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Sascha Bechmann. 2016. Sprachwandel – Bedeutungswandel (UTB 4536). Tübingen: A. Francke. 324 S.
Mit diesem Einführungswerk verfolgt Sascha Bechmann das Ziel, einen allgemeinverständlichen Einstieg in die Thematik des Sprachwandels aus handlungstheoretischer Perspektive zu bieten. Das Buch gliedert sich dabei, entsprechend dem Titel, in zwei große Teile mit jeweils sieben Kapiteln: Der erste Teil befasst sich mit Sprachwandel im Allgemeinen, während der zweite Teil Bedeutungswandel als Sonderfall des Sprachwandels behandelt. Im Folgenden gebe ich zunächst einen knappen Überblick über den Inhalt der einzelnen Kapitel, um dann kurz das Gesamtkonzept des Buches zu diskutieren und anschließend kritisch auf einzelne Aspekte einzugehen.
Die ersten beiden Kapitel stellen den handlungstheoretischen Zugang zu Sprache vor, in dem Sprache als System kommunikativ genutzter Zeichen zur Beeinflussung anderer Menschen konzeptualisiert wird. Dabei werden der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken erörtert, einige Grundbegriffe eingeführt und die Frage nach dem Ursprung der Sprache gestreift. Am Rande wird hier auch Kellers (z. B. 1994) invisible-hand-Theorie des Sprachwandels angeschnitten, die in Kap. 3 (Sprachwandel als Kulturwandel) und Kap. 4 (Prinzipien des Sprachwandels) eine zentrale Rolle spielt. Weiterhin werden in Kap. 4 Lüdtkes (z. B. 1980) Sprachwandelgesetz, der „Regelkreis“ nach Köhler & Altmann (1986) sowie das „Piotrowski-Gesetz“, das die S-Kurve als universellen Sprachwandelverlauf postuliert, diskutiert. Kap. 5 befasst sich mit den Ursachen des Sprachwandels. Hier werden kognitive Faktoren wie Analogiebildung, Metapher und Metonymie, biologisch-physiologische Faktoren (Physiologie des Sprechapparats) sowie kreative Sprachverwendung herausgearbeitet. Kap. 6 wendet sich den Folgen des Sprachwandels zu. Bechmann argumentiert, dass Sprachwandel zwar zum Schwund, aber durch Grammatikalisierung auch zum Aufbau grammatischer Komplexität führt. Darüber hinaus plädiert er dafür, auch nicht-sprachliche semiotische Wandelprozesse als Sprachwandel zu verstehen. Kap. 7 beschließt den ersten Teil des Buches mit einem „Repetitorium“ und Übungsaufgaben. Zu Letzteren werden bewusst keine Lösungen angeboten, „da Standardlösungen und ‑antworten nicht gewünscht sind.“ (S. 14)
Der zweite Teil der Einführung wird mit Kap. 8 zum Bedeutungsbegriff und zur Sonderstellung des Bedeutungswandels eingeleitet. Bechmann vertritt hier explizit einen gebrauchstheoretischen Bedeutungsbegriff und lehnt repräsentationistische Ansätze ab. Die Sonderstellung des Bedeutungswandels erklärt er damit, dass dieser nicht in sprachlichen Fehlern seinen Ausgang nimmt (wie das bei anderen Sprachwandelprozessen der Fall sei), sondern in regelkonformen Verwendungsweisen. Kap. 9 befasst sich mit Prinzipien des Bedeutungswandels, wobei Repräsentation, Persuasion und soziale Interaktion als Zwecke der zwischenmenschlichen Kommunikation herausgearbeitet werden, die auch als ‚Motor’ für die Veränderung von Gebrauchsregeln fungieren. In Kap. 10 geht es um Ursachen und Verfahren des Bedeutungswandels, wobei der Verfasser den Einfluss des technischen Fortschritts auf Bedeutungswandel relativiert und stattdessen Metaphorisierung und Metonymisierung, Implikaturen sowie euphemistische und elliptische Verwendungsweisen in den Vordergrund stellt. In Kap. 11 werden die Folgen des Bedeutungswandels auf der Wortebene diskutiert, in Kap. 12 die Folgen des Bedeutungswandels auf der Sprachebene. Hier werden insbesondere Bedeutungsverbesserung und -verschlechterung sowie Bedeutungserweiterung und -verengung diskutiert, wobei jedoch der Verfasser die beiden letztgenannten Begriffe ablehnt, da damit lediglich extensionale Bedeutung bzw. Verengung gemeint sei; als Alternativen schlägt er „Generalisierung“ und „Spezialisierung“ vor. Im Zusammenhang mit den Folgen des Bedeutungswandels auf Sprachebene werden unter anderem Desemantisierung und Paradigmatisierung als Grammatikalisierungsprozesse diskutiert. Kap. 13 stellt die Frame-Semantik in der Tradition Fillmores als eine vielversprechende Möglichkeit vor, sich semantischem Wandel zu nähern. Kap. 14 bietet – analog zum Abschluss des ersten Teils der Einführung – ein weiteres „Repetitorium“ mit Übungsaufgaben, Hinweisen für Dozierende sowie möglichen Hausarbeitsthemen zu den im Buch behandelten Gebieten.
Insgesamt ist Bechmann eine auch für Laien sehr gut verständliche Einführung gelungen, die explizit keinen Überblick über die (deutsche) Sprachgeschichte bieten will, sondern vielmehr Mechanismen des Sprachwandels in den Vordergrund stellt. Damit schließt das Buch in der Tat eine Lücke in der derzeitigen Landschaft sprachwissenschaftlicher Einführungswerke. Durch den einseitigen Fokus auf handlungs- und gebrauchstheoretische Ansätze versäumt es der Verfasser jedoch, ein ausgewogenes Bild der aktuellen Forschung zum Sprach- und Bedeutungswandel zu zeichnen. Seine Argumente gegen repräsentationistische Ansätze können nur bedingt überzeugen: Dass eine Theorie, die Bedeutung als Konzeptualisierung (oder, in Bechmanns Worten, als Vorstellung bzw. Ideation) fasst, „gänzlich unbrauchbar“ (S. 182) werde, wenn man sie etwa auf Präpositionen oder relationale Ausdrücke anwende, gilt nur dann, wenn man als „Vorstellungen“ lediglich konkrete Objekte und nicht abstrakte Bildschemata zulässt. Auch das Argument, dass die Vorstellungstheorie nur funktionieren könne, wenn Vorstellungen rein objektiv seien, da (inter-)subjektive Vorstellungen unterschiedliche Bedeutungen erzeugten, kann nicht überzeugen, erfordert doch die Vorstellungstheorie lediglich ein ausreichendes Maß an Überschneidung zwischen unterschiedlichen Konzeptualisierungsvarianten. Zudem kann ja gerade in interindividuellen Konzeptualisierungsdifferenzen auch ein wichtiger Keim des semantischen Wandels gesehen werden. Hier wäre es sinnvoller gewesen, die Argumentation auf (empirisch untermauerte) Ansätze zu stützen, die das Konzept von Repräsentationen aus kognitionswissenschaftlicher Sicht kritisch hinterfragen (vgl. z. B. Chomero 2009; Wilson & Golonka 2013).
Diese Überlegungen richten sich jedoch wohlgemerkt nicht gegen den gebrauchstheoretischen Ansatz, den Bechmann vertritt. Dass sich die Bedeutung sprachlicher Zeichen aus dem Sprachgebrauch ergibt und sich im und durch Sprachgebrauch verändert, wird auch in eher konzeptualistisch orientierten Ansätzen weithin akzeptiert (vgl. z. B. Evans & Green 2006; Langacker 2008). Insofern kann sich Bechmanns Diskussion von Mechanismen des Sprach- und Bedeutungswandels auch für die LeserInnen als erhellend erweisen, die seine Ablehnung repräsentationistischer Ansätze nicht teilen.
Dass Bechmann Sprachwandel vor allem auf der ‚abstrakten’ Ebene der Ursachen und Mechanismen betrachtet, ist einerseits ein guter Ansatz, bringt andererseits jedoch das Problem mit sich, dass die Beispiele, die er diskutiert, bisweilen etwas oberflächlich bleiben und im schlimmsten Fall auf anekdotischer Evidenz basieren. Ein besonders krasses Beispiel hierfür findet sich in Kap. 6, wenn der Einfluss der Medien auf das Sprachsystem illustriert werden soll:
„Gegenwärtig klagen jedoch immer mehr Lehrerinnen und Lehrer darüber, dass ihre Schülerinnen und Schüler das Wort Technik wie Technick schreiben. Da dieses Phänomen gehäuft und systematisch nur bei diesem Wort auftritt, ist anzunehmen, dass dieser orthografische Fehler auf die Schreibung des Namens Tech-Nick in der weit verbreiteten und präsenten Werbung der Firma Saturn zurückzuführen ist.“ (S. 127, Hervorh. i. O.)
Damit werden gleich zwei Behauptungen ohne jeden Beleg in den Raum gestellt: erstens, dass „immer mehr“ Lehrerinnen und Lehrer dieses Phänomen beklagen würden; zweitens, dass der Fehler „gehäuft und systematisch“ nur bei diesem einen Wort auftrete. Gerade für ein Einführungswerk ist dies hochproblematisch, besteht doch die (anvisierte) Leserschaft zu einem großen Teil aus StudienanfängerInnen – Personen also, denen das wissenschaftliche Arbeiten nahegebracht werden soll, wozu auch die Einsicht gehört, dass anekdotische Evidenz eben keine wissenschaftliche Evidenz sein kann. Eine Korpusrecherche im Webkorpus DECOW14AX (Schäfer & Bildhauer 2012) wirft denn auch Zweifel an Bechmanns Erklärungsansatz auf, denn hier ist die Schreibvariante Technick immerhin 696-mal belegt – davon stammen 654 Belege ausweislich des crawl date (also des Datums, zu dem der jeweilige Beleg bei der Korpuserstellung gespeichert wurde) von einem Zeitpunkt im Jahr 2011 oder früher, also deutlich vor Einführung der „Tech-Nick“-Kampagne.
Ein weiterer positiver Aspekt, der aber eine problematische Kehrseite hat, ist die didaktische Aufbereitung des Buches. Zu großen Teilen gelingt Bechmann der Versuch, „Komplexes einfach darzustellen“ (S. 13), sehr gut. Die didaktische Aufbereitung mit vielen Merksätzen, Infoboxen und graphischen Darstellungen ist mustergültig; einiges wirkt jedoch etwas überdidaktisiert bzw. überpädagogisiert. Insbesondere die Reise im „Sprachwandel-Express“ (S. 73f.) ist in einer wissenschaftlichen Einführung etwas deplatziert. Gleiches gilt für das auf Rudi Keller zurückgehende Märchen von „Karlheinz, dem Affenmenschen“ (S. 47–49). Weiter wird bisweilen auch relativ Offensichtliches etwas zu ausführlich abgehandelt. Dass sich beispielsweise Wandelprozesse aus menschlichem Handeln ergeben, ist zweifelsohne eine wichtige Erkenntnis – ob es dafür jedoch eines eigenen Merkspruchs à la „Kein Wandeln ohne Handeln – nur Handeln führt zum Wandeln!“ (S. 64) bedarf, sei dahingestellt.
Noch ein anderer im Grunde sehr positiv hervorzuhebender Aspekt wird teilweise etwas zu weit geführt, nämlich die dezidiert semiotische Ausrichtung. Dass Bechmann die Gemeinsamkeit zwischen sprachlichen und anderen kommunikativen Zeichen hervorhebt und zeigt, dass sie oftmals denselben Wandelprozessen unterworfen sind, ist sehr zu begrüßen. Ob es jedoch sinnvoll ist, auch Statussymbole wie Kleidung, Autos und Urlaube „dem Gesamtsystem Sprache“ zuzurechnen (S. 134), kann kritisch hinterfragt werden. Dies birgt die Gefahr, den Begriff Sprache zu weit auszudehnen – ähnlich wie auch die Verwendung des Begriffes für nicht-menschliche Kommunikationssysteme, die Bechmann an einer Stelle als „tierische Sprachen“ (S. 87) bezeichnet.
Bei aller Vereinfachung, die für eine verständliche Darstellung der komplexen Thematik notwendig ist und für die der Verfasser zu Beginn des Buches um Nachsicht bittet (S. 13), wäre bei manchen Punkten doch eine etwas differenziertere Herangehensweise wünschenswert gewesen. Dies gilt insbesondere für die Ausführungen zu Sprache und Denken. Dass Sprache und Denken eng miteinander verwoben sind, ist unbestritten; die kategorische Aussage „Alles Denken ist Sprache und nichts ist ohne Sprache denkbar“ (S. 21) führt jedoch zu weit bzw. legt einen sehr engen Begriff des Denkens zugrunde. Eine Fülle an Evidenz aus komparativer Forschung legt nahe, dass die Auffassung, wonach Denken – im Sinne von: Konzepte, Erinnerungen und Vorstellungen haben – ohne Sprache nicht möglich sei, falsch ist (vgl. z. B. Hurford 2007; Roberts 2009).
Einige kleinere Kritikpunkte zu einzelnen Passagen seien noch genannt. Erstens erscheint eine Formulierung wie „In unserem Gehirn ist das Sprachsystem gespeichert“ (S. 117) problematisch, da der Begriff Sprachsystem in vielerlei Hinsicht theoretisch stark aufgeladen ist. Angemessener wäre z. B. „In unserem Gehirn ist sprachliches Wissen gespeichert“. Zweitens kann kritisch hinterfragt werden, ob man das Konzept der Metapher angesichts der Fülle denkbarer Beispiele ausgerechnet an der Bezeichnung Hase für ‚hübsche Frau’ diskutieren muss (S. 173). Drittens wird als Beispiel für die Grammatikalisierung von Bewegungsverben zum Ausdruck zukünftiger Ereignisse eine fortschreitende Erkrankung angeführt (S. 264). Das Partizip fortschreitend hat hier zwar temporale Bedeutung, aber nicht oder nicht notwendigerweise einen Zukunftsbezug. Gerade im zweiten Teil des Buches fallen außerdem die recht zahlreichen Selbstzitate auf, die z. T. etwas zu ausführlich geraten sind, auch wenn es prinzipiell natürlich legitim und naheliegend ist, dass sich der Verfasser hier auf eigene Vorarbeiten stützt.
Alles in allem ergibt sich somit ein zwiespältiges Bild: Einerseits ist Bechmanns Einführung sehr gut lesbar und über weite Strecken didaktisch gut aufbereitet, und sie kann durchaus auch von Fachleuten, die mit der handlungstheoretischen Perspektive auf Sprachwandel noch wenig vertraut sind, mit Gewinn gelesen werden. Zudem stellt sie eine willkommene Ergänzung zu bestehenden Einführungen dar, indem sie gleichsam einen möglichen theoretischen Überbau zu Werken liefert, die den Fokus stärker auf die Beschreibung von Sprachwandelprozessen als auf Sprachwandeltheorie legen. Andererseits bleibt sie in der Darstellung dieses „Überbaus“ wie auch in der Kritik an konkurrierenden Ansätzen zu sehr an der Oberfläche. Im Balanceakt zwischen Vereinfachung und Komplexität, den jede Einführung mit sich bringt, schlägt das Pendel an einigen Stellen zu sehr in Richtung Vereinfachung aus. Für den Einsatz im Unterricht eignet sich das Werk nur, wenn den Studierenden zugleich vermittelt wird, dass einige der Stilelemente, auf die Bechmann zurückgreift und die der didaktischen Zielsetzung des Buches durchaus dienlich sind (z. B. Anekdoten; Märchen; der Einbezug des Lesers durch direkte Ansprache und durch Fragen), bei wissenschaftlichen Arbeiten – und mithin auch bei Seminar- und Abschlussarbeiten – gerade nicht zur Nachahmung empfohlen werden können.
Literatur
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