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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter December 7, 2017

Hilke Elsen. 2016. Einführung in die Lautsymbolik. Berlin: Erich Schmidt. 296 S.

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Hilke Elsen. 2016. Einführung in die Lautsymbolik. Berlin: Erich Schmidt. 296 S.


Die Einführung von Hilke Elsen hat zum Ziel, „die Wissenslücken zum Thema Lautsymbolik [zu] füllen“ (Rückdeckel), indem es den Bereich aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und die bisherige Forschungsliteratur zusammenführt. Lautsymbolik – die Lautung unterhalb der morphologischen Ebene als Träger von Information –, so auch der Tenor des Buches, ist vielen Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen nur wenig bis gar nicht bekannt und wird häufig nicht ernst genommen. Der Rezensent gehört zu dieser bis dato nur gering aufgeklärten Gruppe. Wenn auch nach der Lektüre, wie die Autorin selbst anmerkt, viele Fragen offenbleiben, gelingt es Hilke Elsen mit ihrem Buch, den Blick für lautsymbolische Aspekte zu weiten, zahlreiche Denkanstöße zu geben und einen Anreiz zu schaffen, in Zukunft diese Elemente bei der Beschäftigung mit sprachlichen, insbesondere lautlichen Aspekten stärker zu berücksichtigen.

Struktur des Buches

Das erste Kapitel („Einleitung: Was ist Lautsymbolik?“) führt präzise in die Thematik ein, indem es relevante Begriffe (u. a. Ikonismus, Ideophone, Phonästheme sowie die sinnvolle Trennung von enger und weiter Lautsymbolik) vorstellt, definiert und aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert. Die Problematik des Bereiches, etwa die häufige Ablehnung von Lautsymbolik als „unseriös“ (S. 11), wird kritisch besprochen. Wie alle weiteren Kapitel schließt das erste mit einer Zusammenfassung und den wesentlichen Literaturverweisen ab.

Das zweite Kapitel („Linguistische Grundlagen: Laute, Wörter und Bedeutungen“) rahmt den Gegenstand linguistisch ein, indem für das Buch wichtige sprachwissenschaftliche (Unter-)Begriffe aus Phonetik, Phonologie, Wortsemantik und Lexikologie zusammengefasst werden.

Im dritten Kapitel („Frühe Überlegungen“) geht die Autorin unter anderem aus theoretisch-philosophischer Perspektive auf frühere Literatur ein, die sich mit dem Ursprung der Sprache, vor allem im Hinblick auf die Lautung, ausein­andersetzt. Nach einem kurzen historischen Abriss über erste wissenschaftliche Analysen von Lautsymbolik bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts verortet dieses Kapitel den Gegenstand des Buches zunächst in einem größeren (Wissens-)Kontext. Hervorgehoben werden insbesondere methodische Schwachstellen in der älteren Literatur.

Anschließend werden im ausführlichen vierten Kapitel („Forschungsansätze“) zahlreiche bisherige Forschungen zur Lautsymbolik zusammengefasst und verglichen. Die verschiedenen methodischen Vorgehensweisen (u. a. lexikalische Studien, Studien mit Kunstwörtern, Zeichnungen und Farben, akustischen Reizen und Produktionsdaten) sowie zentrale Ergebnisse (u. a. der Maluma-Takete-Effekt und die Korrelation von vorderen und hinteren Vokalen mit ‚Kleinheit‘ und ‚Größe‘) werden vorgestellt. Kap. 4.8 („Ergebnisse“) fasst aufschlussreich die wichtigsten Erkenntnisse, Schwierigkeiten und mögliche Ursachen für lautsymbolische Wirkungen (etwa die oben angeführte Größenkorrelation) zusammen.

Das fünfte Kapitel („Die sprachwissenschaftliche Perspektive“) ist auf linguistische Fragestellungen zugeschnitten. Der Zusammenhang zwischen Lautsymbolik und sprachlichen Bereichen und Kategorien, etwa in Bezug auf Onomastik und Phonästheme (z. B. das Cluster sl-, das im Englischen häufig eine ‚gleitende Bewegung‘ ausdrückt, siehe sledge, slick), wird erörtert. Außerdem wird die Bedeutung der Lautung in poetischen und kreativen Texten, in Comics, in den Gattungen Science Fiction und Fantasy besprochen (Warum heißen gutmütige, weise Zauberer eher Salamir oder Kalakaman, böse Orks jedoch Rrul’ghargop oder An-Rukhbar?).

Im sechsten Kapitel wird der Fokus erneut erweitert und eine „interdisziplinäre Perspektive“ eingenommen. Die Bedeutung der Lautsymbolik für die Werbung (6.1) und der Zusammenhang zwischen Lautsymbolik und Synästhesie (= ein Sinnesreiz löst Reaktionen in einem anderen Bereich aus, etwa ‚farbiges Hören‘, 6.2) wird vorgestellt, wobei Letzteres als ein möglicher Grund für das Entstehen von Sprache angeführt wird. Kap. 6.3 („Sprachevolution“) führt zurück in die Sprachwissenschaft und verknüpft viele der Elemente aus den vorherigen Kapiteln im Hinblick auf die Entstehung von Sprache (etwa die Senkung des Kehlkopfes, um tiefere Laute zu erzeugen und damit mehr Körpervolumen gegenüber potentiellen Feinden vorzutäuschen).

Im abschließenden siebten Kapitel („Die Bedeutung der Lautsymbolik für die Linguistik von heute“) werden die wichtigsten Erkenntnisse, Probleme und Fragen zusammengeführt, aber auch (Teil-)Antworten und Lösungsvorschläge angeboten. Das Plädoyer für eine tiefergehende und methodisch ausgereiftere Betrachtung und Beachtung lautsymbolischer Aspekte in der Forschung fällt am Ende des Buches wie erwartet eindeutig aus. Ein dreiseitiges Fazit (Kapitel 8) rundet die Arbeit ab, dann folgen „Forschungsliteratur“ und „Sachregister“.

Stärken und Schwächen

Die große Stärke des Buches ist sicherlich die enorme Fülle an berücksichtigter Literatur. Wie das Literaturverzeichnis von 54 Seiten (!) eindrucksvoll bezeugt, hat sich die Autorin tiefgehend in den Bereich der Lautsymbolik hineingearbeitet und sich bemüht, möglichst viele bisherige Arbeiten einzubringen. Es ist ein Buch entstanden, das überaus ausführlich den Forschungsstand und, daraus abgeleitet, die bisherigen Erkenntnisse und theoretischen wie methodischen Problemfelder vorstellt. Allein diese Zusammenstellung macht das Buch im deutschsprachigen Raum zu einem unumgänglichen Band für alle, die sich näher mit Lautsymbolik auseinandersetzen möchten.

Jede Leserin und jeder Leser kennt lautsymbolische Beispiele aus seinem Alltag, sei es bei Namen aus Fantasybüchern, in der Werbung oder bei lautmalerischen Äußerungen. Die Lektüre des Buches ermöglicht es, diese impressionistischen Eindrücke in einen Gesamtzusammenhang zu stellen und aus linguistischer Perspektive zu hinterfragen. Der Rezensent kann mit gutem Gefühl sagen, dass diese Einführung ihm die Augen für lautsymbolische Fragestellungen geöffnet und dieses noch wenig bekannte Gebiet zugänglich gemacht hat. Der Gegenstand selbst, jedoch sicherlich auch die präzise Zusammenführung diverser Aspekte, weckt die Neugierde für den Bereich und liefert viele Anregungen zum Nach- und Weiterdenken. Die Darstellung der Experimente in der bisherigen Forschung macht Lust, eigene Designs zu entwickeln – und sei es nur als kleiner Versuch im Rahmen einer Unterrichtseinheit. Auch dies ist einer der starken Punkte des Buches.

Als weitere Stärke ist die Gewissenhaftigkeit bei der Eingrenzung und den definitorischen Ansätzen sowie das Gespür für Probleme und offene Fragen zu nennen. Die Autorin zeigt sich all dieser Schwierigkeiten bei diesem noch wenig erforschten Gebiet bewusst und spricht sie offen und angemessen kritisch an. Sie nimmt somit ihr Anliegen ernst, „eine Bestandsaufnahme [zu bieten], die in vielen Fällen schließlich zu weiteren Fragen führt“ (S. 9).

So sehr die ausführliche Zusammenstellung als Stärke zu werten ist, offenbart sich in der Dichte an Informationen zugleich aber auch eine Schwäche des Bandes. Wie in den Kapiteln und Kapitelüberschriften deutlich wird, bemüht sich die Autorin – häufig erfolgreich – um ein Zusammenführen verschiedenster Aspekte. Bedauerlicherweise fehlen jedoch häufig Querverweise, die diese Blöcke verbinden und den Leser/die Leserin durch das angestrebte „neue Ganze“ (Rückdeckel) führen. Während die Verweise zu anderen Studien zahlreich sind, werden nur selten Verbindungen zu den anderen Kapiteln des Buches hergestellt (zu den wenigen Gegenbeispielen zählt etwa S. 172). Es bleibt in diesen Fällen dem Leser/der Leserin überlassen, die inhaltliche Brücke zu schlagen. Ein Beispiel ist die Besprechung einer Untersuchung zum Verhältnis von Warennamen und Lautung in Bezug auf geschlechtsspezifische Produkte (vgl. S. 124). Es wird an dieser Stelle kein Verweis auf das später folgende, große Unterkapitel (6.1) über Werbung und Produktnamen angeführt. Ähnliches lässt sich auf S. 219 feststellen, wo von der Korrelation von Größe der Lautquelle und den Vokalformanten gesprochen wird ohne Bezug zu den vielen Kapiteln, in denen diese Korrelation bereits ausführlich zur Sprache kam. Als weiteres Beispiel dienen die in der Einleitung (S. 13) aufgeführten ‚Fragestellungen‘ und ‚Probleme‘ in der Form von acht Frageblöcken. Sie leiten elegant in die zu beantwortenden Grundfragen des Buches ein und werden im abschließenden Kapitel (S. 230–232) auch beantwortet bzw. es werden „Lösungsmöglichkeiten“ vorgestellt. In der Einleitung werden letztere jedoch nicht angekündigt, so dass sich dieser sinnvoll gespannte Bogen nur unzureichend erschließen lässt. Wenn somit insgesamt ein „großes Ganzes“ erkennbar ist, bleibt die angekündigte „Verbindung“ verschiedener Aspekte durch das Fehlen von Verweisen an vielen Stellen leider aus.

In die gleiche Richtung weisen gelegentlich fehlende Übergänge. So ist es etwa am Ende von Unterpunkt 5.5 (S. 148) für den Rezensenten nicht eindeutig, ob es sich beim Abschnitt um eine Zusammenfassung der vorherigen Abschnitte, eine Schlussfolgerung oder aber um eine Auflistung von Argumenten aus der letzten angeführten Forschungsarbeit handelt – letztlich also, ob es sich um die Meinung der Autorin oder einer anderen, zitierten Person handelt. Der Rezensent hätte sich hier eine stärkere sprachliche Handreichung gewünscht, die konkreter und direkter von einem Punkt zum nächsten überführt, Zusammenfassungen ankündigt und auf folgende bzw. spätere Inhalte durch Formulierungen wie „folgende Schlussfolgerungen können aus der bisherigen Diskussion abgeleitet werden: ...“ oder „wie sich unter Punkt XY zeigen wird ...“ verweist.

Einige Literaturbesprechungen, etwa diejenige von Eis (1959) in Kapitel 6.1, sind nach Meinung des Rezensenten zu lang geraten, wenn man bedenkt, dass die Autorin wiederholt Schwächen der Studie offenlegt. Andere wiederum werden mehrfach namentlich erwähnt, ohne ausführlich besprochen zu werden. Diese unterschiedlich starke Berücksichtigung der Forschungsliteratur ist für den Rezensenten nicht immer nachvollziehbar. Auch eine Gewichtung der zahlreichen Inhalte des Buches zu Beginn wäre grundsätzlich wünschenswert gewesen, etwa in Form einer Auflistung der wichtigsten und am häufigsten zitierten Studien. Ein Unterkapitel zum Aufbau des Buches mit den wesentlichen Komponenten der Arbeit – ähnlich der Einleitung zum vierten Kapitel – hätte den Lesefluss und die inhaltliche Verständlichkeit erleichtert.

Spricht die Autorin schließlich zu Beginn des Kapitels „Die Bedeutung der Lautsymbolik für die Linguistik von heute“ noch von „einer Reihe von gemeinsamen Tendenzen“ (S. 226) in der Forschungsliteratur, erscheinen einige der zusammengefassten Ergebnisse im Vergleich zu deren häufig kritischer Besprechung in den vorangehenden Kapiteln zuweilen übergeneralisiert. So fällt etwa der Satz „Lautsymbolik ist eines der Leitprinzipien für Entstehung und Wandel der Sprache“ (S. 229) vor dem Hintergrund, dass es zwar viele Hinweise auf lautsymbolischen Einfluss, aber noch wenig gesicherte Kenntnisse gibt, etwas zu stark aus.

Fazit

Einführung in die Lautsymbolik von Hilke Elsen ist aufgrund der Vielzahl und Dichte an Informationen sowie der geringen Anzahl sprachlicher und inhaltlicher (Quer-)Verweise sicherlich keine leichte Kost. Das Buch stellt jedoch zweifellos einen unschätzbaren Beitrag in der Erforschung lautsymbolischer Aspekte in der (deutschsprachigen) Sprachwissenschaft dar. Das Buch wird für die nächsten Jahre erste Anlaufstelle für alle sein, die sich für diesen Bereich interessieren. Sie bekommen eine große Menge an kommentierten Literaturangaben und einen guten Überblick über verschiedenste Facetten des Gegenstands. Der Aufruf zu weiterer Forschung ist überzeugend und die vielen aufgeführten Experimente regen zu eigenen Fragestellungen und empirischen Versuchen an. Viele Fragen bleiben allerdings offen und eine gewisse Skepsis gegenüber lautsymbolischen Deutungen und Schlussfolgerungen bleibt beim Rezensenten bestehen. Die auf dem Rückdeckel angeführten wesentlichen Ziele der Arbeit (etwa das Anstoßen neuer Forschungsfragen, Anreize zu neuen Sichtweisen und Arbeitsansätzen) sind aus seiner Sicht dennoch klar erfüllt. Dem folgenden Zitat aus dem Fazit (S. 238) kann somit nur zugestimmt werden:

„Lautsymbolik war für die meisten ein Tabu. Es dürfte aber deutlich geworden sein, dass die Frage nicht mehr lautet, ob es Lautsymbolik gibt, sondern wie stark verbreitet sie tatsächlich ist und wie wir sie wissenschaftlich fassen und praktisch nutzen können.“

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das Buch Einführung in die Lautsymbolik diesen Bereich nachhaltig stärker in den Fokus der germanistischen Sprachwissenschaft rücken und zahlreiche neue Studien anregen.

Published Online: 2017-12-07
Published in Print: 2018-11-27

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

Downloaded on 22.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2017-0048/html
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