Rezensierte Publikation:
Sylvia Bendel Larcher. 2015. Linguistische Diskursanalyse. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen: Gunter Narr. 256 S.
Der Begriff Diskurs wurde in den letzten Jahren in der Germanistischen Linguistik profiliert und zu einem viel beachteten Diskussionsgegenstand etabliert. Seit den 2000er Jahren erlebt die Diskurslinguistik ihre Konsolidierung durch synoptische Sammelbände wie Warnke (2007) und Warnke & Spitzmüller (2008), Felder,Müller & Vogel (2012) und Busse & Teubert (2013) sowie durch die Lehr- und Arbeitsbücher Spitzmüller & Warnke (2011) und Niehr (2014). Sylvia Bendel Larcher legt nun ein drittes Lehr- und Arbeitsbuch zu linguistischen Diskursanalysen vor, das 2015 in der Reihe „Narr Studienbücher“ erschienen ist.
Einen Hinweis darauf, dass der Fokus des Lehr- und Arbeitsbuches relativ weit gefasst ist, gibt bereits der Titel, der nicht auf den mittlerweile in Deutschland verbreiteten Begriff Diskurslinguistik zugreift, sondern mit linguistische Diskursanalyse einen alternativen Terminus setzt. Das Buch von Bendel Lacher unterscheidet sich von den anderen beiden oben genannten Lehr- und Arbeitsbüchern vor allem dadurch, dass der Gegenstandsbereich der Diskurslinguistik von geschriebenen Texten (Kapitel 5) auch auf Gespräche (Kapitel 6) und auf Bilder (Kapitel 7) ausgeweitet wird, was innerhalb der Diskurslinguistik ein Desiderat darstellt. Die vorgenommenen Erweiterungen des Gegenstandsbereichs sind plausibel. Im vorliegenden Kontext – in einem Lehr- und Arbeitsbuch – erscheinen sie jedoch gewagt, sind sie doch im Forschungsfeld noch bei weitem nicht abschließend diskutiert und etabliert. Aufgrund des weit gefassten Untersuchungsgegenstandes sind die didaktischen Hinweise in Abschnitt 1.1 („Ziel und Aufbau dieser Einführung“) deshalb ernst zu nehmen: „Das Studienbuch richtet sich an fortgeschrittene Studierende mit Kenntnissen in Text- und Gesprächslinguistik“ (S. 9). Die Autorin nennt vor dem Hintergrund dieser notwendigen Vorkenntnisse richtigerweise Masterstudenten und Doktoranden als Adressaten ihres Lehr- und Arbeitsbuches.
In jedem Kapitel finden sich weiterführende Literaturangaben, die jedoch eher zurückhaltend kommentiert werden. Was die Beispielanalysen und einen Teil der Übungsaufgaben angeht, so beschränken sich diese auf die Untersuchung eines bestimmten Diskurses, der folgendermaßen definiert wird:
„Die Beispielanalysen in den folgenden Kapiteln beschäftigen sich mit dem Managementdiskurs bzw. der Managementlehre. Die Texte für diese Bespielanalysen haben wir auf eine bisher eher unübliche Weise ausgewählt. [...] Das Korpus besteht aus vier weit verbreiteten Management-Lehrbüchern“ (S. 56).
Zwar ermöglicht diese Materialauswahl, Detailanalysen zu zahlreichen Aspekten des genannten Diskurses durchzuführen und so zu einem mindestens kaleidoskopischen Blick auf den Diskurs zu gelangen. Didaktisch wertvoll ist es jedoch, dass die Mehrzahl der Beispiele für „die Entdeckungs- und Anwendungsaufgaben aus dem Alltag der Studieren“ (S. 10) stammen, um den Interessenslagen der Studierenden im Seminar begegnen zu können.
Das Lehrbuch beginnt mit einem einleitenden Kapitel, in dem die Erkenntnisinteressen, Verfahren und der Gegenstand der Diskurslinguistik verständlich erläutert und eingegrenzt werden (Kapitel 1). In Kapitel 2 „Wurzeln der Diskursanalyse“ wird der Bogen zu Michel Foucault (der Abschnitt 2.1 ist von Marcel Eggler verfasst) als „Wegbereiter“ einer linguistischen Diskursanalyse gespannt, was in der in Deutschland etablierten Diskurslinguistik gängig ist. Auch die interdisziplinären Bezüge zur Wissenssoziologie (Kapitel 2.3) sind üblich. Die Linguistische Pragmatik (Kapitel 2.2) als Wurzel linguistischer Diskursanalysen zu beschreiben, ist jedoch nicht so geläufig und didaktisch auch nicht ganz so leicht zu vermitteln. So weist Bendel Larcher zunächst auf die Provenienz der zwei Diskurs-Begriffe hin:
„Im Kontext der funktional-pragmatischen Diskursanalyse bedeutet ‚Diskurs‘ so viel wie ‚Gespräch‘ oder ‚mündliche Interaktion‘ und darf nicht mit dem in diesem Buch vertretenen Verständnis von Diskurs verwechselt werden“ (S. 23).
Im späteren sechsten Kapitel ist es jedoch ein zentrales Verdienst des Buches, diese beiden Diskurstraditionen zum Begriff Diskurs sowie deren Methoden und Ergebnisse zusammenzubringen. Der folgende Hinweis auf dieses Vorhaben könnte noch prominenter gesetzt werden:
„Die linguistische Pragmatik steht nicht in der Tradition von Foucault und versteht sich nicht als Teil der linguistischen Diskursanalyse im hier vertretenen Sinne. Dennoch waren und sind die Methoden und Ergebnisse der linguistischen Pragmatik für die Diskursanalyse von unschätzbarem Wert“ (S. 26).
Kapitel 3 kartiert das Forschungsfeld der linguistischen Diskursanalyse unter dem Titel „Zweige der Diskursanalyse“: Der Diskurslinguistik (Kapitel 3.1) werden die Kritische Diskursanalyse (Kapitel 3.2) sowie die Soziale Semiotik (Kapitel 3.3) beigeordnet. Auf diese Ausführungen trifft zu, was die Autorin selbstkritisch bereits in Kapitel 2 anmerkt. Sie gibt hier zu bedenken, dass die von ihr gewählte Baum-Metaphorik (Wurzeln, Zweige und Stamm der linguistischen Diskursanalyse) zur Beschreibung des Forschungsfeldes nicht immer passend und erkenntnisleitend ist:
„Die Wissenssoziologie ist natürlich nicht nur eine Wurzel der Diskursanalyse, sondern einer ihrer bedeutenden Zweige, wenn nicht sogar – um im Bilde zu bleiben – ihr Stamm. Wir führen sie hier nur deshalb unter den Wurzeln auf, weil sie einiges älter ist als die linguistische Diskursanalyse und diese in mannigfaltiger Weise inspiriert hat“ (S. 27).
Kapitel 4 beschreibt unter dem Titel „Korpusbildung“ korpuslinguistische Methoden als besonders relevant für linguistische Diskursanalysen. Schade ist, dass das Spektrum möglicher Zugänge zu Diskursen folgendermaßen begrenzt wird: „In diesem Lehrbuch beschränken wir uns auf die Darstellung qualitativer Methoden“ (S. 47). Die in Kapitel 4 relevant gesetzte Unterscheidung in offene und geschlossene Korpora kann in ihrer Relevanz für Diskursanalysen nur bedingt durch die Beispiele plausibilisiert werden. Verwirrend ist, dass als dritter Terminus die Bezeichnung elektronische Korpora besprochen wird und dieser mit der Analyse von Daten aus dem Internet gleichgesetzt wird. Zielführender wäre eine Unterscheidung in (retro-)digitalisierte und digitale Texte oder in lineare und nicht-lineare Texte. Zudem wäre eine Auflistung verfügbarer digitaler Sprachressourcen, die diskursanalytischen Erkenntnisinteressen zuarbeiten und die systematische Erstellung von Korpora erlauben, didaktisch wünschenswert.
Kapitel 5 ist das erste von drei Kapiteln, das sich der „Ebene des Einzeltextes“ und hier konkret geschriebenen Texten widmet. In den Abschnitten „Perspektivierung“ (5.1), „Nomination und Prädikation“ (5.2), „Themenstrukturanalyse“ (5.3), „Modalität“ (5.4), „Evaluation“ (5.5) und „Argumentation“ (5.6) werden textlinguistisch orientiert Vorschläge zu Analyseebenen für Untersuchungen von Diskursen gemacht. Fachbegriffe sollten jedoch präziser benannt und definiert werden: Der im Vorwort genannten Zielgruppe der Masterstudenten und Doktoranden könnten statt des Terminus Eigennamen durchaus der Terminus Nomina propria und weiterführende Differenzierungen z. B. in Toponyme und Anthroponyme an die Hand gegeben werden.
Der breite Fokus des Studienbuches geht einher mit einer Vielzahl vorgeschlagener Analyseebenen, was jedoch zu deren kursorischer Besprechung führt. Beispielhaft sei dies für die Analyseebene der Metaphern (S. 67ff.) erläutert, die in Kapitel 5 zur Analyse von geschriebenen Texten herangezogen wird: Literaturwissenschaftliche Metapherntheorien sind hier der kognitiven Metapherntheorie nach Lakoff & Johnson (1980) gegenübergestellt. Neuere, genuin diskurslinguistisch orientierte Arbeiten zu Metaphern, die diese als diskursive Einheiten verstehen (vgl. Petraskaite-Pabst 2004, Kirchhoff 2010, Gredel 2014), werden nicht – auch nicht in den Literaturhinweisen – genannt, obwohl diese thematisch sehr gut gepasst hätten.
Kapitel 6 berücksichtigt mündliche Äußerungen als Untersuchungsgegenstand diskursanalytischer Arbeiten. In diesem Kapitel wird das zu Beispielanalysen herangezogene Material um Ausschnitte aus Radiosendungen ergänzt. Dabei wird die Beherrschung relevanter Methoden vorausgesetzt:
„Wie man Gespräche aufzeichnet, transkribiert und analysiert, ist aus der Konversationsanalyse, der funktional-pragmatischen Diskursanalyse, der interaktionalen Soziolinguistik und weiteren Zweigen der Gesprächsforschung hinlänglich bekannt“ (S. 103).
Vorschläge zu diskursanalytisch relevanten Analyseebenen sind „Stimme und Körper“ (6.1), „Prozessualität und Interaktivität“ (6.2), „Kontextbezug und Adressatenorientierung“ (6.3) sowie „Selbst- und Fremdpositionierung“ (6.4).
Kapitel 7 ist der Einzeltextanalyse von Bildern gewidmet. Nach dem Abschnitt „Methodologische Vorbemerkungen: Bilder, Bildtypen, Bildanalysen“ (7.1) werden als Analyseebenen „Inhalt und Ausschnitt“ (7.2), „Perspektivierung“ (Kapitel 7.3), „Komposition“ (7.4), „Modalität“ (7.5) und „Bild-Text-Beziehungen“ (Kapitel 7.6) empfohlen. Für den Überblick sind die zusammenfassenden Tabellen zu den Kapitel 5, 6 und 7 sehr hilfreich. Didaktisch sinnvoll wäre es gewesen, die zentrale diskursanalytische Aufgabe, die genannten Analyseebenen der Einzeltextanalysen auf transtextuelle Einheiten zu beziehen, in den jeweiligen Kapiteln 5 bis 7 zu leisten. Stattdessen wird dies in einem eigenen Kapitel 8 in sehr knappen Abschnitten für geschriebene Texte, Gespräche und Bilder abgehandelt.
Das Buch schließt in Kapitel 9 mit der Thematisierung des Verhältnisses von Diskurs und Gesellschaft und führt dabei die Kategorien ,Wissen‘ und ,Macht‘ ein. Das mit zwei Seiten kurz gehaltene Kapitel 10 zum Rück- und Ausblick bespricht konzis weitere Desiderate der linguistischen Diskursanalyse. Nicht einsichtig ist, warum nicht auch (Hyper-)Texte aus digitalen Medien als Untersuchungsgegenstand herangezogen werden. Mit der von Sylvia Bendel Larcher vorgenommenen Ausweitung des Gegenstandsbereichs linguistischer Diskursanalysen auf Gespräche und Bilder wäre dies kein allzu großer Schritt gewesen. Die Lösungsvorschläge zu den Übungen sowie das Literaturverzeichnis sind für den Einsatz in Seminaren gut geeignet. Für Studierende wäre zudem auch ein Glossar wünschenswert und hilfreich. Insgesamt ist die innovative Konzeption der Einführung in die linguistische Diskursanalyse verdienstvoll, für didaktische Kontexte jedoch auch sehr anspruchsvoll.
Literatur
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