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Sabine Elsner-Petri. 2015. Political Correctness im Duden-Universalwörterbuch. Eine diskurslinguistische Analyse (Greifswalder Beiträge zur Linguistik 9). Bremen: Hempen. 350 S.
In ihrer Dissertation geht Sabine Elsner-Petri der Frage nach, ob sich der Diskurs über political correctness (PC) in einem einsprachigen Bedeutungswörterbuch niederschlägt. Bisherige Studien, die vor allem das Ziel hatten, den Einfluss von gesellschaftlichen Ereignissen in Wörterbüchern nachzuweisen, gingen von der Anzahl und der Art der Lemmata aus, um daraus Rückschlüsse auf außersprachliche Ereignisse zu ziehen (bspw. Schöneck 2001). Elsner-Petri nutzt für ihre Arbeit dagegen die Methode der linguistischen Diskursanalyse, um zunächst Elemente zu eruieren, bei denen diskursbedingte lexikografische Veränderungen zu erwarten sind. Ihr Korpus konstituiert sich aus Texten zur deutschen PC, im Wesentlichen sind dies Pressetexte, einige (vorwiegend populärwissenschaftliche und polemische) Monographien und wissenschaftliche Abhandlungen aus dem Zeitraum zwischen 1990 und 2000. Sprachliche Äußerungen, die darin explizit als politisch korrekt bzw. politisch inkorrekt bezeichnet werden, werden exzerpiert, und die so erhobenen sprachlichen Einheiten danach in den ersten sieben Auflagen des „Duden – Deutsches Universalwörterbuch“ (DUW 1983, 1989, 1996, 2001, 2003, 2006, 2010) auf PC-bedingte Einflüsse untersucht.
Elsner-Petri geht von der Hypothese aus, dass sich „zum einen in den Auflagen des DUW aktuelle außersprachliche Entwicklungen niedergeschlagen haben, zum anderen [...] sich eine Auseinandersetzung mit diskriminierendem Sprachgebrauch bemerkbar machen“ sollte (S. 10). Diese Annahme begründet sie dadurch, dass „sich das DUW als Wörterbuch versteht, das auf aktuelle sprachliche Entwicklungen reagiert und Nutzer sowohl bei der Textproduktion als auch -rezeption unterstützen will“ (S. 10). Sie zitiert den amtierenden Leiter der Dudenreaktion, M. Wermke (2011), der die in der sechsten Auflage des DUW (2006) eingeführte Kommentar-Ebene ausdrücklich in den Kontext der PC stellt.
Im zweiten Kapitel zeichnet Elsner-Petri die Begriffs- und die Diskursgeschichte der Political Correctness nach, in groben Zügen für die USA, im Detail für Deutschland. Daraus geht insbesondere hervor, dass die Rezeption der Debatte in Deutschland, die auf Anfang der 1990er-Jahre datiert werden kann, im Wesentlichen kritisch erfolgte. Im deutschsprachigen PC-Diskurs diskutieren vor allem PC-Gegner in den Medien die angebliche Tabuisierung und Euphemisierung von Inhalten, die mit politisch korrekter Ausdrucksweise einhergehe. Eigentliche Befürworter von PC sind kaum anzutreffen. Insofern ist PC nicht als Bewegung zu fassen, die konkrete sprachpflegerische Forderungen stellt, wie von gegnerischer Seite suggeriert wird. Die Form der PC-Sprachkritik erweist sich zudem nicht als einheitlich: Während zum einen sprachliche Einheiten (v. a. Personenbezeichnungen), die als abwertend oder diskriminierend wahrgenommen werden, im Fokus stehen, werden zum anderen Begriffe (etwa aus dem Wortschatzbereich Krieg/Militär) kritisiert, die einen Sachverhalt angeblich beschönigen. In einem historischen Exkurs zeigt die Autorin außerdem Vorläufer der PC auf. Dabei sind für das 20. Jahrhundert vor allem die Auseinandersetzung mit dem manipulativen Sprachgebrauch des Nationalsozialismus sowie die in den 1980er-Jahren einsetzende feministische Sprachkritik zu nennen. Insofern ist PC also als Fortsetzung bereits bestehender sprachkritischer Ansätze unter neuem Label zu betrachten.
Im dritten Kapitel beschreibt die Autorin das PC-spezifische Lexeminventar, das sich aus der Analyse ihres Korpus ergibt. Sie unterscheidet dabei zwischen PC-Metasprachwortschatz und PC-Objektsprachwortschatz. Zum Ersteren zählen Wörter, die dazu dienen, über Themen der PC zu sprechen (z. B. eurozentrisch), aber auch polemische Schlagwörter, mit denen die vermeintlichen PC-Befürworter und deren Anliegen verunglimpft werden (z. B. Gedankenpolizei). Unter Letzteren fallen solche, die im PC-Diskurs als politisch korrekt bzw. inkorrekt gehandelt werden. Für die anschließende Wörterbuch-Analyse wurde jedoch nur der Objektsprachwortschatz berücksichtigt.
Besonders typisch ist im PC-Diskurs die Forderung nach der Tilgung eines als politisch inkorrekt gehandelten Wortes und nach dessen Substituierung. In Hinblick auf den geschlechtergerechten Sprachgebrauch zeigt sich außerdem die Forderung nach Ergänzung von Bezeichnungen durch ein feminines Suffix. Inhaltlich lässt sich der exzerpierte PC-Objektsprachwortschatz in folgende Bereiche gliedern: Alter (z. B. Senior), Beruf (z. B. Putzfrau), Feminismus (v. a. Personenbezeichnungen mit generischem Maskulin), gesellschaftliche Divergenzen/Normabweichungen (z. B. Behinderter), Herkunft/Migration (z. B. Asylantenschwemme), Historisches (z. B. Endlösung), Homosexualität (z. B. schwul), Krieg/Militär (z. B. Massenvernichtungswaffe), Ökologie/Umwelt (z. B. Unkraut), Pädagogik (z. B. Lernzielkontrolle) sowie eine Sammelkategorie weiterer Phänomene, die durch die genannten Themenbereiche nicht abgedeckt werden.
Im folgenden Teil ihrer Dissertation analysiert Elsner-Petri die aus dem Korpus exzerpierten sprachlichen Einheiten daraufhin, ob der jeweilige Wörterbuchartikel in den verschiedenen Auflagen des DUW modifiziert wurde. Dabei stellt sie Veränderungen auf verschiedenen Ebenen fest: solche auf der Makrostruktur (etwa die Tilgung eines Lemmas oder die Aufnahme eines neuen), Veränderungen der Metasprache, d. h. in der Bedeutungsbeschreibung, sowie Veränderungen auf der Gliederungsebene (etwa durch Erweiterung oder Reduktion der Gliederungspositionen oder Hinzufügen eines Kastenartikels mit stilistischen Angaben ab der sechsten Auflage). Die festgestellten Veränderungen werden im Anschluss danach beurteilt, ob sie durch den PC-Diskurs bedingt sein könnten, d. h. ob sie „im Sinne dessen gestaltet worden sind, was die meist gegnerisch eingestellten PC-Autoren des vorliegenden Analysekorpus unter dem Phänomen verstehen“ (S. 126). Um eine solche Veränderung als PC-bedingt einzustufen, müssen laut Elsner-Petri zwei Kriterien erfüllt sein: Erstens darf sie frühestens seit 1996, d. h. seit der dritten Auflage des DUW auftreten, da die erste und die zweite Auflage vor dem Debattenbeginn in Deutschland erschienen sind und somit eine Wirkung des PC-Diskurses auszuschließen sei; zweitens müsse sie „inhaltlich mit dem PC-Diskurs vereinbar sein“ (S. 107).
Insgesamt zeigen sich im DUW bei gut 17% aller der in der Diskursanalyse eruierten Types Veränderungen, die die Autorin als PC-bedingt wertet. Am meisten Modifikationen zeigen sich in den Wortschatzbereichen Herkunft/Migration, Feminismus sowie in der Kategorie gesellschaftliche Divergenzen/Normabweichungen. Elsner-Petri weist speziell auf den Themenbereich Homosexualität hin, bei dem 66,6% aller Types PC-bedingte Modifikationen aufweisen, lässt dabei aber außer Acht, dass dieser relative Wert einem absoluten von zwei von insgesamt drei exzerpierten Types entspricht, was keine Schlüsse zulässt.
Der Großteil der Veränderungen zeigt sich auf der metasprachlichen Ebene. So wurden im DUW die Bedeutungsangaben zu einzelnen Ausdrücken differenziert und es wurden Angaben zu deren Konnotationen gemacht. Auch die Anpassung der ehemals politisch inkorrekten Bedeutungsbeschreibung war häufig nachzuweisen, etwa beim Lemma Asylbewerber: Hier wurde die synonymische Bedeutungsangabe ‚Asylant‘ ab der vierten Auflage durch ‚jmd., der um Asyl nachsucht‘ ersetzt. Aus der stichprobenartig durchgeführten Analyse von Wortfamilien ergab sich, dass die Paradigmen zu politisch inkorrekten Begriffen wie Ausländer oder Invalid(e) im DUW verkleinert wurden; dagegen wurde die Wortfamilie der als politisch korrekt eingestuften Labels wie schwul oder Senior erweitert, d. h. es sind im DUW im Laufe der Jahre mehr Ableitungen mit diesen Basiseinheiten zu finden.
Zum Abschluss wirft die Autorin die Frage auf, wie ein Bedeutungswörterbuch mit PC umgehen sollte, zumal ein solches den Sprachgebrauch dokumentieren und weniger präskriptiv in den Sprachgebrauch eingreifen sollte. In diesem Zwiespalt sowie in der Tatsache, dass es unklar ist, wer bestimmt, was politisch korrekt ist (Wermke 2011), liegt letztlich auch die Problematik der vorliegenden Arbeit begründet: Das, was im Deutschen als politisch (in)korrekt gilt, lässt sich nicht bestimmen – weder aus dem PC-Diskurs heraus, denn dieser wird sehr einseitig geführt, insofern er weitgehend von polemischen Stimmen beherrscht wird, noch ist außerhalb der PC-kritischen Stimmen ein Konsens bezüglich PC nachzuweisen, da es eine eigentliche PC-Bewegung nicht gibt, wie Elsner-Petri mehrfach betont.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es jedoch zu untersuchen, ob der PC-Diskurs Eingang ins DUW gefunden hat. Elsner-Petri fokussiert deshalb auf die sprachlichen Einheiten, die darin explizit als politisch (in)korrekt gehandelt werden. Die in dem von PC-Kritikern angeführten Diskurs erwähnten Forderungen müssen jedoch als Fremdzuschreibungen betrachtet werden, was die Autorin mit folgender Aussage unterstreicht:
„[E]in im Analyseteil als ‚politisch korrekt‘ bezeichnetes Wort ist eine sprachliche Einheit, die innerhalb des Diskurses (meist von PC-Gegnern unterstelltermaßen) als solche angesehen wird“. (S. 126)
Die Analyse von Elsner-Petri läuft somit darauf hinaus zu untersuchen, ob der Diskurs, wie er von Kritikern einer angeblichen Bewegung bzw. von Polemikern geführt wird, die lexikografische Arbeit im DUW beeinflusst. Die Autorin markiert die Crux deutlich, dass ein semasiologisches Wörterbuch zwar keine sprachlenkende Funktion haben und sich schon gar nicht für bestimmte Ideologien instrumentalisieren lassen dürfe, dass es jedoch die Beschäftigung mit der Angemessenheit von Sprache, die ein fester Bestandteil des Sprachalltags darstelle, berücksichtigen und diskriminierende Bezeichnungen markieren sollte (S. 289). Dieser Aussage ist zwar grundsätzlich zuzustimmen. Doch aus den oben genannten Gründen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der PC-Diskurs das Empfinden über die Konnotationen von sprachlichen Ausdrücken angemessen widerspiegelt, so dass ein direkter Einfluss dieses Diskurses auf ein Wörterbuch, das in erster Linie einen sprachgemeinschaftlichen Konsens abzubilden hat, nicht zu erwarten ist.
Die geschilderte Problematik zeigt sich zuweilen auch in der Analyse. So stellt die Autorin in Bezug auf das Lemma Greis fest, dass im DUW der Hinweis auf das im PC-Diskurs vorgeschlagene Substitut Senior fehle (S. 140). Doch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Senior synchron betrachtet keineswegs ein Synonym zu Greis ist und die angeblich politisch korrekte Forderung, Greis durch Senior zu ersetzen, bestenfalls eine Zuschreibung darstellt, ist es nicht plausibel, dass ein Wörterbuch eine solche Forderung berücksichtigt. – Die Analyse der Wortfamilie Ausländer (S. 214f.) zeigt eine Erweiterung der Wortfamilie ab der sechsten Auflage (Ausländerbeauftragte, Ausländerbehörde, Ausländerhass, Ausländerrecht kommen hinzu), worauf Elsner-Petri bemerkt, dass „eine stärkere Akzentuierung durch die [...] Vergrößerung der Wortfamilie nicht erwünscht sein kann“, da es sich bei Ausländer um ein kritisiertes Wort handle. Sie suggeriert damit, dass das DUW die angeblichen Forderungen der PC-Sprachkritik über den Einfluss der institutionellen Gegebenheiten, die sich in dieser Vergrößerung der Wortfamilie teilweise abbilden, stellen müsste.
Auch dort, wo Elsner-Petri einen Einfluss des PC-Diskurses auf die Gestaltung der Wörterbucheinträge feststellt, bleibt oftmals die Frage offen, ob diese Änderungen tatsächlich auf einen solchen zurückzuführen sind, da – wie die Autorin selbst bemerkt – die Analyse auf einer „stark textinterpretatorische[n] Vorgehensweise“ (S. 292) beruht. So deutet sie bspw. die veränderte Bedeutungsangabe zum Lemma Schwule von ‚jmd., der schwul ist‘ (in der ersten bis dritten Auflage) zu ‚jmd., der homosexuell veranlagt ist‘ (ab der vierten Auflage) als PC-motiviert (S. 253), zieht jedoch nicht in Betracht, dass die neue Umschreibung wohl in erster Linie den Zusammenfall von Objekt- und Metasprache vermeiden will. Die textinterpretatorische Vorgehensweise führt zuweilen auch zu widersprüchlichen Interpretationen: Beim Lemma Asylant wertet Elsner-Petri die Erweiterung der Verwendungstypen und die Differenzierung der Bedeutungsangaben nicht als PC-bedingt, „da sie das Lemma eher stärker gewichten, als auf die von PC geforderte Vermeidung hinzuwirken“ (S. 237), wohingegen sie andernorts die differenziertere Bedeutungsangabe einer angeblich zu vermeidenden Bezeichnung (z. B. Lehrling) als „im Sinne von PC“ wertet (S. 147).
Trotz der erwähnten Grenzen in der Interpretation der Daten bleibt hervorzuheben, dass die Ergebnisse der minutiösen Analyse der Wörterbuchartikel auf sehr differenzierte Weise aufzeigen, wie ein gegenwartssprachliches Bedeutungswörterbuch den veränderten Konnotationen problematisch gehandelter Bezeichnungen gerecht wird und somit auf den Bedeutungs- und Gebrauchswandel besonders im Wortschatz von Themenbereichen, die sog. Minoritäten betreffen, reagiert. Ein weiteres Verdienst Elsner-Petris besteht darin, mit Hilfe einer breit angelegten Diskursanalyse ein Inventar über diejenigen sprachlichen Einheiten erstellt zu haben, die im Rahmen des PC-Diskurses als problematisch gehandelt wurden. Dieses Inventar ist in Form einer Datenbank über Internet zugänglich und kann als Nachschlagewerk des PC-Wortschatzes genutzt werden (http://dwb.adw-goettingen.gwdg.de/selsner_test/start.php; Benutzername ‚test‘, Passwort ‚test123‘).
Literatur
Duden. 1983, 1989, 1996, 2001, 2003, 2006, 2010. Deutsches Universalwörterbuch. 1.–7. Aufl. Mannheim: Duden.Search in Google Scholar
Schöneck, Werner A. 2001. Das Wörterbuch – ein Spiegel der Zeit?! Soziokulturelle Implikationen, politisch-ideologische Perspektiven und Reflexe der Sprachveränderung in lexikographischen Beständen, Beschreibungen und Strukturen. In: ELiS_e 1, Beiheft 1.1, 1–296.Search in Google Scholar
Wermke, Matthias. 2011. Frauen und andere Minderheiten. Political Correctness als programmatische Anforderung an die Lexikografie. In: Lech Zielinski u. a. (Hg.). Deutsche und polnische Lexikographie nach 1945 im Spannungsfeld der Kulturgeschichte (Danziger Beiträge zur Germanistik 35). Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang, 45–54.Search in Google Scholar
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