Rezensierte Publikation:
Kristin Kopf. 2014. Das kleine Etymologicum. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Sprache. Stuttgart: Klett-Cotta. 284 S.
Mit der Überschrift auf dem Buchrücken – „Warum Holzwege nicht aus Holz sind und Majestix ein Maharadscha ist“ – ist angezeigt, dass sich Kristin Kopf mit dem „Kleinen Etymologicum“ an eine breitere Leserschaft richtet. Damit reiht sich das Werk in eine ganze Gruppe vergleichbarer, zum Teil in vielen Auflagen erschienener populärwissenschaftlicher Publikationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten ein, so Alles Kokolores? von Peter Honnen oder Chuzpe, Schmus & Tacheles – Jiddische Wortgeschichten von Hans Peter Althaus.
Das Buch ist in 23 Kapitel unterteilt, in denen es um Sprachwandel geht, mit einem besonderen Augenmerk auf ausgewählten Aspekten zur Herkunft, aber auch zu Form- und Bedeutungswandel von Einzelwörtern und Phraseologismen, Wortfamilien und Wortfeldern. Dazu gibt es einen Anhang mit Anmerkungen, die zum Teil aber auch unterhalb des Textes als Fußnoten stehen, Quellenangaben, einem Literaturverzeichnis und einem Sach- und Wortregister. In den Text integriert sind mehrere Infoboxen zu Themen wie „Ein Lautgesetz ist kein Gesetz“ (S. 44), „Sprachwissenschaftliche Konventionen“ (S. 46) oder „Syntaktische Funktionen und semantische Rollen“ (S. 124). Illustriert ist das Buch mit sieben Abbildungen und mehreren tabellarischen Übersichten. Auf dem Vorsatzpapier vorne wie hinten wird den Lesern der indogermanische Stammbaum präsentiert. Das „Etymologicum“ basiert „lose auf Blogartikeln“ (S. 10), die die Verfasserin seit 2007 unter www.sprachlog.de veröffentlicht hat.
Von Beginn an, schon in der Danksagung (S. 9–10 „Danken kommt von denken“) und im Vorwort (S. 11–13 „Durch die Sprache mäandern – statt eines Vorworts“), spielen Etymologien eine Rolle. Für das Verstehen des Umgangs mit Personenbezeichnungen sollte der/die Leser(in) die Anmerkung auf S. 11 gelesen haben:
„Bei generischer Verwendung von Personenbezeichnungen (wenn keine konkreten Individuen gemeint sind) wird in diesem Buch die weibliche oder die männliche Form gebraucht. Die Zuweisung erfolgt per Zufall, über eine randomisierte Liste. Gemeint sind aber immer alle Menschen, egal, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen (oder ob sie das überhaupt tun). Auch die Fälle, in denen unklar war, ob beide Geschlechter gemeint sind, wurden großzügig den generischen Bezeichnungen zugeschlagen. Sie werden im Folgenden also auf Vorfahrinnen, Griechinnen, Lexikografinnen ... stoßen, die alle Nicht-Frauen mitmeinen – und auf Ahnen, Goten und Sprachwissenschaftler, die die Nicht-Männer einschließen.“
Schön und gut. – Auf S. 99f. klingt das dann beispielsweise so:
„Damit endet unsere Tour durch Europa und Afrika geografisch wieder am rechten Ort: in der römischen Provinz Gallien, einem Teil des späteren Frankreichs. Dort trafen die Vandalen auf die Franken, ein germanisches Volk, das zunächst am Rhein gesiedelt hatte. Die Vandalinnen zogen weiter, die Fränkinnen blieben [...].“
Aufgrund seines Weltwissens kann der/die Leser(in) mit der hier evozierten Mehrdeutigkeit bei movierten Personenbezeichnungen umgehen. Wenn es dann allerdings um anaphorische Pronomen wie ihr wie im folgenden Beispiel geht, ist das Verständnis doch erschwert:
„Auch das Wort Fährte, die sicht- oder riechbare Spur eines Lebewesens, verrät die frühere Wortbedeutung des Fortbewegens. Wenn jemand zur Hölle fahren soll oder ihr eine Himmelfahrt bevorsteht, dann steht dazu kein Fahrzeug bereit [...].“ (S. 139)
Mit der Kapitelüberschrift Was Sie schon immer über die deutsche Sprache wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten ... (S. 14), mit der an den Bestseller Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten des Psychiaters David Reuben (im Original Everything You Always Wanted to Know About Sex* (*But Were Afraid to Ask)) und die gleichnamige Parodie von Woody Allen erinnert wird, gibt die Autorin den Lesern nicht nur „sprachgeschichtliches Werkzeug“ (S. 13) an die Hand, sondern verspricht auch eine anregende Lektüre. Sie geht davon aus, dass Menschen, die sich für die Herkunft von Wörtern interessieren, häufig auch nach dem Alter und den Veränderungen ihrer Sprache und auch nach dem Alter der Ursprache fragen. In ihren Erläuterungen verbindet Kristin Kopf auf launige Art Sprachinternes und Sprachexternes.
Schifffahrt mit Verwandtenbesuchen
Etwas überstrapaziert wirkt gelegentlich die Rahmenmetapher: Die Autorin lädt die Leser zu einer Zeitreise in die Vergangenheit in Form einer Schifffahrt ein – dafür auch mäandern als zentrales Verb des Vorworts, das auf den griech. Flussnamen maíandros (dt. Mäander) in der heutigen Türkei zurückgeht –, fährt mit ihnen flussauf- und flussabwärts, nimmt mit ihnen Schleife um Schleife, „mäandert“ mit ihnen also durch die Sprache, rudert mit ihnen in der Sprachgeschichte zurück – sitzt quasi mit den Lesern in einem Boot – und hat dann auch einmal „mit niedrigem Wasserstand zu kämpfen“ (S. 20) oder „die zweite Lautverschiebung rückwärts [zu] durchschwimmen“ (S. 22). Immer wieder sind Klippen zu umschiffen (S. 30 u. ö.) oder Strudel zu meistern (S. 63 u. ö.); „Verstärkungswörter“ werden als „Flussarm“ (S. 36) kategorisiert.
Auf der Fahrt begegnet man – bevor mit Kapitel 18 die ganze „chaotische Verwandtschaft“ (S. 195) als Wortfeld vorgestellt wird –, vielen, so dem Gotischen als „,Tante‘“ (S. 20) oder als Schwester (S. 131) des Deutschen, griech. árktos und lat. ursus als lautlichen Kindern (S. 35), viel als nicht-entlehntem Geschwisterchen von voll (S. 51), Staffel als lautverschobenem Schwesterchen von Stapel (S. 77) und -ette als Schwester des „,Suffixes‘“ (S. 116) -et. Vulgär und ordinär sind laut Kristin Kopf Bedeutungszwillinge (S. 47), zwischen dem Enkelkind gul und seiner Großmutter wṛda ist auf den ersten Blick keine Familienähnlichkeit zu entdecken (S. 90), das Englische steckt voller voll-Verwandtschaft mit f und p (S. 48), lat. duo und dt. zwei sehen „sich schon lange nicht mehr auf Familientreffen“ (S. 41f.). Dass Schneewittchen „[s]chneeweiße Haare“ (S. 95) zugewiesen werden, mag an der Thematik des Buches liegen.
Immer wieder wird mit Wörtern und Bedeutungserklärungen vorangehender Kapitel gespielt, wodurch die Lektüre einzelner Kapitel, die durch Überschriften und Zwischenüberschriften thematisch abgegrenzt erscheinen, gelegentlich erschwert sein mag.
Unbenommen davon ist das Buch inhaltlich wie auch sprachlich sehr gelungen. Die Verfasserin versteht es, Lautwandel wie die Nebensilbenabschwächung und die erste und die zweite Lautverschiebung auf nonchalante Weise zu vermitteln. Dabei behält sie die außersprachlichen Wandel immer im Blick und bietet auch die eine oder andere Sprachprobe aus Klassikern wie den Anfang eines Gedichts von Walther von der Vogelweide oder einen Ausschnitt aus den „Merseburger Zaubersprüchen“. Die Worterklärungen sind für das Format hinreichend; Genaueres lässt sich leicht in etymologischen Wörterbüchern nachlesen, auf die die Verfasserin auch im Literaturverzeichnis hinweist.
Etwas störend ist, dass in einem Buch, in dem es um Bedeutungen geht, bedeuten, bezeichnen und heißen synonym verwendet werden (z. B. S. 33 „Das mittelhochdeutsche bein hieß ‚Bein, Knochen‘“; S. 135 „[...] und daher heißen solche Verben wissenschaftlich ‚Kausativa‘“; S. 189 „Jemand erzählt uns von Bekannten, die Helga und Hans heißen [...]“).
Laien- und Expertenwissen: Basales neben Speziellem, Genaues neben Oberflächlichem
Es geht um Herkunft und Bedeutung, und so wird auch als einer der ersten Termini „Etymologie“ erklärt (S. 23). Auf die Erläuterung zentraler Begriffe wird verwiesen, manchmal vage („Sie kennen bereits [...] die ‚konzeptuelle Metapher‘“ (S. 117)), öfter mit Kapitel- oder Seitenangaben. Varietät wird nicht erklärt und ganz selbstverständlich als Synonym von Dialekt verwendet (S. 59), Plural (S. 62) und Kasus (S. 120) hingegen werden als Synonyme für Mehrzahl und Fall genannt. Daneben werden auch ganz basale Informationen zur deutschen Grammatik geboten (S. 125 zum Vorgangs- und Zustandspassiv). Die Verfasserin geht offenbar davon aus, dass die Leser bei der Lektüre lernen: Auf S. 62 müssen sie sich merken oder daran erinnern, dass Plural ein Synonym für Mehrzahl ist, denn auf S. 155 bzw. 158 geht es dann einfach um „Pluralendungen“ und das „Plural-s“; im Register ist Plural angesetzt, aber nicht Mehrzahl.
Will bzw. muss man sich kurz fassen, so bleibt es nicht aus, manchmal etwas ungenau zu sein: Nachgestellte Adjektivattribute wie in Röslein rot gibt es heute nicht mehr (S. 122) – das ist richtig –, wohl aber paarig nachgestellte Adjektivattribute wie das Gebäude, neu und schön – diese Information fehlt. In sagte ist nicht -te die Markierung für Vergangenheit (S. 129f.), sondern allein -t-, was auch dem Leser spätestens auf S. 131 klar wird, wenn es um das Pluralmorphem -ten geht. Gerade in den Infoboxen wäre aber Genauigkeit erwünscht: Zur Erläuterung dafür, dass Kursivschrift dazu dient, Objektsprachliches zu markieren (S. 27), wählt die Autorin die Verwendungsbeispiele „Die Chefin schreibt Briefe“ und „Die Chefin schreibt Briefe“. Die Erläuterung „Im ersten Satz beschreibt die Chefin Blätter, faltet sie zusammen und steckt sie in einen Briefumschlag“ (ebd.) geht über ‚Briefe schreiben‘ hinaus, abgesehen davon, dass Chefs und Chefinnen ihre Briefe häufig nicht selbst falten und in ein Kuvert stecken, sondern falten und einstecken lassen. Briefe schreiben ist nicht einfach ‚Blätter beschreiben‘, sondern ‚Blätter nach einem bestimmten Muster beschreiben‘, das – genau wie die Sprache – wandelbar ist. In der Infobox auf S. 44 wird erläutert, dass ein Lautgesetz kein Gesetz im engeren Sinne ist, später spielt Kristin Kopf mit dem Wort und referiert gerade auf die Bedeutung von Gesetz im engeren Sinne, wenn sie schreibt, dass es aussichtslos sei, für den Bedeutungswandel „Gesetze“ zu formulieren (S. 71), oder dass im westmitteldeutschen Raum „so manches Wort hin- und hergerissen zwischen dem Befolgen des Lautgesetzes und dem Verstoß dagegen“ (S. 80) sei. Dass Niederdeutsch (synonym zu Plattdeutsch) von Laien als Dialekt eingeordnet wird und nicht als Fortsetzer des Altsächsischen und somit als eigene Sprache (S. 74), ist zutreffend; dass es „der beliebteste“ (ebd.) Dialekt sei, spiegelt die Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2008 aber nicht wider und nur gelegentlich findet sich eine entsprechende Bewertung auf Internetseiten (so Auffarth 2013, der das Plattdeutsche als „nachweislich beliebteste dialektische Sprache der Deutschen“ bezeichnet). Neben vielen sehr witzigen und gelungenen Sprachspielen gibt es wenige gewöhnungsbedürftige, wie beispielsweise das In-Sprichwörter-Hineingreifen, um die blühenden Wörter Rose und gül zu pflücken (S. 88). – Manches kann ich schlicht nicht nachvollziehen, so die Behauptung, dass ‹laufte› statt ‹lief› – wer verwendet das überhaupt in welchem Kontext? – als Rechtschreibfehler kategorisiert würde – von wem? (Infobox, S. 24).
Wie will das Buch von wem gelesen werden?
Es ist anzunehmen, dass erste Leser diejenigen sind, die Kristin Kopfs Sprachblog kennen, und solche, die sich generell für Etymologien interessieren. Die einen können den Sprachspielen folgen, die anderen nicht (immer). Das zeigt etwa die Diskussion, die das Spiel mit dem Phraseologismus Legion sein im Internet ausgelöst hat (www.sprachlog.de). Die Verfasserin versucht, viele Leser anzusprechen. Das zeigen Bewertungen wie „[n]icht so geil“, wenn es um etymologische Fehlschlüsse geht (S. 25), „[k]rass entstellt“, wenn es um die Zahl Zwei geht, die auf den zweihenkligen Zuber (ahd. zwibar) zurückgeführt werden kann, „ziemlich uncool“ (S. 128), wenn es um (noch) nicht belegte Formen des Rezipientenpassivs geht, um nur drei Beispiele zu nennen. Das zeigen auch die Erläuterungen von ganz Basalem, was für ein populärwissenschaftliches Werk auch angemessen ist. Gleichzeitig fordert die Autorin sehr viel, denn das Buch kann eigentlich nur dann richtig genossen werden, wenn man über deutlich mehr als basales Wissen über Sprache verfügt. So meint Kristin Kopf beispielsweise, dass Biskuit eine Entlehnung von frz. biscuit ist und das früher entlehnte ital. biscotto ersetzt, wenn sie lapidar schreibt, dass biscuit „cooler“ geworden sei als biscotto. Im Vorwort hätte man sich einen knappen Hinweis gewünscht, wie das Buch gelesen werden soll/kann: Nicht wenige Sprachspiele funktionieren nur dann gut bzw. sind überhaupt erst dann verständlich, wenn man das „Etymologicum“ von vorne bis hinten liest und nicht nur einzelne Kapitel.
Am Ende fragt sich die Rezensentin, ob Linguisten geeignete Rezensenten für ein solches Buch sind bzw. ob wissenschaftliche Zeitschriften der rechte Ort für eine Besprechung eines solchen Buches sind. Die Feministin und Linguistin Luise Pusch hat das „Etymologicum“ beispielsweise einfach zur Unterhaltung gelesen und sich an anderer Stelle an den Genderbezeichnungen und dem Sprachwitz von Kristin Kopf erfreut (http://www.fembio.org/).
Literatur
Althaus, Hans Peter. 2006. Chuzpe, Schmus & Tacheles. Jiddische Wortgeschichten. 2., durchgesehene Aufl. München: C.H. Beck.Search in Google Scholar
Auffahrt, Holger. 2013. Plattdeutsch für Anfänger – Überleben mit „Plattdeutsch“ im Urlaub (http://www.paradies-ruegen.de, letzter Zugriff 29.02.2016).Search in Google Scholar
Honnen, Peter. 2008. Alles Kokolores? – Wörter und Wortgeschichten aus dem Rheinland. Köln: Greven Verlag.Search in Google Scholar
Kopf, Kristin. 2014. Jetzt zu haben: Das kleine Etymologicum (http://www.sprachlog.de/2014/09/23/jetzt-zu-haben-das-kleine-etymologicum/, letzter Zugriff 29.02.2016).Search in Google Scholar
Pusch, Luise. 2014. FemBio. Frauen. Biographieforschung (http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/die-sprache-der-eroberinnen-ganz-neue-erkenntnisse-zur-deutschen-sprachgesc/, letzter Zugriff 29.02.2016).Search in Google Scholar
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