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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter February 19, 2018

Herausgeberkommentar zur Parallelrezension - Wilhelm Köller. 2016. Formen und Funktionen der Negation. Untersuchungen zu den Erscheinungsweisen einer Sprachuniversalie

Reviewed Publication:

Wilhelm Köller. 2016. Formen und Funktionen der Negation. Untersuchungen zu den Erscheinungsweisen einer Sprachuniversalie. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton. xi, 543 S.


Wilhelm Köller legte im Jahr 2016 mit Formen und Funktionen der Negation. Untersuchungen zu den Erscheinungsweisen einer Sprachuniversalie eine viel beachtete Monographie vor, die im Fach zu Diskussionen darüber führte, wie man sich einem solch komplexen Thema zuzuwenden habe. Diese Diskussionen wollten wir als Herausgeber_innen der ZRS darstellen und entschieden uns deshalb für die Vergabe einer Parallelrezension (I und II), die Ihnen als Leser_innen nun vorliegt. Außerdem freuen wir uns sehr, dass auch Wilhelm Köller noch einmal seinen Standpunkt in der Diskussion vertreten hat (III). Wir hoffen, dass es uns mit den vorliegenden Beiträgen gelingt, einen kleinen Ausschnitt der Forschungsdiskussion zum Thema sowie den Beitrag, den die ZRS dazu leisten kann, abzubilden.

I Ex negatione nihil bzw. ex negatione multum nisi omnia

Bemerkungen zu Wilhelm Köller: Formen und Funktionen der Negation

Wilhelm Köller. 2016. Formen und Funktionen der Negation. Untersuchungen zu den Erscheinungsweisen einer Sprachuniversalie. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton. xi, 543 S.

1 Zur Einstimmung

Die Grundthese dieses Buchs ist: Negation ist eine Sprachuniversalie. Von hier aus macht Köller einen philosophischen Rundflug über ontologische, anthropologische, semiotische und pragmatische Aspekte der Negation, natürlich nur über die von ihm explorierten Landschaften. Ein Rezensent, der andere Felder kultiviert hat, tut sich da etwas schwer. Aber luftig darf ihm das Ganze doch erscheinen:

„Mit dem Begriff Sprachuniversalie, der zugleich den Begriff Denk­universalie spezifiziert und konkretisiert, fasst man üblicherweise diejenigen sprachlichen Formen zusammen, die aus systemtheoretischen oder aus pragmatischen Gründen in allen Sprachen vorkommen müssen, damit diese ihre vielfältigen kognitiven und kommunikativen Funktionen erfüllen können.“ (S. 3)

Das scheint mir dann doch als kühner Sprung von der Sprache zum Denken. Nach dem Zitat könnte man nun auch denken, Köller befasse sich mit sprachlichen Formen und mit deren Funktionen, wie es der Titel zu versprechen scheint und wie es linguistisch auch angezeigt wäre, er aber fällt doch eher mit der Negation (wohl doch eher eine Funktion, wenn man so reden will) ins Haus. Der Autor geht aus von einem irgendwie vorliegenden Begriff. Er erklärt sich dem hermeneutischen Prinzip verpflichtet:

„Methodisch wird dabei dem gestaltpsychologischen und hermeneutischen Prinzip gefolgt, dass man bei wahrzunehmenden Phänomenen zunächst immer etwas Ganzes erfassen muss, um hernach dann deren Details besser erkennen zu können. Dabei ist natürlich zu beachten, dass das Erfassen von Einzelheiten wieder Rückwirkungen auf eine klarer durchstrukturierte Wahrnehmung des Ganzen hat.“ (S. 2)

Allerdings sehe ich nicht, dass dies in den Schlussbemerkungen passieren würde. Ich glaube nicht, dass man mit einer stringenten Definition beginnen sollte oder könnte. Dennoch wäre eine Explikation von Negation mit definitorischen Anklängen zur Orientierung hilfreich. Köller bietet – wie gesagt – ein genus proximum: Negation ist eine Sprachuniversalie. Aber wie es darunter aussieht, dazu gibt es nichts ‚Knackiges‘. Im Gegenteil, im ersten Kapitel wird das Sprachliche an der Sprachuniversalie eher aufgeweicht und zur Denk-, Kultur- und anthropologischen Universalie (vgl. S. 5).

Was kann ein Rezensent tun, der von prinzipiell anderen methodischen Grundsätzen ausgeht, der – ich habe es in meiner Rundflugmetapher angedeutet – aus einem fernen Land hier eindringt? Ich denke, er sollte seine Kriterien explizieren und er sollte mit Bedacht vorgehen, da er doch als Rezensent sozusagen das letzte Wort hat. Also hören Sie die Stimme aus dem fernen Land.

2 Zur Methode

Köllers Rundflug führt uns weit zurück und hin und her. Verschiedene Konzepte werden betrachtet und versucht zusammenzuführen. Andere Wissenschaftler existieren hier als Namen und als Köller’sche Paraphrasen. Sie kommen nicht zu Wort. So befleißigt sich der Verfasser nicht eines Verfahrens, die Großen oder die Gewährsleute per Zitat vor- und darzustellen und den Leser dann an der eigenen Deutung partizipieren zu lassen. (Übrigens: Fremdsprachliche Zitationen gibt es fast gar nicht. Köller lebt von Übersetzungen, also vom schon gedeuteten Text.)

Die zentrale Argumentationsfigur ist: Der wissende Autor stellt dar, wie es ist, und präsentiert dann Beispiele dafür. Man fragt sich oft: Woher weiß der das? Den Weg von sprachlichem Material, von einer Art repräsentativem Material zu einer Deutung und Generalisierung erkennt man nicht.

Bemerkenswert finde ich den Umgang Köllers mit seiner Grundthese. Weder im Text noch im Literaturverzeichnis finden sich Indizien für eine Auseinandersetzung mit dem state of the art. Nicht einmal als Ressource. Kein alter Hockett, kein Greenberg, kein Comrie und kein Haspelmath. Ich frage mich, ob ich hier einem Missverständnis aufgesessen bin, ob mit Sprachuniversalie etwas ganz Anderes gemeint sein könnte.

Ganz ähnlich geht es mir, was die Pragmatik betrifft, die ja in dem Buch eine gewisse Rolle spielen soll, ja müsste. Da ist im Prinzip nur vom alten Peirce die Rede, der gewiss keine pragmatischen Analysen geboten hat. Nicht einmal Standardwerke wie Levinson (sogar nicht auf Deutsch!) und dergleichen kommen hier vor. Dabei wäre das schöne Buch von Levinson 2000 richtig einschlägig gewesen.

Gefährlich ist es bekanntlich, Große zu kritisieren. Zu viel wurden sie rezipiert. De Saussure ist so einer. Wenn Köller (S. 21) de Saussure als Vertreter eines Zeichenmodells anführt, in dem es um ein „mehr oder weniger mechanisch-assoziatives Korrelationsverhältnis zwischen einem Signifikanten und einem Signifikat“ gehe, dann hat er vielleicht nur die didaktischen Bildchen im Kopf und alles über das arbitraire du signe nicht. Und vor allem, dass die Arbitrarität nichts ist, was den Sprechern hier Freiheit ließe (wie manche Köller’schen Formulierungen vermuten ließen), sondern dass es sich gerade um entstandene Konventionen handelt (vgl. dazu Heringer 2013, das kleine Brevier am Schluss). Nahezu grotesk ist dann die Behauptung, das signifié sei ein etablierter Zeicheninhalt (vgl. S. 390).

3 Zur Sprachauffassung

Köller redet oft von Evolution und evolutionär und scheint einem evolutionären Konzept verpflichtet.

„Dieses Verständnis von Natur und Kultur hat weiterhin zur Konsequenz, dass wir uns von dem Glauben zu verabschieden haben, dass die Kultur insgesamt als ein völlig geplantes bzw. willentliches Produkt menschlicher Gestaltungskraft anzusehen ist. [...] Kulturformen haben sich nämlich ganz ähnlich wie Naturformen über Variations- und Selektionsprozesse relativ ungeplant entwickelt.“ (S. 36)

Im folgenden Zitat klingt aber schon eine verfängliche Naturmetaphorik an (ich kursiviere das Wörtchen): „Die lexikalischen und grammatischen Ordnungssysteme der natürlichen Sprachen sind [...] historisch gewachsen.“ (S. 213)

Insgesamt bleiben derartige Aussagen eher Lippenbekenntnisse. In Köllers Beschreibungsvokabular sind sie nicht eingeflossen. Da wimmelt es von aktivistischen Redeweisen, von modalen Aussagen, was passieren muss, was es braucht und dergleichen. (Ich kursiviere wieder entsprechende Redeweisen):

„Mit dem Begriff Sprachuniversalie [...] fasst man üblicherweise diejenigen sprachlichen Formen zusammen, die aus systemtheoretischen oder aus pragmatischen Gründen in allen Sprachen vorkommen müssen, damit diese ihre vielfältigen kognitiven und kommunikativen Funktionen erfüllen können.“ (S. 3)

„Da alle Lernprozesse im Prinzip Anpassungsprozesse sind, müssen sie so strukturiert werden, dass sie auch mit Störungen fertig werden. Sie brauchen deshalb immer wohldosierte Konflikte [...]“ (S. 17)

„Höher entwickelte Lebewesen brauchen beide Wissensformen, um sich in Selektionsprozessen behaupten zu können.“ (S. 36)

„Der Verstand braucht Negationen, weil er primär analytisch orientiert ist und etwas sowohl sachlich als auch sprachlich von etwas anderem unterscheiden will. Die Vernunft braucht Negationen, weil sie bestrebt ist, nicht nur das Einzelne zu erfassen, sondern auch das Ganze [...]“ (S. 6)

Über Verstand vs. Vernunft will ich nicht weiter rätseln. Dann finden sich eher aktivistische Redeweisen, sogar von Motiven ist die Rede:

„Nachdem die [...] Wale [...] ihren Lebensraum vom Land in das Wasser verlegten [hatten?], behielten sie ihr Atmungs- und Fortpflanzungsverfahren zwar bei, aber ihre Extremitäten mussten sie zu Flossen umformen, um in ihrem neuen Lebensraum bestehen zu können.“ (S. 31)

„Erst wenn man auch ein Interesse an den Motiven für die Entstehung, die Fortentwicklung und die Ausdifferenzierung von sprachlichen Negationszeichen aufbringt [...]“ (S. 29)

„[...] Entwicklungsprozesse [...] die sich [...] darum bemühen, unterschiedliche Wirkungsfaktoren in ein gestaltbildendes Fließgleichgewicht zu bringen.“ (S. 32)

Köller kennt auch übergeordnete Kriterien, die offenbar die Evolution leiten:

„In Analogie zu diesen Strukturverhältnissen lässt sich das Phänomen Negation sicherlich als eine Strukturuniversalie ansehen, ohne die sowohl aus systemtheoretischen als auch aus pragmatischen bzw. funktionalen Gründen eigentlich keine Sprache auskommen kann.“ (S. 4)

„Kulturen ohne differenzierende Negationsmöglichkeiten bzw. Negationszeichen haben evolutionär gesehen keine großen Überlebenschancen.“ (S. 61)

Na ja, wenn es sie nicht geben kann, wird man das schwerlich überprüfen können. Vielleicht noch zwei Beispiele, wie sich dieses Evolutionskonzept auf Sprache auswirkt:

„Das Lehnwort Grenze hat dann nach und nach die germanische Wortprägung Mark als Bezeichnung für einen ganzen Übergangsraum verdrängt, weil [!] es sich auch leichter auf nicht-räumliche Trennzonen und Trennlinien in kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sprachlichen Bereichen übertragen ließ.“ (S. 45)

„Im Deutschen gab es anfangs nur das Wort Hund, um eine bestimmte Art von Tieren von anderen zu unterscheiden und zu benennen. Dann stellte sich aber nach und nach heraus, dass diese sprachliche Kategorisierung doch sehr grob war und dass es durchaus nützlich sei, nicht nur die einzelnen Hunderassen voneinander zu unterscheiden, sondern auch die männlichen und weiblichen Hunde. Deshalb bürgerte sich dann die Wortableitung Hündin ein. Da sich nun aber der alte [...] Gebrauch des Wortes Hund per Dekret nicht einfach abschaffen ließ, entstand nun das sprachlogisch missliche Problem, dass das Wort Hund einerseits weiterhin als allgemeiner Oberbegriff für die Bezeichnung einer bestimmten Tierart verwendet wurde und andererseits aber auch eine Abstraktionsstufe tiefer als geschlechtspezifischer [sic!] Oppositionsbegriff zu dem Begriff Hündin. Um nun eindeutig klarzustellen, was mit dem Wort Hund im faktischen Sprachgebrauch bezeichnet werden sollte, führten insbesondere die Hundzüchter [sic!] das Wort Rüde (ahd. rudio = großer Hund) als Bezeichnung für männliche Hunde ein [...]“ (S. 213)

Man würde doch allzu gern wissen, worauf sich diese Story stützt und wann das alles passiert sein soll. Auf jeden Fall erzählt das Duden Herkunftswörterbuch eine andere Geschichte. Wichtig für uns ist aber die Behauptung, irgendwer habe ein Wort eingeführt. Eine adamitische Sprachtheorie.

4 Zur Analyse

Wenn Negation eine Sprachuniversalie sein soll, dann sollte man das auch ein bisschen zeigen. Köller geht auf die verschiedenen Negationswörter ein. Allerdings nur auf deutsche. Dazu gibt es nun Einiges zu sagen. Er beginnt mit dem – nach Duden Herkunftswörterbuch – Adverb nein. Man könnte vielleicht ontogenetisch für diesen Anfang plädieren, weil angeblich dies als erstes Negationswort erlernt werde. Systematisch würde ich allerdings mit nicht beginnen, weil sich ja gleich zeigt, dass in dem Satzwort nein eben ein „nicht“ steckt. Natürlich semantisch, etymologisch enthalten ja beide das frühe germanische ni, das die ganze Sippe nährt. Dieses ni hatte wirklich partikelhafte Züge: Thar ni uuard sidor enig man sprakono so spahi (Heliand). Aber es war auch schon erststellenfähig, was Partikelspezialisten gewöhnlich – wie etwa bei denn – mit Wortartenwechsel erklären möchten: Ni heuit achust bidiu huuanta siu in eines gotes (Homilia de Vocatione Gentium, Monseer Fragmente, frühes 9. Jh.). Dies war besonders üblich im korrelierenden ni...ni.

Mit Wortartenzuschreibungen im Zusammenhang der Negationswörter stößt man schnell an die Grenzen der üblichen Klassifikationen. Schon im Indogermanischen wollen sie sich der üblichen Beschreibung nicht recht fügen. Einerseits sind die Zuschreibungen unsicher. Andererseits scheinen wir es mit Chamäleonen zu tun zu haben wie beim ahd. ni: mal Partikel, mal Konjunktion, mal Präfix, mal Adverb.

Für Köller ist nichts ein Pronomen (vgl. S. 139), ein Indefinitpronomen. Ja, aber wieso? Der Artikel in Wikipedia kann in seiner Wirrnis als Abbild der verwirrten Lage genommen werden. Hier bitte der Anfang:

Pronomen (Plural Pronomina oder Pronomen; deutsch Fürwort) ist in der Grammatik die Bezeichnung für verschiedene Arten von Wörtern, die an der Stelle eines Nomens eintreten, beispielsweise er, mein oder welcher. Pronomen weisen die grammatischen Merkmale von Nomina auf (also Genus (Geschlecht), Numerus (Anzahl) und Kasus (Fall)), sie sind aber im Gegensatz zu normalen Nomina keine Inhaltswörter. Vielmehr bezeichnen sie Personen oder Dinge durch Verweis auf den Äußerungskontext (deiktisch; so die erste und zweite Person der Personal- und Possessivpronomen und in anderer Weise die Demonstrativpronomen) oder sie verweisen auf den sprachlichen Kontext (anaphorisch; gewöhnlich die dritte Person der Personal- und Possessivpronomen, sowie Reflexiv- und Relativpronomen) – oder sie sind Platzhalter für Individuen, die neu in den Text eingeführt werden (Indefinit- und Fragepronomen).

Was natürlich ganz korrekt ist: Pronomen ist eben keine Wortart oder syntaktische Kategorie. Sehr schön auch die zwei oder und die drei Möglichkeiten. Nur welche würde denn für nichts passen? Also Platzhalter für Individuen? Nein. Auch wenn man es etwas weniger lustig formuliert und sagt: für Ausdrücke, mit denen auf Individuen referiert wird. Anaphorisch? Nein. Und verweisen? Nein. Bestenfalls könnte man noch darauf hinweisen, dass etwa nichts (wie auch alles) eigentlich kaum referentiell deutbar ist. (Bei Köller heißt es, in einem Beispiel bezeichne es eine leere Menge, vgl. S. 142)

Bei nicht wie auch sonstwo wäre wirklich der Platz gewesen, auf verbreitete Verstärkungsverfahren, ihre Gründe und ihre Wirkung einzugehen. Das Analogon zu ni wiht findet sich etwa im Französischen ne rien und im Katalanischen no res und etwas anders im Italienischen ni ente. Da wäre dann auch der Platz gewesen, den Übergang von als Komplement gebrauchten Formen zur Satznegation oder Negationspartikel zu verfolgen. Oder dass im Deutschen das enklitische ni verschmolz, hingegen anderswo der Verstärker auch allein genügen kann und mit rien oder res oder wie im Schwäbischen edde zur normalen Satznegation werden kann.

Detaillierter kann ich hier auf solche Fragen und auf Köllers Analysen leider nicht eingehen.

5 Zur Schreibe

Köller befleißigt sich durchgehend eines sehr gehobenen Stils. Schon auf Seite 1 bin ich kurz gestolpert, als er von der Bedeutsamkeit des Negationsphänomens spricht. Für mich hätte es die Bedeutung auch getan. Denn mit der halbterminologisierten Verwendungsweise von Bedeutung müsste man hier keine Kollision befürchten. Aber die Bedeutsamkeit zieht sich weiter durch das Buch. Sie ist wesentlich häufiger als die Bedeutung, für ein linguistisches Buch bemerkenswert. Mit dem Eingangssatz dieses Absatzes spiele ich an auf eine andere – ja man muss sagen – stilistische Marotte der Wichtigkeit. Es wimmelt von sehr und ganz. Insgesamt mehr als 1000, wenn geredet wird von: sehr grundlegenden Prinzipien, sehr elementarer Ebene, sehr intensivem Gebrauch, sehr sinnträchtiger Art, sehr unverträglichen Handlungsweisen oder von: ganz erheblicher Bedeutsamkeit, ganz konstitutiver Bedeutsamkeit, ganz besonderer Sinndichte. Und dann aber – worauf ich in meinem Titel schon angespielt habe – das „bzw.“. Meinen Studenten habe ich es seinerzeit untersagt. Wer weiß schon, wie es zu verwenden wäre. Irgendwas muss es doch mit einer Beziehung zu tun haben. Für einfaches oder oder oder auch braucht man es eigentlich nicht. Die wären wenigstens klarer. Als eine Art Auswahlangebot dient es wissenschaftlicher Klarheit nicht.

Mir ist klar, dass solche stilistischen Bemerkungen heikel sind und persönlich genommen werden. Dennoch glaube ich, dass sie den Charakter des Buches verdeutlichen und auch irgendwas zur Person des Autors.[1]

6 Zur ...?

Die Rezension eines Buchs von 543 Seiten, das bereitet Schmerzen, dem Autor wie dem Rezensenten. Es geht wohl nur exemplarisch und dann global. Und gerecht? Darum geht es in der Wissenschaft nicht. Dieses dicke Werk kann man als ein (Verzeihung!) Spätwerk oder Alterswerk sehen. Damit wäre es eine Art summa. Das zeigt sich auch in den Jahreszahlen der rezipierten Literatur.

Literatur

Comrie, Bernard. 1981. Language universals and linguistic typology. Syntax and morphology. Oxford: Blackwell.Search in Google Scholar

Greenberg, Joseph H. (Hg.). 1963. Universals of Language. Cambridge: MIT Press.Search in Google Scholar

Heringer, Hans Jürgen. 2013. Linguistik nach Saussure. Eine Einführung. Tübingen: A. Francke.10.36198/9783838540146Search in Google Scholar

Levinson, Stephen C. 1990. Pragmatik. Tübingen: Max Niemeyer.Search in Google Scholar

Levinson, Stephen C. 2000. Presumptive meanings: The theory of generalized conversational implicature. Cambridge: MIT Press.10.7551/mitpress/5526.001.0001Search in Google Scholar

II Implikationen des Negationsphänomens

Wilhelm Köller. 2016. Formen und Funktionen der Negation. Untersuchungen zu den Erscheinungsweisen einer Sprachuniversalie. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton. xi, 543 S.

Wilhelm Köller vertritt in seiner umfassenden Monographie die These, es handele sich bei der Negation um eine Denk- und Sprachuniversalie (vgl. S. 1). Im Folgenden sollen die Zusammenhänge dargestellt werden, mithilfe derer Köller diese These entwickelt und argumentativ stützt. Selbstverständlich ist es dem hier begrenzten Rahmen geschuldet, dass die Köller’schen Gedankengänge zu den philosophischen Implikationen des Negationsphänomens hier nicht in Gänze, sondern nur in Auswahl wiedergegeben werden können. Deshalb wird im Folgenden eine Fokussierung auf zentrale Kapitel und Aspekte vorgenommen. Leider verbindet der Autor die einzelnen Teile des Buches nicht immer klar miteinander, sodass die Gedankensprünge in dieser Rezension durchaus den Charakter des Buches widerspiegeln.

Köller verfolgt das Ziel, ontologische, anthropologische, semiotische und pragmatische Aspekte der Negation darzustellen. Diese Aufstellung deutet bereits an, dass – obwohl Negation auf den ersten Blick ein sprachliches Phänomen zu sein scheint und somit primär in den Beschäftigungsbereich der Linguistik fällt – die Lektüre für Wissenschaftler/innen und Studierende jeglicher Geisteswissenschaften eine Bereicherung sein kann. So zeigt schon ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis, dass der Fokus nicht ausschließlich auf sprachliche Phänomene gelegt wird, sondern die Negation vollständig in ihrer ontologischen Struktur (Genese und ontischer Status) beschrieben wird. Es stellt sich jedoch auch die Frage, welches Ziel der Autor nun eigentlich mit der Monographie verfolgt, denn der Titel (Formen und Funktionen der Negation) lässt den Rückschluss zu, es würden im Buch konkrete sprachliche Formen analysiert und in ihrer Funktion eingeordnet. Köller selbst fasst das Ziel seiner Arbeit einleitend wie folgt zusammen:

„Es soll hier vornehmlich weniger um eine Bestandsaufnahme unserer konventionalisierten sprachlichen Negationsformen und deren Funktionen gehen, sondern vielmehr eher um die Erfassung des pragmatischen Stellenwerts des Negationsphänomens im geistigen Leben bzw. um seine kognitive, kulturelle und anthropologische Bedeutsamkeit.“ (S. 1, Herv. i. O.)

Das Anliegen von Köller ist also grundsätzlicher Natur; er wendet sich den philosophischen Grundlagen des Negationsphänomens zu. Zunächst nimmt er dafür die „Negation als Evolutionsphänomen“ (S. 29) in den Blick, indem er darstellt, dass es sich um ein Kulturphänomen handele und von einer Koevolution von Genen und Memen (vgl. z. B. Blackmore 2000 sowie Dawkins 2007) auszugehen sei. Die Negation stelle ein Mittel dar, neue Meme zu erzeugen und sich einerseits von Fremdem abzugrenzen, sich andererseits jedoch mit dem Eigenen in eine engere Beziehung zu setzen. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Funktion der Negation der Funktion einer Grenze nahekommt, die darin besteht, einerseits etwas abzuwehren und andererseits eine engere Verbindung zu schließen:

,,Ebenso wie die Gegenwart eigentlich nur als die Kontaktstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft anzusehen ist, aber von uns dennoch als eigener Zeitraum mit eigenständigen Gestaltungsmöglichkeiten verstanden wird, so lässt sich auch eine Grenze als eine Art Zwischenwelt verstehen, über die unterschiedliche Eigenwelten in Interaktion miteinander treten können.“ (S. 42)

Köller verweist hier u. a. darauf, dass Kulturen ohne differenzierende Negationsmöglichkeiten keine großen Überlebenschancen hätten, da sie sich nicht kognitiv und kommunikativ an neue Situationen anpassen könnten. Aus diesem Grund haben sich, so Köller, die Möglichkeiten zum Nein-Sagen im Laufe der kulturellen Evolution stark ausgedehnt, sodass es nun (para)verbale Abwehrzeichen gibt, bspw. implizite und explizite sprachliche Negationszeichen sowie abwehrende Verhaltensweisen, die unterschieden werden müssen:

„Auf diese Weise haben sich dann Negationsformen mehr und mehr von emotional geprägten Affekt- und Abwehrsignalen zu logisch geprägten Operationssignalen verwandelt, durch die die Gültigkeit von komplexen oder einfachen Einzelvorstellungen zurückgewiesen oder gar aufgehoben werden konnten.“ (S. 59)

Die Negation sei zudem ein System- und Strukturphänomen, weil die kulturelle Evolution dazu führte, dass unübersichtliche Systemordnungen nicht haltbar sind und ein System nur dann funktionstüchtig bleibt, wenn es sich an geänderte Rahmenbedingungen anpassen kann. Köller beleuchtet weiter die Negationsproblematik aus Sicht der Logik, der Erkenntnistheorie, der Psychologie und der Pragmatik: Aus der Perspektive der klassischen Logik kann die Negation am einfachsten dargestellt werden, da die Bewertung hier auf den binären Werten wahr/falsch beruht. In der psychologischen Betrachtungsweise haben Negationen dagegen zum einen die Wirkung, etwas oder jemanden zurückzuweisen, und zum anderen, „auf die Relevanz des Zurückgewiesenen für denjenigen aufmerksam [zu] machen, der von dem Verfahren der Negation [...] Gebrauch macht“ (S. 91). Während aus dieser Perspektive die Negation als Funktionsform des Bewusstseins im Vordergrund steht, „die uns von der Macht gegebener Situationen, konventionalisierter Objektivierungsmuster oder vorgefundener Wahrnehmungstraditionen befrei[t]“ (S. 102), interessiert sich die Pragmatik für die Negation „als Handlungsbegriff“ (S. 109), also dafür, „was wir eigentlich tun, wenn wir negieren“ (S. 109).

In Kapitel 4 erläutert Köller die expliziten sprachlichen Negationsformen, die zum einen als selbstständige Negationswörter, im Sinne von „konventionell stabilisierten expliziten Negationszeichen“ (S. 126), auftreten können, etwa in Form von nein, nicht und niemand, und zum anderen als unselbstständige Negationsaffixe (wie etwa un-). Dabei gilt es zu beachten, dass die selbstständigen Negationswörter eine Tatsachenbehauptung wiedergeben, die zutreffen kann, aber nicht muss. Hier tritt die Negationshandlung des Sprechers deutlich hervor. Bei den unselbstständigen Negationsaffixen hingegen ist der Begriffsbildungsprozess abgeschlossen und sozial akzeptiert. Die Kritik kann sich also nicht gegen die Aussage des Sprechers richten, sondern nur gegen die Brauchbarkeit der verwendeten Form.

Der Status einzelner Begriffe ist, so Köller, geprägt durch „interne Oppositionsrelationen“ (S. 167), die dem methodischen Verständnis der Ontologie der Welt dienen, nicht aber der charakterisierenden Abbildung. Begriffe können somit als Werkzeug und Resultat von Vereinfachungsstrategien angesehen werden, ohne die Individuen den Anspruch der Weltorientierung nicht leisten könnten. Aufgrund individuell unterschiedlicher Voraussetzungen und „[t]rotz aller notwendigen sozialen Normierungstendenzen“ (S. 171) können Begriffsbildungen durchaus variieren. Dies habe zur Folge, dass die einzelnen an der Lebenswelt (bzw. genauer: den Lebenswelten) teilhabenden Menschen in unterschiedlichen Begriffswelten und somit auch in unterschiedlichen Realitäten leben. Verstehe man Begriffe nun als Werkzeuge und somit als „Ordnungshypothesen“ (S. 172), so verwiesen sie nicht nur auf die ontologische Ordnungsstruktur der Welt, sondern auch auf die ontologischen Ordnungsstrukturen der Welten jener, die sie verwenden. Begriffe würden somit zu „Indikatoren für die Denkweisen von Personen, Epochen und Kulturen“ (S. 173). Der Strukturierungsprozess wird häufig mittels Bildung von Oppositionsbegriffen bewältigt, die dazu dienen, „Sachinhalte dem eigenen Macht- und Gestaltungsanspruch zu unterwerfen“ (S. 173).

Sprachliche Negationsformen können auch implizit sein, also keine direkt fassbaren Formen einer Negation aufweisen und dennoch ein Negationspotenzial besitzen.[2] Allerdings sind sie semiotisch nicht immer eindeutig zu identifizieren und deshalb muss, so Köller, auf das eigene Sprachgefühl zurückgegriffen werden. Methodisch könnten die impliziten Formen nicht eindeutig der langue oder der parole zugeordnet werden, da sie beide Bereiche bedienen und ein hohes Andeutungspotenzial aufweisen. Köller legt weiter dar, dass sich solche impliziten sprachlichen Negationsformen sprachgeschichtlich deshalb entwickelt haben, weil beispielsweise Oppositionsbegriffe zu bereits vorhandenen Begriffen gebildet werden mussten, da die sprachliche Kategorisierung sonst zu grob gewesen wäre. Neben solchen Negationsimplikationen in lexikalischen Sprachformen sind diese Implikationen auch Bestandteil von metaphorischem, ironischem und modalem Sprachgebrauch. So haben Metaphern „zugleich einen spracherneuernden Effekt, da sie verhindern, dass Begriffe nach Nietzsches Worten zu ,der Begräb[n]isstätte der Anschauungen‘ werden“ (S. 226). Das Schweigen wird von Köller hingegen als „eine Form kommunikativen Verhaltens“ (S. 284) angesehen, bei der zwar auf den Gebrauch sprachlicher Zeichen verzichtet würde, ,,aber keineswegs auf den Gebrauch von Zeichen überhaupt’’ (S. 284).

Negationen wirken, so Köller, für deren Verwender/innen perspektivierend, da sie sich immer nur auf einen bestimmten Ausschnitt der Welt beziehen und sowohl zwei Teile gedanklich miteinander verbinden als auch voneinander trennen können. Dies ziehe die Einschränkung nach sich, dass die transportierten Vorstellungen „unvollständig und ergänzungsbedürftig“ (S. 395) sind. Diese stilistischen Implikationen schließen an die Ausführungen Immanuel Kants an, der darauf verweist, dass sich die Erkenntnisbemühungen der Menschen nicht auf die Dinge an sich, sondern lediglich auf die Erscheinungen der Dinge richten.

Für Köller liegt eine der zentralen Leistungen von Negationen in der Möglichkeit, sie als Stilformen zu verstehen, „mit denen potentiell eine erotische Funktion verbunden sein kann, weil sie zu ganz neuen Wahrnehmungsweisen von etwas anscheinend Bekanntem führen können“ (S. 396). Offen bleibt, was unter dieser erotischen Funktion genau verstanden werden soll/kann. Köller geht sogar so weit, den Entwicklungen neuer Negationsformen eine abbildende Funktion für einen Generationenkonflikt zuzusprechen; er bezeichnet sie deshalb als „kulturelle[n] Traditions- bzw. Vatermord“ (S. 399). Dieser Gedanke ist zentral für die stilistischen Implikationen der Negation, beschränkt sich jedoch nicht auf einen inter- oder intragenerativen Konflikt, sondern kann Anzeichen für Konflikte zwischen jeglichen Gruppen (soziale, kulturelle, religiöse etc.) sein. Köller fährt weiter fort, dass

„Negationsformen [...] in diesem Denkrahmen dann oft nur als sprachliche Abwehrmittel angesehen [werden], mit denen Grenzen thematisiert und bekräftigt werden, aber nicht als heuristische Erkenntnismittel, mit denen Grenzen problematisiert und transzendiert werden, um sich geistiges Neuland zu erschließen“ (S. 400).

Nicht deutlich genug wird hierbei dargestellt, dass neben der aktiven Perspektive zur Negationsbildung auch eine passive Perspektive in der Ontologie der Sachen an sich gegründet liegt, da die Existenz einer Eigenschaft einer Sache immer die Nicht-Existenz der gegenteiligen Eigenschaft einer Sache einschließt.

In Religion und Theologie (Kap. 9) verliert, so Köller, die traditionelle Vorstellung der Trennung der Dinge in wahr und falsch und somit die zweiwertige Logik ihre Gültigkeit. Das gelte insbesondere dann, wenn man sich mit theologischen Negationsimplikationen auseinandersetzt. Sprache wird hierbei nicht ausschließlich in einem begrifflichen, „sondern auch in einem bildlichen, andeutenden, heuristischen, affektiven und wertenden Sinne genutzt“ (S. 428). Dies wird anhand der Unmöglichkeit belegt, das Heilige sprachlich abzubilden. Aufgrund seiner Erhabenheit (majestas) und Anziehungskraft (faszinosum) sei das Heilige nicht mit den traditionellen Mitteln der Sprache objektivier- und beschreibbar. Hierfür bedürfe es, sofern ein sprachlicher Zugang überhaupt möglich sei, eines indirekten Weges über die Negation üblicher Begriffs- und Denkmuster: das Unfassbare, das Unheimliche, das Unsagbare usw. Diese Herangehensweise liege, nach Köller, in der Vorstellung aller Religionen begründet, dass ein bezeichneter und somit begriffener und kategorisierter Gott seine majestas verliere.[3] Die negative Theologie habe sich diese negierenden Sprachformen zur Methodik gemacht. Sie fungiere somit als „bestimmte Methode, theologische Sinnbildungsprozesse mit Hilfe von sprachlichen Negationsformen unterschiedlicher Art zu konkretisieren“ (S. 479). Dabei geht es nicht um eine vollständige Abgeschlossenheit von Denk- und Wahrnehmungsprozessen, sondern um das Offenhalten und die Eröffnung anderer Zugänge. So sind die Negationsformen der negativen Theologie als „Formen der Kontaktaufnahme mit einem Gegenstandsbereich anzusehen“ (S. 480). Innerhalb der negativen Theologie wird keineswegs die Existenz und Wirkmacht eines Gottes in Frage gestellt, es wird vielmehr eine Charakterisierung als „nicht direkt kategorisierbar, vergleichbar und kognitiv beherrschbar“ (S. 490) vorgenommen.

Damit kommen wir zur Gesamteinschätzung: Die beiden Basisthesen, die Negation sei eine Sprachuniversalie und der Mensch könne als homo negans begriffen werden, wurden im Text gut entwickelt. Köller konnte zeigen, dass es sich bei der Negation nicht um eine „bloße Formkategorie“ handelt, sondern um eine „sinnbildende Lebenskategorie“ (S. 506). Dies begründet auch, warum Köller sich dem Thema Negation auf philosophisch-interdisziplinäre Weise genähert und grammatische Formen weitestgehend unbeachtet gelassen hat. Jede Antwort eines homo negans auf Fragen und somit auch jede Verneinung von vorigen Antworten provoziere neue Fragen, kann also nicht zur ontologischen Formung der Welt beitragen. Die Negation sei also eine „besondere Strategie der Sinnbildung und [...] eine spezifische Erscheinungsform des Lebens, des Werdens sowie der menschlichen Existenz- und Identitätssicherung“ (S. 506). Eine Negation besitze somit neben der sachthematischen auch eine reflexionsthematische Sinnbildungsfunktion und könne, wenn man sie „nicht als Auslöschungs-, sondern als Interpretations- und Perspektivierungsverfahren versteht [...], als eine genuine Ausdrucksform kognitiver und kommunikativer Lebendigkeit“ (S. 514) begriffen werden.

Die Monographie eignet sich für fortgeschrittene Studierende der Geisteswissenschaften ebenso wie als Grundlagenwerk für Wissenschaftler/innen diverser Fachrichtungen. Bedacht werden muss allerdings, dass Köller sich zumeist nicht auf dem aktuellen Stand der linguistischen Negationsforschung bewegt und aktuelle Publikationen zur Negationsthematik (etwa seit den 1990er Jahren) auslässt. Insbesondere mit der Literatur aus dem englischsprachigen Bereich fehlt eine Auseinandersetzung (z. B. Jäger 2008), doch auch bei deutschsprachiger Literatur sind Lücken festzustellen (z. B. Blühdorn 2012, Hentschel 1998). Bei Weinrich (2005) wird die überholte erste Auflage (1973) statt der aktualisierten dritten genutzt. Auch in den philosophisch ausgerichteten Kapiteln (z. B. zur negativen Theologie) fehlt neuere Forschungsliteratur (z. B. Westerkamp 2006).

Es wäre zudem wünschenswert gewesen, wenn innerhalb der einzelnen Kapitel Verweise aufgenommen worden wären, die den Lesefluss unterstützen. So greift Köller im Kapitel 8.4 „Die ästhetischen Aspekte von Negationen“ das Begriffspaar ‚implizite‘ und ‚explizite Formen der Negation’ auf (S. 421). Hier hätte ein Verweis auf die Kapitel 4 und 6 die Verbindung der Gedankengänge erleichtert. Des Weiteren wird nicht deutlich, weshalb die Positionierung der einzelnen Kapitel in der vorliegenden Form gewählt wurde: Die Kapitel 4 und 6 befassen sich mit impliziten bzw. expliziten sprachlichen Negationsformen und werden getrennt durch ein inhaltlich sehr grundlegendes Kapitel 5 („Das Negationsproblem in der Begriffsbildung“). Plausibler wäre es gewesen, das Kapitel 5 den Kapiteln 4 und 6 voranzustellen, um so das thematisch einleitende Kapitel den spezielleren voranzustellen. Das wäre auch deshalb hilfreich gewesen, weil in Kapitel 5 Erläuterungen vorgenommen und Hinweise gegeben werden, die für das Verständnis von Kapitel 4 von Vorteil sind. So wird beispielsweise dem Begriff „Nichts“ ein Unterkapitel in Kapitel 5 gewidmet, in dem dessen Genese umfassend erläutert wird. Zuvor wird in Kapitel 4 im Abschnitt „Die Negation mit nichts“ die Negationsfunktion des Begriffs dargestellt. An dieser Stelle wäre es sinnvoll gewesen, erst die theoretischen Grundlagen zu definieren, bevor die Analyse des Begriffs vorgenommen wird.

Diese Kritik, die eher formaler denn inhaltlicher Natur ist, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine sehr aufschlussreiche Lektüre handelt. Das Buch vermag Denkanstöße weit über die Negationsthematik hinaus zu geben und sollte zur Grundlektüre eines jeden geisteswissenschaftlich Interessierten gehören.

Literaturverzeichnis

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III Stellungnahme zu der Doppelrezension

Der Anfrage, ob ich zu den zwei unterschiedlichen Rezensionen meines Negationsbuches Stellung nehmen möchte, habe ich nach anfänglichem Zögern entsprochen, obwohl eine solche Replik ja nicht zu den üblichen Usancen von Buchbesprechungen gehört. Das Motiv für diese Erwiderung liegt deshalb auch weniger darin, auf die beiden Stellungnahmen durch eine direkte Replik zu reagieren, sondern eher darin, einige grundsätzliche Bemerkungen sowohl über die Institution von Buchrezensionen als auch über die möglichen Erkenntnisinteressen der Sprachwissenschaft am Beispiel des Negationsphänomens zu machen. Dazu hat mich natürlich auch die unterschiedliche Struktur beider Rezensionen angeregt, die inhaltlich ja durchaus für sich selbst sprechen.

Dass die deutlichen strukturellen und inhaltlichen Unterschiede zwischen den beiden Rezensionen gerade an einem Buch über die Negationsproblematik zum Ausdruck kommen, ist sicherlich kein Zufall. Das Negationsphänomen gehört ganz offensichtlich zu den grundlegenden Konstitutionsstrukturen unserer Sprache, bei dessen konkreter Beurteilung sich die Geister dann auch recht schnell voneinander scheiden. Das zeigt sich nicht nur an den unterschiedlichen Realisationsweisen beider Rezensionen, sondern auch an dem Inhalt meiner Reaktion auf diese.

An den Ausführungen von Hans Jürgen Heringer hat mich einerseits etwas irritiert, dass sie in meiner Sicht den pragmatischen Funktionen dieser Textsorte nicht sehr gerecht geworden sind. Andererseits hat mich zugleich auch etwas verstört, dass sie durch das, was in ihnen faktisch thematisiert und nicht thematisiert worden ist, recht wenig Interesse und Sympathie dafür signalisieren, welche Fragestellungen und Probleme den Verfasser dieses Buch tatsächlich beschäftigt haben. Auf Letzteres kann ein Autor natürlich keinen Anspruch erheben, aber es wäre für die Entfaltung einer dialogischen Auseinandersetzung über einen bestimmten Problembereich sicherlich nicht nachteilig, wenn keine Seite beanspruchte, mit einer voice of god zu sprechen. Sich auf die Sichtweise eines anderen einzulassen, impliziert ja nicht, diese auch zu teilen, sondern nur zu versuchen, sie nicht gleich für unvereinbar mit eigenen Auffassungen zu halten.

Die Vorstellung, dass Rezensionen nicht monologisch, sondern dialogisch orientiert sein sollten, halte ich insbesondere auch deswegen für nicht ganz abwegig, da diese ihren Lesern ja insbesondere Hinweise darauf geben sollen, was sie bei einer potenziellen Lektüre des jeweils besprochenen Buches inhaltlich erwartet, und nicht nur Hinweise darüber, was der Rezensent über ganz bestimmte Teile dieses Buches denkt. Diesbezüglich vermisse ich deshalb in Heringers Rezension auch substanzielle Hinweise darauf, dass der Verfasser des Buches sich mit dem Negationsproblem nicht nur im üblichen Rahmen eines vorwiegend sys­temorientierten sprachwissenschaftlichen Interesses beschäftigt hat, sondern vielmehr in einem etwas umfassenderen sprachwissenschaftlichen Denkrahmen, in dem auch anthropologische, semiotische und phänomenologische Fragestellungen eine wichtige Rolle spielen. Das schließt dann zugleich auch ein, dass das Wahrnehmungsinteresse an der Negationsproblematik sich nicht nur auf die morphologisch gut fassbaren expliziten sprachlichen Negationsformen richtet, sondern auch auf verdeckte Manifestationsformen von Negationen, wie sie etwa in bestimmten Stil- und Textformen zum Ausdruck kommen oder in religiösen und theologischen Redeweisen, die gegenstandsbedingt schnell an die Grenzen unserer konventionalisierten sprachlichen Objektivierungsmöglichkeiten stoßen.

Anders ausgedrückt: Sofern man Negationsformen nicht nur als etablierte sprachliche Minuszeichen im operativen Sinne der Mathematik ansieht, sondern immer auch als sinnbildende sprachliche Gestaltungsformen, die vielerlei Gestalt und Funktion haben können, insofern sie auch der kognitiven Bewältigung der menschlichen Lebenswelt durch Sprache dienen sollen und nicht nur einer bloßen Informationsvermittlung, dann darf man seinen Blick auf das pragmatische Profil von Negationsformen und Negationsmöglichkeiten nicht von vornherein perspektivisch und methodisch zu sehr einschränken. Dieser Anspruch rechtfertigt dann sicherlich auch phänomenologische und hermeneutische Zugriffe auf die Negationsproblematik, die Heringer aus seiner Sicht heraus allerdings für ziemlich luftig zu halten scheint. Meiner Meinung nach sind solche Zugriffe aber durchaus als realistisch anzusehen. Sie nehmen nämlich die unterschiedlichen Negationsformen als widerständige Betrachtungsgegenstände ernst und legen unseren Wahrnehmungsprozessen für sie nicht von vornherein ganz bestimmte methodische Fesseln an, die immer schon festlegen, was wir als sinnvoll anzusehen haben und was nicht.

All diese unterschiedlichen Problembereiche und Aspekte des Negationsphänomens interessieren Heringer aber offenbar nicht sonderlich, denn er nimmt in seiner Rezension auf sie keinen Bezug, obgleich sie nicht nur quantitativ, sondern auch sachlich im Zentrum der Aufmerksamkeit des besprochenen Buches stehen. Über die Gründe dieses Desinteresses kann ich nur spekulieren. Möglicherweise ist er in seinem sprachwissenschaftlichen Denken so durch den System- und Regelbegriff geprägt, dass er es generell für suspekt hält, das Negationsphänomen auch mit anthropologischen, psychologischen, semiotischen, phänomenologischen und hermeneutischen Fragestellungen in Verbindung zu bringen.

Eine solche normative Reduktion des sprachwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses halte ich für nicht akzeptabel und auch nicht für besonders fruchtbar. Dadurch wird die kulturelle Relevanz der Sprachwissenschaft nämlich so geschwächt, dass sie nur noch für die jeweiligen Zunftgenossen von Belang ist. Außenstehenden würde es unter diesen Umständen dann möglicherweise gar nicht mehr auffallen, wenn sie als gesellschaftliche und kulturelle Institution abgeschafft würde.

Hinsichtlich meines Interesses an der Sprache und insbesondere an der Negation will ich gerne bekennen, dass ich Humboldtianer bin. Mit Humboldt teile ich nämlich die Grundüberzeugung, dass der System- und der Regelbegriff nicht im Vordergrund des Interesses für Sprache stehen sollten, weil beide Begriffe eher als Derivate eines viel umfassenderen Interesses an der Sprache anzusehen sind. Das von Humboldt thematisierte Interesse an der Sprache lässt sich durch zwei bekannte Thesen von ihm recht gut präzisieren: Die Sprache ist nämlich für ihn einerseits „die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulirten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen“, und sie bietet andererseits für ihn zugleich immer auch die Chance, „von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch“ zu machen.

Ein sprachtheoretischer Denkansatz dieser Art impliziert von vornherein immer schon eine phänomenologische und pragmatische Grundorientierung bei der konkreten Versprachlichung von bestimmten Sach- und Denkwelten, da derartige Denkanstrengungen natürlich immer perspektivisch strukturierten Objektivierungsverfahren verpflichtet sind. Deshalb muss ich auch entschieden Heringers These zurückweisen, dass meine „zentrale Argumentationsfigur“ die Folgende sei: „Der wissende Autor stellt dar, wie es ist, und präsentiert dann Beispiele dafür.“ Hier liegt nun wirklich ein ganz fundamentales Missverständnis meines Denkansatzes vor. Dieser ist nämlich auf grundlegende Weise dem Perspektivitätsgedanken verpflichtet, der prinzipiell ausschließt, eine Rolle übernehmen zu können, die den Anspruch auf einen normativen und abschließenden göttlichen Blick impliziert.

Ausgeschlossen ist dabei allerdings nicht, bestimmte Sichtweisen so dezidiert wie möglich zum Ausdruck zu bringen, damit diese einerseits zwar so prägnant wie möglich hervortreten können, aber andererseits gerade auf diese Weise zugleich immer auch als ergänzungsbedürftig in Erscheinung treten. Diese Struktur ist wohl nicht nur als typisch für alle menschlichen Sichtweisen anzusehen, sondern letztlich wohl auch als typisch für alle wissenschaftlichen Denkformen, die sich prinzipiell dem Wenn-Dann-Prinzip verpflichtet fühlen. Sinnbildlich lässt sich das vielleicht auf folgende Weise verdeutlichen:

Mein Umgang mit dem Negationsphänomen gleicht strukturell gesehen den unterschiedlichen Blickmöglichkeiten und Wahrnehmungsinhalten, die sich beim Rundgang um eine Skulptur ergeben. Man sieht zwar immer dasselbe Phänomen, aber man sieht es immer in anderen Perspektiven und hinsichtlich anderer Aspekte und somit dann immer auch als etwas Anderes. Das ist dadurch bedingt, dass man sich selbst bewegt und seinen jeweiligen Wahrnehmungsgegenstand deswegen auch in anderen Blickwinkeln, Kontrastrelationen und Beleuchtungen wahrnimmt. Das führt dann wiederum dazu, dass unsere Fähigkeit zur räumlichen und geistigen Eigenbewegung immer auch mit recht unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten für dasselbe Sachphänomen korreliert ist.

Ein ähnlich strukturiertes Wahrnehmungsverfahren habe ich auch im Hinblick auf das Negationsproblem in der Sprache zu realisieren versucht, um herausarbeiten zu können, in welch unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven das Negationsphänomen in der Sprache für uns sein Profil gewinnen kann. Bei dieser Strategie geht es dann natürlich nicht um die Objektivierung des Negationsphänomens an sich, sondern vordringlich um seine Objektivierung für uns. Auf ein solches Wahrnehmungs- und Darstellungsverfahren hat sich Heringer offenbar nicht einlassen wollen. Gleichwohl sehe ich dieses Verfahren aber sowohl aus erkenntnis- als auch aus sprachtheoretischen Gründen als fruchtbarer an als dasjenige, das er implizit seiner Rezension zugrunde gelegt zu haben scheint. Heringers Denken ist vermutlich einem Strukturgedanken verpflichtet, den man eher als statisch und systemtheoretisch zu verstehen hat und weniger als dynamisch, phänomenologisch und anthropologisch. Deshalb könnte man diesen von mir favorisierten Typ von Strukturgedanken dann auch etwas zutreffender als Strukturierungsgedanken bezeichnen.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zu der Rezension von Heringer wird auch schon deutlich, dass mir die Ausführungen von Toke Hoffmeister und Verena Sauer zu meinem Negationsbuch nicht nur im Hinblick auf die Funktion der Textsorte Rezension angemessener erscheinen als die von Heringer, sondern auch im Hinblick auf die Auswahl, Gewichtung und Beurteilungen der sprachlichen Problembereiche und Fragestellungen, mit denen ich mich in meinem Negationsbuch faktisch befasst habe. Auf gut nachvollziehbare Weise und in angemessener Akzentuierung stellen sie dar, was mich primär an der Negationsproblematik beschäftigt hat und welche Zielsetzungen ich dabei verfolgt habe. Dadurch ergibt sich ein zutreffendes Bild von dem, was einen potenziellen Leser bei der Lektüre des Buches erwarten kann und was nicht. Ihre Einwände sind durchaus bedenkenswert und betreffen keine Marginalien. So hätte beispielsweise die Reihenfolge der Kapitel durchaus anders gestaltet werden können, aber dann hätten sich sicherlich auch wieder andere Kohärenzprobleme ergeben.

Aparterweise hat sich bei der Lektüre beider Rezensionen mein schon latenter Verdacht erhärtet, dass die dialogische Verständigung zwischen Nicht-Altersgenossen oft leichter ist als die zwischen Altersgenossen. Das bestätigt dann indirekt auch meine Erfahrung und Auffassung, dass Negationen pragmatisch nicht zutreffend erfasst werden, wenn man sie allein mit Hilfe der Kategorien der Abtrennung, der Unterscheidung, der Aufhebung oder gar der Leugnung der Existenzberechtigung von bestimmten Vorstellungsinhalten zu beschreiben versucht. Dabei übersieht man nämlich leicht, dass Negationen durchaus die dialektische Funktion haben können, kraft Kontrastierung auch Unterscheidbares und Differentes zusammenzuführen und aufeinander zu beziehen. Diese Wirkungskraft von Negationen lässt sich dann auch als eine verbindende und integrierende Brückenfunktion verstehen, auf die man jedenfalls pragmatisch gesehen nicht verzichten sollte. Auf die Thematisierung dieser Funktion von Negationen kam es mir jedenfalls bei der Beschreibung der unterschiedlichen sprachlichen Negationsformen vor allem an. Eben deshalb habe ich das Negationsphänomen dann auch als eine Denk- und Sprachuniversalie bezeichnet, die in vielfältigen morphologischen und funktionalen Realisationsweisen zur Erscheinung kommen kann.

Dass meine Sicht auf sprachliche Negationsformen nicht von allen goutiert werden würde, war natürlich vorauszusehen. Dadurch wird diese Wahrnehmungsweise der Negationsproblematik aber nicht überflüssig. Das dokumentieren die beiden unterschiedlichen Rezensionen wohl recht plastisch. Deshalb möchte ich zum Schluss meiner Überlegungen auch noch einmal auf einen Aphorismus des Biochemikers Erwin Chargaff aufmerksam machen, der in Kombination mit anderen Aphorismen dem Negationsbuch im Sinne eines perspektivierenden Mottos vorangestellt worden ist: Nur kleine Rätsel haben eine einzige Lösung.

Published Online: 2018-02-19
Published in Print: 2018-11-27

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 30.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2017-0046/html
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