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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter Oldenbourg November 10, 2022

Marktabhängigkeit und ihre Bedeutung für die Grenzziehungen von Solidarität

Market Dependency as Boundary for Solidarity
  • Isabell Stamm

    Isabell Stamm, geb. 1981. Studium der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der New School for Social Research, New York. 2012 Promotion an der Freien Universität Berlin. 2013 in der Politikberatung tätig. 2014–2106 Postdoc an der University of California Berkeley. 2017–2021 Forschungsgruppenleiterin der Freigeistgruppe „Entrepreneurial Group Dynamics“ an der TU Berlin. Seit 2021 Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Forschungsschwerpunkte: Unternehmertum, Eigentum, Organisation, Vermögen und intergenerationaler Transfer, qualitative Methoden; Jüngere Publikationen: Stamm, I.; F. Bernhard, N. Hameister & K. Miller, 2022, Lessons from Family Firms: The Use of Flexible Work Arrangements and its Consequences. Review of Managerial Science. Open Access; Stamm, I. & M. Gutzeit, 2021: Group Conditions for Entrepreneurial Visions: Role Confidence, Hierarchical Congruences, and the Imagining of Future in Entrepreneurial Groups. In: Small Business Economics, Open Access; Stamm, I. 2021: Groups Matter: the Social Embedding of Entrepreneurship. In: Andrea Maurer: Handbook Economic Sociology. Springer Nature. 253–270; Stamm, I.; A. Discua-Cruz & L. Cailluet, 2019, Entrepreneurial Groups: Definition, Forms, and Historic Change, Historical Social Research. 44 (4): 7–42.

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    , Lena Schürmann

    Lena Schürmann, geb. 1977. Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie an der Freien Universität Berlin. 2012 Promotion an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2010 bis 2017 wissenschaftliche Mitarbeit in verschiedenen Forschungsprojekten an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Alice Salomon Hochschule Berlin. Im SoSe 2019 Vertretungsprofessur am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrbereich Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität zu Berlin; Forschungsschwerpunkte: Wandel von Arbeit und Geschlechterverhältnissen, Prekäre Arbeit, Selbständigkeit, soziale Ungleichheiten, interpretative Methoden, Diskurs- und Subjektivierungsforschung; Jüngere Publikationen: Schürmann, L., 2022: Scham und Verdacht. Subjektivierung im Niedriglohnsektor. In: S. Bosančić, F. Brodersen, L. Pfahl, L. Schürmann, T. Spies & B. Traue (Hrsg.): Following the Subject. Grundlagen und Zugänge empirischer Subjektivierungsforschung. Wiesbaden: Springer VS, 171–196; Schürmann, L., I. Stamm & K. Scheidgen, 2022, Die Gegenwart der Krise als Erosion unternehmerischer Zukünfte: Eine Untersuchung der subjektiven Deutungs- und Bearbeitungsmuster Soloselbstständiger von der Corona-Pandemie. In: Arbeit 31(1–2): 77–94; Traue, B., A. Hirseland, H. Herma, D.L. Pfahl & L. Schürmann, 2019: Die Formierung des neuen Sozialbürgers. Eine exemplarische Untersuchung von Subjektivierungswirkungen der Hartz IV-Reform. In: Zeitschrift für Diskursforschung 2: 163–189.

    , Katharina Scheidgen

    Katharina Scheidgen, geb. 1987. Studium der Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung an der TU Berlin. Promotion in Berlin. Von 2015 bis 2019 Stipendiatin im DFG-Graduiertenkolleg „Innovationsgesellschaft heute“ an der TU Berlin und von 2020 bis 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leuphana Universität Lüneburg sowie in 2021 Gastwissenschaftlerin an der University of Amsterdam; seit 2021 Juniorprofessorin für Entrepreneurship und Innovation an der Georg-August-Universität Göttingen; Forschungsschwerpunkte: Entrepreneurship, Organisation, Netzwerke, Innovation; Jüngere Publikationen: Scheidgen, K., 2021, Degrees of Integration: How a Fragmented Entrepreneurial Ecosystem Promotes Different Types of Entrepreneurs. Entrepreneurship & Regional Development 33.1–2. 54–79; Scheidgen, K., A. Gümüsay, F. Günzel-Jensen, G. Krlev & M. Wolf (2021). Crises and Entrepreneurial Opportunities: Digital Social Innovation in Response to Physical Distancing. Journal of Business Venturing Insights, 15; Scheidgen, K. 2019. Social Contexts in Team Formation. Historical Social Research/Historische Sozialforschung 44.4: 42–74.

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    , Stefan Berwing

    Stefan Berwing, geb. 1977 in Steinheim a. A. Studium der Geographie, Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg. Von 2007 bis 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim; seit 2019 Leiter des Referats Bildungsberichterstattung am Bayerischen Landesamt für Schule; Forschungsschwerpunkte: Selbstständigkeit von Migrant:innen, Arbeitsmarktforschung, Organisation; Jüngere Publikationen: Berwing, S., 2019: Extending Mixed Embeddedness: Entrepreneurial Figurations of Entrepreneurs with Migrant Origins in Germany. Historical Social Research 44, 162–185; Berwing, S., Isaac, A., Leicht, R., 2019. Migrant self-employment in Germany. On the risks, characteristics and determinants of precarious work. S. 186–215 in: Conen, W., Schippers, J. (Hrsg.), Self-Employment as Precarious Work. A European Perspective. Cheltenham. Edward Elgar Publishing.

    and Arne Maibaum

    Arne Maibaum, geb. 1980 in Essen. Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. 2012–2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter TU Dortmund. 2015–2020 m.U. Stipendiat im DFG-Graduiertenkolleg „Innovationsgesellschaft heute“/Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin. Seit 2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Chemnitz; Forschungsschwerpunkte: Techniksoziologie, Innovation, Organisation; Jüngere Publikationen: Maibaum, A., Bischof, J. Hergesell & B. Lipp, 2022, A Critique of Robotics in Health Care. AI & SOCIETY 37 (2), 467–477; Maibaum, A., 2018, Innovating while Inventing. Innovationsphänomene, Springer, 209–224.

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Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht Grenzlinien der Solidarität. Er betrachtet, wie in Krisensituationen Unterstützungsbedarfe für jene soziale Gruppen verhandelt werden, die in etablierten Solidaritätsdiskursen in eine Deutungslücke fallen. Untersuchungsgegenstand bildet die öffentliche Verhandlung von Solidarität mit Soloselbstständigen zu Beginn der Coronapandemie. Gestützt auf Auswertungen von 21 qualitativen Interviews und ein Textkorpus mit 2428 Zeitungsartikeln zeichnen wir den Diskurs um Soforthilfe nach. Mittels einer Kombination aus strukturierender Inhaltsanalyse und Textmining zeigen wir auf, dass die Deutungsfigur der Marktabhängigkeit von Soloselbstständigen in dieser Krisenzeit dazu dient, die Hilfsbedürftigkeit der Gruppe zu identifizieren (soziale Grenzziehung), aber auch die Ausgestaltung der Hilfe kontrovers zu diskutieren (substanzielle Grenzziehung). Wir zeigen, wie sich Solidaritätsnormen im Diskursverlauf konfigurieren und dabei Marktabhängigkeit als relevante Grenze für Solidarität freigeben, diese aber nur zeitlich begrenzt wirksam bleibt.

Abstract

This article asks how boundaries of solidarity are constructed. From a sociological perspective, solo self-employed workers, who are both employees and entrepreneurs, fall into a collective interpretation gap in the discourse on solidarity. However, this changes at the beginning of the Covid-19 pandemic. Drawing on the analyses of 21 qualitative interviews and a text corpus of 2428 newspaper articles, we trace the public discourse on “Soforthilfe.” Using a combination of structuring content analysis and text mining, we show that the market dependency of the solo self-employed serves to identify the group’s need for financial support (social boundary), but also to controversially discuss the design of this support (substantive boundary). We show how norms of solidarity are configured throughout the discourse, releasing market dependence as a relevant boundary for solidarity – at least temporarily.

1 Einleitung

Die Finanzkrise, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, der Krieg in der Ukraine und immer noch die Coronapandemie erschüttern wirtschaftliche Abläufe, soziale Strukturen und Identitäten. In jeder dieser Krisen treten unterschiedliche soziale Gruppen als besonders hilfsbedürftig hervor. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die Gesellschaft sich solidarisch mit diesen Gruppen zeigen sollte – also ihre Ressourcen mit jenen teilt, die in Not geraten sind (Stjerno 2004; Morgan & Pulignano 2020). Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass nicht nur im medialen Diskurs, sondern auch innerhalb der Soziologie der Begriff der Solidarität Konjunktur erlebt (Schnabel & Tranow 2020; Lessenich 2020; Morgan & Pulignano 2020).

Bemerkenswert an dieser jüngeren soziologischen Debatte ist, dass die begrenzte Reichweite von Solidarität betont wird. Es werden die sozialen Grenzen in den Mittelpunkt gerückt entlang derer solidarische Beziehungen geknüpft werden (Lamont & Molnár 2002), wie etwa am Beispiel der Solidarität unter Staatsbürger:innen beschrieben (Lessenich 2020). Diese Grenzziehungen von Solidarität sind in moralische Diskurse, politische Koalitionen und soziale Handlungen eingebunden (Morgan & Pulignano 2020). Im Moment der Krise verlieren bereits gezogene Grenzen, die definieren, wer sich mit wem solidarisch zeigen solle, ihre Selbstverständlichkeit und werden Gegenstand von Auseinandersetzungen. Schnabel und Tranow (2020) schlagen deshalb vor, dass es nicht eine Solidarität, sondern Politiken mit Solidaritäten gebe, die je für sich entlang spezifischer Grenzlinien konstituiert sind.

Wenig erforscht ist jedoch, wie sich diese unterschiedlichen Grenzziehungen von Solidarität im Laufe der Zeit verschieben und ambivalente Solidaritätserwartungen produzieren. Besonders spannend ist die Frage, wie soziale Gruppen, die durch etablierte Grenzziehungen der Solidarität als nicht hilfsbedürftig übersehen werden, in Krisensituationen Grenzen neu verhandeln. Diese Leerstelle ist vor allem mit Blick auf Arbeit relevant, die bereits Durkheim (1992) als zentralen Ankerpunkt gesellschaftlicher Solidarität benannte. Hier verweist soziologische Forschung auf die anhaltende Bedeutung einer Grenzlinie, die auf der Dichotomie von Arbeit und Kapital fußt und die Solidarität der Arbeitenden in den Mittelpunkt stellt (Lessenich 2020). Diese Grenzlinie hat sich als zentraler Bezugspunkt in die Arbeitnehmerbewegung und auch in die Organisation des Sozialstaates eingeschrieben (Doellgast et al. 2018b; Lessenich 2020; Esping-Andersen 1999). Angesichts postindustrieller Veränderungen von Arbeit (Flexibilität, Prekarisierung, Digitalisierung (Castel 2008; Castells 2017)) verliert diese Grenzlinie mehr und mehr ihre Trennschärfe. Es fehlt jedoch an Forschung, die sich aufmacht, neue Grenzlinien zu identifizieren.

Genau dies ist das Ziel unserer Studie. Um solche alternativen Grenzlinien zu erforschen, wenden wir uns der Situation der Soloselbstständigen in der Coronapandemie zu. Soloselbstständige sind jene Personen, die „ihr Einkommen ganz oder teilweise durch Leistungen für den Markt, ohne dafür Mitarbeiter:innen zu beschäftigen“ (Pongratz 2020: 12) erwirtschaften – Arbeitskraft und Unternehmer:in in einer Person. Aufgrund ihrer Arbeitnehmer- und Unternehmerähnlichkeit fallen sie ins solidarische Niemandsland zwischen Kapital und Arbeit, ersichtlich unter anderem an ihrer randständigen Stellung zur paritätisch finanzierten Sozialversicherung (Schulze Buschoff 2019; Fachinger 2014). In der frühen Phase der Coronapandemie sahen sich viele Selbstständige und Unternehmer:innen durch weitgehende Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen (erster Lockdown) der Möglichkeit beraubt, Aufträge zu generieren. Großzahlige Befragungen von Soloselbstständigen in dieser frühen Phase der Coronapandemie zeigten, dass Soloselbstständige stärker von ökonomischen Einschränkungen betroffen waren als abhängig Beschäftigte, und sprachen deshalb von einer „Krise der Selbständigen“ (Kritikos et al. 2020; Schulze Buschoff & Emmler 2021). Sowohl das Programm der Soforthilfe als auch ein erweiterter Zugang zur Grundsicherung (Hartz IV) sollten hier Abhilfe schaffen. Es wurden Maßnahmen erlassen, die innerhalb weniger Tage Hunderttausende Soloselbstständige in Anspruch nahmen. Medienberichte thematisierten die Nutzung von Soforthilfe für Lebenshaltungskosten, Mitnahmeeffekte oder gar den Missbrauch der Hilfe. Im öffentlichen Diskurs wurden die Grenzen der Solidarität beziehungsweise der ausbleibenden Solidarität mit Soloselbstständigen als gesellschaftliche Gruppe sichtbar.

Wir nutzen diesen Diskurs um Soforthilfe zu Beginn der Coronapandemie als konkreten Fall einer öffentlichen Verhandlung von Solidarität mit Soloselbstständigen. Dieser Diskurs ist aus zwei Gründen instruktiv: Zum einen werden erstmals Soloselbstständige als eigenständige soziale Gruppe und ihre spezifische Verwundbarkeit öffentlich diskutiert, zum anderen wird hier Solidarität im Kontext einer spezifischen Form von Arbeit verhandelt, die bislang jenseits der Grenze von Solidarität verortet wurde. Für unsere Analyse rekurrieren wir auf einen normativ offenen Solidaritätsbegriff, da auf diese Weise untersucht werden kann, wie Solidarität selbst zum Konfliktgegenstand im sozialen Feld wird (Schnabel & Tranow 2020). Ziel ist es, jene kommunikativ-symbolischen Grenzziehungen zu rekonstruieren, die den Mitgliedschaftsstatus von Soloselbstständigen in der Solidargemeinschaft bestimmen und Legitimität und Ausmaß der zu ihrer Einbindung aufgebrachten Maßnahmen und Hilfspakte konstituieren. Mittels einer strukturierenden Inhaltsanalyse von 21 qualitativen Interviews und des Textmining eines Textkorpus von 2428 Zeitungsartikeln arbeiten wir Grenzlinien der Solidarität und darunterliegende Solidarnormen heraus.

Unsere Analysen zeigen, dass die Marktabhängigkeit von Soloselbstständigen zentraler Bezugspunkt dafür wird, die Hilfsbedürftigkeit dieser Gruppe und die Ausgestaltung der Hilfeleistung temporär zu bestimmen. Indem wir vorschlagen, dass die spezifische Verwundbarkeit, die aus der Abhängigkeit vom Markt resultiert, zum Ausgangspunkt für die Definition einer neuen Solidaritätsgrenze wird und so eine normative Verpflichtung zur Hilfe bestimmen kann, tragen unsere Ergebnisse wesentlich zur Thematisierung von Solidarität in der Soziologie bei. Diese Ergebnisse deuten damit auf Marktabhängigkeit als alternative Grenzlinie für Solidarität hin, die angesichts einer zunehmenden Vermarktlichung von Arbeit an Relevanz gewinnt. Sie zeigen aber auch, dass diese Grenzlinie nur für einen begrenzten Zeitraum solidarisches Potenzial zu entfalten vermag.

2 Deutungslücken im Diskurs um Solidarität

Eine wichtige Frage im gegenwärtigen soziologischen Diskurs um Solidarität lautet, wie sich in zunehmend ausdifferenzierten sozialen Lagen Solidarität beziehungsweise solidarisches Handeln ausbilden kann (Becker et al. 2018; Morgan & Pulignano 2020; Doellgast et al. 2018a). Begriffe wie „posttraditionale Solidarität“ (Honneth 1994), „international solidarity“ (Seeliger 2018) oder „digitale Solidarität“ (Stalder 2013; Lee & Staples 2018) teilen eine Hinwendung zu Durkheims (1992) Verständnis von organischer Solidarität, das Arbeit als zentrale Bezugsgröße bestimmt und argumentiert, dass solidarische Beziehungen nicht nur aus Gleichheit oder Ähnlichkeit sozialer Lagen, sondern aus Abhängigkeiten in einer arbeitsteiligen Gesellschaft entstehen können. Insofern wird, wie Lee und Staples (2018) herausarbeiten, Solidarität abhängig von der kollektiven Deutung dieser Abhängigkeiten. Mit wem und auf welche Weise solidarisch gehandelt werden sollte und sich solidarische Bewegungen formen, ist Gegenstand von intersubjektiven Aushandlungen und Deutungskämpfen (vgl. Lee & Staples 2018: 500) und kann anhand öffentlicher Diskurse untersucht werden.

Eine zentrale Deutung dieser Abhängigkeiten, die Grundlage für solidarisches Handeln bietet, ist die wechselseitige Abhängigkeit von Arbeit und Kapital. Zuletzt hat Stephan Lessenich (2020) das Basisnarrativ des Wohlfahrtsstaates trefflich beschrieben: Den historischen Ausgangspunkt markiert demnach die soziale Ungleichheit des industriellen Klassenkonflikts, wobei die „Abhängigkeit der Lohnarbeitenden von den Kapitalbesitzenden […] ungleich existenzieller bzw. potenziell existenzgefährdender [ist] als umgekehrt“ (Lessenich 2020: 115; siehe auch Offe & Wiesenthal 1985). Das Narrativ schlägt vor, dass Solidarität essenziell dafür ist, Kräfte zum Schutz von Arbeitnehmenden und gegen die Kapitalseite zu mobilisieren (Lee & Staples 2018: 499). Der Solidaritätsgedanke stärkt die kollektive Koordination in Interessenvertretungen, Gewerkschaftsbewegungen und politischen Parteien (Becker et al. 2018: 399). So gewinnt Arbeit Einfluss auf die politische Gestaltung von industrieller Produktion und Beschäftigungsverhältnissen, insbesondere aber auf die Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates (Morgan & Pulignano 2020). Der Wohlfahrtsstaat trägt durch seine Interventionen und Maßnahmen maßgeblich zur Minderung der Risiken der Erwerbsarbeit bei und wirkt sozialer Ungleichheit entgegen (Esping-Anderson 1999; Piketty 2014).

Im Zuge postindustrieller Entwicklungen hin zu einem informationellen Kapitalismus, die sich durch Vernetzung, Globalisierung, Tertiarisierung und Digitalisierung der Wirtschaft auszeichnen, verändern sich die Abhängigkeiten in der arbeitsteiligen Gesellschaft. Arbeit gestaltet sich, wie etwa Castells (2017) herausarbeitet, zunehmend individuell und flexibel. Damit eng verbunden ist die Ausbreitung von prekärer Arbeit, also von solchen Arbeitsverhältnissen, die aus Sicht der Arbeitenden unsicher, befristet und riskant sind (Castel 2008; Doellgast et al. 2018a). Teil dieser Prekarisierung von Arbeit ist die Wiedergeburt von Subunternehmertum, Zeitarbeit oder Selbstständigkeit (Castells 2017: 272). Gerade die jüngeren soziologischen Diskussionen um Arbeit im Plattformkapitalismus (Srnicek 2017) oder dem digitalen Kapitalismus (Staab 2019) weisen darauf hin, dass Arbeitsbeziehungen und Erwerbsrisiken immer stärker individualisiert werden (vgl. Morgan & Pulignano 2020: 29). Arbeitskraft wird dabei schrittweise rekommodifiziert und die sozialpolitisch organisierte Solidarität gerät unter Druck. Gleichzeitig wird die regulative Logik des Wohlfahrtsstaates konsequent auf eine „politics for markets“ umgestellt (Brown 2018). Baccaro und Howell (2017) sehen eine allmähliche Konvergenz unterschiedlicher Varianten des Kapitalismus, und zwar weg von der Betonung sozialer Solidarität und hin zu einer Annäherung an eine eher marktgetriebene und arbeitgeberdominierte Organisation von Arbeit.

Mit diesen Veränderungen von Arbeit und Abhängigkeiten in arbeitsteiligen Gesellschaften treten auch Deutungslücken bestehender Solidaritätsverständnisse hervor (Lessenich 2020). Lee und Staples (2018: 496) halten fest: „Eine Kollektividentität als homogenes Arbeiter-Wir hat als solidaritätsstiftendes Klassenkampfnarrativ zunehmend ausgedient.“ Eine solche Kollektividentität haben bereits Goldthorpe et al. (1976) infrage gestellt; sie steht im Zeitalter der „Singularitäten“ (Reckwitz 2019) gesellschaftlich insgesamt auf dem Prüfstand. Die kritische, diskursive Reflexion über Solidarität und ihre Grenzen lässt nicht mehr länger nur die inkludierende Wirkung, sondern auch die Exklusivität der Arbeitersolidarität in den Vordergrund treten (Lessenich 2020; Morgan & Pulignano 2020). Sowohl die feministische Kritik als auch die kritische Migrationsforschung weisen darauf hin, dass die wohlfahrtsstaatliche Solidarität in Deutschland den männlichen Facharbeiter im Normalarbeitsverhältnis ohne Migrationshintergrund zum prototypischen Vertreter einer kollektiven Arbeiteridentität avancieren ließ (Lee & Staples 2018; Morgan & Pulignano 2020). Dadurch aber werden nun soziale Gruppen identifiziert, die vormals in kollektive Deutungslücken von Solidarität fielen. Lessenich (2020: 115) spricht von einer näher zu bestimmenden „Politik mit Solidarität“, die diskursiv verläuft, aber in „vielfältiger Weise materiale Folgen zeitigt“.

Pongratz (2020) mahnt an, dass gerade Soloselbstständige, die als Inbegriff der individualisierten Arbeitswelt gelten, in eine ebensolche kollektive Deutungslücke im gesellschaftlichen Diskurs um Solidarität fallen. Denn, so Pongratz weiter, Soloselbstständige agieren wie Unternehmer:innen auf dem Markt, konzentrieren sich dabei aber wie Arbeitnehmer:innen ganz auf ihre eigene Leistungskraft (vgl. S. 21). In ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit für den Markt sind sie also ganz auf das Leistungsvermögen der eigenen Arbeitskraft angewiesen (Pongratz & Abbenhardt 2015). Sie beschränken ihr unternehmerisches Wachstumspotenzial, machen sich aber von betrieblichen Vorgaben unabhängig und ersparen sich den Aufbau und Erhalt eigener betrieblicher Strukturen (Pongratz 2020). Im Sinne des oben eingeführten Basisnarrativs führen Soloselbstständige damit den Arbeitskampf in erster Linie mit sich selbst und erst dann mit ihren Auftraggebern, der Antagonismus von Kapital und Arbeit verwischt.

Lessenich betont die Verletzbarkeit der Soloselbstständigen und betrachtet sie als Teil der „reproduktiven Reservearmee“ (Lessenich 2020: 120). Basierend auf dem Mikrozensus beziffern Maier und Ivanov (2019) die Zahl dieser Soloselbstständigen in Deutschland auf 2,32 Millionen, was etwa 58 % aller Selbstständigen entspricht. Eine Reihe von Studien zu der Einkommens- und Vermögenslage von Soloselbstständigen weist darauf hin, dass diese zwar zum Teil gute Verdienstchancen haben, ein erheblicher Teil der Soloselbstständigen jedoch nur wenig bis sehr wenig verdient und sich nicht ausreichend für das Alter oder gegen Erwerbsrisiken absichern kann (Brenke 2016; Conen & Schippers 2019; Maier & Ivanov 2019; Niehues & Pimpertz 2012). Es ist als wesentliche Leistung bisheriger Forschung anzusehen, dass Soloselbstständige als Grenzgänger im sozialstaatlichen Wohlfahrtssystem erkannt und beschrieben wurden (Fachinger 2014; Schulze Buschoff 2019; Jansen 2020). Manske (2007) verweist auf die marktradikale Lage, in der sich viele Selbstständige befinden. Bührmann und Pongratz (2010) sprechen gar von prekärem Unternehmertum und unterstreichen damit, dass eben nicht nur das Normalarbeitsverhältnis brüchig geworden ist, sondern sich auch alternative und prekäre Formen von Unternehmertum herausbilden, die sich vom „Normalunternehmertum“ unterscheiden (Bührmann 2012).

Die Konsequenzen für Solidarität sowie die darunterliegenden Aushandlungsprozesse sind bislang aber nicht Gegenstand soziologischer Reflexion und Analyse geworden. Dabei deuten gegenwärtige Mobilisierungsbewegungen von Plattformarbeitenden oder Diskurse über eine Inklusion Soloselbstständiger in die sozialen Sicherungssysteme auf ein Ringen um Solidarität mit soloselbstständig Erwerbstätigen hin – also um eine soziale Gruppe, die sich in einer kollektiven Deutungslücke im gesellschaftlichen Diskurs um Solidarität befindet. Eine Analyse der Deutungspraxis von Solidarität mit Soloselbstständigen birgt insofern das Potenzial, wichtige Grenzziehungen von Solidarität und die Mechanismen ihrer Konstruktion zu offenbaren. Sie liefert damit wichtige Einblicke in die Verfasstheit der Gegenwartsgesellschaft, die mitunter als Entrepreneurial Society (Audretsch 2007; Rose 1998; Bröckling 2016) beschrieben wird.

3 Grenzziehungen im Solidaritätsdiskurs

In diesem Aufsatz entwickeln wir die These, dass in der Deutungspraxis um Solidarität mit Soloselbstständigen eine wesentliche Grenzziehung deren Marktabhängigkeit markiert. Bevor wir diese These anhand des empirischen Materials herausarbeiten, wollen wir zunächst die Figur der Grenzziehung im Solidaritätsdiskurs reflektieren.

Einen wesentlichen Bezugspunkt dieser Studie bildet das von Ulf Tranow (2012, 2017) skizzierte Verständnis von Solidarität, das wir allerdings stärker diskurspraktisch deuten. Im Kern versteht Tranow Solidarität als ein Moment der Hilfe innerhalb einer Gemeinschaft oder, wie es Stjernø (2004) formuliert, als die Bereitschaft, Ressourcen mit anderen zu teilen, die in eine Notlage geraten sind. Tranow (2012) schlüsselt Solidarität als Bündel von Sollens-Erwartungen auf (siehe ähnlich auch Bayertz 1998), denen sich Individuen verschreiben können (Normbindung) oder die sich systemisch institutionalisiert haben (Normgeltung). Wie sich Solidarität konkret gestaltet, ist historisch kontingent und gesellschaftlich umstritten (Schnabel & Tranow 2020; Morgan & Pulignano 2020).

In Solidaritätsdiskursen können Erwartungen an Solidarität thematisiert, reflektiert und interpretiert werden. Hier werden „konfligierende Vorstellungen über Zugehörigkeit, Zusammengehörigkeit und kollektiver Verantwortung verhandelt“ (Schnabel & Tranow 2020: 7). In Abgrenzung und Erweiterung zu Tranows strukturalistischer Perspektive rücken wir diese Verhandlung von Solidarität in den Vordergrund, da die Deutungen Zugänge und Ausgestaltungen solidarischer Beziehungen bestimmen und die zu einem spezifischen Zeitpunkt praktizierte Solidarität verschieben, verstärken oder schwächen können (Morgan & Pulignano 2020).

In der Deutungspraxis zeigt sich die beschränkte Reichweite von Solidarität, denn diese ist nicht nur inkludierend, sondern geht auch mit Grenzziehungen einher. Wie Lamont und Molnár (2002) zeigen, nutzen soziale Akteure symbolische Unterscheidungen und interpretative Strategien, um soziale Differenzen zu schaffen, zu erhalten und zu kritisieren. Wenn sich diese sozialen Differenzen in einem ungleichen Zugang zu Ressourcen und Gelegenheiten manifestieren, entstehen soziale Grenzen (ebd.). Die Hervorhebung einer spezifischen Differenz allerdings lässt andere Differenzen in den Hintergrund rücken – und so blinde Flecken und Deutungslücken entstehen.

Schnabel und Tranow (2020) arbeiten heraus, dass sich die Positionen in der Deutung von Solidarität darin unterscheiden, wer zum solidarischen „Wir“ gezählt wird und welche Leistungen sich die Mitglieder einer Solidargemeinschaft gegenseitig schulden. Sie schlagen vor, soziale und substanzielle Grenzziehungen zu unterscheiden, die sich gegenseitig bedingen:

Soziale Grenzziehungen beziehen sich darauf, welche Personen(gruppen) oder Kollektive (nicht) zu einer solidarischen Gemeinschaft gehören. Insofern sprechen Schnabel und Tranow (2020) von einem sozialen Solidaritätsradius, der bestimmt, wer (keine) Chancen auf Zuwendung, Aufmerksamkeit oder Unterstützung hat. Solidarität beruht auf der sozialen Differenz von „Wir“ und „Die“. Der Solidaritätsradius ist in seinen Zuschnitten höchst variabel, unterliegt jedoch häufig institutionalisierten Grenzziehungen. Folgt man dem oben beschriebenen Basisnarrativ stellt die Differenz zwischen Arbeit und Kapital eine wichtige soziale Grenzlinie dar (Lessenich 2020). Eine weitere oft unhinterfragte Grenzziehung ist jene des Nationalstaates (Beck 2010). Vernachlässigt wird, dass nationale Kollektive nicht naturwüchsig entstehen, sondern als Produkte politischer und hegemonialer Projekte angesehen werden müssen, die schließlich in Form des Nationalstaates stabilisiert werden (Karakayali 2013; Werron 2018). Innerhalb dieser so begrenzten Solidargemeinschaften werden nun Ressourcen mit jenen geteilt, die als hilfsbedürftig identifiziert werden. Auch die Sozialversicherungssysteme als institutionalisierte Solidarbeziehungen weisen derartige Grenzziehungen auf.

Substanzielle Grenzziehungen definieren, „welche materiellen oder immateriellen Solidarleistungen die Mitglieder eines Solidaritätsradius in welcher Höhe einander schulden“ (Schnabel & Tranow 2020: 5). Diese Form der Grenzziehung beruht auf der Idee, dass die Mitglieder eines Solidaritätsradius angemessene Beiträge zu Kollektivgütern leisten. Welche Leistung zu erbringen ist, was als angemessen gilt und mit welchem Verbindlichkeitsgrad Leistungen erfolgen, muss diskursiv bestimmt werden.

Anschließend an Durkheim (1992) und in einer strukturalistischen Tradition sieht Tranow (2012) die Grenzziehungen in diesen beiden Dimensionen, und damit die Reichweite von Solidarität, von Normen getragen. Solidarnormen sind für Tranow der zentrale Mechanismus zur Grenzziehung, denn sie bringen Erwartungen zum Ausdruck, dass bestimmte Akteur:innen Leistungen erbringen und andere Leistungen erhalten sollten (Tranow 2012: 54). Solidarnormen variieren dahin gehend, wie stark sie innerhalb einer Gemeinschaft institutionalisiert sind, und reichen „von einer Selbstbindung aufgrund persönlicher Werthaltungen bis hin zur rechtlichen Verankerung bspw. im Rahmen des Wohlfahrtsstaates“ (Schnabel & Tranow 2020: 10). Auch institutionalisierte Solidarität weist einen Normbezug auf: „Dieser zeigt sich in Semantiken der Gemeinschaftlichkeit und kollektiven Verantwortung, durch die entsprechende Leistungen begründet oder eingefordert werden“ (Schnabel & Tranow 2020: 9).

Eine soziologische Analyse von Solidarität verlangt nun, diese Grenzziehungen und die Mechanismen ihrer Konstruktion zum Gegenstand zu machen. In der diskursiven Praxis erfolgen nicht nur soziale oder substanzielle Grenzziehungen, sondern es verändern oder verstetigen sich auch Solidarnormen. Dabei gilt es, die Tragweite von Grenzveränderungen zu berücksichtigen (Tilly 2004) und zu prüfen, ob sich die Grenzen des Solidarradius kurzfristig oder dauerhaft verschieben, ob sie in Bezug auf die sie begründenden Normen stabil bleiben, oder ob eine solche Veränderung gar mit der Ablösung einer zuvor bestehenden Grenze einhergeht.

In der folgenden empirischen Untersuchung steht die Verhandlung von Solidarität mit Soloselbstständigen zu Beginn der Coronapandemie im Mittelpunkt. Die Krise lässt bestehende und als unhintergehbar scheinende soziale und substanzielle Grenzen der Solidarität brüchig werden und macht es erforderlich, diese Grenzen neu zu verhandeln. Dabei ist erstens fraglich, entlang welcher sozialer Differenzen Soloselbstständige als hilfsbedürftig identifiziert werden, und zweitens, welche Hilfeleistungen diese erwarten können. Eine solche Analyse verspricht wichtige Einblicke in die darunterliegenden Solidarnormen und in ihr Verhältnis zueinander.

Wir argumentieren, – das sei schon vorweggenommen – dass hier Solidaritätsgrenzen entlang der Grenze der Marktabhängigkeit gezogen werden. Deutungswirksam wird hier nicht der Arbeitsmarkt, in dem Arbeitskräfte im Wettbewerb um mehr oder weniger attraktive Arbeitsstellen stehen (Doellgast et al. 2018a), sondern Absatzmärkte, auf denen produzierte Waren und Dienstleistungen angeboten werden (Marx 1990; Pfeiffer 2021). In einem abhängigen Arbeitsverhältnis reduziert sich, so Lessenich (2020), die Abhängigkeit von Absatzmärkten, insofern solche Marktrisiken in einem begrenzten Maße von der Kapitalseite getragen werden. Den neuen zahlreichen Formen selbstständig Erwerbstätiger, seien es nun Plattformarbeitende, freie Mitarbeiter oder Soloselbstständige, ist gemeinsam, dass sie wirtschaftlich davon abhängig sind, mit ihrer Arbeitskraft neue Aufträge zu generieren (Pongratz & Simon 2010). Sie sind der Abhängigkeit von Absatzmärkten unmittelbar ausgesetzt (Bögenhold & Staber 1991). Wir zeigen, wie in dem Solidaritätsdiskurs zu Soloselbstständigen diese Marktabhängigkeit zu einem zentralen Bezugspunkt sozialer und substanzieller Grenzziehungen wird.

4 Der Fall Soforthilfe in der Coronapandemie

Anfang 2020 breitete sich das SARS-COV-2 Virus in Europa aus. Erschreckende Bilder dramatischer Szenen aus norditalienischen Krankenhäusern führten zur Sorge vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems auch in Deutschland. Zur Eindämmung der Coronapandemie verständigten sich Bund und Länder auf drastische Beschränkungen sozialer Kontakte im öffentlichen Bereich. Zunächst wurden (Groß-)Veranstaltungen verboten. In den Tagen darauf folgten schrittweise Schließungen von Landesgrenzen, von Schulen und Kindergärten und schließlich von Geschäften; Gottesdienste, Vereinsversammlungen und Ansammlungen von mehr als zwei Personen wurden untersagt. Deutschland begab sich in den sogenannten ersten Lockdown – umfassende Einschränkungen der persönlichen Freiheiten der Bürger:innen und zugleich ein bisher einzigartiger Eingriff in die selbstständige Erwerbstätigkeit.

Um die wirtschaftlichen Folgen dieses Eingriffs aufzufangen, errichtete das Bundeskabinett am 23. März den „Corona-Schutzschild für Deutschland“. Der Schutzschild stellte mit einem Volumen von insgesamt 819,7 Milliarden Euro als Garantien und 353,3 Milliarden Euro als haushaltswirksamen Maßnahmen das größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik dar. Auch für „kleine Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler“ stellte die Bundesregierung als Teil des Schutzschilds 50 Milliarden Euro für direkte Hilfen bereit. Aus diesen Mitteln wurde für kleine Unternehmen unter 10 Beschäftigten eine unbürokratische finanzielle Unterstützung, die sogenannte Soforthilfe, finanziert. Wenige Tage zuvor legten die Bundesländer schon Soforthilfeprogramme für Selbstständige und Kleinstunternehmer:innen auf, die dann spätestens Anfang April eingestellt beziehungsweise mit dem Bundesprogramm verschmolzen wurden. Hier konnten Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten einmalig maximal 15 000 Euro Zuschuss zu Betriebskosten erhalten, bei bis zu 5 Beschäftigten – und damit auch für Soloselbstständige – waren es maximal 9000 Euro für drei Monate. Während einige Länderprogramme vorsahen, dass die Soforthilfe zur Kompensation von Einkommensausfall genutzt werden konnte, war dies im Bundesprogramm nicht mehr möglich. Parallel dazu sah der „Schutzschild bei Verdienstausfall“ für zunächst sechs Monate einen erleichterten Zugang zum System der Grundsicherung (umgangssprachlich Hartz IV) vor: Für eine schnelle Auszahlung erfolgte die Bedürftigkeitsprüfung erst nachträglich und es wurde der Freibetrag für Privatvermögen hochgesetzt. Am 8. April sprachen sich die Wirtschaftsminister aller Bundesländer in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erfolglos dafür aus, dass Soloselbstständige pauschal 1000 Euro monatlich als Teil der Soforthilfe im Sinne eines Unternehmerlohns für ihren Lebensunterhalt einsetzen können.[1]

Die Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung wurden weitestgehend bis zum 3. Mai verlängert, wobei im Laufe des Aprils erste Lockerungen ermöglicht wurden: Ab dem 20. April konnten Geschäfte mit einer Fläche von bis zu 8000 Quadratmeter und ab dem 4. Mai Friseure und Schulen wieder öffnen, Kitas blieben vorerst geschlossen und Großveranstaltungen verboten. Die Bundesländer einigten sich auf den Notfallmechanismus, der vorsah, Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu erlassen, sollten in einem Kreis mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner:innen gemeldet werden. Die schon in manchen Bundesländern vorgenommenen Lockerungen der Kontaktbeschränkungen wurden bundesweit vereinheitlicht, es durften sich wieder Menschen aus zwei Haushalten im öffentlichen Raum treffen und ab Mitte Mai öffneten die Restaurants wieder unter Auflagen. In diesem Zustand einer Lockerung unter Vorbehalt verweilte Deutschland bis Ende Oktober.

Im November dann wurden neue Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung und weitere Hilfsprogramme (Novemberhilfen) beschlossen. Mit der Überbrückungshilfe schuf die Bundesregierung eine Anschlussförderung für die Soforthilfe für Soloselbstständige. Auch die Überbrückungshilfe, die bei Corona-bedingten Umsatzrückgängen gestaffelt erstattet wurde, sah keine Förderung von Lebenshaltungskosten vor. Die Antragstellung erfolgte nun über prüfende Dritte (Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung, vereidigte Buchprüfer oder Rechtsanwälte), die Umsatzrückgänge und fixe Betriebskosten bestätigten. Wie bei der Soforthilfe war auch hier die föderale Förderlandschaft ein Flickenteppich. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg etwa ergänzten die Überbrückungshilfe mit einem Unternehmerlohn zur Deckung der Lebenshaltungskosten von bis zu 1000 beziehungsweise 1180 Euro monatlich.

Parallel zu den Förderungen für Soloselbstständige wurden ab Ende März 2020 Stipendien- und Zuschussprogramme speziell für Künstler:innen in allen Bundesländern aufgelegt. Diese Programme waren sehr unterschiedlich: Mal wurde eine Art Unternehmerlohn zur Deckung des Lebensunterhalts ausgezahlt, in anderen Fällen ging es um eher geringe Beträge, teilweise handelte es sich um Wettbewerbe oder projektbezogene Soforthilfen, und mal wurden Werke gegen Bezahlung als Arbeitsstipendien für eine künstlerische Leistung von den Ländern in Auftrag gegeben.

5 Methodisches Vorgehen

Ziel unserer Studie ist es, die Grenzziehungen von Solidarität mit Soloselbstständigen und dabei insbesondere Marktabhängigkeit als Grenzlinie besser zu verstehen. Für unsere Analyse wählen wir deshalb eine offene, auf Verstehen angelegte Herangehensweise, die theoretische Vorstellungen generiert und präzisiert (Reichertz 2014; Flick et al. 2015). Als konkreten Fall einer Verhandlung von Solidarität mit Soloselbstständigen wenden wir uns dem öffentlichen Diskurs (Medien und Politik) um Soforthilfe zu Beginn der Coronapandemie zu. Diskurse „lassen sich als mehr oder weniger erfolgreiche Versuche verstehen, Bedeutungszuschreibungen und Sinn-Ordnungen zumindest auf Zeit zu stabilisieren“ (Keller 2004: 7). Im Diskurs um Soforthilfe wurde erstens verhandelt, ob Soloselbstständige Hilfen in der Coronapandemie erhalten sollten (soziale Grenzziehung), und zweitens, wie diese Hilfen ausgestaltet sein sollten (substanzielle Grenzziehung). In diesem Diskurs wurden Gründe für unterschiedliche Positionen gegenüber einer Hilfe für Soloselbstständige und ihrer (Nicht-)Integration in das Sozialsystem abgewogen.

Ziel unserer Untersuchung ist es, die normativen Begründungsmuster für die verhandelten Grenzziehungen der Solidarität mit Soloselbstständigen aus dem öffentlichen Diskurs um Soforthilfe herauszuarbeiten. Dafür bedienen wir uns zweier unterschiedlicher Quellen diskursiven Materials: Erstens führten wir leitfadengestützte Interviews (Helferich 2019) mit Vertreter:innen aus Politik und Medien, die sich aktiv in den Diskurs um Soforthilfen eingebracht hatten (sogenannte Diskursproduzenten, vgl. Keller 2004). Dazu zählen Personen aus der Bundes- und Länderpolitik, die entweder an der Gestaltung und Umsetzung der Soforthilfen beteiligt waren oder aktive Opposition dazu betrieben hatten, ebenso wie Journalist:innen, die in dieser Zeit in ausführlich zu dem Thema recherchierten und berichteten. Der Leitfaden wurde jeweils individuell angepasst, umfasste im Wesentlichen aber immer fünf thematische Blöcke: (1) die eigene Positionierung im Diskurs (zum Beispiel politische Aktivitäten oder geschriebene Artikel), (2) eine Schilderung des ersten Lockdowns und seiner Konsequenzen, (3) eine Einschätzung zu den Soforthilfemaßnahmen, (4) zu Rückforderungen und Betrugsfällen und (5) der aktuellen und künftigen Situation von Soloselbstständigen. Insgesamt führten wir 21 Interviews mit einer Länge zwischen 45 und 120 Minuten in der Zeit von Juli bis November 2020. Tabelle 1 stellt die Interviewpartner:innen im Überblick dar.

Zweitens stellten wir ein umfangreiches Textkorpus von insgesamt 2428 Zeitungsartikeln zusammen, die im Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis 30. November 2020 zum Thema Soforthilfe veröffentlicht wurden. Dafür haben wir 36 Zeitungen (Print und Online) ausgewählt, die über eine eigene Redaktion verfügen, unterschiedlichen Verlagshäusern angehören und entsprechend den Medienanalysedaten der AGWA (2018) eine hohe Reichweite aufweisen. Wir haben Medien ausgewählt, die deutschlandweit ebenso wie regional berichten, ein breites politisches Spektrum abbilden und Selbstständige als Teil ihrer Leserschaft adressieren. So zählen zu den ausgewählten Medien etwa die Augsburger Allgemeine, der Münchner Merkur, die SZ, die B.Z., die Berliner Zeitung, Der Tagesspiegel, die BILD, Der Spiegel, Die Welt, Die ZEIT, die FAZ oder das Handelsblatt. Der Zugriff auf die Texte erfolgte über Nexis. In das Datenkorpus wurden nur jene Artikel aufgenommen, die eine Schlagwortkombination aus den Bereichen „Selbstständigkeit“ (zum Beispiel Solo[-]selb[st] stä[ae]ndig[e], Freiberufler, Klein[st]-unternehmer, Solounternehmer etc.) und „staatliche Unterstützung“ (zum Beispiel Soforthilfe, Grundsicherung, Hartz IV, Überbrückungshilfe etc.) enthielten. Die identifizierten Zeitungsartikel überführten wir in eine mittels Textminingverfahren analysierbare Datei (Silge & Robinson 2017). Dafür bereinigten wir die Texte in mehreren Runden (etwa durch Zurückführen auf Wortstämme, Entfernen von Stoppwörtern) und ergänzten Metadaten (Titel, Publikation, Quelle, Abrufdatum, Dateiname der Inputdatei) (Silge & Robinson 2017). Zusätzlich überführten wir die Texte in eine MAXQDA-Datei für eine vertiefende Analyse. Die identifizierten Artikel variierten in ihrer Länge und mit ihrem Bezug auf das Thema Soforthilfe stark. Daher führten wir im Textkorpus neben der engen Verhandlung von Soforthilfe auch einen breiteren Diskurs, der die Lebenssituation von Menschen in der Coronapandemie und staatliche Handlungen während dieser Zeit thematisiert. Wir halten diesen breiten Diskurs für wesentlich, um die normative Deutung von Solidarität mit Soloselbstständigen zu verstehen.

Tab. 1:

Übersicht der Interviewpartner:innen

#

FUNKTION

EBENE

ORGAN

P1

Politiker:in

Bund

Interessensvertretung

P2

Politiker:in

Land

Investitionsbank

P3

Politiker:in

Land

SPD

P4

Politiker:in

Land

FDP

P5

Politiker:in

Land

Ministerium unter CDU/SCU Führung

P6

Politiker:in

Bund

Link

P7

Politiker:in

Bund

FDP

P8

Politiker:in

Land

Grüne

P9

Politiker:in

Bund

Grüne

P10

Politiker:in

Land

FDP

P11

Politiker:in

Land

Grüne

P12

Politiker:in

Land

Ministrium unter CDU/CSU Führung

P13

Politiker:in

Bund

Ministerium unter SPD Führung

J1

Journalist:in

Land

SZ Byern

J2

Journalist:in

Land

TAZ

J3

Journalist:in

Bund

WirtschaftsWoche

J4

Journalist:in

Bund

Die Welt

J5

Journalist:in

Land

Spiegel / Finanztip / Deutschlandfunk

J6

Journalist:in

Bund

Deutsche Handwerkszeitung

J7

Journalist:in

Land

Augsburger Allgemeine

J8

Journalist:in

Bund

Deutschlandfunk

Bei der Auswertung des Materials konzentrierten wir uns auf die inhaltliche Ebene der Verhandlung von Solidarität mit Soloselbstständigen und darin enthaltene normative Begründungsmuster, weniger jedoch auf die Umstände der Diskursproduktion. Mit dem Anspruch, eine theoretische Offenheit gegenüber dem Material zu bewahren und einen auf Verstehen angelegten Zugang zu wählen, der dennoch den Besonderheiten dieses umfang- und gehaltreichen Materials gerecht wird, kombinierten wir eine strukturierende Inhaltsanalyse der Interviews mit einem Textmining des Textkorpus. Diese Vorgehensweise wurde bereits in anderen Studien erfolgreich angewandt (Wiedemann & Lemke 2016; Waldherr et al. 2019).

Die strukturierende Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018, 2019) fordert ein textinterpretierendes und fallorientiertes Vorgehen. Zwei Autor:innen haben das Kategoriensystem durch unabhängiges Codieren generiert, unterstützt von einer studentischen Hilfskraft. Dabei wechselten sich Phasen der intensiven Auseinandersetzungen mit ausgewählten Textpassagen mit Phasen der Abstrahierung, Justierung und Einordnung einzelner Kategorien zu einem Kategoriensystem ab (Strauss & Corbin 1990; Kuckartz 2018). Als sehr instruktiv erwiesen sich Textpassagen über eine Übernahme von Lebenshaltungskosten durch die Soforthilfe, über die erweiterte Grundsicherung (Hartz IV) für Soloselbstständige und über die Gegenfolie Kurzarbeitergeld. Diesen Textpassagen ist gemeinsam, dass sie Grenzen einer Hilfe für Soloselbstständige benennen und austarieren. In einem iterativen Prozess aus Arbeit am Material und dem Konsultieren einschlägiger Literatur spannten wir das finale Kategoriensystem entlang der Dimensionen der sozialen und substanziellen Grenzziehungen sowie der darunterliegenden Solidarnormen auf, wobei wir in jeder dieser Unterkategorien „Marktabhängigkeit“ als zentrales Ordnungsphänomen identifizieren konnten. In einem finalen Durchgang wurde das vollständige Interviewmaterial entsprechend dem finalen Kategoriensystem kodiert.

In nächsten Schritt nutzten wir das Textmining, um zentrale Strukturen im öffentlichen Diskurs offenzulegen (Manderscheid 2019). Hier bedienten wir uns der Herangehensweise des „blended reading“ (Stulpe & Lemke 2016): Zunächst bildeten wir im Zuge des Textmining durch die automatisierte und computerbasierte Analyse des Textkorpus induktiv Themenfelder. Diese Themenfelder bestanden zunächst aus Wortlisten, die wir mittels Frequenzanalysen automatisch aus dem Material generierten (Waldherr et al. 2019). Im Anschluss haben wir ausgewählte Artikel zu den jeweiligen Themenfeldern manuell und intensiv gelesen. Unter dem Eindruck dieser gelesenen Artikel sowie der strukturierenden Inhaltsanalyse reduzierten wir die Wortlisten, bildeten Unterkategorien und erhöhten die Trennschärfe zwischen den Themenfeldern (Stulpe & Lemke 2016). Auf diese Weise konnten wir die automatisierte Analyse des Textkorpus an ein interpretierendes und kontrollierendes Lesen koppeln und somit die Idee des „blended reading“ umsetzen (ebd.). Letztlich haben wir die Themenfelder „Selbstständig“, „Soziale Sicherung, „Arbeitsbedingungen“, „Marktabhängigkeit“ und „Hilfsnorm“ in unsere Analyse aufgenommen. Tabelle 2 bietet eine Übersicht der Themenfelder und ihrer Unterkategorien. Die Abdeckung der Themenfelder in den Artikeln ist mit etwa 92 % hoch. In unserer Analyse haben wir uns schließlich auf Kookkurrenzen und semantische Netzwerke zwischen den Wortfeldern konzentriert, die Zusammenhänge und Veränderungen im Diskursverlauf zeigten.

Tab. 2:

Übersicht Themenfelder des Textmining

THEMENFELD

UNTERKATEGORIE

HÄUFIGSTE WORTE (mehr als 9 Treffer)

ANZAHL Worte

ANZAHL in Unterkategorie

ANZAHL in Themenfeld

Selbständigkeit

Selbständig

Selbststand

1905

3,832

8,598

Soloselbststand

941

Selbstand

770

Soloselbstand

185

Kleinselbststand

10

Kulturschaffende

Kunstl

1725

2,796

Kulturschaff

438

Kunstlerinn

224

Kunstler

158

Kunstlern

85

Artist

29

Freie Berufe

Freberufl

844

1,116

Freischaff

254

Freiberuflerinn

10

Unternehmer

Kleinunternehm

635

Kleinstunternehm

406

Kleinbetrieb

44

Kleinstbetrieb

43

Kleinstfirm

33

Kleinfirm

13

Handwerk

Handwerk

219

324

Handwerksbetrieb

38

Kunsthandwerk

12

Handwerksmeister

10

Gastronomie

Wirt

128

185

Gastwirt

31

Wirtin

24

Schausteller

Schaustell

102

115

Yoga

Yoga

84

96

Sexarbeit

Sexarbeit

78

134

Sexarbeiterinn

29

Sexarbeiterin

18

Soziale Sicherung

Arbeitslosengeld

165

290

290

Arbeitslosenversicher

77

Arbeitslosenhilf

13

Kunstlerhilfsprogramm

13

Kunstlerhilf

12

Lohnersatzleist

10

Arbeitsbedingungen

Keine Arbeit

Arbeitslos

413

418

1,661

Lohn

Lohn

205

577

Unternehmerlohn

68

Lohnfortzahl

49

Mindestlohn

43

Nettolohn

37

Niedriglohnsektor

17

Entlohn

15

Lohnkost

15

Arbeitsstund

13

Flexibel

Flexibel

48

143

Flexibl

46

Flexibilität

32

Arbeitsort

Homeoffice

311

312

Allein

Alleingelass

24

46

Einzelkampf

10

Prekär

Prekar

142

165

Prekariat

18

Marktabhängigkeit

Einnahm

661

1,562

1562

Auftrag

441

Einnahmeausfall

93

Einnahmequell

42

Einnahmeverlust

41

Auftraggeb

35

Mindereinnahm

22

Auftragsbuch

16

Auftragslag

14

Betriebseinnahm

11

Mieteinnahm

11

Hilfsnorm

Unburokrat

478

1,006

1,006

Not

476

Schnelle Hilfe

51

SUMME

13,117

13,117

6 Ergebnisse

Sowohl die Ergebnisse der strukturierenden Inhaltsanalyse als auch die des Textmining weisen auf eine relativ unproblematische soziale, aber umkämpfte substanzielle Grenzziehung hin. Im öffentlichen Diskurs um Soforthilfe steht die Hilfsbedürftigkeit der Soloselbstständigen aufgrund ihrer Marktabhängigkeit außer Frage, die konkrete Ausgestaltung der Hilfe jedoch ist gerade wegen ihrer Marktabhängigkeit kontrovers. Die strukturierende Inhaltsanalyse erlaubt es, die darunterliegenden, teils konträren Solidarnormen zu benennen. Das Textmining verdeutlicht die starke Präsenz von Marktabhängigkeit als zentraler Grenzlinie im Diskurs und macht das Abflachen der Hilfsnorm im Laufe der Zeit sichtbar. Da die empirische Vorgehensweise beide Verfahren verschränkt und sich die Ergebnisse gegenseitig verstärken, werden die Ergebnisse im Folgenden nicht getrennt nach Methode, sondern nach ihrem inhaltlichen Gehalt präsentiert. Die herangezogenen Interviewzitate vermitteln einen Eindruck der vorgetragenen Argumente und Bewertungen. Sie zielen auf eine Illustration der Tonalität des Diskurses um Soforthilfe und verweisen auf den symbolischen Gehalt der gezogenen Grenzen (Lamont & Molnár 2002).

6.1 Soziale Grenzziehung (Solidaritätsradius)

Der Diskurs um Soforthilfe zeigt mit Blick auf die Frage, inwiefern Soloselbstständige eine hilfsbedürftige Gruppe darstellen, der Solidarität zuteilwerden sollte, einen breiten Konsens. Den sich hier offenbarenden Solidarradius bildet jene Schicksalsgemeinschaft, die sich einerseits dem gesundheitlichen Notzustand der Coronapandemie, vor allem aber den von der Bundesregierung zum Schutz der Bevölkerung erlassenen Kontaktbeschränkungen ausgesetzt sieht. Die Solidargemeinschaft teilt die Erfahrung, soziale Kontakte einschränken und den beruflichen Alltag nun anders gestalten zu müssen, die Sorge um finanzielle Einbußen und vor einer „Schieflage“(J4) der Wirtschaft. Implizit wird in dieser Fassung der Schicksalsgemeinschaft auch eine nationale Grenze mitgeführt, die allerdings nicht thematisiert und als selbstverständlich hingenommen wird.

Abb. 1: Themenfelder Marktabhängigkeit und Arbeitsbedingungen im Zeitverlauf
Abb. 1:

Themenfelder Marktabhängigkeit und Arbeitsbedingungen im Zeitverlauf

Innerhalb des Solidarradius ist die Betroffenheit von den Kontaktbeschränkungen und den damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen jedoch unterschiedlich verteilt. Als eine besonders hilfsbedürftige Gruppe werden die Soloselbstständigen identifiziert. Immer wieder wird betont, wie „von Anfang an“ (J4) klar war, dass die Soloselbstständigen „sehr, sehr stark betroffen sein werden“ (P11) beziehungsweise die „am stärksten betroffene Gruppe eigentlich sind“ (P10). In dieser frühen Phase der Coronapandemie werden die Unternehmen und die Selbstständigen als „Verlierer“ (J4) der Krise ausgemacht, wobei „je kleiner der Betrieb, umso größer [ist] das Solidaritätsempfinden“, bis dahin, dass Soloselbstständige in eine „absolute Opferrolle“ (J4) geraten. Der Journalist J2 fasst zusammen: „Also, dass die Soloselbständigen und Kleinunternehmen zu den am härtesten Betroffenen gehörten, war von Anfang an klar, wurde im Prinzip nicht bestritten“ (J2).

Die Klassifizierung der Soloselbstständigen als verwundbar lenkt den Blick auf die spezifischen Merkmale dieser sozialen Gruppe. Im Diskurs um Soforthilfe stehen einerseits die Arbeitsbedingungen soloselbstständiger Arbeit in ihrer Differenz zur abhängigen Beschäftigung und andererseits deren Marktabhängigkeit im Vordergrund. Abbildung 1 veranschaulicht, wie diese beiden Themenfelder sich im Diskursverlauf im Gleichschritt entfalten. Ein tieferer Blick auf beide Themenfelder zeigt jedoch, dass es die Marktabhängigkeit ist, die hier das relevante Kriterium für Hilfsbedürftigkeit konstituiert.

Das in Bezug auf Soloselbstständige sehr präsente Themenfeld der Arbeitsbedingungen haben wir anhand häufiger Wortnennungen im Rahmen des Textmining induktiv in die Unterkategorien ‚Lohn‘ (577 Nennungen), ‚keine Arbeit‘ (413 Nennungen), ‚homeoffice‘ (312 Nennungen), ‚prekär‘ (165 Nennungen), ‚flexibel‘ (143 Nennungen) und ‚allein‘ (46 Nennungen) gegliedert. Diese Unterkategorien soloselbstständiger Arbeit vermitteln das Bild einer Person, die vereinzelt und unter prekären Umständen den Einkommenserwerb aufrechtzuerhalten sucht. Soloselbstständige müssen „eben viel, viel SELBER stemmen“ (J6). Besonders bemerkenswert an diesem Bild ist, dass hier zentrale Dimensionen selbstständiger Arbeit wie das autonome und flexible Arbeiten in den Hintergrund treten. Dies überrascht, haben doch nicht nur zahlreiche qualitative Studien die Selbstorganisation im Arbeitsprozess als zentrales Motiv für Soloselbstständige herausgearbeitet (z. B. Manske 2016; Hanemann & Schürmann 2019), sondern es wurde dieser Anforderung gerade in der frühen Phase der Coronapandemie, in der viele Erwerbstätige ins Homeoffice wechselten, medial viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dennoch wird hier das Themenfeld der Arbeitsbedingungen auf den Aspekt des Einkommenserwerbs zugespitzt.[2]

Diese Zuspitzung auf den Einkommenserwerb greift das zweite Themenfeld, die Marktabhängigkeit, auf und spezifiziert diese: Soloselbstständige müssen ständig Einnahmen (661 Nennungen) und Aufträge (441 Nennungen) generieren, um Einnahmeausfälle oder -verluste (93 und 41 Nennungen) zu vermeiden. Die Ergebnisse der Interviewanalyse qualifizieren dieses Bild weiter: Soloselbstständige sind „alles selbständige Menschen, die für ihren Lebensunterhalt selber sorgen“ (P10), dabei „tatsächlich irgendwie mit ihren Auftraggebern zurechtkommen müssen“ (P1) und deshalb ein „sehr volatiles Einkommen“ (J8) haben. Soloselbstständige haben den „Risikoweg“ (P4) gewählt und tragen damit „ein unternehmerisches Risiko“ (J7). Wie Unternehmer:innen reagieren Soloselbstständige „recht agil“ (J1) auf widrige Marktumstände, versuchen bei veränderten Rahmenbedingungen „auch noch Chancen wahrzunehmen“ (J8) oder „ziemlich schnell so Konzepte [zu] entwickeln, um den Betrieb am Laufen zu halten“ (J6). Dabei sind sie keine professionellen Manager:innen und müssen sich „nach Feierabend mit irgendwelchen Formalien rum[…]schlagen“ (J1).

Insgesamt treten Soloselbstständige im Diskurs um Soforthilfe als „prekäre“ Unternehmer:innen in Erscheinung: Prekär seien Soloselbstständige insofern, als sie nicht nur über ein geringes Einkommen verfügten, sondern auch keine Möglichkeit hätten, Rücklagen anzulegen. Soloselbstständigen fehle ein „Polster“ (J1), sie hätten „keine Reserven“ (P2), sodass sie „nicht mehr als zwei Monate oder so überbrücken können“ (J4), sich „vielleicht einen Monat über Wasser halten“ (J6) oder „sozusagen von der Hand in den Mund“ (P1) lebten. Die Betonung der Prekarität von Soloselbstständigen erlaubt es, diese nicht nur gegenüber größeren Betrieben und Konzernen oder gegenüber Arbeitnehmer:innen zu differenzieren, sondern auch gegenüber den gut verdienenden Selbstständigen und freien Berufen.

Die Diagnose für die Soloselbstständigen lautet entsprechend, dass die erlassenen Maßnahmen der Kontaktbeschränkungen existenzbedrohend sein können. Diese Diagnose fußt auf der Wahrnehmung einer mangelnden Einbindung in die „sozialen Sicherungssysteme“ (P13). Soloselbstständige, so der Eindruck im Diskurs, sind „Einzelkämpfer“ (J1, J3, J5, J7), und „das ist jetzt kein Geheimnis, wenn es nicht klappt, dann bekommt man Hartz IV“ (P4). Wenn also keine Einnahmen über den Markt generiert werden können, kann „es recht schnell gehen, dass denen der Stecker gezogen wird“ (J2) und „dann steigt schon einfach die Existenzangst wahnsinnig an“ (J1). In der Coronakrise zeigt sich, dass viele Soloselbstständige „quasi von jetzt auf gleich nackt waren“ (P1) oder ihnen „der Boden unter den Füßen weggerutscht ist“ (J8).

Diese Diagnose der dringlichen Hilfsbedürftigkeit von Soloselbstständigen zu Beginn der Coronapandemie wird in zwei Richtungen qualifiziert. Zum einen zeichnet sich der Diskurs um Soforthilfe durch kontinuierliche Verweise auf die Heterogenität dieser Gruppe aus, woraus sich ableitet, dass nicht alle Soloselbstständigen in gleichem Maße betroffen sind. Es gebe eine „ellenlange Liste“ (P10), wer alles zu den Soloselbstständigen zählt, diese Gruppe sei „sehr bunt“ (P12) und „unglaublich unterschiedlich“ (J8), bis dahin, dass es „DIE Soloselbständigen ja gar nicht gibt“ (J5). Insofern beschränkt sich die Diagnose auf bestimmte Tätigkeitsbereiche, „die wirklich zumachen mussten, im Gegensatz zu anderen“ (P10). Als illustrative Beispiele werden in den gesammelten Artikeln häufiger Künstler:innen, Yoga:lehrerinnen, Schausteller:innen und Sexarbeiter:innen genannt, Geschichten von gut verdienenden Soloselbstständigen oder Pandemiegewinner:innen sind im Diskurs jedoch nicht präsent.

Zum anderen weist der Diskurs um Soforthilfe darauf hin, dass Soloselbstständige „ein bisschen unter dem Radar“ (P10) der Politik arbeiteten und nur eine „schwache Lobby“ (J4, J6) oder „keine Lobby“ (J8, P9) hätten. Es gebe „keinen Zusammenschluss“ (J5), „niemanden, den man systematisch ansprechen kann“ (J5), keine „gesammelte Stimme“ (J7) der Soloselbstständigen. Insofern sehen sich gerade die Journalist:innen hier in der Verantwortung, auf die Hilfsbedürftigkeit dieser Gruppe hinzuweisen und Soloselbstständige über ihre Möglichkeiten aufzuklären.

Korrespondierend zu dieser Identifikation einer vulnerablen Gruppe ergibt sich ein eindeutiges „Gegen“ in diesem Diskurs. Die Hilfsbedürftigkeit der Soloselbstständigen wird als staatlich verursacht wahrgenommen. Es sind der Bund und die Länder, die „diese Einschnitte ja auch selbst durchgeführt haben“ (J2), es war also „eine politische Entscheidung“ (J5, P12), den Soloselbstständigen ihren Marktzugang zu verwehren und damit „de facto ein Berufsverbot“ (J4, P11) zu erteilen. „Es sind ja nicht die Selbständigen, die ihre Tätigkeit eingestellt haben, sondern es ist eben staatlicherseits untersagt worden“ (P7). „Da gibt es ja schon einen Unterschied, ob ich nicht DARF oder ob ich keine Aufträge habe“ (J7). Es handle sich also um eine durch den Staat „selbst verschuldete Wirtschaftskrise“ (J2), und die Verantwortung dafür, dass Soloselbstständige ihrer Marktabhängigkeit ausgesetzt wurden, liegt „schon eigentlich beim Staat“ (J4).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der Solidarradius um die Betroffenheit von den Kontaktbeschränkungen und einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit aufspannt. Der Diskurs um Soforthilfe konzentriert sich auf Soloselbständige, die als besonders stark von Kontaktbeschränkungen betroffen wahrgenommen werden. Außerhalb des Solidarradius – und im Diskurs kaum thematisiert – stehen jene Personen und unter ihnen auch Soloselbständige, die ihrer Tätigkeit uneingeschränkt nachgehen konnten oder gar mehr Arbeit als zuvor hatten. Außerhalb des Solidarradius werden ebenso jene Personen positioniert, die aus betrügerischen Motiven vorgeben, selbständig zu sein. Der genaue Zuschnitt des Solidarradius hängt ferner von den jeweils vorgetragenen Solidarnormen ab, wie wir später noch zeigen werden.

6.2 Substanzielle Grenzziehung

Der Diskurs um Soforthilfe zeichnet mit Blick auf die Frage, auf welche Weise dieser soeben skizzierten Gruppe der Soloselbstständigen nun geholfen werden sollte, ein teilweise kontroverses Bild.

Grundsätzlich wird die Maßnahme der Soforthilfe als eine Nothilfe für Soloselbstständige und Kleinstunternehmer:innen als gut und sinnvoll bewertet. Einer der involvierten Politiker schildert, dass „es einfach auch eine besondere Situation gewesen [ist]. […] vor allen Dingen in diesen Mails oder in diesen Anträgen stand: ‚Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.‘ Also das waren dramatische Schilderungen teilweise, auch schockierte Leute. Und man hatte das Gefühl, es kommt jetzt auf schnelles Verwaltungshandeln an“(P12). Immer wieder wird hervorgehoben, dass „die Politik SCHNELL gehandelt hat“ (J3) und „sofort auf die politische Entscheidung“ (J5) der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen reagierte. Die Reaktionen der Soloselbstständigen auf die Soforthilfe seien „zunächst sehr positiv gewesen“ (J7, P4). Einige erkennen gar einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel: „WIR, ich und viele andere, waren sehr erstaunt, dass die Bundesregierung dermaßen massiv da reingeht. […] Es wird jetzt ziemlich viel geschrieben über die Renaissance des starken Staates nach den Jahrzehnten des Neoliberalismus“(J2).

Differenzen und Kontroversen gibt es hingegen bei der konkreten Ausgestaltung der Soforthilfe. Fraglich ist hier die Höhe, Verwendung und der Verbindlichkeitsgrad der Hilfen:

Höhe der Soforthilfe: Gerade zu Beginn des Diskurses wird die „Scholz’sche Bazooka“ (J2), die „Geld vom Himmel regnen ließ“ (J2), positiv erwähnt. Die Höhe der Soforthilfen wird als angemessen bewertet und insbesondere das Programm der Bundeshilfen als „großer Hebel“ (P3) verstanden, der „sehr viele Leute vor dem Konkurs bewahrt hat“ (J2). Es werden jedoch auch Bedenken laut, „ob die Summe ausreicht“ (J1), und eine stärkere Kopplung der ausgezahlten Beträge an den tatsächlichen Umsatz gefordert (J2, J5, P13).

Verwendung der Soforthilfe: Zentraler Reibungspunkt im Diskurs um Soforthilfe bildet aber die Verwendung der Soforthilfe für den Lebensunterhalt von Soloselbstständigen, die in den frühen Soforthilfeprogrammen der Länder vorgesehen war, dann in der Bundeshilfe ausgeschlossen wurde und nur noch von wenigen Länderprogrammen fortgesetzt wurde. Hintergrund bildet die politische Entscheidung, „dass für den Lebensunterhalt Hartz IV beantragt werden soll und für Betriebskosten HILFEN gegeben werden sollen“ (P9, auch P13). Im Diskurs wird kritisch angemerkt, dass viele Soloselbstständige nicht über Betriebskosten verfügten und im Wesentlichen einen Unternehmerlohn erwirtschafteten. Ein Programm, „das die Betriebskosten adressiert und den Unternehmerlohn aus den Betriebskosten systematisch rausrechnet, wird denen dann nicht gerecht“ (J5). Denn wenn Soforthilfen „eben nicht für den Lebensunterhalt dienen, sind damit die meisten Soloselbständigen außen vor“ (J4). Einige politische Parteien beurteilen diese Differenzierung in Betriebskosten einerseits und Lebenshaltung andererseits deshalb als „lebensfern“ (P4, P9). Sie beklagen eine „Hartleibigkeit“ (P1) des Bundes in dieser Entscheidung.

Verbindlichkeitsgrad der Soforthilfe: Während Schnabel und Tranow (2020) mit dem Konzept der Verbindlichkeit auf die Hilfegebenden abzielen, zeigt sich im Diskurs um Soforthilfe, dass hier Verbindlichkeit mit Blick auf die Hilfenehmenden im Sinne einer legitimen Inanspruchnahme der Hilfe verhandelt wird. Im Diskurs besteht große Einigkeit darüber, dass die Soforthilfe nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn die formulierten Kriterien erfüllt sind, andernfalls kann der Betrag zurückgefordert werden. Trotz einer schnellen Ausschüttung des Geldes sollten die Hilfen nicht „mit der Gießkanne“ (J3) verteilt werden, sondern: „Wir gucken natürlich schon, war das denn sinnvoll? War das denn berechtigt, Hilfen zu beanspruchen?“ (J3). Ein unberechtigter Bezug der Soforthilfe wird nicht geduldet. In diesem Zusammenhang werden zwei Fälle kritisch diskutiert. Zum einen der willentliche Betrug, der zwar als „Grundrauschen“ (J2) oder als erwartbarer „Mitnahmeeffekt“ (P4) grundsätzlich zu verurteilen ist, aber immer dann vorkommen kann, wenn scheinbar unkompliziert Geld zur Verfügung gestellt wird. Zum anderen der unabsichtliche Betrug, der durch veränderte Kriterien oder aber anfängliche Fehleinschätzungen der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung entstanden ist und zu einer regulären Rückforderung führen sollte. „Und das ist ja in diesem Falle tatsächlich auch so gewesen, dass dann manche von den Soloselbständigen verunsichert waren, ob sie da jetzt was falsch gemacht haben, ob sie sich möglicherweise des Betruges schuldig gemacht haben. Und ob sie jetzt rückzahlen sollen. Also Zehntausende von Leuten haben sich gefragt: ‚Wie soll ich mich jetzt verhalten?‘“ (J4).

Sehr präsent in der Verhandlung der substanziellen Grenzziehung einer Solidarität mit Soloselbstständigen ist die Relation der Soforthilfe zu anderen Formen der sozialen Sicherung. Im Zuge des Textmining zeichnet sich ein starker Schwerpunkt institutioneller Formen der Sicherung ab wie etwa das Kurzarbeitergeld (812 Nennungen) oder Arbeitslosengeld (353). Gerade die erweiterte Grundsicherung wird als „nicht unbedingt UNattraktive“ (P9) alternative Hilfe für Soloselbstständige verhandelt. Die erweiterte Grundsicherung sieht eine Unterstützung nach Hartz IV vor, allerdings mit „etwas großzügigeren Grenzen bei der Vermögensprüfung“ (P5). Auf diese Weise wird der Forderung Rechnung getragen, dass Selbstständige privat für ihren Ruhestand und andere Lebenslaufrisiken vorsorgen sollen (P8, P12, J3). Hervorgehoben wird dabei eine starke Stigmatisierung von Hartz IV (J2) als letztes Ressort, das im Falle des Scheiterns der soloselbstständigen Tätigkeit zur Existenzsicherung zur Verfügung steht. Da es sich im Falle der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen aber nicht um ein persönliches Scheitern, sondern um politisch entschiedene Einschränkungen der Markttätigkeit handelt, werden Soloselbstständige als zu Unrecht in die erweitere Grundsicherung gedrängt angesehen. „Es wurde halt gerne so als Skandal verkauft. So die armen Selbständigen müssen jetzt mit Hartz IV klarkommen“ (J3).

6.3 Solidarnormen

Den sozialen und substanziellen Grenzziehungen liegen, so schlägt Tranow (2012) vor, normative Vorstellungen zugrunde, wann und warum geholfen werden sollte. Im Diskurs um Soforthilfe konnten wir drei solcher Solidarnormen identifizieren, die unterschiedliche Varianten dessen darstellen, was Tranow als Unterstützungsnorm bezeichnet. Diese Normen können erklären, warum Soloselbstständige einhellig als hilfsbedürftige Gruppe bewertet, dann aber bei der konkreten Ausgestaltung der Hilfe teilweise wieder aus dem Solidarradius ausgegrenzt werden.

Hilfsnorm

Die erste Solidarnorm kreist um Hilfe in einer akuten Notlage. Der Lockdown wird hier als initialer Schock verstanden, die erlassenen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen – und damit der massive staatliche Eingriff in das Marktgeschehen – kommen einer Naturkatastrophe gleich. Es gilt nun, jenen zu helfen, die in dieser Krisensituation „in Not geraten sind“ (J2), denen, die „besonders hart von der Krise betroffen sind“ (P4). Es geht um eine zeitlich begrenzte „erste Nothilfe“ (J5) für Bedürftige. Die Soforthilfe ist wörtlich sofort, also unverzüglich, und unbürokratisch, also ohne spezifische Auswahl oder Kontrollen, zu gewähren. Sie „ist eben Billigkeitsleistung und nicht Projektförderung“ (P5). Billigkeitsleistungen sind aus der solidarischen Perspektive besonders, da sie erbracht werden, obwohl keine rechtliche Verpflichtung zur Hilfe besteht. Verglichen wird die Soforthilfe mit der Solidarität bei Fluthilfen: „Also schnell, unkompliziert da was machen und der Mechanismus, der war ja auch eigentlich von Fluthilfen zum Beispiel, da gibt es ja auch Soforthilfen, die auf so einem ähnlichen Mechanismus basieren“ (J1). Zum Tragen kommt das Verursacherprinzip: „Relativ einfach. Wenn ich politisch entscheide, wir wollen diese Menschenleben retten, indem wir die Wirtschaft auf diese Art und Weise runterfahren, dann muss ich politisch auch mit allem, was mir zur Verfügung steht, den Betroffenen über die Runden helfen“ (J5). Ferner kennzeichnet die Hilfsnorm die Soloselbstständigen als bedürftig, eine Bezeichnung, die in einigen Fällen der Selbstidentität als autonom und unabhängig entgegenläuft. Insgesamt begründet sich bei der Hilfsnorm Solidarität darüber, dass die Marktabhängigkeit von Soloselbstständigen mit einer hohen, gar existenziellen Verletzbarkeit einhergeht.

Erhaltungsnormen

Die Erhaltungsnorm stellt nicht die akute Notlage in den Vordergrund, sondern die Frage danach, was langfristig erhaltenswert ist. Hier speist sich die Befürwortung der Soforthilfe aus der Idee, dass selbstständige Erwerbsarbeit als Bestandteil der kapitalistischen Struktur beziehungsweise der nationalen Volkswirtschaft notwendig und deshalb erhaltenswert sei. Im Diskurs um Soforthilfe werden Soloselbstständige als Teil der gewerblichen Wirtschaft verhandelt. Die Soforthilfe solle dazu beitragen, Liquiditätsengpässe zu vermeiden (P4, P9, P13), und so „das wirtschaftliche Leben am Laufen halten“ (P12), langfristig Gewerbesteuereinnahmen und kommunalen Wohlstand sichern. Ferner werden Soloselbstständige als Teil der Unternehmerschaft gehandelt und es „ist bekannt, was für eine Innovationskraft die haben.“ (P11). Würde man Soloselbstständige nun schutzlos ihrer Marktabhängigkeit überlassen, würde das „fatal für das Gründungsgeschehen in Deutschland sein, weil dann würden sich in Zukunft nämlich sehr, sehr viele Menschen überlegen, ob sie überhaupt noch bereit sind, sich selbständig zu machen oder Unternehmen zu gründen“ (P2). Gestützt werden soll hier also die „unternehmerische Infrastruktur“ (J5). Soforthilfe muss dabei nicht jedem Individuum helfen, schließlich, so argumentieren einige, tragen Soloselbstständige nicht zum Arbeitsplatzerhalt bei und müssen mit Marktbereinigungen rechnen. Es geht eher darum, das große Ganze zu erhalten und eine „Implosion der deutschen Wirtschaft“ (J2) zu vermeiden. Denn „ohne eine stabile Wirtschaft können wir uns schlicht und einfach kein teures Gesundheitssystem leisten“ (P9). Eine Variante der Erhaltungsnorm findet sich im Teildiskurs um soloselbstständige Künstler:innen, die als wesentlicher Bestandteil des Kulturbetriebs angesehen werden. Insgesamt begründet sich Solidarität bei der Erhaltungsnorm dadurch, dass Marktabhängigkeit mit einer fragilen ökonomischen Verkettung verknüpft ist.

Quasi-Äquivalenznorm

Die dritte Solidarnorm basiert auf dem Versicherungsprinzip der wohlfahrtsstaatlichen Sicherungssysteme: Nur wer einzahlt und sich an der kollektiven Risikoabsicherung beteiligt, erwirbt einen Anspruch auf Versicherung im Schadensfall. Im Diskurs um Soforthilfe können zwei unterschiedliche Positionen beobachtet werden. Zum einen wird darauf verwiesen, dass das Äquivalenzprinzip der Sozialversicherungen hier nicht greife, da Soloselbstständige „nie EINgezahlt haben“ (P11). Viele freie Berufe hätten sich eigene Solidarsysteme aufgebaut und sich damit „unsolidarisch mit dem Solidarsystem“ (P1) gezeigt oder private Rücklagen gebildet, die nun zuerst aufgebraucht werden müssten. Im Fall der Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit ist „Hartz IV dann eben das Mittel, das der Sozialstaat hergibt“ (P4, ähnlich J3, J4, P5, P9). Der Journalist J3 gibt zu bedenken: „Es gelten ja keine anderen Regeln für Soloselbständige, wie für jeden anderen Bürger. Und insofern […] konnte ich das Skandalöse daran nicht erkennen.“ Die Gegenposition versucht das Äquivalenzprinzip breiter zu fassen: „Dem kann man auch ganz gut entgegenhalten, dass Soloselbständige de facto [in die Systeme] teilweise gar nicht rein [können] oder es sehr unattraktiv ist“ (J4). Im Diskurs wird deshalb immer wieder die nicht einheitlich geregelte Stellung von Soloselbstständigen in den unterschiedlichen Sicherungssystemen thematisiert. Insofern müssten neben geleisteten verpflichtenden und freiwilligen Beiträgen auch Quasi-Beiträge etwa in Form von entrichteten Steuern (Einkommenssteuer, Gewerbesteuer) anerkannt werden. In jedem Fall verlangt das (Quasi-)Äquivalenzprinzip eine Aufrechnung von Beiträgen ebenso wie finanzielle Prüfung der Bedürftigkeit. Teil dieser Aufrechnung ist auch, dass zu viel entrichtete Unterstützungsleistungen „anteilig zurück[gezahlt werden], und wenn es nur 2 Euro sind“ (J1). Diese Aufrechnung gestaltet sich aber gerade dann schwierig, wenn geleistete Quasi-Beiträge fiktiv umgerechnet werden sollen. Dabei wird nicht nur die vergangene Leistung des soloselbstständigen Erwerbs einkalkuliert, sondern auch, „ob ein Geschäftsmodell tragfähig ist in der Zukunft“ (P2). Teil der Quasi-Äquivalenznorm ist deshalb der Appell an die „Eigenverantwortung“ (P2) der Unternehmer:innen, selbst ihren Anspruch adäquat abzuschätzen.

Marktabhängigkeit und die Entfaltung der Hilfsnorm

Die Hilfsnorm und die Erhaltungsnorm teilen einen ausgeprägten Bezug auf die unmittelbare Marktabhängigkeit von Soloselbstständigen, während die Quasi-Äquivalenznorm stärker am wohlfahrtsstaatlichen Sozialversicherungsprinzip orientiert ist. Bei der Hilfsnorm ist die unmittelbare Marktabhängigkeit von Soloselbstständigen eine Ausgangsbedingung, ähnlich dem Wohnort in einem Flutgebiet, und die staatlich verhängten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen der eintretende Krisenfall, ähnlich der Flut. Im Falle der Hilfsnorm begründet sich Solidarität damit eben nicht aus einer Abhängigkeit von Kapital- oder Arbeitgebern, sondern aus deren unmittelbaren Abhängigkeit vom Markt. Die Erhaltungsnorm subsumiert Soloselbstständige aufgrund ihrer Marktabhängigkeit in die kapitalistische Infrastruktur, die es zu erhalten gilt. Die Begründungsfigur der Solidarität akzentuiert den Leistungsbeitrag der Soloselbstständigen für die nationale Volkswirtschaft und bestimmt darüber zugleich deren Differenz zu anderen sozialen Gruppen, die auch von der Pandemie betroffen waren. Anders verhält es sich bei der Quasi-Äquivalenznorm, in der das im Sozialstaat institutionalisierte Versicherungsprinzip kollektiver Risikovorsorge greift. Solidarität mit Soloselbstständigen ist hier gebunden an eine aktive Bekundung der Mitgliedschaft in dieser Solidargemeinschaft durch Beiträge oder aber an fiktiv konstruierte Ersatzmitgliedschaft.

Wie Abbildung 2 (links) veranschaulicht, war die Hilfsnorm am Anfang des Diskurses um Soforthilfe sehr präsent und flaute dann im Laufe der Zeit ab. Die Entfaltung dieser Norm im Diskurs deckt sich stark mit der Entfaltung des Themenfelds der Marktabhängigkeit. Wir werten dies als Hinweis darauf, dass die unmittelbare Marktabhängigkeit als zentraler Bezugspunkt für diese Norm dient – ein Eindruck, der sich in der qualitativen Analyse ebenso abzeichnet. Abbildung 2 (rechts) veranschaulicht ferner, dass sich das Themenfeld der „sozialen Sicherung“ über die Zeit hinweg relativ konstant verhält. Hier werden die Leistungsansprüche und Beitragsleistungen von Soloselbstständigen im sozialstaatlichen Wohlfahrtssystem thematisiert. Bemerkenswert ist, dass das Themenfeld der „sozialen Sicherung“ entkoppelt von der Hilfsnorm verläuft – es also nicht zu erklären vermag, warum Soloselbstständigen geholfen werden sollte. Diese Entwicklung unterstreicht noch einmal mehr die Wirkmächtigkeit der Marktabhängigkeit als zentrale Grenzziehung von Solidarität mit Soloselbstständigen.

Abb. 2: Vergleich Hilfsnorm zu Marktabhängigkeit vs. soziale Sicherung
Abb. 2:

Vergleich Hilfsnorm zu Marktabhängigkeit vs. soziale Sicherung

7 Einordnung und Diskussion

In diesem Artikel gehen wir von der Annahme aus, dass in Krisenzeiten Solidarität zum Gegenstand gesellschaftlicher Verhandlungen wird (Schnabel & Tranow 2020). Unsere Untersuchung zeichnet den Verlauf des öffentlichen Diskurses um Soforthilfe nach und arbeitet dessen zentrale Themen, Grenzziehungen und normativen Vorstellungen heraus. Die Untersuchung zeigt zweierlei: Erstens verläuft im Diskurs um Soforthilfe die Grenzlinie um Arbeit und Kapital als Bezugspunkt für Solidarität ins Leere (Lessenich 2020). Stattdessen avanciert die Marktabhängigkeit zum Kern einer Politik der Solidarität mit Soloselbstständigen. Zweitens erfolgt diese Grenzverschiebung nur kurzfristig (Tilly 2004), die Grenzlinie der Marktabhängigkeit schafft es nicht, sich nachhaltig durchzusetzen.

Wie anhand des empirischen Materials gezeigt, bildet sich wie in der frühen Phase der Coronapandemie ein neuer Solidaritätsradius, nämlich jene Schicksalsgemeinschaft, die von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen betroffen ist. Anhand der Grenzziehung Marktabhängigkeit entscheidet sich, wer innerhalb dieses Solidaritätsradius als hilfsbedürftig gesehen wird – in diesem Fall die Soloselbstständigen – und damit Chancen auf Aufmerksamkeit, Zuwendung und Unterstützung hat. So werden Soloselbstständige nicht nur plötzlich und eindeutig der Solidargemeinschaft zugerechnet, sondern ihre besondere Hilfsbedürftigkeit innerhalb der Solidargemeinschaft tritt aufgrund ihrer Marktabhängigkeit deutlich hervor. Diese Identifikation der Hilfsbedürftigkeit von Soloselbstständigen ist prominent im öffentlichen Diskurs um Soforthilfe und zeigt sich über verschiedene Medien, politische Parteien und Regionen hinweg.

Obwohl Soloselbstständige entlang der Grenze von Marktabhängigkeit klar als hilfsbedürftige Gruppe identifiziert wurden, geraten sie in der Verhandlung um eine substanzielle Grenzziehung in eine Ungewissheitszone. Aufgrund ihrer Unternehmerähnlichkeit werden Soloselbstständige als Betriebsinhaber:innen interpretiert: So können sie zwar Hilfe für Betriebskosten und auch Grundsicherung in Anspruch nehmen – wie für den Erhalt eines Betriebs oder im Falle eines Scheiterns des Betriebs vorgesehen –, aber nicht den Ausfall ihres am Absatzmarkt generierten Einkommens geltend machen. Die substanzielle Ausgestaltung der Soforthilfe grenzt Soloselbstständige nicht nur aus, sondern verortet diese im Zuge der Diskussion um die Nutzung für Lebenshaltungskosten und um Betrug an der Grenze der Legalität.

Die drei Solidarnormen – die Hilfs-, die Erhaltungs- und die Quasi-Äquivalenznorm– identifizieren je für sich Soloselbstständige als Teil einer hilfsbedürftigen Gruppe und tragen auf diese Weise zu der eindeutigen sozialen Grenzziehung bei (Lamont & Molnár 2002; Tranow 2012). Die Hilfsnorm deklariert Soloselbstständige zu Notleidenden, die Erhaltungsnorm zu einem bedrohten, aber strukturell wichtigen Teil der kapitalistischen Infrastruktur der nationalen Volkswirtschaft, die Quasi-Äquivalenznorm grenzt sie dagegen aus der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten aus. Zugleich sehen die drei Solidarnormen sehr unterschiedliche Hilfsleistungen in ihrer Höhe und Verwendung sowie in ihrem Verbindlichkeitsgrad vor, die zu der umstrittenen, substanziellen Grenzziehung beitragen. Während die Hilfsnorm schnelle, unbürokratische und bedingungslose finanzielle Unterstützung vorsieht, die zeitlich befristet erfolgt, setzt die Erhaltungsnorm auf eine strukturelle Förderung, und die Quasi-Äquivalenznorm sucht nach Möglichkeiten einer Aufrechnung von erbrachten Vorleistungen mit der zu leistenden Unterstützung. Wie die Analyse dieser drei Unterstützungsnormen deutlich macht, ist keine dieser Normen gänzlich neu, sondern sucht nach Anleihen in bestehenden Unterstützungsformaten. Die Hilfsnorm rekurriert im Diskurs auf Fluthilfe, die Erhaltungsnorm auf Wirtschaftshilfe und die Quasi-Äquivalenznorm auf ein versicherungsbasiertes System geteilter Risikoabsicherung wie die Arbeitslosenversicherung.

Besonders hervorheben möchten wir zum einen, dass sowohl die Hilfs- als auch die Erhaltungsnorm einen expliziten Bezug auf Marktabhängigkeit mit sich führen. Diese Marktabhängigkeit soloselbstständiger Arbeit beruht auf einer anders gelagerten Verwundbarkeit, als diese das Konzept der Ausbeutung von Arbeit vorschlägt (Bude 2019; Haubner 2017). Verwundbar wird hier jede Person, die ihre Arbeitskraft nicht mehr im Sinne einer dauerhaften Anstellung auf dem Arbeitsmarkt, sondern im Sinne von Stückware auf einem Absatzmarkt anbietet. Damit „schlägt das Marktrisiko unmittelbar und kurzfristig auf die Erwerbsbedingungen (z. B. Arbeitszeit und Einkommen)“ (Pongratz & Simon 2010: 31) der soloselbständigen Arbeitskraft durch. Jedoch nehmen beide Solidarnormen auf sehr unterschiedliche Weise Bezug auf eine solche Marktabhängigkeit: Bei der Hilfsnorm begründet sich Solidarität aus dem Schutz individueller Güter und persönlicher Absicherung vor der Marktabhängigkeit, sie bearbeitet damit eine hohe Verwundbarkeit Einzelner. Im Gegensatz dazu begründet sich Solidarität bei der Erhaltungsnorm aus dem Schutz der ökonomischen Infrastruktur als Kollektivgut, obwohl die Marktabhängigkeit Einzelner hingenommen werden könnte, bearbeitet sie deren fragile ökonomische Verbundenheit. In beiden Fällen aber geben diese Solidarnormen Marktabhängigkeit als zentrale Grenze für Solidarität frei. Dieser Befund fügt sich in die Vorstellung ein, dass Märkte soziale Ordnungen sind (Beckert 2009), die nicht unabhängig von sittlichen Ordnungen existieren (Beckert 2012; Durkheim 1992). Allerdings dient die sittliche Ordnung hier nicht als Wegbereiter oder Bremsklotz der Vermarktlichung eines Produkts oder einer Dienstleistung (Akyel & Beckert 2014), sondern als Maßstab der Verwundbarkeit einer marktorientierten Form von Arbeit (Morgan & Pulignano 2020).

Zum anderen können wir anhand des empirischen Materials zeigen, dass sich in der frühen Phase der Coronapandemie ein neuer Solidaritätsradius, nämlich jene Schicksalsgemeinschaft, die von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen betroffen ist, herausbildet. Anhand der Grenzziehung Marktabhängigkeit entscheidet sich, wer innerhalb dieses Solidaritätsradius als hilfsbedürftig gesehen wird – in diesem Fall die Soloselbstständigen – und damit Chancen auf Aufmerksamkeit, Zuwendung und Unterstützung hat. Im Moment der Krise kommt es also zu einer neuen Grenzziehung, infolgedessen Soloselbstständige relokalisiert werden (Tilly 2004: 225): Eine soziale Gruppe, die bislang im solidarischen Niemandsland verweilte, wird plötzlich und eindeutig dem Solidaritätsradius zugerechnet und als hilfsbedürftig identifiziert. Gerade zu Beginn des Diskurses um Soforthilfe muss sich die Idee einer kurzfristigen und solidarischen Hilfe für Soloselbstständige in die bestehenden Unterstützungssysteme des sozialen Wohlfahrtssystems eingliedern. Dadurch wird kurzfristig eine Leerstelle des aktuellen Systems ersichtlich, nämlich die Stellung von Soloselbstständigen in der Arbeitslosenversicherung. Die Untersuchung kann jedoch darüber hinaus zeigen, dass diese Grenzverschiebung nur von kurzer Dauer ist und nicht darauf abzielt Soloselbstständige dauerhaft in den über die Sozialversicherung gezogenen Solidarradius zu integrieren und systematisch zu unterstützen. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass krisenbedingte Grenzverschiebungen zwar auf veränderten symbolischen Mitgliedschaftskonstruktionen basieren und hierüber die Positionierungen Einzelner oder sozialer Gruppen innerhalb eines Solidarradius verändern können (Lamont & Molnár 2002), es aber erst dann zu dauerhaft wirksamen Grenzverschiebungen kommt, wenn diese Grenzverschiebungen durch eindeutig und institutionalisierte Normen gestützt werden und allgemeine Legitimität erlangen (Lessenich 2020). Insofern könnte sich zukünftige Forschung explizit der Frage zuwenden, wie sich Grenzverschiebungen durchsetzen und ihre Begründungsmuster hegemonial werden. Ansatzpunkte für derartige Fragen liefern machtanalytische und feldtheoretische Zugänge, welche die Umstände der Diskursproduktion betrachten, etwa die Positionen der sozialen Akteure im Feld und ihre Fähigkeiten zur Kontrolle von Ungewissheitszonen (Hoffman 1999).

Insgesamt erweist sich das von Schnabel und Tranow (2020) vorgeschlagene normativ offene Verständnis von Solidarität und die Analyse von Grenzziehungen und Solidarnormen in Solidaritätsdiskursen als ertragreich. Indem sich diese Untersuchung dezidiert der Frage von Grenzziehungen von Solidarität zuwendet, kann sie zwei zentrale Beiträge zur soziologischen Solidaritätsdebatte leisten: Zum einem wird Marktabhängigkeit als eine mögliche alternative Grenzziehung benannt, die solidarisches Potenzial entfalten kann. Gerade im Hinblick auf eine zunehmende Vermarktlichung, Finanzialisierung und Deregulierung von Arbeit dürfte Marktabhängigkeit als Grenzlinie für Solidarität an Bedeutung gewinnen. Zum anderen wird darauf verwiesen, wie soziale Gruppen, die aus der Perspektive bestehender Grenzlinien von Solidarität in eine kollektive Deutungslücke fallen, durch Grenzverschiebungen in die Solidargemeinschaft inkludiert werden können.

About the authors

Isabell Stamm

Isabell Stamm, geb. 1981. Studium der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der New School for Social Research, New York. 2012 Promotion an der Freien Universität Berlin. 2013 in der Politikberatung tätig. 2014–2106 Postdoc an der University of California Berkeley. 2017–2021 Forschungsgruppenleiterin der Freigeistgruppe „Entrepreneurial Group Dynamics“ an der TU Berlin. Seit 2021 Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Forschungsschwerpunkte: Unternehmertum, Eigentum, Organisation, Vermögen und intergenerationaler Transfer, qualitative Methoden; Jüngere Publikationen: Stamm, I.; F. Bernhard, N. Hameister & K. Miller, 2022, Lessons from Family Firms: The Use of Flexible Work Arrangements and its Consequences. Review of Managerial Science. Open Access; Stamm, I. & M. Gutzeit, 2021: Group Conditions for Entrepreneurial Visions: Role Confidence, Hierarchical Congruences, and the Imagining of Future in Entrepreneurial Groups. In: Small Business Economics, Open Access; Stamm, I. 2021: Groups Matter: the Social Embedding of Entrepreneurship. In: Andrea Maurer: Handbook Economic Sociology. Springer Nature. 253–270; Stamm, I.; A. Discua-Cruz & L. Cailluet, 2019, Entrepreneurial Groups: Definition, Forms, and Historic Change, Historical Social Research. 44 (4): 7–42.

Lena Schürmann

Lena Schürmann, geb. 1977. Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie an der Freien Universität Berlin. 2012 Promotion an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2010 bis 2017 wissenschaftliche Mitarbeit in verschiedenen Forschungsprojekten an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Alice Salomon Hochschule Berlin. Im SoSe 2019 Vertretungsprofessur am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrbereich Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität zu Berlin; Forschungsschwerpunkte: Wandel von Arbeit und Geschlechterverhältnissen, Prekäre Arbeit, Selbständigkeit, soziale Ungleichheiten, interpretative Methoden, Diskurs- und Subjektivierungsforschung; Jüngere Publikationen: Schürmann, L., 2022: Scham und Verdacht. Subjektivierung im Niedriglohnsektor. In: S. Bosančić, F. Brodersen, L. Pfahl, L. Schürmann, T. Spies & B. Traue (Hrsg.): Following the Subject. Grundlagen und Zugänge empirischer Subjektivierungsforschung. Wiesbaden: Springer VS, 171–196; Schürmann, L., I. Stamm & K. Scheidgen, 2022, Die Gegenwart der Krise als Erosion unternehmerischer Zukünfte: Eine Untersuchung der subjektiven Deutungs- und Bearbeitungsmuster Soloselbstständiger von der Corona-Pandemie. In: Arbeit 31(1–2): 77–94; Traue, B., A. Hirseland, H. Herma, D.L. Pfahl & L. Schürmann, 2019: Die Formierung des neuen Sozialbürgers. Eine exemplarische Untersuchung von Subjektivierungswirkungen der Hartz IV-Reform. In: Zeitschrift für Diskursforschung 2: 163–189.

Katharina Scheidgen

Katharina Scheidgen, geb. 1987. Studium der Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung an der TU Berlin. Promotion in Berlin. Von 2015 bis 2019 Stipendiatin im DFG-Graduiertenkolleg „Innovationsgesellschaft heute“ an der TU Berlin und von 2020 bis 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leuphana Universität Lüneburg sowie in 2021 Gastwissenschaftlerin an der University of Amsterdam; seit 2021 Juniorprofessorin für Entrepreneurship und Innovation an der Georg-August-Universität Göttingen; Forschungsschwerpunkte: Entrepreneurship, Organisation, Netzwerke, Innovation; Jüngere Publikationen: Scheidgen, K., 2021, Degrees of Integration: How a Fragmented Entrepreneurial Ecosystem Promotes Different Types of Entrepreneurs. Entrepreneurship & Regional Development 33.1–2. 54–79; Scheidgen, K., A. Gümüsay, F. Günzel-Jensen, G. Krlev & M. Wolf (2021). Crises and Entrepreneurial Opportunities: Digital Social Innovation in Response to Physical Distancing. Journal of Business Venturing Insights, 15; Scheidgen, K. 2019. Social Contexts in Team Formation. Historical Social Research/Historische Sozialforschung 44.4: 42–74.

Stefan Berwing

Stefan Berwing, geb. 1977 in Steinheim a. A. Studium der Geographie, Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg. Von 2007 bis 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim; seit 2019 Leiter des Referats Bildungsberichterstattung am Bayerischen Landesamt für Schule; Forschungsschwerpunkte: Selbstständigkeit von Migrant:innen, Arbeitsmarktforschung, Organisation; Jüngere Publikationen: Berwing, S., 2019: Extending Mixed Embeddedness: Entrepreneurial Figurations of Entrepreneurs with Migrant Origins in Germany. Historical Social Research 44, 162–185; Berwing, S., Isaac, A., Leicht, R., 2019. Migrant self-employment in Germany. On the risks, characteristics and determinants of precarious work. S. 186–215 in: Conen, W., Schippers, J. (Hrsg.), Self-Employment as Precarious Work. A European Perspective. Cheltenham. Edward Elgar Publishing.

Arne Maibaum

Arne Maibaum, geb. 1980 in Essen. Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. 2012–2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter TU Dortmund. 2015–2020 m.U. Stipendiat im DFG-Graduiertenkolleg „Innovationsgesellschaft heute“/Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin. Seit 2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Chemnitz; Forschungsschwerpunkte: Techniksoziologie, Innovation, Organisation; Jüngere Publikationen: Maibaum, A., Bischof, J. Hergesell & B. Lipp, 2022, A Critique of Robotics in Health Care. AI & SOCIETY 37 (2), 467–477; Maibaum, A., 2018, Innovating while Inventing. Innovationsphänomene, Springer, 209–224.

Danksagung

Die hier vorgestellte Studie wurde durch Fördermittel der Berlin University Alliance ermöglicht. An der Umsetzung beteiligt waren neben den genannten Autor:innen noch Lena Himmler und Jannik Graner als studentische Mitarbeitende sowie Katrin Lauterbach im Rahmen ihrer Masterarbeit, für deren Einsatz wir uns herzlich bedanken. Unser Dank gilt ferner Karen Shire, Christine Wimbauer, Hans Pongratz, Dieter Bögenhold sowie weiteren Mitgliedern des Arbeitskreises ‚Arbeit der Selbständigen‘, die zu verschiedenen Zeitpunkten Teilergebnisse unseres Projektes mit uns diskutiert haben. Schließlich möchten wir uns bei den Herausgeber:innen und unbekannten Gutachter:innen für ihre konstruktiven Kommentare bedanken ebenso wie bei Thomas Pott für das Lektorat.

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Published Online: 2022-11-10
Published in Print: 2022-11-03

© 2022 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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Downloaded on 24.3.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2022-0019/html
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