Reviewed Publication:
Giorgio Antonioli. 2016. Konnektoren im gesprochenen Deutsch. Eine Untersuchung am Beispiel der kommunikativen Gattung „autobiographisches Interview“ (Deutsche Sprachwissenschaft international 23). Frankfurt a. M.: Peter Lang. 207 S.
1 Thema und Anspruch
Das Interesse an der Konnektorenforschung als Schnittstelle zwischen Satz und Text ist seit dem Beginn dieses Jahrhunderts relativ konstant geblieben und wurde durch das Erscheinen der beiden Bände des Handbuchs der deutschen Konnektoren (2003, 2014) nachhaltig geprägt. In diesem Kontext der theoretisch-methodischen Beschäftigung mit deutschen Konnektoren ist auch das vorliegende Buch zu verorten. Es erschien 2016 als Band 23 der Reihe Deutsche Sprachwissenschaft international im Peter Lang-Verlag. Dabei handelt es sich um die überarbeitete Fassung der Dissertation mit dem gleichnamigen Titel Konnektoren im gesprochenen Deutsch. Eine Untersuchung am Beispiel der kommunikativen Gattung „autobiographisches Interview“, die 2015 an der Universität Turin (Italien) vorgelegt wurde. Der Haupttitel Konnektoren im gesprochenen Deutsch liest sich vielversprechend: Der Autor kündigt an, mit seinem Buch „eine Lücke in der Konnektorenforschung [zu] schließen, indem es den Gebrauch von Konnektoren im gesprochenen Deutsch untersucht“, so der Klappentext zum Buch.
Unter dem „gesprochenen Deutsch“ wird die kommunikative Gattung „mündliches autobiographisches Interview“ verstanden. Der Fokus der Untersuchung liegt dabei auf dem „Sprachgebrauch der Interviewer“ (S. 13), wobei nur solche Frage-Kontexte in die Analyse einbezogen wurden, in denen die vier Konnektoren, auf die sich das Buch beschränkt (und, aber, also und dann), vorkommen. Das Ziel der Arbeit ist zu zeigen, wie die Interviewer durch den systematischen Einsatz der Konnektoren und, aber, also und dann in diesen Strukturen zwei grundlegende kommunikative Strategien (Produktion von Subjektivität und Gesprächsorganisation) im Gespräch nutzen können (vgl. S. 46).
Das Hauptziel der Arbeit spiegelt sich in der Konzeption des Buches wider. Das knapp 200 Seiten umfassende Buch ist in sechs etwa gleich lange (ausgenommen das letzte) Kapitel gegliedert: Im ersten Kapitel werden auf ca. 35 Seiten theoretische Grundlagen geklärt, die Methodik der Untersuchung begründet, das Korpus und der quantitative Vergleich der Daten vorgestellt. Die darauffolgenden vier Kapitel behandeln exemplarisch die vier Konnektoren im Einzelnen und sind allesamt etwa gleich aufgebaut. Im letzten Kapitel findet man eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Perspektiven für weitere Forschung.
2 Theoretischer Hintergrund
Zentral für die Arbeit ist der Begriff des Konnektors. Nach der Definition des Handbuchs der deutschen Konnektoren (HDK-1 2003), die für Antonioli „die theoretische Grundlage [...] bietet“ (S. 14), werden unter Konnektoren wortartübergreifende, satzverknüpfende Einheiten verstanden,
„die für die Gestaltung kohärenter komplexer sprachlicher Äußerungen – Texte – eine eminent wichtige Rolle spielen, und denen deshalb in texttheoretischen und konversationsanalytischen Arbeiten verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt wird“ (HDK-1 2003, S. xv).
Konnektoren sind im Handbuch der deutschen Konnektoren funktional definiert, sodass ergänzend zu den traditionell als „Konjunktionen“ bezeichneten koordinierenden und subordinierenden Verknüpfungsmitteln auch Präpositional- und Pronominaladverbien sowie Konnektivpartikeln in einem einheitlichen Konzept ‚Konnektor‘ erfasst werden können. Entsprechend wurde der Bestand von ca. 350 Konnektoren des Deutschen ermittelt, sowohl nach syntaktischen als auch nach semantischen Kriterien klassifiziert und in den beiden Konnektoren-Handbüchern (2003, 2014) ausführlich beschrieben.
Die in diesem Buch untersuchten vier Konnektoren sind syntaktisch gesehen zwei großen Konnektoren-Klassen zuzuordnen: Das sind nicht-konnektintegrierbare (und) und konnektintegrierbare (aber, also, dann) Konnektoren. Sie decken allesamt unterschiedliche semantische Konnektorenklassen ab. Vor diesem Hintergrund kann die Wahl der Konnektoren als Gegenstand der Studie lediglich mit ihrer Häufigkeit begründet werden. Die HDK-Klassifikation bezieht sich allerdings stark auf geschriebene Zeitungs- und Literatursprache, spezifische Diskursfunktionen von Konnektoren in der (konzeptionellen) Mündlichkeit werden nur in Einzelfällen diskutiert (vgl. HDK-2 2014, S. 7).
Antonioli verfolgt einen anderen Ansatz als die satzbezogene Konnektorenforschung, sodass „neben der Konnektorenforschung [...] auch Konversationsanalyse“ zum „Bestandteil der theoretischen Fundierung“ (S. 23) wird, was Gefahren und Herausforderungen in sich birgt. Die Interaktion wird hier als kooperatives Verfahren verstanden, das insbesondere zwei Aspekte fokussiert: „Einerseits die Produktion von Intersubjektivität und common ground, andererseits die Gesprächsorganisation“ (S. 24, Großschreibung i. O.). Bei diesen beiden kommunikativen Aufgaben kann der Einsatz von spezifischen Konnektoren entscheidend sein. Entsprechend beschränkt sich der Verfasser auf eine besondere sprechaktbezogene Verwendung der gewählten Konnektoren in Frage-Äußerungen, wobei diese im Rahmen der Arbeit „nicht als syntaktische, sondern als pragmatische Wortklasse verstanden [werden]“ sollen (S. 22), wenn sie als „Verknüpfungen von Sprechhandlungen“ (ebd.) dienen. Diese Idee geht auf Mendoza (1996) zurück, die das koordinative Verhalten dreier „pragmatischer Konnektoren“ (in etwa äquivalent mit dt. und und aber) im Russischen untersucht.
3 Methodik und Daten
Um die gesprochensprachliche Verwendung von Konnektoren in Frage-Äußerungen untersuchen zu können, scheint der korpuslinguistische Ansatz am Beispiel des mündlichen autobiographischen Interviews mit Zeitzeugen gut geeignet. Die Datengrundlage für diese Arbeit bilden zwei „Parallelkorpora“ – das Israel-Korpus und das Spielberg-Korpus. Die Daten aus dem Israel-Korpus (in der Arbeit etwas ungünstig als IS-Korpus abgekürzt) wurden unter der Leitung von Anne Betten in den 1990er Jahren erhoben und sind mit insgesamt „180 Audiointerviews mit jüdischen Informanten deutscher und österreichischer Herkunft“ (S. 35) vollständig über das DGD-Portal des IDS online zugänglich. Daraus wird für diese Untersuchung eine Stichprobe von neun Interviews mit einer Gesamtlänge von ca. 15 Stunden entnommen. Die Stichprobe für das Spielberg-Korpus (das Visual History Archive of the Shoah Foundation, University of Southern California, in der Arbeit als VHA abgekürzt) ist deutlich größer und zählt 16 Interviews mit einer Gesamtlänge von ca. 23 Stunden. Das Spielberg-Korpus entstand im Rahmen eines vom Filmregisseur Steven Spielberg gestifteten geschichtswissenschaftlichen Forschungsprojekts: Es wurden über 52.000 audiovisuelle Interviews mit Zeitzeugen des Holocausts weltweit gesammelt, davon 903 auf Deutsch – zugänglich innerhalb des Campusnetzwerkes der FU Berlin, wo im Rahmen des Projekts „Zeugen der Shoah“ Lesetranskripte erstellt wurden. Beide Korpora wurden nach den Konventionen des GAT-Systems umtranskribiert und damit für die Zwecke dieser Arbeit uniformiert (vgl. S. 38); sie weisen aber viele „makroskopische Unterschiedlichkeiten“ (S. 38) auf, die sich aufgrund der unterschiedlichen Forschungsziele ergeben, die die Projekte bei der Erhebung der Daten verfolgten. Die Spielberg-Korpus-Interviews werden vom Autor als „weniger interaktiv“ (S. 36) im Vergleich zu denen des Israel-Korpus wahrgenommen, „denn in manchen Fällen beschränkt sich der Interviewer auf die eröffnende Ansage und nimmt sonst im Laufe des Interviews nie das Wort, wenn es nicht nötig ist“ (ebd). Ihre Gemeinsamkeiten weisen die Korpora vor allem im Gebrauch von Konnektoren in den Frage-Äußerungen auf, was für die „mikroskopische linguistische Analyse“ (S. 38) wie diese im Vordergrund steht.
Insgesamt wurden 301 Belege mit den vier ausgewählten Konnektoren aus der Stichprobe des VHA-Korpus und 383 Belege aus der des Israel-Korpus analysiert. Die Methodik umfasst neben der qualitativen Beschreibung der Verwendung der Konnektoren in der Interaktion auch einen quantitativen Vergleich ihrer distributionellen Eigenschaften in den jeweiligen Stichproben (S. 40–45). Die absoluten Zahlen sind zwar beim Vergleich von zwei unterschiedlich großen Stichproben wenig aussagekräftig, man gewinnt dennoch den Eindruck, dass es Diskrepanzen in der Verwendung von Konnektoren in den verglichenen Korpora gibt, die „auf zwei unterschiedliche Sprechstile“ (S. 45) hinweisen können. Allerdings deckt allein der Konnektor und mit 334 Belegen insgesamt schon 49 % aller Vorkommnisse der untersuchten vier Konnektoren ab. Die qualitative (Konversations-)Analyse erfolgt hauptsächlich von dem Form-Funktion-Ansatz aus, der durch die Berücksichtigung „kontextübergreifender Makrostrategien, die durch die gegebenen Konnektoren aktualisiert werden können“ (S. 46), erweitert wird. Die Kapitel zur funktionalen Beschreibung der untersuchten Konnektoren (S. 47–186) sind mit zahlreichen Beispielen illustriert. Die zitierten Transkriptbelege, deren Umfang im Schnitt zwischen einer und zwei Buchseiten liegt, enthalten genug Kontext und geben dem interessierten Leser vielfältige Einblicke in das Forschungsfeld sowie in die Zeitzeugengespräche.
4 Ergebnisse
Die qualitativen und quantitativen Untersuchungen von und, aber, also und dann führen zu sehr interessanten Ergebnissen, von denen hier nur die zentralen erläutert werden: Jeder der untersuchten vier Konnektoren lässt sich in einer intersubjektiven Verwendung auf eine einzelne kontextübergreifende Makrofunktion reduzieren, und zwar wie folgt: Der additive Konjunktor und aktualisiert eine Erweiterungsstrategie, der kontrastive Konjunktor aber eine Kontrastierungsstrategie, der konklusive Adverbkonnektor also eine Schlussstrategie, der temporale bzw. konsekutive Adverbkonnektor dann eine Verkettungsstrategie. Die funktionalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Konnektoren zeigen sich in der Verwendung auf den globalen und lokalen Diskursebenen sowie auf zwei Zeitebenen (Erzählzeit vs. erzählte Zeit): Alle untersuchten Konnektoren können auf der lokalen Diskursebene verwendet werden, wo sie „als Auslöser von intersubjektiven Verfahren zur Herstellung des gemeinsamen Wissenshintergrunds (common ground) eingesetzt werden“ (S. 192). Die Verwendung der Konnektoren auf der globalen Diskursebene ist eindeutig mit der gesprächsorganisatorischen Funktion verbunden, diese können nur zwei von ihnen – und und also – ausüben, nicht aber dann und aber, die ausschließlich auf der lokalen Diskursebene operieren. Für den Konjunktor und (nicht aber für also, das ebenfalls in der globalen Verwendung auftritt) lässt sich beispielsweise der enge Zusammenhang zwischen der Diskurs- und Zeitebene nachweisen: Wird und auf der globalen Diskursebene verwendet, ist sein Referenzbereich Erzählzeit, auf der lokalen dagegen die erzählte Zeit. Der Unterschied zwischen also und dann liegt eindeutig im Referenzbereich: Beide also-Verwendungen referieren auf die Erzählzeit, wohingegen das auf die lokale Diskursebene beschränkte dann stets im Referenzbereich der erzählten Zeit operiert. Ein klarer Zusammenhang zwischen dem Referenzbereich und der Form der Frage bzw. der topologischen Position des Konnektors in der Bezugsäußerung zeigt sich außerdem bei aber: Das im Mittelfeld realisierte aber in V2-Äußerungen referiert auf die erzählte Zeit, aber in der Null-Position in W-Fragen und Propositionalfragen dagegen auf die Erzählzeit.
5 Resümee
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das vorliegende Buch eine neuartige und sehr erfrischende Perspektive in die Konnektorenforschung einbringt, indem das Augenmerk auf spezifische interaktionale Verwendungen von einigen Konnektoren gerichtet wird. Die Ergebnisse sind von großem theoretischem und empirischem Interesse, insbesondere, weil es sich um bisher wenig beachtete Konstruktionen des Deutschen handelt. Die Analyse der drei diskutierten Fragestrukturen (W-Frage, Propositionalfrage oder V2-Äußerung), in denen und, aber, also und dann vorkommen, lässt sich sicherlich auf weitere (konzeptionell mündliche) Fragestrukturen erweitern (s. HDK-2 2014, S. 424 f. zur absoluten Verwendung von und mit Frageintonation, s. auch Hartung 2012), wenn man weitere Korpora gesprochener Sprache einbezieht, die einen höheren Grad an Vertrautheit und weniger asymmetrische Rollenverteilung von Gesprächspartnern aufweisen.
Die Arbeit hat aber auch einige Schwächen, die sich zum Teil daraus ergeben, dass sich die zwei „Parallelkorpora“ nicht nur in ihrer Makrostruktur, sondern auch schlicht in der Größe der untersuchten Stichproben (15 vs. 23 Stunden) unterscheiden, was durch statistische Verfahren leider nicht hinreichend aufgefangen wird: Es wäre wünschenswert, die präsentierten absoluten Zahlen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Turns, Wörter bzw. Konnektorenvorkommen usw. zu sehen. Ebenso sind viele der Diskurseffekte nur auf der Ebene von Paraphrasen dargestellt, wobei viele Fortschritte in der theoretischen Literatur zur Konnektorenforschung sowie zur Pragmatik und Diskursstruktur (z. B. Ginzburg 2012), insbesondere was common ground angeht, nicht berücksichtigt wurden. Die Stärken der Arbeit sind eindeutig in der Konversationsanalyse zu verorten.
Nicht zuletzt soll auch darauf hingewiesen werden, dass die Arbeit einen bemerkenswerten Mehrwert durch die Wahl der Korpora aufweist und sich damit in eine immer größer werdende Liste von linguistischen Arbeiten integriert, die vom Israel-Korpus profitiert haben.
Literatur
Breindl, Eva, Anna Volodina & Ulrich Hermann Waßner. 2014. Handbuch der deutschen Konnektoren 2. Semantik der deutschen Satzverknüpfer (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache 13). Berlin, New York: De Gruyter Mouton. 2 Bände, zit. als HDK-2.Search in Google Scholar
Ginzburg, Jonathan. 2012. The interactive stance. Oxford: Oxford University Press. 10.1093/acprof:oso/9780199697922.001.0001Search in Google Scholar
Hartung, Nele. 2012. Und-Koordination in der frühen Kindersprache: Eine korpusbasierte Untersuchung. Dissertation, Universität Tübingen.Search in Google Scholar
Mendoza, Imke. 1996. Zur Koordination im Russischen. I, a und da als pragmatische Konnektoren. München: Otto Sagner.10.3726/b12547Search in Google Scholar
Pasch, Renate, Ursula Brauße, Eva Breindl & Urlich Hermann Waßner. 2003. Handbuch der deutschen Konnektoren 1. Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (Konjunktionen, Satzadverbien und Partikeln) (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache 9). Berlin, New York: De Gruyter Mouton, zit. als HDK-1.Search in Google Scholar
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
This article is distributed under the terms of the Creative Commons Attribution Non-Commercial License, which permits unrestricted non-commercial use, distribution, and reproduction in any medium, provided the original work is properly cited.