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BY-NC-ND 3.0 license Open Access Published by De Gruyter August 26, 2016

Alexandra Lenz & Manfred M. Glauninger (Hg.). 2015. Standarddeutsch im 21. Jahrhundert. Theoretische und empirische Ansätze mit einem Fokus auf Österreich (Wiener Arbeiten zur Linguistik 1). Göttingen: Vienna University Press V&R unipress. 250 S.Alexandra Lenz, Timo Ahlers & Manfred M. Glauninger (Hg.). 2015. Dimensionen des Deutschen in Österreich. Variation und Varietäten im sozialen Kontext (Schriften zur deutschen Sprache in Österreich 42). Frankfurt am Main: Peter Lang Edition. 392 S.

  • Birte Kellermeier-Rehbein EMAIL logo

Die vorliegende Rezension befasst sich mit zwei sehr ähnlich ausgerichteten Sammelbänden, die beide von (fast) denselben Herausgebern stammen und denselben Untersuchungsschwerpunkt aufweisen: die deutsche Sprache in Österreich. Lenz & Glauninger (2015) thematisieren Aspekte des Standarddeutschen im 21. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt auf Österreich, während Lenz, Ahlers & Glauninger (2015) Beiträge zur allgemeinen Variation des Deutschen in Österreich enthält, wobei auch Nonstandardvarietäten und soziale Faktoren berücksichtigt werden.

Die Publikation von Lenz & Glauninger erscheint als erster Band der neuen Reihe Wiener Arbeiten zur Linguistik,wodurch er eine exponierte Position einnimmt und einen gewissen Modellcharakter für weitere Publikationen dieser Reihe haben könnte. Ein erster Blick auf das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass die neun Beiträge zu einem erheblichen Anteil von namhaften Linguisten stammen, die auf dem Gebiet der Variationslinguistik bzw. Plurizentrik bereits vielbeachtete Schriften vorgelegt haben. Die Erwartungshaltung an den Band ist damit von Anfang an hoch angesetzt.

In einer kurzen Einleitung skizzieren die Herausgeber neue Ansätze bei den Forschungen zur deutschen Sprache in Österreich. Der Sammelband soll die in jüngster Zeit zu beobachtenden Einflüsse „der sprachdynamisch fundierten Variationslinguistik, der interaktionalen Soziolinguistik sowie der modernen Spracheinstellungs- und -perzeptions­forschung“ (S. 7) reflektieren. Die anschließend kurz inhaltlich charakterisierten Beiträge werden allerdings (leider) weder in der Einleitung noch durch Zwischenüberschriften im Inhaltsverzeichnis expressis verbis diesen drei Bereichen zugeordnet.

Den Auftakt bildet ein umfangreicher und für eine breitere Leserschaft nicht ohne weiteres zugänglicher Aufsatz von Manfred M. Glauninger, der zunächst die bereits in der Einleitung skizzierte Transformation des Forschungsfeldes „Deutsch in Österreich“ ausführlich erläutert und theoretisch unterfüttert. Der Autor nimmt Bezug auf die von ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt thematisierte „funktional dimensionierte Sprachvariationstheorie“ (S. 15) und präsentiert sie als Möglichkeit, die Schwelle zwischen der traditionellen und der sich neu formierenden Forschung zu überschreiten (S. 49).

Barbara Soukupnimmt sich des Phänomens „Speaker Design“ im österreichischen Deutsch an. Anhand der Analyse einer Fernsehdiskussion zeigt sie, dass die „Intra-SprecherInnen-Variation“ (S. 59), hier in Form des Wechsels zwischen Standarddeutsch und Dialekt, nicht nur als Reaktion auf soziale oder situationelle Gegebenheiten zurückzuführen ist, sondern durch die Sprecher vor allem als Mittel aktiver kommunikativer Gestaltung eingesetzt wird und unter dem Aspekt der Rhetorik zu betrachten ist.

AuchEva Winklerthematisiert Sprachgebrauch in den Medien. Anhand von Radiointerviews zeigt sie, dass bereits geringfügiges Codeswitching und minimale sprachliche Variation innerhalb des Dialekt-Standard-Kontinuums als diskurssteuernde Mittel eingesetzt werden können, um einen Wechsel zwischen formal-distanzsprachlichen und nähesprachlichen Ebenen zu erzielen.

Sara Hägi befasst sich mit der Plurizentrik des Deutschen und den daraus resultierenden sprachenpolitisch-didaktischen Problemen, die sich aus irreführenden Mythen bezüglich der deutschen Standardsprache, ihrer Inhomogenität sowie aus dem Zusammenhang von nationalspezifischen Normen und Identität ergeben. Als Lösungsvorschläge stellt Hägi eine Reihe von Strategien für den DaF-Unterricht zur Diskussion.

Die vonJoachim Herrgen vorgestellten perzeptionslinguistischen Untersuchungen ergeben, dass Gewährspersonen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nur Oralisierungen geschulter Sprecher aus Deutschland nationsübergreifend als standardsprachlich beurteilten, während vergleichbare Hörproben aus Österreich und der Schweiz als „Regionalakzent“ (S. 152) bewertet wurden. Zudem bewirken „Nähe-Effekte“ (S. 153), dass Österreicher und Schweizer die Standardrealisierungen ungeschulter Sprecher der jeweils anderen Nation als stärker dialektal einstuften. Der Autor führt dies auf verschiedene Oralisierungsnormen zurück, die v. a. mit den nationalen Verbreitungsgebieten von Rundfunk und Fernsehen zusammenhängen, und nimmt eine Entnationalisierung der Massenmedien und Oralisierungsnormen durch die modernen Kommunikationsmöglichkeiten an.

Sylvia Moosmüller zeigt, dass für die Festlegung der Standardaussprache in Österreich nicht mehr die gebildeten Schichten, sondern eigens ausgebildete Berufssprecher in Rundfunk und Fernsehen maßgeblich sind, die zum Teil österreichische und deutsche Aussprachenormen parallel verwenden. Die Autorin sieht dies kritisch und empfiehlt die Ausarbeitung einer Aussprachenorm für elektronische Medien. In einem weiteren Beitrag stellt Sylvia Moosmüllergemeinsam mit Julia Brandstädter einen aktuell bei Standardsprechern aus Wien stattfindenden, generationsunabhängigen Lautwandel dar, bei dem die Phoneme /i/ und /ɪ/ zugunsten von/i/neutralisiert werden. Die Autorinnen führen dies auf die Orientierung der Sprecher an der deutschen Standardaussprache und dialektale Einflüsse auf die österreichische Standardlautung zurück.

Christa Dürscheid, Stephan Elspaß und Arne Ziegler berichten über grammatische Variation im Standarddeutschen und ihre korpuslinguistische Untersuchung. Dies veranschaulichen sie anhand ihrer noch in Bearbeitung befindlichen Variantengrammatik, die die regionale grammatische Variation systematisch dokumentieren und darstellen soll. Die Autoren vertreten dabei ausdrücklich eine pluriareale Auffassung der Standardvariation und distanzieren sich von der plurinationalen Sichtweise.

Die Konjunktivperiphrase mit würde (v. a. in wenn-Sätzen), die seit dem 19. Jahrhundert v. a. dem süddeutsch-österreichischen Raum zugeschrieben und dort weniger restriktiv gehandhabt wurde als im Norden, wird von Thomas Brooks thematisiert. Er verdeutlicht dieses Phänomen an kontroversen Diskussionen um editorische Eingriffe in Robert Musils Roman DerMann ohne Eigenschaften,die den Text durch das Entfernen von Austriazismen an deutsche Sprachstandards anpassten. Der Ersatz des analytischen durch den synthetischen Konjunktiv ging auf den Wunsch von Musil selbst zurück, was einen Wandel in seiner Sprachbiographie darstellt.

Insgesamt handelt es sich um ein lesenswertes Buch, das mit seinen aufschlussreichen Beiträgen zu Funktion und Gebrauch des Standarddeutschen in Österreich, zu Perzeptionslinguistik und Sprachdynamik sowie zu didaktischen und kernlinguistischen Aspekten die in der Einleitung formulierte Zielsetzung erreicht hat. Weitere Bände dieser Qualität in der neuen Reihe wären wünschenswert.

Dimensionen des Deutschen in Österreich. Variation und Varietäten im sozialen Kontext, herausgegeben von Alexandra Lenz, Timo Ahlers und Manfred M. Glauninger, ist der 42. Band der Reihe Schriften zur deutschen Sprache in Österreich. Die hier versammelten Aufsätze sind aus Beiträgen zur Tagung Deutsch in Österreich (19. bis 21. April 2012) entstanden, bei der „Erscheinungsformen und Funktionen der deutschen Sprache in Österreich“ (ebd.: Vorwort) linguistisch dargestellt und einschlägige Ergebnisse der Variations- und Mehrsprachigkeitsforschung diskutiert wurden. Der Sammelband reflektiert dies anhand von 18 Aufsätzen, die zu drei Themenbereichen zusammengefasst wurden.

Den Auftakt bildet das sieben Beiträge umfassende Themenfeld „Vertikale Variation und Varietäten“. Irmtraud Kaiser und Andrea Ender präsentieren Ergebnisse empirischer Studien zum Gebrauch von Dialekt und Standard in den alemannischen und bairischen Dialektgebieten Österreichs. Um Freizeitgespräche jugendlicher Dialektsprecher aus Osttirol geht es bei Melanie Lenzhofer-Glantschnig, die die Verzahnung von intergenerationellen und diatopischen Faktoren besonders im Hinblick auf syntaktische Variation herausstellt. Rudolf de Cillia und Jutta Ransmayr berichten über ein Projekt zur Rolle des österreichischen Standarddeutsch als Unterrichts- und Bildungssprache. Spracheinstellung, Sprachloyalität und Normtoleranz hinsichtlich der Varietäten des Deutschen bei Lehrenden und Schülern sollen ebenso ermittelt werden wie der Zusammenhang zwischen der Akzeptanz der Plurizentrik des Deutschen und der österreichischen sprachlichen Identität. Tanja Wissik untersucht die Lexik der Rechts- und Verwaltungssprache des Hochschulwesens im Spannungsfeld zwischen nationalen Gesetzgebungen und Internationalisierungsbestrebungen. Peter Wiesinger führt bundesdeutsche Einflüsse auf das österreichische Standarddeutsch v. a. auf die Globalisierung und ihre Folgen für das Alltagsleben zurück, was er an zahlreichen Beispielen verdeutlicht. Er betont den Zusammenhang zwischen Sprache und Identität und fordert eine sprachliche Erziehung zugunsten österreichischer Ausdrucksweisen und die Einbettung dieses Themas in der Lehrerausbildung. Klaus Peter zeigt, dass die in der Fachliteratur anzutreffenden unterschiedlichen, z. T. sogar widersprüchlichen Aussagen über Normvorstellungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterschiedliche Ebenen betreffen: Varietätenwahl, Varietätenprestige und Normerfüllung. Der den ersten Themenblock abschließende Beitrag von Rudolf de Cillia behandelt den Zusammenhang von deutscher Sprache und österreichischen Identitäten (Plural!) sowie deren diskursiver Aushandlung in all ihren Widersprüchen.

Die sieben Beiträge des zweiten Themenbereichs werden unter der Überschrift „Variationsphänomene und sprachliche Systemebenen“ zusammengefasst. Bei Christina Schrödl, Katharina Korecky-Kröll und Wolfgang U. Dressler geht es um die Verwendung von Pluralallomorphen im Dialekt und beim Erstspracherwerb. Ludwig M. Breuer thematisiert syntaktische Variation im sprachlich sehr heterogenen Wien am Beispiel des indefiniten Artikels vor Massennomen (Stoffbezeichnungen und Abstrakta). DanaJanetta Dogaruveranschaulicht den Gebrauch von lexikalischen und satzgrammatischen Elementen zur sprachlichen Untermauerung der Verhaltensregeln in Zunftordnungen des 16. Jahrhunderts und Peter Ernst diskutiert die Verwendung von nord- und mitteldeutschen Lexemen im österreichischen Deutsch als Folge von Massen- bzw. Mikrosynchronisationen im Sinne von Schmidt & Herrgen (2011). Andrea Abel & Aivars Glaznieks setzen Sprachkompetenzforschung und Varietätenlinguistik in Beziehung, indem sie Schülertexte von Deutsch-Muttersprachlern im Hinblick auf Abweichungen vom sprachlichen Standard untersuchen und zeigen, dass sich diese zwischen lernerspezifischen Problemen, diatopischer Variation und Sprachwandelphänomen bewegen. Ulrike Thumbergerzeigt die alle linguistischen Ebenen sowie die Pragmatik betreffende Präsenz des österreichischen Deutsch in der Übersetzung eines Romans von Stephen King. Im letzten Beitrag dieses Themenblocks erläutert Klaus Geyerdie Funktion der intralingualen Untertitelung des österreichischen Spielfilms Indien, bei dem Dialekt- und Regiolektsequenzen mit Untertiteln in deutschem Standarddeutsch versehen wurden. Die inhaltliche Zugehörigkeit dieses Aufsatzes zu diesem Themenblock erschließt sich nicht unmittelbar.

Die letzten vier Beiträge beziehen sich auf „Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit“. Rosemarie Stern untersucht den Erwerb deutscher Nominalkomposita im Rahmen des kindlichen Zweitspracherwerbs. Csaba Földes stellt eine exemplarische Analyse des österreichischen Deutsch in der bilingualen Lexikographie vor. Im Zentrum stehen dabei die Anzahl und Auswahl von Austriazismen in deutsch-ungarischen und deutsch-slowakischen Wörterbüchern. Elisabeth Knipf-Komlósi & Katharina Wild nehmen aus diatopischer und diastratischer Perspektive Bezug auf Einflüsse des österreichischen Deutsch auf die seit dem 18. Jahrhundert in Ungarn beheimateten deutschen Dialekte. Den Abschluss des Sammelbandes bildet der historisch ausgerichtete Beitrag von Stefaniya Ptashnyk. Sie berichtet über Mehrsprachigkeit und Sprachvariation im habsburgischen Bildungswesen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, indem sie sprachenpolitische Maßnahmen der Monarchie sowie den v. a. an Adelung und deutschen Autoren orientierten Sprachgebrauch im Bildungswesen der multilingualen Stadt Lemberg darstellt.

Trotz der inhaltlichen Parallelen zwischen den beiden vorgestellten Bänden entstehen keine Wiederholungen, sondern sinnvolle Ergänzungen, die gemeinsam einen orientierenden Überblick gewähren über die aktuelle und weitgefächerte Forschung zum Standarddeutsch im 21. Jahrhundert (mit einem Schwerpunkt auf Österreich) sowie zum österreichischen Deutsch mit seinen regionalen, sozialen und fachsprachlichen Varietäten im Spannungsfeld von Dialekt und Standard sowie von Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt.

Literatur

Schmidt, Jürgen E. & Joachim Herrgen. 2011. Sprachdynamik. Eine Einführung in die moderne Regionalsprachenforschung. Berlin: Erich Schmidt.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2016-8-26
Erschienen im Druck: 2016-12-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 28.3.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2016-0018/html
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