Reviewed Publications:
Ulrich Ammon, Hans Bickel & Alexandra N. Lenz (Hg.). 2016. Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin, Boston: De Gruyter. lxxviii, 916 S.
Ulrich, Hans & Alexandra N. Ammon Bickel Lenz (Hg.). 2016. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen. Berlin, Boston: De Gruyter. lxxviii, 916 S.
Bei dem hier zu besprechenden Buch handelt es sich um die zweite Auflage des 2004 erstmals erschienenen Variantenwörterbuchs, das nun vollständig überarbeitet wurde. Die Überarbeitung umfasst dabei sowohl Aktualisierungen und Erweiterungen als auch Kürzungen, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll.
Eingang in das Variantenwörterbuch finden Wörter und Wendungen des Standarddeutschen (definiert als „im öffentlichen (vor allem schriftlichen) Sprachgebrauch als angemessen und korrekt geltende[s] Deutsch“, S. xviii), die „nationale oder regionale (areale) Besonderheiten aufweisen, sowie [...] deren gemeindeutsche Entsprechungen“. Berücksichtigt werden dabei die „Varianten des Deutschen in den drei Vollzentren der deutschen Sprache“ Deutschland, Österreich und Schweiz, in den vier „Halbzentren“ Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie in den drei „Viertelzentren“ Rumänien, Namibia und den Mennonitenkolonien in Mexiko (S. xii). Die Halb- und Vollzentren zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen bzw. einem Teil des Landes Deutsch Amtssprache ist. Während in den Vollzentren die nationalen Varianten in Nachschlagewerken kodifiziert sind, ist das bei den Halbzentren nicht der Fall. In den Viertelzentren stellt das Deutsche keine Amtssprache, sondern eine Minderheitensprache dar und ist dementsprechend auch nicht kodifiziert. Für die Neuauflage des Variantenwörterbuchs wurden die drei genannten Viertelzentren neu aufgenommen; insgesamt 162 Lemmata aus den Viertelzentren haben Eingang in das Wörterbuch gefunden (das sind 79 Rumänismen, 37 Namibismen und 46 Varianten aus den mexikanischen Mennonitenkolonien, vgl. S. xiii). Für die Auswahl der Viertelzentren und die Nichtberücksichtigung etwa von Dänemark, Ungarn, Polen oder Brasilien werden die folgenden Kriterien genannt: Ein Viertelzentrum gilt nur dann als ein solches, wenn es dort nationale Varianten gibt, die 1. als spezifisch für das Land oder die Minderheit angesehen werden können, 2. regelmäßig in so genannten Modelltexten (insbesondere Zeitungen) vorkommen und 3. von ansässigen Sprachnormautoritäten, wie LehrerInnen, als korrekt und angemessen für den öffentlichen Sprachgebrauch angesehen werden (vgl. S. xii).
Eine weitere wesentliche Überarbeitung für die Neuauflage des Variantenwörterbuchs betrifft den Lemma-Bestand. Dieser wurde unter anderem mithilfe von Korpusanalysen komplett überprüft. Dazu wurden verschiedene Zeitungskorpora in Bezug auf die Gebrauchsfrequenz der Lemmata und ihrer arealen Verbreitung ausgewertet. Ergänzend wurden Wörterbücher hinzugezogen und für einzelne Regionen RegionalexpertInnen konsultiert, die die areal begrenzte Standardsprachlichkeit von Varianten beurteilt haben. Der Schwerpunkt der konsultierten Quellen liegt also klar auf schriftlichen Belegen. Auf diese Weise wurde der Lemma-Bestand des Variantenwörterbuchs neu bewertet. Als Ergebnis wurden circa 1.700 Einträge gestrichen, hauptsächlich weil sie entweder als nicht-standardsprachlich einzuordnen sind oder weil die areale Begrenztheit für sie nicht gegeben ist und sie damit als „standardsprachlich-gemeindeutsch“ (S. xvi) anzusehen sind. Außerdem wurden alle Artikel zu Namen aus der Neuauflage getilgt, weil ihre Überprüfung, unter anderem aufgrund des begrenzten Rahmens der Projektfinanzierung, nicht möglich war (vgl. S. xvi). Dafür fanden aber circa 2.500 neue Lemmata in das Variantenwörterbuch Eingang. Insgesamt umfasst das Referenzwerk zu den nationalen bzw. arealen Standardvarianten somit rund 12.500 Artikel.
Die größte inhaltliche Veränderung betrifft neben der Anpassung des Lemma-Bestandes die Überarbeitung und Aktualisierung der Artikel. Auch hierfür wurden RegionalexpertInnen sowie Wörterbücher und insbesondere Zeitungskorpora konsultiert. Die Überarbeitung betrifft die areale Verortung der Lemmata, Anpassungen der Ausspracheangaben, Angaben zu Varianten der Lemmata, Zusatzangaben wie etwa „Grenzfall des Standards“ und insbesondere die Aktualisierung der Belegsätze aus dem Material der verwendeten Zeitungskorpora (vgl. S. xvi–xvii).
Im Folgenden soll auf die Markierung „Grenzfall des Standards“ näher eingegangen werden. Zu den Kriterien für die Aufnahme eines Lemmas ins Variantenwörterbuch schreiben die HerausgeberInnen:
„Wörter ohne existierende Synonyme aus der Standardsprache, ohne stilistische Markierung und ohne dialektale Besonderheiten in der Lautung wurden in der Regel ins Wörterbuch aufgenommen, wenn sie einen gewissen Schwellenwert an Vorkommenshäufigkeiten erreicht haben.“[1] (S. xix)
Wenn diese Kriterien nicht erfüllt wurden, wenn also etwa eine Standard-Alternative zum Wort existiert, das Wort mit zum Beispiel der Bezeichnung „derb“ einer tieferen Stilebene zugeordnet wird oder es häufig in Anführungszeichen gesetzt auftritt, dann führte das entweder zur Nichtaufnahme ins Variantenwörterbuch oder zur Aufnahme mit der Markierung als „Grenzfall des Standards“. Die Entscheidung für eine der zuletzt genannten Optionen war sicherlich häufig schwierig und wird wohl daher auch im Wörterbuch nicht weiter kommentiert. Eine Schwierigkeit bei der Beurteilung der Standardsprachlichkeit eines Lemmas liegt z. B. für Deutschland darin, dass hier verschiedene regionale Standardvarietäten angesetzt werden (reine Hochlautung wird den BerufssprecherInnen zugesprochen; vgl. S. liv). Eine Kodifizierung für diese regionalen Standardsprachen gibt es allerdings (bislang) nicht, so dass auch nicht klar beurteilt werden kann, welche Varianten jeweils zu ihnen gehören.[2] Dadurch dass der Standardbegriff letztendlich also am Gebrauch und nicht an einer Norm festgemacht wird, ergeben sich für das Wörterbuch Schwierigkeiten, Varianten der Umgangssprache (als „Sprachfor[m] zwischen Dialekt und Standardsprache“; S. lv) von solchen der regionalen Standardsprache abzugrenzen. So kommt es zu vielen Einträgen im Wörterbuch, die als „Grenzfall des Standards“ markiert werden (vgl. etwa den Eintrag „Fresse“) und deren Abgrenzung „letztlich Ermessenssache“ war (S. lvi).
Für Österreich sehe ich ähnliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Standardsprachlichkeit. Hier werden zwei Standardvarietäten angesetzt – ein formeller und ein informeller Standard –, die in unterschiedlichen Situationen zum Einsatz kommen. Daneben gibt es (neben dem Dialekt) noch eine Umgangssprache (vgl. S. xlv). Auch hier würden sich (bundesdeutsche) LeserInnen eine etwas genauere Abgrenzung zwischen formellem Standard, informellem Standard und Umgangssprache aufgrund linguistischer Merkmale wünschen. Das Kapitel „Zur Abgrenzung von Dialekt, Umgangssprache und Standardsprache in Österreich“ bietet hierzu leider kaum Informationen. So kann man sich fragen, wie etwa die RegionalexpertInnen beurteilen können, ob eine Variante zum Standard oder zur Umgangssprache gehört, wenn nicht wirklich klar ist, was welche Varietät kennzeichnet.
In diesem Zusammenhang wäre auch kritisch zu hinterfragen, ob die eingeteilten Sprachgebiete (zumindest für Deutschland) nicht zu groß gewählt wurden, um eine zuverlässige Beurteilung durch einzelne RegionalexpertInnen zu ermöglichen.[3] Fraglich ist zudem, ob die Beurteilung der Standardsprachlichkeit über die Einschätzung durch die RegionalexpertInnen hinaus nicht auf eine größere empirische Basis hätte gestellt werden können, was über Online-Umfragen recht unproblematisch hätte erreicht werden können.
Unabhängig von dieser Detailkritik an der Konzeption des Variantenwörterbuchs handelt es sich um ein materialreiches und interessantes Nachschlagewerk, das einen wichtigen Beitrag zur lexikographischen Erschließung des oberen Bereichs des Varietätenspektrums liefert. Positiv hervorzuheben ist zudem der klare und gut erläuterte Artikelaufbau, der benutzerfreundlich gestaltet ist. So gelangt man zum Beispiel über den Wörterbucheintrag einer Variante eines Zentrums zu den entsprechenden Varianten der anderen Zentren. Das verschafft nicht nur einen schnellen Überblick über die lexikalischen Unterschiede im Deutschen, sondern lädt (soweit das bei einem Wörterbuch möglich ist) auch zum Schmökern ein.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die umfangreiche und aufwändige Überarbeitung des Variantenwörterbuchs gelohnt hat, da nun auch die sogenannten Viertelzentren in ihrer sprachlichen Besonderheit Berücksichtigung finden, die durchgeführten korpuslinguistischen Analysen zur stärkeren empirischen Fundierung des Nachschlagewerkes beitragen und der Lemma-Bestand aktualisiert wurde.
Literatur
Duden. 2015. Das Aussprachewörterbuch. 7., komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage. Bearbeitet von Stefan Kleiner, Ralf Knöbl und Max Mangold. Berlin: Dudenverlag.Search in Google Scholar
Fink, Juliane, Andreas Gellan & Andrea Kleene. 2017. Neuerungen in der Zweitauflage des Variantenwörterbuchs des Deutschen (VWB-Neu). Non-Standard-Varianten und die regionale Distribution. In: Alexandra N. Lenz, Ludwig Maximilian Breuer, Tim Kallenborn, Peter Ernst, Manfred Michael Glauninger & Franz Patocka (Hg.). Bayerisch-österreichische Varietäten zu Beginn des 21. Jahrhunderts – Dynamik, Struktur, Funktion. 12. Bayerisch-Österreichische Dialektologentagung. Stuttgart: Franz Steiner, 245–261.Search in Google Scholar
Kleiner, Stefan. 2011 ff. Atlas zur Aussprache des deutschen Gebrauchsstandards (AADG). Unter Mitarbeit von Ralf Knöbl. URL: http://prowiki.ids-mannheim.de/bin/view/AADG/, Stand: 30.08.2017.Search in Google Scholar
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