit Jamal finden sich weder Hinweise auf eine ausgeprägte Religiosität noch zeigen sich in seinen Erzählungen Narrative, die klassischerweise dem fundamentalen Islamismus zugeschrieben werden. Dennoch wird in dem Moment, als für ihn subjektiv alles Zusammenbricht, ein Narrativ vom Kampf im Namen Gottes aufgerufen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass dieses Motiv aufgrund des eigenen muslimischen Hintergrundes und medialer Präsenz islamistischen Terrors diskursiv verfügbar und somit anschlussfähig ist. Parallelisiert man erzählte und erlebte Lebensgeschichte und betrachtet dies im Lichte zeithistorischer Ereignisse (Rosenthal 1995), wird deutlich, dass nach den im November 2015 koordinierten Anschlägen in Frankreich die öffentliche Wahrnehmung von politischen und medialen Aushandlungen um islamistischen Terrorismus dominiert ist. Das Thematisieren von Bedrohungslagen durch Syrienausreisende und Rückkehrer*innen hat Konjunktur in Deutschland, womit deutlich wird, dass die Handlungsoption, nach Syrien auszureisen und sich den Kämpfen des IS anzuschließen, in dieser Zeit mehr als je zuvor auch diskursiv verfügbar ist.

Jamals Selbstbeschreibung „Eine Biografie, ähnlich sehr viele Leute, die nach Syrien später ausgereist sind oder sonst was.“ macht bereits auf einer manifesten Sinnebene deutlich, wie sein Selbstpräsentationsinteresse gelagert ist. Seine Selbstdeutung und das Framing als Fall von islamistischer Radikalisierung durch den Vergleich mit Biografien von Syrienausreisenden bekommt bei der Kontrastierung mit Jamals biografischen Daten und den Feinanalysen ein paradoxes Moment: Während die biografischen Daten zeigen, dass Jamal sich ab dem frühesten Zeitpunkt mit schweren familiären und später schulischen Konflikten konfrontiert sah, geben die Feinanalysen Aufschluss über die latent vorliegenden Zugehörigkeitskonflikte. Jamal fällt es schon während seiner Kindheit leichter, bei devianten als sich konform verhaltenden Peers Anschluss zu finden, was auch an der Bereitschaft dieser Gruppen liegen könnte, ihn aufzunehmen. Seine früh gebildeten devianten Netzwerke geben ihm nicht nur Zugehörigkeit, sondern auch Handlungsmacht. Das Ringen um Deutungshoheit im Interview als ‚Radikalisierter‘ verschleiert nicht nur seine institutionelle Biografie als mehrfach verurteilter Straftäter, sondern ist als Versuch des Rückgewinns der eigenen Handlungsmacht und Souveränität zu verstehen. Jamals Teilnahme an dem Deradikalisierungsprogramm wie auch am Interview verschafft diesem Versuch die nötige Resonanz und bestätigt Jamals biografische Subjektivierung. Es lässt sich somit eine Wechselwirkung zwischen einem als Diskurs verfügbaren Radikalisierungsnarrativ und einer individuellen psychosozialen Bewältigungsstruktur feststellen, die durch das Verlangen nach Zugehörigkeit und den Rückgewinn von Handlungsmacht geprägt ist. Dieser Befund ist anschlussfähig an biografietheoretische Arbeiten (siehe Spies & Tuider 2017), die sich mit diskurstheoretischen Ansätzen verbinden und nach dem Verhältnis von Subjekt, dessen Positionierung und dem Einfügen in Diskursordnungen fragen. Nach Spies (2017: 80) können Individuen in bestimmte Positionen hineingerufen werden. Biografische Wendungen, wie die Brüche im Fall von Jamal Afridi, und sein Selbstpräsentationsinteresse, das sich des Opfernarrativs bedient, führen zu einer Unterwerfung und einer Selbstpositionierung durch hegemoniale Diskurse (Reckwitz 2006: 346; Spies 2017: 78). Die Selbstpositionierung in bestimmten Diskursen und eine dadurch ausgelöste Rollenübernahme lässt sich auch in den theoretischen Arbeiten von Spies (2009, 2017) als Rückgewinn von Handlungsmacht lesen. Die Bearbeitung dieser Rolle durch Institutionen sozialer Hilfe und sozialer Kontrolle konfiguriert letztlich die Positionierung eines Subjektes innerhalb einer diskursiven Ordnung.

Diskussion

Exemplarisch haben wir anhand der Einzelfallrekonstruktion eines scheinbar einschlägigen Radikalisierungsfalls herausgearbeitet, wie der Blick durch die Brille des Radikalisierungsparadigmas einem tieferen Fallverstehen entgegensteht. Mehr noch: Wir konnten zeigen, wie Diskurse um Radikalisierung sich über Interaktionen und Prozesse der Fremd- und Selbstzuschreibung biografisch niederschlagen. Die dominante Konstruktion als Fall von Radikalisierung lässt alternative Lesarten und Problembeschreibungen unsichtbar werden. Jamals Biografie wird hierdurch enggeführt, obwohl sie sich bspw. auch als Geschichte eines delinquenten Jugendlichen mit multiplen Problemlagen oder auch eines Bildungsaufstiegs lesen lassen könnte. Diese spezifische Problemkonstruktion als Fall von Radikalisierung wird nicht durch eine Sachlage erzwungen, sondern stellt eine Konstruktion und Zuschreibung dar. Sie erklärt Jamal – wie die Einschätzung der Justizbediensteten und auch seine Aufnahme in das Deradikalisierungsprogramm dokumentieren – zu einem unter Beobachtung zu stellenden und bearbeitungsbedürftigen Sicherheitsrisiko. In den Vordergrund treten unter der Heuristik des Radikalisierungsparadigmas Fragen nach Radikalisierungsgrad, Risikoabschätzung und Interventionsaussichten. Jamals biografische Krisen, Zugehörigkeitskonflikte und seine Devianz und damit verbundene Fragen nach Genese, Wirkungen und biografischen Funktionen verblassen angesichts der Sicherheitsfokussierung. Biografische Krisen und Vulnerabilitäten geraten im Rahmen des Radikalisierungsparadigmas primär vor der Folie einer Risiko- und Gefahrenkalkulation in den Blick und werden nicht auf ihre gesellschaftlichen Bedingungen befragt.

Das Changieren zwischen einem Individuum auf der Mikroebene, dessen Erleben von Ausschluss, Unsicherheit und Ohnmachtsempfinden geprägt ist, und den Diskursen um Radikalisierung und Terrorismus mit der Konsequenz eines sicherheitsschaffenden Aktionismus auf der Makroebene führt zu spezifischen Wechselwirkungen: So wird ein delinquenter Jugendlicher aus muslimisch-migrantischem Milieu schnell zu einem Sicherheitsrisiko gemacht und ebendieser erhält durch die Adaption einer Identität als Radikalisierter die Aufmerksamkeit, die ihm als ‚normaler‘ Krimineller nicht zuteilwird. Die Erfahrungen institutionellen Einschlusses und gesellschaftlichen Ausschlusses führen darüber hinaus zu einer Freund-Feind-Konstruktion, bei der Narrative von Kampf und Befreiung auf fruchtbaren Boden treffen.

Die Fallrekonstruktion zeigt somit exemplarisch, wie das Radikalisierungsparadigma und der damit verbundene gesellschaftliche Diskurs Radikalisierte hervorbringt und ‚produziert‘. Indem es den Fokus auf Einzelne, oft ohnehin Marginalisierte richtet, anstatt soziale Probleme zu identifizieren und zu bearbeiten, geraten zudem strukturelle und institutionelle Dimensionen des Problems aus dem Blick. Diese Befunde einer mit dem Radikalisierungsparadigma verbundenen Individualisierung sozialer Probleme und deren Lösungsstrategien sind einzureihen in Arbeiten, die bereits theoretisch eine Entwicklung von den Wohlfahrtsstaat durchdringenden Sicherheits- und Kontrolllogiken konstatierten (Singelnstein & Stolle 2012; Lutz 2010; Garland 2008).

Betrachtet man diese empirischen Einsichten in einem größeren wissenschaftspolitischen Zusammenhang, so bedeutet dies zunächst anzuerkennen, dass Wissenschaft, die unter dem Label der Radikalisierungsforschung operiert, in diese Dynamiken verstrickt ist. Die akademische Wissensproduktion trägt durch normale Erkenntnispraktiken (siehe Reflexion Feldzugang) und systemimmanente Zwänge (wie das Einwerben bereits spezifisch gerahmter Drittmittelprojekte) maßgeblich zur Formung hegemonialer Deutungen bei (Fadil & Koning 2019; Sunier 2012). Sie ist zugleich Folge und Motor gesamtgesellschaftlicher Dynamiken der Versicherheitlichung (Schabdach 2011), medialer Inszenierungen dauerhafter Bedrohungen und einer Politisierung des Forschungsgegenstandes. Das Radikalisierungsparadigma, das in dieser Gemengelage in den vergangenen Jahren zu einer Art ‚heiligem Gral‘ sowohl in der politischen und gesellschaftlichen als auch in der wissenschaftlichen Debatte avanciert ist, wird – der Logik von Forschungsförderung folgend – verfestigt, wenn im Rahmen von Programmen zur Förderung der (zivilen) Sicherheit Forschungsgelder für Projekte zur (De-)Radikalisierungsforschung bereitgestellt werden. Diese Entwicklungen bergen die Gefahr, beobachtbare empirische Phänomene durch den spezifischen analytischen Rahmen des versicherheitlichten Radikalisierungsparadigmas und den damit verbundenen engen Gegenstandszuschnitt subsumptionslogisch zu vereinnahmen bzw. analytisch blind hinsichtlich komplexerer Dynamiken und alternativer Problembeschreibungen und -deutungen zu sein. Dies erscheint auch insofern fatal, als die Omnipräsenz und Dominanz des Radikalisierungsparadigmas mit seinen etablierten Normen der Problembeschreibung und -erklärung in keinem Verhältnis zum Grad seiner empirischen Sättigung und Evidenz stehen. Der Blick durch die radikalisierungsparadigmatische Brille wie auch die Verstrickungen von Wissenschaft und (Sicherheits-)Politik in diesem Forschungsfeld (über ökonomische Abhängigkeiten, versicherheitlichte Begriffe und Diskurse) erschweren (bis verhindern) freie, ergebnisoffene Forschungsprozesse. Insbesondere die psychologisierende und individualisierende Betrachtung von Radikalisierung verstellt den Blick auf den sozialen Kontext. Stattdessen sollte Radikalisierung als eine soziale Verflechtung betrachtet werden, die auf individueller und struktureller Ebene als eine Figuration (Elias 1994; Bogner & Rosenthal 2017) erscheint, als ein soziales Phänomen, welches erst durch das Wechselspiel und die Interaktion mit anderen Akteur*innen geformt wird. Für das Radikalisierungsparadigma in seinem spezifischen Gegenstandszuschnitt gilt umso mehr, was generell für hegemoniale Paradigmen gilt: Sie bekommen nur in den Blick, was in ihrem Denkhorizont angelegt ist.

Wehrheim (2018) geht in seiner Kritik an diesen Dynamiken so weit, dass er sozialwissenschaftlicher Sicherheitsforschung generell eine Absage erteilt, da sie einer Indienstnahme für sicherheitspolitische Interessen nicht entgehen könne. Demgegenüber plädieren wir angesichts der aufgezeigten problematischen Implikationen des Radikalisierungsparadigmas und basierend auf unseren Felderfahrungen für deutlich stärkere Offenheit und Irritierbarkeit angesichts empirischer Beobachtungen. Großes Potenzial für ein derartiges Vorgehen, so unser auf eigenen Felderfahrungen gründender Vorschlag, liegt in einem konsequent rekonstruktiven Forschungsprozess, der Kontingenzen ernst nimmt (vgl. hierzu auch Böcker et al. 2018). Insbesondere die Werkzeugkiste qualitativ-rekonstruktiver Methoden hilft, Zusammenhänge in ihrer komplexen Eigenart verstehend zu erfassen (Oevermann 2013). Ein solches Methodenset dient nicht nur der Rekonstruktion von Lebenswelten, Deutungen und Wissensstrukturen, sondern ermöglicht Alternativbeschreibungen abseits von hegemonialen Perspektiven und hat das Potenzial, diese zu irritieren. Fruchtbar erscheint uns hierfür beispielsweise die Clarkesche Situationsanalyse (2019) als Überarbeitung der Grounded Theory, weil sie analytische Rücksicht auf feldimmanente Komplexität nimmt. Zudem macht sie durch eine methodologische Verbindung zwischen Interaktionismus und Diskurs Perspektiven und Zusammenhänge sichtbar und rekonstruiert sie als Teil der Situation. Zur Rekonstruktion der Situation zählt auch eine methodische Selbstreflexivität, insbesondere auch darüber, wie wir als Forscher*innen unsere Forschungsgegenstände mitformen.[12]

Der Beitrag versteht sich explizit nicht als eine Absage an eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen nach den Motiven für die Hinwendung zu gewaltbereiten, menschenverachtenden Szenen, der Genese antidemokratischer Orientierungen, den gesellschaftlichen Bedingungen von Ungleichheitsvorstellungen, den Mechanismen der kollektiven Konstruktion von Feindbildern, der Entstehung von gewaltvollen Eskalationsdynamiken im Feld sozialer Bewegungen – um nur einige Beispiele zu nennen. All dies sind wichtige Forschungsfelder und in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung und einer diagnostizierten Krise der Demokratie drängende Fragen, die in ihrer Heterogenität und Komplexität jedoch schwerlich angemessen mit einer Differenzen einebnenden, monoparadigmatischen Apparatur wie dem hegemonialem Radikalisierungsparadigma mit seinen starken Vorannahmen erfasst werden können, noch dazu, wenn diese problematischen gesellschaftlichen Prozessen und Dynamiken (etwa der Versicherheitlichung, der Individualisierung von sozialen Problemen, der Stigmatisierung bestimmter Personengruppen etc.) Vorschub leistet. Die Beschäftigung mit Fragen dieser Art erfordert vielmehr eine analytische Horizonterweiterung, sprich einen „multiparadigmatischen“ (Scheffer & Schmidt 2019) Gegenstandszugriff. Es gilt, die uns als Sozialwissenschaftler*innen zur Verfügung stehenden mannigfaltigen Theorien und Ansätze „im Sinne einer konfrontativen Arbeitsteilung an den Gegenständen produktiv zu machen“ (Scheffer & Schmidt 2019: 170). Ohne bereits allgemeingültige Antworten auf die aufgeworfenen Probleme liefern zu können, plädieren wir hier für die Eröffnung neuer Denkhorizonte im Feld der Radikalisierungsforschung und für eine kritisch-reflexive Befragung der eigenen Forschung und ihrer Implikationen sowie dafür, die hier vorgestellten Einsichten als Ausgangspunkt für künftige Diskussionen zu begreifen.

About the authors

Nadine Jukschat

Nadine Jukschat, geb. 1984, Studium der Kulturwissenschaften, Theaterwissenschaft und Journalistik sowie Promotion (2016) an der Universität Leipzig. Seit 2018 wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut e. V. in Halle. 2010–2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. in Hannover. Forschungsschwerpunkte: Methoden rekonstruktiver Sozialforschung, kritische (De-)Radikalisierungsforschung, deviantes Verhalten und soziale Probleme. Jüngste Publikationen: „die sagen wirklich dass das radikal ist ein Kopftuch zu tragen. Ich bin jetzt schon für die Extremistin“ – Zum Umgang praktizierender Musliminnen mit stigmatisierenden Fremd(heits)zuschreibungen und Terrorismusverdacht, in: Zeitschrift für Religion Gesellschaft und Politik. https://doi.org/10.1007/s41682-020-00051-z (2020, zus. m. Lena Lehmann), Navigating a Rugged Coastline. Ethics in empirical (de-)radicalization research. CoRE-NRW Forschungspapier Nr. 1. (2020, zus. m. Kerstin Eppert, Lena Frischlich, Nicole Bögelein, Melanie Reddig und Anja Schmidt-Kleinert), „Was ist denn, wenn einer sagt ‚Allahu Akbar‘?“ – Wie Islam in Fortbildungen für JVA-Bedienstete verhandelt wird. In: Langner, J./Herding, M./Hohnstein, S./Milbradt, B. (Hrsg.): Religion in der pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischen Extremismus, Halle (Saale): Deutsches Jugendinstitut, S. 186–209 (2020, zus. m. Maria Jakob und Maruta Herding).

Katharina Leimbach

Katharina Leimbach, geb. 1991, Studium der Soziologie und empirischen Sozialforschung an der Universität Bremen. Seit 2018 Doktorandin an der Universität Kassel. 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens und Konfliktforschung. Von 2017–2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Leibniz Universität Hannover. Forschungsschwerpunkte: Soziale Kontrolle und soziale Probleme, qualitative Methoden, Kriminologie, Prävention und Intervention, kritische (De-)Radikalisierungsforschung. Jüngste Publikationen: Radikalisierung als hegemoniales Paradigma: Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Behemoth 12(2), 2019: 11–23 (zus. m. Nadine Jukschat), Gefängnisse im Blickpunkt der Kriminologie. Interdisziplinäre Beiträge zum Strafvollzug und Wiedereingliederung. Wiesbaden. Springer. (Erscheint im November 2020, Herausgeber*innenschaft zus. mit Bernd-Dieter Meier), Die kommunikative Konstruktion einer Problemgruppe. Zur Praktik der Ausstiegsbegleitung bei rechtsextremistischen Jugendlichen. In: D. Negnal (Hrsg.), 2019: Die Problematisierung sozialer Gruppen in Staat und Gesellschaft. Springer VS.

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Published Online: 2020-11-27
Published in Print: 2020-11-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 19.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2020-0028/html
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