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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter February 19, 2018

Oscar Eckhardt. 2016. Alemannisch im Churer Rheintal. Von der lokalen Variante zum Regionaldialekt (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Beihefte 162). Stuttgart: Franz Steiner. 424 S.

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Oscar Eckhardt. 2016. Alemannisch im Churer Rheintal. Von der lokalen Variante zum Regionaldialekt (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Beihefte 162). Stuttgart: Franz Steiner. 424 S.


Der Autor legt mit seiner 2016 erschienenen Monografie Alemannisch im Churer Rheintal die Resultate einer neuen großen Studie zum Dialekt im Churer Rheintal vor. Mit dem Churer Dialekt hat sich der Autor bereits in seiner Dissertation von 1991 (zum Stadtchurerischen) und seither öfters befasst. Für die hier präsentierte Studie, die finanziell vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt wurde, hat der Autor neue Erhebungen an verschiedenen Orten im Churer Rheintal (im weiteren Sinn, samt zugewandten Orten Maladers, Churwalden, Thusis und Ilanz) gemacht und die Daten mit den um 1950 für den Sprachatlas der Deutschen Schweiz (SDS) erhobenen sowie mit anderen älteren Dialektbeschreibungen verglichen. Das so zusammengestellte Korpus wurde dann unter diversen Gesichtspunkten analysiert und ausgewertet. Befragt wurden diesmal – im Gegensatz zur Praxis der älteren Dialektologie, als Gewährspersonen ältere Männer aus dem bäuerlichen Umfeld zu bevorzugen – mit wenigen Ausnahmen jüngere, sich in Ausbildung befindliche Personen beider Geschlechter. Der Autor hat zunächst auf Basis der bestehenden Forschungsliteratur einen Fragebogen entwickelt (Teile B und C des Buchs). Mithilfe des Fragebogens wurden die 150 Informantinnen und Informanten mündlich befragt, wobei u. a. Bildsujets zur Anwendung kamen. Zudem wurden sie aufgefordert, einen schriftlichen Fragebogen auszufüllen, in dem neben den soziodemografischen Angaben auch zusätzliche Dialektmerkmale (z. B. Konjunktivformen) sowie Einstellungen zum eigenen Dialekt abgefragt wurden. Die Aufnahmen wurden phonetisch transkribiert und für die Auswertung in eine Datenbank integriert.

Die neu erhobenen Daten präsentiert der Autor in zwei reichhaltigen Hauptkapiteln des Buchs (Teile D und E). Im Teil D erfolgt eine Darstellung der Resultate nach den abgefragten linguistischen Merkmalen, von der Phonetik über die Morphosyntax bis zur Lexik. Es wird jeweils der Stand zu Zeiten des SDS geschildert und dieser dann mit den Daten der aktuellen Erhebung verglichen. Über die quantitativen Verhältnisse gibt jeweils eine Balkengrafik Auskunft, der man die Häufigkeit einzelner Varianten im Korpus entnehmen kann. Hingegen erfährt man in den meisten Fällen nicht, wie diese Varianten geografisch verteilt sind. Für die Wiedergabe des Dialekts verwendet der Autor die IPA-Notation. Dort, wo die exakte Lautung nicht von Belang ist, wird eine leicht abgeänderte Version der Dieth-Schrift gebraucht (z. B. Schträäl und Schpuusa statt Dieth-konformem Strääl und Spuusa; vgl. zur Notationsweise S. 67f.).

Im anschließenden Teil E erfolgt eine zweite Auswertung der Daten anhand von Distanzberechnungen. Hier wird mit einer dialektometrischen Methode operiert, indem ein Maß für die Berechnung sprachlicher „Abstände“ zwischen einzelnen Dialekten eingeführt und damit die Dialektlandschaft in ihren synchronen und diachronen Dimensionen vermessen wird. Für die Distanzberechnungen kommt der in der Dialektometrie gängige Levensthein-Algorithmus zum Einsatz (S. 253). Die bereits aus Teil D bekannten Daten werden so nochmals unter ganz neuen Gesichtspunkten präsentiert und in zahlreichen Grafiken und Karten visuell aufbereitet.

Aufgrund des jungen Alters der befragten Personen überspannt die Studie einen Zeitraum von mehr als den knapp 65 Jahren, die zwischen den Befragungen real vergangen sind. Die apparent time eingerechnet, dürfte die gesamte Zeitspanne etwa ein Jahrhundert betragen. Die Auswahl der Informantinnen und Informanten verlief nicht nur bezüglich des Alters anders als zu Zeiten des SDS, sondern erfolgte überhaupt nach lockereren Kriterien (vgl. S. 55–61). So wurde zwar darauf geachtet, dass die befragten Jugendlichen längere Zeit am Ort gelebt haben (im Durchschnitt ca. 15 Jahre, S. 60), doch sind auch solche darunter, deren Eltern nicht am Ort aufgewachsen sind (vgl. S. 57). Im Gegensatz dazu hatte man beim SDS bekanntlich großen Wert auf die Kriterien Ortsverwurzelung (auch der Eltern) und Herkunft aus dem ländlich-bäuerlichen Umfeld gelegt. Es bleiben daher einige Fragen offen, inwiefern die neu erhobenen Daten wirklich mit denjenigen des SDS vergleichbar sind.

Die in den Teilen D und E präsentierten Resultate dokumentieren Entwicklungen, die heute wohl für viele Regionen (nicht nur) der Deutschschweiz typisch sind. Einerseits beobachtet man einen Ausgleich zwischen den einzelnen Ortschaften und die Herausbildung einer Art regionalen Kompromissdialekts, andererseits eine allmähliche Annäherung an großräumigere, über die betreffende Region hinausreichende Sprachgebiete (Nordostschweizerdeutsch, neuhochdeutsche Standardsprache). Die Studie zeigt eindrücklich, wie die lautlichen und grammatischen Besonderheiten einzelner Ortsdialekte seit ca. 1950 zu einem guten Teil, in manchen Fällen sogar komplett verschwunden sind. Nasalierte Vokale, die früher in den Gebieten Herrschaft und Fünf Dörfer vorkamen, sind in der neuen Erhebung nicht mehr nachweisbar (vgl. S. 129). Von den älteren Dialektwörtern Luggmilch und Nidel/Nidla für ‚Rahm‘ ist ebenfalls praktisch nichts übriggeblieben; die befragten Jugendlichen sagen fast geschlossen Raam (S. 212f.). In der Formenbildung ist vor allem der weit fortgeschrittene Abbau der Konjunktivformen frappant, der teils auch ältere lokale Unterschiede eingeebnet hat (vgl. S. 179ff.). Das Churerrheintalische, wie es die Jüngeren sprechen, ist heute also nicht mehr so kleinräumig unterteilt wie noch zu Zeiten der SDS-Aufnahmen, als man die Sprecher aufgrund ihrer Dialektmerkmale genau einzelnen Orten zuweisen konnte. Diesen Befund untermauern auch Aussagen der befragten Jugendlichen selber, die ihren eigenen Dialekt mehrheitlich als Bündnerdeutsch oder Churerdeutsch und nicht etwa als Dialekt ihres Herkunftsdorfes bezeichnen (vgl. S. 364). Nur in Untervaz hat noch eine Mehrheit (sieben von elf) als Eigenbezeichnung ihren Ortsdialekt angegeben. Das Churerrheintalische erscheint so heute deutlich homogener – man könnte auch sagen: eintöniger – als vor 60 Jahren. Viele der befragten Jugendlichen sagen sogar aus, dass sie im Churer Rheintal heute keine Dialektunterschiede mehr hören (vgl. S. 399).

Als eine Haupttendenz in der Region dokumentiert die Studie eine Advergenz zum Stadtchurerischen, sichtbar z. B. in der Ausbreitung der typischen Churer Merkmale [kʰ] für sonstiges hochalemannisches [χ] oder dem Lexem kriaga für ‚bekommen‘ in der ganzen Region (vgl. S. 132 und 90f.). Am augenfälligsten ist diese Entwicklung bei den (ehemaligen) Walserorten Churwalden und Maladers sowie den walserisch beeinflussten Orten Trimmis, Igis und Thusis, die ihre walserischen Eigenheiten weitgehend aufgegeben haben und stark „verchurert“ sind (z. B. S. 135 zu germ. -nk-). Am interessantesten ist die Studie aber da, wo sie Veränderungen sichtbar macht, bei denen es sich nicht bloß um Advergenz zum Churerischen oder zu einer großräumigeren Varietät handelt. In der Tat findet man in den Auswertungsteilen immer wieder auch Überraschendes. Interessant ist etwa die Beobachtung einer spontanen Affrizierung im Anlaut, besonders beim Personalpronomen si (vgl. S. 137f.), z. B. in [vɪl tsɪ] ‚weil sie‘, [tsi kse:nd] ‚sie sehen‘. Der Autor deutet diese plausibel als eine Agglutination des Dentals von vorhergehenden (z. T. heute nicht mehr auf Dental auslautenden) Verbformen. Für ‚Zahn‘ ist offenbar eine Form [tsa] neu entstanden, die zur Zeit des SDS noch nicht existierte (S. 146). Die Form [ysər] ‚unser (Hund)‘, der man aufgrund ihrer Standardnähe wohl gute Überlebenschancen eingeräumt hätte, scheint völlig verschwunden zu sein (S. 172). Eher unerwartet ist die beobachtete Tendenz, gewisse Vokale stärker geöffnet zu artikulieren, z. B. [œ] statt [ø] in [œ(ː)fɐ] ‚Öfen‘ (allerdings noch in der Minderheit gegenüber [ø], S. 121f.; vgl. auch S. 200f.). Vereinzelt tritt sogar eine markante Heterogenisierung statt einer Homogenisierung auf, etwa bei der 2. Sg. Präs. ‚willst‘, die nach SDS im ganzen Gebiet einst witt lautete, für die heute aber eine große Bandbreite von Formen verwendet wird, die von wettsch über wätsch, wettisch, wotsch, wötsch, willsch bis zur originellen, offenbar analogisch geneuerten Form witsch reicht (vgl. S. 205).

Problematisch erscheint, dass der Autor die Distanzmessungen in Teil E anhand eines Korpus vornimmt, das zum Teil speziell im Hinblick auf vermutete Änderungen hin zusammengestellt worden ist (S. 64–67). Der Autor hat nämlich bei der Zusammenstellung des Fragebogens u. a. gezielt solche Merkmale gewählt, bei denen er aufgrund seiner persönlichen Erfahrung mit einer Abweichung gegenüber dem Stand des SDS rechnen konnte, also „ein Sprachwandel zu erwarten“ war (S. 66). Damit liegt der Verdacht auf der Hand, dass im Korpus überproportional viele Sprachwandelphänomene enthalten waren und folglich die gemessenen Distanzen überzeichnet wurden. Die Versuchsanlage erlaubt letztlich nur Schlüsse darüber, wie sich bestimmte Teilbereiche dieser Dialekte – und zwar eben die vermutlich dynamischeren – verändert haben; Schlüsse darauf, wie stark sich der jeweilige Ortsdialekt als Ganzes seit dem SDS verändert hat, lässt sie hingegen nicht zu (das Problem betrifft die Lexik und Grammatik natürlich stärker als die Phonetik, da bei letzterer schon mit wenigen Fragen mehr oder weniger flächendeckend abgefragt werden kann). Zwar ist sich der Autor des Problems bewusst (vgl. S. 333), doch wird diese gewichtige Einschränkung in den Schlussfolgerungen zu wenig beachtet (vgl. S. 397: „[Es] fällt auf, dass sich alle Dialekte relativ stark verändert haben“).

Bei der Lektüre einer so reichhaltigen, sich über 400 Seiten erstreckenden Studie stößt man fast zwangsläufig auch gelegentlich auf Aussagen, die man bezweifeln mag oder mit denen man nicht einverstanden ist. So ist beispielsweise die Form 2. Sg. Ind. würsch ‚wirst‘ m. E. nicht durch Umlaut zu erklären (so der Autor auf S. 207f.), sondern durch Rundung aus wirsch – also parallel zum auf S. 344 für Maienfeld genannten är trüft ‚er trifft‘. Umgekehrt ist das auf S. 344 genannte unterdrügge ‚unterdrücken‘ kein Resultat der Rundung, sondern des i-Umlauts (< wgerm. *-þrukkjan-). Die vom Autor wahrscheinlich gemeinte Veränderung von u > ü wäre phonetisch als Palatalisierung zu beschreiben. Die auf der gleichen Seite genannte „Rundung [...] von u“ ergibt außerdem keinen Sinn, da u bereits ein gerundeter Vokal ist. Wieso das Verb ksee ‚sehen‘ auf S. 195 als schwach bezeichnet wird (es soll sich von einem starken zu einem schwachen Verb verändert haben), erschließt sich mir nicht, da vom kennzeichnenden Merkmal der schwachen Verben – dem Dentalpräteritum – bei diesem Verb sowohl im älteren als auch im geneuerten Paradigma keine Spur zu finden ist. Ob das Präfix er- in ernüssa ‚niesen‘ (S. 227) jemals inchoative Bedeutung hatte und damit ein entsprechender semantischer Wandel von inchoativ zu nicht-inchoativ festgestellt werden darf, ist in Anbetracht der punktuellen Natur des Niesens doch sehr fraglich. Hier zeigt sich m. E. vielmehr noch eine Spur der ursprünglichen Bedeutung des Präfixes er- < *uz-, wörtlich ‚hinaus‘, wie noch in erbrechen, ergiessen usw. (vgl. Henzen 1965: 105). Die Aussage, die Differenzierung von züüha ‚ziehen‘ und kontrahiertem zia lasse sich „sprachgeschichtlich [...] nicht begründen“ (S. 324f.), scheint zumindest unklar, da das Nebeneinander funktional nicht geschiedener Varianten nichts Ungewöhnliches darstellt. Der in einem Trimmiser Dialekttext (S. 358) vorkommende Cujoun ist nicht wie vom Autor vermutet ein Familienname, sondern das Schimpfwort Kujón, Gujong usw. m. ‚boshafter Mann, Plager‘, ein Lehnwort aus dem Französischen (Id. III, S. 191).

Während das Studiendesign in konzeptueller Hinsicht gut gelungen scheint und auch inhaltlich – von den wenigen gerade genannten Punkten einmal abgesehen – wenig zu bemängeln ist, gibt die Publikation, wie sie jetzt in Buchform vorliegt, in einigen Punkten Anlass zu Kritik. Zunächst einmal scheint der Aufbau nicht optimal geglückt. Einen Überblick über ältere Beschreibungen der Ortsdialekte (Teil G) hätte man aus Gründen der Chronologie vor den Hauptteilen zur aktuellen Sprachsituation – und nicht danach – erwartet. Auch die Rezeption der Forschungsliteratur zur Koineisierung usw. (Teil I) wäre mit Vorteil noch vor die eigentlichen Studienresultate platziert worden. So wird der im gesamten Buch zentrale und oft verwendete Begriff der Koine reichlich spät, nämlich erst auf S. 382 (von 424) genauer besprochen und definitorisch gefasst.

Die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur bleibt öfters etwas oberflächlich und hätte (samt teilweise überlangen Literaturzitaten, z. B. S. 55f., 152, 357f.) problemlos gekürzt werden können. Die Übernahme von englischer Terminologie aus der Literatur (bes. S. 386f.) scheint unnötig, zumal gleichwertige deutsche Fachausdrücke zur Verfügung stünden (z. B. Dialektmischung für Mixing). Etwas kurios ist der als Accomodation aufgenommene Fachausdruck, der weder der englischen (wo es korrekt accommodation heissen müsste) noch der deutschen Orthografie (korrekt: Akkommodation) entspricht.

Schwerer ins Gewicht fällt, dass im Teil D die Zahlen in den Grafiken und im Text nicht immer übereinstimmen, z. B. S. 109: 39 Vorkommen von [aɪ] und 108 von [eɪ] in der Grafik, aber 31 und 95 gemäß Tabelle; S. 119: sieben Vorkommen von [ɛ] in der Grafik, drei im Text; S. 121: alle Zahlen weichen ab, S. 129: Gesamtzahl von 146 Belegen in der Grafik, aber 153 in der Tabelle. Da die Zahlen bei anderen Grafiken übereinstimmen (z. B. S. 133, 142), muss man wohl davon ausgehen, dass es sich bei den erwähnten Fällen um Versehen handelt. Immerhin sind die Abweichungen eher gering, so dass sich am Gesamtbild dadurch wenig ändern dürfte.

Was das Handwerk des wissenschaftlichen Schreibens angeht, erreicht das Buch nicht immer höchstes Niveau. An Mängeln zu nennen sind etwa fehlende Bildnachweise auf S. 46 und 391, die fehlende bzw. ungenaue Angabe von Seitenzahlen bei Literaturverweisen (S. 56f., 387), Inkonsistenzen bei Literaturangaben im Lauftext und in der Bibliografie (S. 326 [Jahreszahl abweichend], S. 56 [Hotzenköcherle 1962 in der Bibliografie differenziert nach 1962a und 1962b, aber nicht im Lauftext]), fehlende bibliografische Angaben bei der nur als URL nachgewiesenen Publikation von Karvounis auf S. 383 (eine kurze Recherche zeigt, dass es sich um einen 2002 erschienenen Artikel im Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens hrsg. von M. Okuka handelt), fehlende Seitenzahl beim Sammelband-Beitrag von Christen 1997, in einem Fall auch das Fehlen einer zitierten Publikation in der Bibliografie (Kerswill 2006, zitiert auf S. 387). Die Abkürzungen urd., Uml., anl. und andere, die auf S. 348 f. vorkommen, sucht man in der Abkürzungsliste auf S. 414 f. vergeblich. Die häufigen Verweise auf Internetressourcen in Fußnoten – darunter auch auf Wikipedia, S. 41, 51 – scheinen mir eher unglücklich, jedenfalls bei einer so langen und komplizierten URL wie derjenigen auf S. 71. Nicht hilfreich ist ferner, dass in den URLs zum Teil Formatierungsfehler enthalten sind (z. B. S. 44). In Literaturzitaten ersetzt der Autor phonetische Sonderzeichen kurzerhand durch eigene Notationen (S. 335, 348f.), was mitunter zu stoßenden Schreibweisen wie Blœœtarli (S. 346) führt – im genannten Beispiel werden die Symbole der IPA-Schrift mit der Dieth-Konvention, für Länge das Vokalzeichen zu verdoppeln, vermischt. An einer Stelle räumt der Autor sogar freimütig ein, in den Zitaten die „zum Teil etwas verwirrende[n] Titel [...] angepasst“ zu haben (S. 345). Der Autor legt über diese Eingriffe zwar Rechenschaft ab (z. B. S. 345), aber streng wissenschaftlicher Arbeitsweise entspricht das Vorgehen nicht. Ein gewichtiger Mangel ist das völlige Fehlen eines Sach- und Wortindexes, wovon zumindest letzterer heutzutage in sprachwissenschaftlichen Publikationen eigentlich standardmäßig dazugehört.

Bedauerlich ist ferner die relativ hohe Zahl an formalen und sprachlichen Nachlässigkeiten. So begegnen immer wieder zwar im Einzelnen unwichtige, aber in der Menge doch störende Versehen wie Tippfehler, formale und typografische Unsorgfältigkeiten und auch Grammatikfehler. Beispiele sind falsche Abstände/Interpunktion (S. 28, 94, 119, 401), fehlerhafte Syntax (S. 91), falsches Genus bei Partikel (S. 123) und Korpus (S. 155), falsche Zeilenumbrüche (S. 41, 184), uneinheitliche Kursivierung (S. 84), unmotiviert wechselnde Schriftarten (S. 222, 255, 398), geschweifte statt eckige Klammer (S. 349), inkonsistente Setzung von Kapitälchen bei Autornamen (S. 384), „Teil F“ (S. 19), „in mittelhochdeutscher Zeit“ (S. 110), „ergeben sich“ (S. 161), „grammatikalisiert“ (S. 172), „festgehaltene Situation“ (S. 196), „markierten Stellen“ (S. 358), „zu der Koiné“ (S. 302), „Eeni“ (S. 243), „Hoora“ (S. 391), „ist die Frage“ (S. 391) usw.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sich beim vorliegenden Buch um eine substanzreiche Studie handelt, die detailliert über die teils drastischen Veränderungen Auskunft gibt, welche die Dialektlandschaft des Churer Rheintals in den vergangenen Jahrzehnten erfahren hat. Wenn sich auch die Ergebnisse über weite Strecken im Rahmen des Erwartbaren bewegen, ist doch immer wieder auch Neues und Überraschendes dabei. In methodischer Hinsicht bleiben einige Fragen offen, insbesondere bezüglich der Vergleichbarkeit der Daten (da unterschiedliche Kriterien für die Auswahl der Gewährspersonen angewendet wurden) und der erwähnten möglichen Überzeichnung der Resultate aufgrund der gezielten Auswahl der Fragen im Hinblick auf erwartete Veränderungen. Man hätte dem Buch außerdem eine sorgfältigere Niederschrift und ein gründlicheres Korrektorat gewünscht. Trotz der genannten Kritikpunkte handelt es sich um eine verdienstvolle Studie, mit der es gelungen ist, die Dynamik des Dialekts im Churer Rheintal in der zweiten Hälfte des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts anschaulich zu dokumentieren. Nacherhebungen und diachrone Vergleiche in der Art, wie sie hier für das Churerrheintalische vorgenommen wurden, wären auch für andere Teilgebiete des SDS wünschenswert.

Literatur

Henzen, Walter. 1965. Deutsche Wortbildung. 3. Auflage. Tübingen: Max Niemeyer.Search in Google Scholar

Id. = Schweizerisches Idiotikon: Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. 1881 ff. Hrsg. von Friedrich Staub, Albert Bachmann et al. Bisher 16 Bände. Frauenfeld: Huber, später: Basel: Schwabe.Search in Google Scholar

SDS = Sprachatlas der deutschen Schweiz. 1962–1997. Begründet von Heinrich Baumgartner und Rudolf Hotzenköcherle. In Zusammenarbeit mit Konrad Lobeck, Robert Schläpfer, Rudolf Trüb und unter Mitwirkung von Paul Zinsli, hrsg. von Rudolf Hotzenköcherle. Bände 1–8. Bern: A. Francke.Search in Google Scholar

Published Online: 2018-02-19
Published in Print: 2018-11-27

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

Downloaded on 11.12.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2018-0009/html
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