Reviewed Publication:
Mark L. Louden. 2016. Pennsylvania Dutch. The Story of an American Language (Young Center Books in Anabaptist & Pietist Studies). Baltimore: John Hopkins University Press. xxii, 473 S.
Einleitung
Mit dem hier besprochenen Band liegt eine Monographie zu Pennsylvania Dutch (Pennsylvania German, Pennsylvania-Deutsch; im Weiteren auch PD) vor, die sowohl die Entstehungsbedingungen und -verläufe und den soziohistorischen, soziopolitischen und religionsbezogenen Kontext seiner Entwicklung als auch seine sprachlichen und literarischen Formen, seine historische und heutige gesellschaftliche Stellung und Verwendung umfassend und gründlich darstellt. Louden wendet sich dabei nicht nur an ein linguistisches Fachpublikum, sondern auch an LeserInnen ohne eine speziell linguistische Vorbildung. Dementsprechend werden für die Darstellung relevante linguistische Konzepte eingeführt und erklärt. Ein umfassendes Stichwortverzeichnis macht die Monographie gut erschließbar, und die umfangreiche Bibliographie ermöglicht es, sich weitergehend zu allen angesprochenen Themen zu informieren. Die Endnoten werden strategisch gut eingesetzt, da sie nicht nur fachwissenschaftliche ‚Unterfütterung‘ bieten, sondern auch dazu genutzt werden, alle zitierten Quellentexte sowohl auf Englisch als auch in der (pennsylvania-)deutschen Originalfassung zur Verfügung zu stellen.
Inhalt und Aufbau
Das Vorwort führt auf anekdotische Weise an das Thema heran. In kurzen, fiktiven Darstellungen werden die wesentlichen SprecherInnengruppen des PD vorgestellt und typische Verwendungskontexte der Sprache eingeführt: Ein fiktives älteres Paar in Südostpennsylvania besucht eine Dialektveranstaltung, und ein ebenso fiktives jüngeres Paar in Oklahoma erledigt familiäre Alltagspflichten. Beide Paare sind, trotz sehr unterschiedlicher Lebenskontexte, typische SprecherInnen des Pennsylvania-Deutsch. Ausgehend von diesen Beispielen werden schon hier zentrale Themen der Monographie angerissen: die verschiedenen SprecherInnengruppen (lutherische und reformierte church people[1] bzw. christlich-konservative Amische und Mennoniten), die unterschiedlichen Verwendungsbedingungen (historisch-biografisch bzw. aktuell-produktiv) ebenso wie die unterschiedlichen geographischen Verortungen und gesellschaftlichen Kontexte. Das Buch bietet einen Zugang zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Pennsylvania Dutch, der wenig (sprach-)wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzt. Dass diese Auseinandersetzung dennoch auf hohem und außerordentlich fundiertem Niveau stattfindet, wird schon im ersten Kapitel deutlich. Bei sehr guter Lesbarkeit ist Loudens Darstellung durchgängig genau und sorgfältig und wird überzeugend gestützt durch Quellenmaterial, das detailliert interpretiert und sowohl zeitlich als auch sprachlich gut nachvollziehbar verortet wird.
Kapitel 1 beschreibt, was Pennsylvania Dutch ist. Der Verfasser diskutiert zunächst die verschiedenen Bezeichnungen der Sprache (Pennsylvania German/Pennsylvania Dutch) und begründet die im Weiteren bevorzugte Verwendung von Pennsylvania Dutch als die soziohistorisch wie soziolinguistisch angemessene Wahl. Louden argumentiert schlüssig für eine Einordnung des Pennsylvania Dutch als Sprache, nicht als Dialekt (des Deutschen), da es durch die räumliche und gesellschaftliche Trennung vom europäisch-deutschsprachigen Gebiet und den Kontakt mit dem Englischen eine Eigenentwicklung durchlaufen hat, die aus systemlinguistischer wie aus soziolinguistischer Sicht die Selbständigkeit der Sprache begründbar macht. Anschließend bietet das Kapitel eine linguistische Beschreibung und Einordnung des PD; dabei werden auch ältere und neuere Formen von Pennsylvania Dutch einander gegenübergestellt und mit Standarddeutsch und Pfälzisch kontrastiert. Es wird auf einige Erscheinungen eingegangen, die auf den Sprachkontakt mit dem Englischen zurückgehen, und gängige Meinungen über Pennsylvania Dutch (z. B. den englischen Lehnwortanteil) werden zitiert und kritisch überprüft.
In den folgenden Kapiteln wird in einem chronologischen Durchgang die Entstehung des PD als einer eigenen Varietät nachvollzogen. Kapitel 2 bis 4 beschreiben die Entwicklung des PD als Sprache der lutherischen und reformierten church people und ihrer Nachkommen, derjenigen Gruppe, die im Zeitraum der deutschsprachigen Immigration des 18. Jahrhunderts die Mehrheit der SprecherInnen ausmachte. Eingebettet in die Darstellung relevanter historischer Ereignisse wird die Emergenz des PD seit seiner frühesten Dokumentation im späten 18. Jahrhundert und seine spätere sprachliche Ausdifferenzierung in drei Varianten, die sich auf dem Kontinuum zwischen PD und (Standard-)Hochdeutsch anordnen lassen, dargestellt (Kapitel 3). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die Entwicklung einer vielfältigen Literatur auf PD, die in Kapitel 4 an den Beispielen von herausragenden Protagonisten dieser Epoche vorgestellt und diskutiert wird.
In jedem dieser drei Kapitel wird parallel zur sprachbezogenen Darstellung wiederholt thematisiert, welche Spracheinstellungen gegenüber dem PD vorherrschten und wie sie mit sprach(en)politischen Maßnahmen zusammenspielten; auch die Rolle des PD im Rahmen des Schulunterrichts wird diskutiert. Außerhalb der Sprechergemeinschaft (sowohl von englisch- als auch von hochdeutschsprachiger Seite) waren vorrangig negative Stereotype mit der Sprache verknüpft. Sie umfassten Vorbehalte gegenüber vermeintlich nicht integrationswilligen, unpatriotischen Einwanderern ebenso wie die Annahme, dass die Verwendung von PD Zeichen mangelnder Bildung oder Intelligenz sei. Insbesondere in Bezug auf den ersten Punkt zeigt Louden überzeugend, dass es ein wesentliches Element der pennsylvaniadeutschen Gruppenidentität war, sich gerade nicht als europäisch-deutsch, sondern als dezidiert (US-)amerikanisch zu verstehen und zu positionieren (S. 86). Innerhalb der SprecherInnengemeinschaft besaß PD einen identitätsstiftenden Wert, und mit zunehmender materieller Sicherheit der SprecherInnen stieg auch das Selbstbewusstsein in Bezug auf die Verwendung der Sprache (vgl. z. B. S. 118, S. 177).
Kapitel 5 thematisiert die im 20. Jahrhundert einsetzende exogene Kommodifizierung des PD, in deren Rahmen häufig nicht zwischen PD und „Dutchified English“, einer lokalen Variante des nordamerikanischen Englisch mit Interferenzphänomenen aus dem PD, unterschieden wurde. Louden verwendet in diesem Zusammenhang den von Dorson (1977) eingeführten Ausdruck fakelore (S. 424, Fn. 54), um die inkorrekte Darstellung der Sprache und Kultur der Pennsylvania-Deutschen zu beschreiben, die nachhaltig die öffentliche Wahrnehmung geprägt hat.
Das sechste Kapitel nimmt die heutigen SprecherInnengemeinschaften in den Blick, genauer: Amische und Mennoniten. Sie machten zwar historisch gesehen nur einen sehr kleinen Teil der deutschsprachigen Einwandernden aus, stellen mittlerweile jedoch im Wesentlichen die pennsylvania-deutsche Sprechergemeinschaft dar. Die Nachkommen der lutherischen und reformierten Eingewanderten haben PD heute weitgehend durch Englisch ersetzt, ein Prozess, der bereits im 19. Jahrhundert begann (S. 180) und sich im 20. Jahrhundert verstärkt fortsetzte. Während sich eine vergleichbare Tendenz für die progressiveren Gruppen der Amischen und Mennoniten nachweisen lässt, ist bei deren konservativsten Gemeinschaften, den Old Order Amish und Old Order Mennonnites, die Verwendung von PD fester Bestandteil ihres religiösen Selbstverständnisses, das eine explizite Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft beinhaltet. Louden zeichnet in diesem Kapitel die divergente Entwicklung der verschiedenen SprecherInnengruppen (einschließlich unterschiedlicher Gruppen von Amischen und Mennoniten) nach, geht auf soziolinguistisch und funktional unterschiedliche Varianten des PD ein und zeigt, worin diese Unterschiede in linguistischer Hinsicht bestehen.
Das abschließende Kapitel 7 zieht ein Fazit. Der Verfasser führt hier das Konzept der „portable language“ (S. 365, in Anlehnung an Keisers (2006) Konzept der portable community) ein, das plausibel macht, warum PD als Minderheitensprache in einer dominant-englischen Gesellschaft nicht nur überlebt hat, sondern sogar von einer steigenden Zahl von SprecherInnen verwendet wird. Wie auch bei den hutterischen und den charedisch-jüdischen Gemeinschaften hat sich die Sprache im Laufe ihrer Verwendungsgeschichte von ihrer ethnischen und geographischen Fixierung gelöst und ist dadurch „portable“ geworden: als ein essentielles Element im Selbstverständnis der jeweiligen religiös definierten SprecherInnengruppe und vorrangig oder sogar ausschließlich mit ihr assoziiert.
Bewertung
Louden eröffnet mit diesem Werk einem akademischen wie auch einem nichtakademischen Publikum den Zugang zur sprachlichen und soziohistorischen Entwicklung des Pennsylvania Dutch von seinen europäischen Ursprüngen über die ersten Dokumentationsspuren bis hin zur heutigen Verbreitung und Verwendung.
Insgesamt ist das Buch sorgfältig redigiert; nur vereinzelt sind Druckfehler oder ein fehlendes oder überzähliges Wort festzustellen, die aber in den allermeisten Fällen das Verständnis nicht beeinträchtigen. Gelegentlich sind Übersetzungen nicht vollständig nachvollziehbar, z. B. auf S. 20f., wo das wie (‚wie, als‘) des älteren PD-Textes in der neueren Version mit wu (‚wo‘) wiedergegeben wird. Auf S. 143 erscheint einmal „Dutchified English“, wo es offenbar „Dutchified German“ heißen sollte (wie in der unmittelbar vorangehenden Überschrift), was zu Verwirrung führen kann. Das sind jedoch vernachlässigbare Details bei einem Werk, das sowohl von der Seitenzahl als auch von der Breite und Tiefe des Inhalts einen beeindruckenden Umfang bietet. Zu Loudens Darstellung und Vergleich der in Kapitel 3 vorgestellten Varianten PD, PD-beeinflusstes Hochdeutsch und Pennsylvania-Hochdeutsch ist zu ergänzen, dass auch informelle Schriftdaten wenig gebildeter Verfasserinnen und Verfasser aus Deutschland im gleichen Zeitraum (19. Jahrhundert) einen deutlichen Dialekteinfluss in der Schriftsprache erkennen lassen (vgl. Elspaß 2005). Es hätte den Rahmen des Buches gesprengt, auf diese Parallele im Detail einzugehen, doch ein genauerer Vergleich mit diesem Datentypus wäre sicher interessant, auch um die von Louden umrissenen Varianten noch besser sprachsoziologisch verorten zu können.
Die Printpublikation wird ergänzt durch eine Internetressource, die weiteres Datenmaterial unterschiedlicher Art zur Verfügung stellt. Die Seite www.padutch.net, „[a] website dedicated to the documentation of the Pennsylvania Dutch language“ (ebd.), ergänzt die Materialien im Buch u. a. durch Direktzugänge zu frühen Publikationen, die Form und Verwendung von Pennsylvania Dutch dokumentieren (z. B. Rauchs Pennsylvania Dutch Hand-Book von 1879 oder Hornes Pennsylvania German Manual von 1896, s. unter Resources auf der genannten Webseite). Auch Tonaufnahmen – sowohl von Pennsylvania Dutch als auch von „Dutchified English“ – sowie Links zu weiteren einschlägigen Seiten werden bereitgestellt. Unter Grammar findet sich allerdings (bislang) nur eine tabellarische Übersicht, in der die Vokallautungen des PD (mit Audiobeispielen) im Vergleich zu den Entsprechungen des Standarddeutschen illustriert werden.
Verknüpft mit der historisch-linguistischen Perspektive zeichnet Louden die politischen und historischen Ereignisse und Entwicklungen nach, die untrennbar damit verbunden sind, wie sich PD entwickelt hat und welche Formen, Funktionen und Positionen es heute in den verschiedenen SprecherInnengruppen, im Kontinuum der westgermanischen Sprachen und als eine stabile und aktiv genutzte Minderheitensprache innehat. Bisher gibt es keine andere Publikation, die das in einem auch nur annähernd vergleichbaren Umfang leistet.
Das Buch zeigt, wie sich eine neue Sprache als Folge von Migration unter bestimmten soziohistorischen Bedingungen entwickelt hat, bietet damit verknüpft einen Überblick über die US-amerikanische Geschichte mit Einblicken in die Sprach(en)politik und Spracheinstellungen der nordamerikanischen Kolonialzeit und der Zeit der (frühen) Unabhängigkeit bis heute und informiert über christlich-religiöse Positionen und Entwicklungen, die mit der Verwendung und Bewertung des Pennsylvania Dutch verwoben waren und sind. Was einem in der Summe entgegentritt, ist das Porträt einer Minderheitensprache, deren heutige robuste Verwendung einerseits durch die Zuweisung eines religiös motivierten Symbolgehaltes und andererseits durch die Loslösung von ethnischer und geographischer Affiliation gesichert wird.
Der Verfasser legt mit diesem Band ein grundlegendes Werk vor, das in der Gründlichkeit seiner Recherche, dem Umfang der berücksichtigten Materialien und der Sorgfalt in der Interpretation und Integration der sprachlichen und historischen Daten neue Maßstäbe setzt.
Literatur
Dorson, Richard. 1977. American Folklore. Chicago: University of Chicago Press.Search in Google Scholar
Elspaß, Stephan. 2005. Sprachgeschichte von unten. Untersuchungen zum geschriebenen Alltagsdeutsch im 19. Jahrhundert (Germanistische Linguistik 263). Tübingen: Max Niemeyer.10.1515/9783110910568Search in Google Scholar
Horne, Abraham Reeser. 1896. Pennsylvania German Manual. 2. Auflage. Allentown, PA: National Educator Print.Search in Google Scholar
Keiser, Steven Hartman. 2006. Portable Community: The Linguistic and Psychological Reality of Midwestern Pennsylvania German. In: Thomas Murray & Beth Simon (Hg.). Language Variation and Change in the American Midland. A New Look at „Heartland” English. Amsterdam: John Benjamins, 263–274.10.1075/veaw.g36.20harSearch in Google Scholar
Rauch, Edward Henry. 1879. Rauch’s Pennsylvania Dutch Hand-Book: A Book for Instruction. Mauch Chunk, PA: E. H. Rauch.Search in Google Scholar
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