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Renate Freudenberg-Findeisen (Hg.). 2016. Auf dem Weg zu einer Textsortendidaktik. Linguistische Analysen und text(sorten)-didaktische Bausteine nicht nur für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Hildesheim: Georg Olms. 308 S.
Der von Renate Freudenberg-Findeisen herausgegebene Sammelband enthält 16 Beiträge international anerkannter SprachwissenschaftlerInnen und FachdidaktikerInnen, die sich dem komplexen Themenfeld Text(sorten)didaktik in einer breit gefächerten Sichtweise annähern. Die versammelten Beiträge diskutieren und erweitern bisherige Ansätze zur textsortenbasierten Spracharbeit, indem sie – wie schon der Titel des Bandes synthetisch andeutet – die Verbindungen zwischen Textsortenlinguistik, mutter-, zweit- und fremdsprachlicher Didaktik, Sprachunterricht und LehrerInnenausbildung anbieten und deren Wirksamkeit ausloten.
In der intensiven sprachwissenschaftlichen und -didaktischen Debatte wird dem Text eine immer wichtigere Rolle zugesprochen, sodass Texte und Textsorten mittlerweile zum zentralen Medium der Wissens- und Sprachvermittlung geworden sind. Ausgehend von dieser Überlegung bilden das Sprachlehren und -lernen den roten Faden durch den gesamten Band. Wie die Herausgeberin in ihrer Einführung betont, sind es die einzelnen Beiträge in ihrer Gesamtheit, „die unterschiedliche Perspektiven auf diese didaktische Potentiale [eröffnen]“ (S. 17). Der Band nimmt Erträge bisheriger Arbeiten wie auch Fragen mit dem Ziel auf, diese im Bemühen um ein theoretisch-fundiertes methodisch-didaktisches Konzept für eine an Textsorten ausgerichtete Spracharbeit zu vertiefen. So werden grundlegende Fragestellungen zu Textsorten, Analysemodellen und Textsortenkompetenz in ihren didaktischen Bezügen beleuchtet. Der potentielle RezipientInnenkreis umfasst sowohl SpezialistInnen der germanistischen Linguistik als auch Studierende und sonstige an der deutschen Sprachwissenschaft interessierte LeserInnen.
Der inhaltlichen Schwerpunktsetzung entsprechend ist die Publikation in vier thematische Einheiten gegliedert, denen eine ausführliche, von der Herausgeberin verfasste Einleitung in das Forschungsgebiet vorausgeht: I. „Text(sorten)linguistische Erträge für eine Textsortendidaktik“, II. „Textwelten aus unterschiedlichen Perspektiven“, III. „Textsortendidaktische Bausteine: Sprachliche Mittel als Werkzeug“ und IV. „Sortenkompetenz fördern: Arbeit an Texthandlungstypen und Textprozeduren“.
Im ersten Kapitel werden die zentralen Kategorien einer Textsortendidaktik erörtert und unterschiedliche Aspekte des bisher entwickelten methodischen Inventars diskutiert. Im einleitenden Beitrag berichtet Stephan Stein über den Nutzen mehrdimensionaler bzw. holistischer Textsortenanalysen für die Sprachdidaktik. Er schlägt ein Anforderungsprofil vor, welches hinsichtlich der Vermittlung textbezogenen Wissens sowie für den Aufbau einer breiten, vielfältigen und nachhaltigen Text(sorten)kompetenz zu aussagekräftigen Ergebnissen führen kann. Textsortenanalysen und -vergleichen widmet sich auch Michael Hoffmann, der in seinem Beitrag am Beispiel journalistischer Textsorten und Sorten aus dem Wissenschaftsbereich die wechselseitigen Relationen zwischen Textmuster, Kommunikationssituation und Kommunikationsaufgabe als Methode für den Aufbau einer Sortenkompetenz vorstellt. Ludmilla Grischaewa greift die Diskussion über Lehr- und Lernpotential von Textsorten auf und beschreibt das Instrument der Makrotextanalyse als produktive Strategie zur Ermittlung von Textwissen im Fremdsprachenunterricht. Am Beispiel der syntaktischen Makroanalyse der Textsorte Rezension geht die Autorin auf die Relation zwischen universellen (auch: invarianten) und kulturspezifischen (auch: variablen) Textbausteinen ein. Wolf-Dieter Krause dagegen analysiert die Rolle von Textroutinen und sprachlichen Stereotypen aus fremdsprachlicher Sicht und vom Standpunkt des sprachlichen Handelns aus. Er plädiert dafür, sprachliche Routinen nicht über isolierte Musterübungen, sondern immer im Zusammenhang mit ihren Verwendungsbedingungen zu vermitteln, um somit Irritationen, Missverständnisse und das Auftreten „unidiomatisierter grammatischer Fehler“ (S. 97) zu vermeiden. Für die fremdsprachenunterrichtliche Konzeptualisierung sind solche grundlegenden Überlegungen und Erkenntnisse insofern fruchtbar, als sie neue Blickwinkel auf die Komplexität der sprachlichen Kommunikation und Produktion von Texten eröffnen.
Die Beiträge des zweiten Kapitels thematisieren weitere Schwerpunkte aus dem Gegenstandsfeld der Textsortendidaktik und gehen der Frage nach, welche Kriterien bei der Textauswahl eine wesentliche Rolle spielen bzw. wie Texte sinnvoll differenziert werden sollten. Antonie Hornung widmet sich der Klassifizierungs- und Terminologie-Debatte am Beispiel der Dynamisierung des Textbegriffs. In ihrem Beitrag macht sie die Unschärfen des Sortenbegriffs deutlich, die für ausländische Germanistikstudierende und DaF-Lernende besonders schwer zu begreifen sind. Differenzierungs- und Klassifizierungsaspekte von Texten und die Frage nach ihrem Eingang in Lehrwerke bilden den Ausgangspunkt der Überlegungen der beiden folgenden Beiträge. Christina Gansel stellt in ihren Überlegungen zur Textauswahl im Unterricht fest, dass der Kommunikationsbereich besonders hoch zu gewichten ist, da er sich als entscheidende Ausdifferenzierungsinstanz für Textsorten anbietet. Dies ist sowohl für die Didaktik von Nutzen, da die Lernenden auf diese Weise mit Textsorten unterschiedlicher Bereiche der Gesellschaft vertraut gemacht werden, als auch ein möglicher Ausgangspunkt für eine Aufhebung der Polarisierung von pragmatischen und literarischen Texten. In solchen Erkenntnissen liegt ein großes Potenzial für die muttersprachliche und fremdsprachliche Didaktik, die die Lernenden für eine Kommunikation vorbereiten will, die gelingen soll. Elisabeth Venohr reflektiert die kulturkontrastiven Kriterien, die man bei der Beschäftigung mit Textsorten in der DaF- und DaZ-Vermittlung berücksichtigen sollte. Dabei plädiert sie dafür, die interkulturelle Vernetzung der Textsorten im jeweiligen einzelsprachlichen Diskurs als mögliches Auswahlkriterium heranzuziehen. Im letzten Beitrag dieses Kapitels führen Britta Hufeisen & Ingo Thonhauser das Thema des fremdsprachlichen Unterrichts weiter, nun aber nicht auf die Textsorte, sondern auf die Textarbeit fokussiert, die für alle Lernenden ein wichtiges Element zur Entwicklung der kommunikativen Kompetenz ist. In diesem Zusammenhang erörtern sie Anforderungen an die Textauswahl, die aus unterschiedlichen Perspektiven (Text, Textarbeit, Akteure der Textarbeit) besprochen werden.
Im dritten Kapitel werden unterschiedliche Aspekte einer an grammatischen Phänomenen ausgerichteten textsortenbasierten Spracharbeit in den Blick genommen. So plädiert Christa Dürscheid für eine sprachreflexive Grammatikarbeit am Beispiel kleiner Texte (Hinweistafeln, Gebrauchsanweisungen, Kochrezepte usw.) im fremdsprachlichen Deutschunterricht. Sie betont, dass kleine Texte eine Sparsyntax aufweisen, die sprachliche Phänomene in ihrem eigentlichen Funktionieren einsichtig macht und eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Sprachreflexion bietet. Ausgehend von einem selten in den Blick genommenen Grundprinzip der deutschen Sprache, nämlich der sogenannten Linksdeterminierung, stellen Christian Fandrych & Maria Thurmair die Arbeit mit diversen Textsorten vor, die dazu dienen kann, grammatische Strukturen bewusst zu machen und zu vermitteln. Dabei arbeiten sie die enge Beziehung zwischen grammatischen Mitteln, Textsorte und spezifischem illokutivem Potential heraus. Die AutorInnen kommen zu dem Schluss, dass Textsorten einen ansprechenden und motivierenden Rahmen sowohl für rezeptive als auch für produktive Fertigkeiten auf unterschiedlichen Sprachniveaus bieten können und dass der Textsortenbezug besonders dazu geeignet ist, die Lernenden für charakteristische Sprachstrukturen zu sensibilisieren. Sabine Jentges analysiert den Gebrauch von Modalverben in Texten fortgeschrittener niederländischer Germanistikstudierender und diskutiert kontrastiv orientierte sowie konstruktionsgrammatische Hilfen für deren zielsprachkonformen Gebrauch. In ihrem Aufsatz weist sie auf die enge Verbindung zwischen Funktionsspektrum, Ausdrucksmöglichkeiten und Texthandlungstyp hin. Marion Krames argumentiert am Beispiel von Internetseiten aus unterschiedlichen Kommunikationsbereichen, dass die Kenntnis eines textsortenspezifischen, handlungsorientierten Wortschatzes Fremdsprachenlernende darin unterstützen könnte, beim Lesen Top-Down-Strategien anzuwenden und Hypothesen über den Textinhalt aufzustellen. All diesen Beiträgen ist das Bemühen gemeinsam, mit der Bewusstmachung typischer Textbausteine die didaktische Sprachvermittlung zu optimieren.
In den Beiträgen des vierten und abschließenden Kapitels des Bandes geht es um das didaktische Potential von textsortendidaktischen Bausteinen für den Auf- und Ausbau einer rezeptiven und produktiven Textsortenkompetenz. Der Ausgangspunkt aller Beiträge dieses Kapitels ist, dass die Fokussierung auf inhaltliche und sprachliche Aspekte eine bewusste wie auch flexible Auseinandersetzung mit Textprozeduren ermöglichen und individuelle Zugänge eröffnen kann. Im einleitenden Beitrag thematisiert Eva Neuland den komplexen und meist vernachlässigten Texthandlungstyp „Erzählen“, den sie im Spannungsfeld zwischen Literatur und Alltagsnarrativik diskutiert. Dabei betrachtet die Autorin das Funktionieren, die charakteristischen Grundzüge und die makrostrukturellen bzw. sprachlichen Bausteine dieses Handlungstyps, dem sie eine besondere Relevanz in der DaF-Didaktik zuschreibt. Das Thema der Textprozeduren beschäftigt auch Daniela Rotter & Sabine Schmölzer-Eibinger, die in ihrem Beitrag einen didaktischen Ansatz zur Förderung argumentativer Handlungsfähigkeit von Lernenden in heterogenen Klassen vorstellen. Antonella Nardi analysiert am Beispiel der Textsorte „Seminararbeit“ die Unterschiede im Schreibverhalten italienischer und deutscher Studierender, um abschließend zielgerichtete methodische und didaktische Empfehlungen zum Umgang mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Schreibstilen zu geben. Den Band schließt der Aufsatz von Ilona Feld-Knapp ab, die sich vom Standpunkt des aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts ausgehend der Förderung von Textkompetenz widmet. Am Beispiel eines fachdidaktischen Seminars für Lehramtsstudierende geht die Autorin vor allem auf das Zusammenspiel von drei Faktoren (Textauswahl, Aufgabenstellung und Reflexion) ein, die bei diesem Prozess eine zentrale Rolle spielen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der besondere Wert des Buchs in der innovativen Fragestellung liegt, die in den überzeugenden methodologischen Vorgehensweisen der einzelnen Beiträge vielfältig beleuchtet und beantwortet wird. Durch seine gut verständlichen und facettenreichen Ausführungen zu didaktischen Leitlinien und methodischen Verfahren vermag der Sammelband auch als praktischer Ratgeber für Lehrende dienen. Ein möglicher Schwachpunkt der Publikation, der aber in vielen Beiträgen selbst thematisiert wird, liegt darin, dass der Blick überwiegend auf die einzelnen Textsortenanalysen konzentriert bleibt, während umfassendere, empirisch begründete und auf die Sprachvermittlung ausgerichtete Textsortenbeschreibungen fehlen. Ein großes Forschungsdesideratum bleiben daher empirische Studien zu den verschiedenen Textsorten, vor allem der Mündlichkeit. Abgesehen davon ist der Band eine empfehlenswerte Lektüre sowohl für FachwissenschaftlerInnen, Lehrende als auch für interessierte LaiInnen. In allen Beiträgen finden sich wichtige Perspektivierungen auf die Sprachdidaktik, aus denen sich gewinnbringende Empfehlungen für die Innovation und Optimierung des DaF-Unterrichts ableiten lassen. Außerdem unterstützt die Publikation ausdrücklich die Annäherung der beiden Teilgebiete Textlinguistik und Textdidaktik, indem sie ihre Schnittstellen expliziert und Perspektiven für den Sprachunterricht aufzeigt. Insgesamt gesehen kann dem Band also Handbuchcharakter zugesprochen werden, was für die Inlands- und Auslandsgermanistik gilt, wobei besonders aus dem letzten Bereich dieser Publikation ein großer Nutzen gezogen werden kann.
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