Reviewed Publication:
Anna Cichosz, Jerzy Gaszewski & Piotr Pęzik. 2016. Element Order in Old English and Old High German Translations (NOWELE Supplement Series). Amsterdam: John Benjamins. xvii, 424 S.
Zum Thema Wortstellung in den altgermanischen Sprachen hat es in den letzten Jahren an Publikationen nicht gefehlt. So sind sowohl in Berlin im Rahmen des SFB 632 „Informationsstruktur“ als auch in Oslo im Rahmen des PROIEL- und ISWOC-Projekts zahlreiche Arbeiten zum Althochdeutschen und Altenglischen entstanden. Und während die ältere Forschung (gewisse) Übersetzungstexte eher kritisch betrachtet hat, haben diese in der Zwischenzeit deutlich an Beliebtheit gewonnen, da sie mit der richtigen Methodik durchaus Erkenntnisse über autochthone Sprache liefern können. Bisher haben jedoch Vergleiche von verschiedenen germanischen Sprachzweigen weitgehend gefehlt. Hier möchte das zu rezensierende Buch Element Order in Old English and Old High German Translations von Anna Cichosz, Jerzy Gaszewski und Piotr Pęzik ansetzen und einen Beitrag leisten.
Die Monographie ist im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Einfluss des Lateins auf die Wortstellung spezifischer althochdeutscher und altenglischer Texte an der Universität Łódź entstanden. Ziel des Projekts ist der Vergleich zwischen Wortstellungstypen des Althochdeutschen und Altenglischen anhand von Übersetzungstexten. Die Methode wird als „data-driven descriptive comparison“ (S. 4) beschrieben. Anstatt die Ergebnisse in einem bestehenden Framework zu analysieren, geht es den AutorInnen vielmehr darum, einen „common ground“ (S. 17) zu schaffen, auf dessen Basis in Zukunft weitere Studien entstehen können. Als Schwäche bisheriger Studien sehen sie die Nicht-Konstanthaltung von Textsorten oder den direkten Vergleich von autochthonen und nicht-autochthonen Texten. Die bisher einzige Arbeit, die systematische Vergleiche zwischen der altenglischen und althochdeutschen Syntax macht (Davis & Bernhardt 2002), leide unter genau diesem Problem (S. 14).
Aus der Tatsache, dass es im Althochdeutschen, im Unterschied zum Altenglischen, kaum geeignete, längere metrisch ungebundene autochthone Texte gibt, leiten die AutorInnen eine radikale Schlussfolgerung ab: Sie ziehen für beide Sprachen ausschließlich Übersetzungstexte heran. Dazu bauen sie ein Parallelkorpus auf, in dem Sätze aus der (vermeintlichen) Vorlage mit Sätzen aus der Zielsprache miteinander aligniert werden. Die Sätze werden in Phrasen unterteilt, die auf bestimmte Kategorien hin annotiert werden. Dieses annotierte Korpus ist auf der begleitenden Webseite in Form eines Datenbankdumps und mehrerer Excel-Tabellen frei verfügbar. Somit sind die dem Buch zugrundeliegenden Daten nachvollziehbar und überprüfbar
Anlage der Arbeit
Das Buch umfasst 424 Seiten und besteht aus insgesamt neun Kapiteln. Die ersten zwei Kapitel führen in die Methodik ein, die nächsten fünf bilden den Hauptteil, in dem es um bestimmte Wortstellungsphänomene (V1 vs. V2 in Hauptsätzen, Verb-Letzt in Nebensätzen) geht, und die letzten zwei werfen einen übergeordneten Blick auf das Material und die Ergebnisse. In der Einleitung werden der Untersuchungsgegenstand und das Korpus festgelegt. Untersucht wird „element order“ – verstanden als die Anordnung von Phrasen innerhalb eines Satzes – in drei altenglischen (ae.) und drei althochdeutschen (ahd.) Texten: Ae.: Heptateuch, Bede, West Saxon Gospels, Ahd.: Isidor, Tatian und Physiologus. Bei den drei ae. Texten und beim ahd. Tatian werden jeweils längere Ausschnitte analysiert, Isidor und Physiologus wurden hingegen, da es sich um kürzere Texte handelt, komplett aufgenommen. So entstand ein Korpus von ca. 12.000 lateinischen/altenglischen und ca. 9.000 lateinischen/althochdeutschen Elementarsätzen (clauses). Im Vergleich zu anderen germanischen Sprachen bietet sich der Vergleich zwischen Altenglisch und Althochdeutsch gerade deswegen an, weil die Sprachstufen nahezu parallel verlaufen. Im Unterschied zur modernen althochdeutschen Syntaxforschung wurde der Rolle der Vorlage in der Diskussion des Altenglischen bisher vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt. Auch in dieser Hinsicht betritt die vorliegende Arbeit also Neuland.
Für jedes zu untersuchende Phänomen wird ein eigenes Klassifikationsschema entwickelt, das in den jeweiligen Kapiteln gut dokumentiert und begründet ist. Die Rolle des Lateins wird phänomenspezifisch bewertet: So wird in den Kapiteln zur Verbstellung in Nebensätzen und Konjunktsätzen z. B. ein gesetztes Subjektspronomen als „minor change“ gegenüber dem Latein bewertet, in den Kapiteln zu V1/V2 und Subjekt-Verb-Inversion hingegen als „major change“ (vgl. S. 42). Am Ende werden statistische Modelle („decision trees“, Regressionsanalyse, Chi-Quadrat-Test) angewendet.
Ergebnisse
Die Studie zeigt, dass beide Sprachen die V2-Regel relativ systematisch in „non-conjunct declarative clauses“ anwenden, dass es aber noch viele (textspezifische) Ausnahmen gibt (vgl. S. 119–120).[1] Dazu ist im Ahd. eine diachrone Entwicklung zu erkennen: Im Physiologus wird die V2-Regel in allen untersuchten Aussagesätzen angewendet; im Altenglischen gibt es noch am Ende der Sprachstufe zahlreiche Ausnahmen. Gleichzeitig werden in beiden Sprachen die V1-Deklarativsätze abgebaut, was sich im ahd. Physiologus besonders gut zeigt, der keine solche Sätze mehr kennt. Gleichzeitig scheint die Rolle des Lateins hier nicht unerheblich zu sein. Besonders Tatian weist viele V1-Sätze in Übereinstimmung mit der Vorlage auf, aber dies gilt auch für das Altenglische, was die bisherige Forschung kaum berücksichtigt hat. Gleichzeitig gibt es aber auch durchaus V1-Differenzbelege, die auf eine native Möglichkeit hindeuten könnten. Die Vorlage übt also einen begünstigenden Einfluss aus. Letztlich könnte auch die Verbsemantik wichtig sein, wobei es hier Unterschiede zwischen Altenglisch (Verben des Sagens, der Existenz) und Althochdeutsch (Verben der Existenz, Bewegungsverben) gibt. Wichtig erscheint mir besonders die Feststellung, dass die Analyse von V1-Sätzen als Mittel zur Einführung neuer Topics, die in der Forschung der letzten Jahre durchaus populär war (s. Hinterhölzl & Petrova 2005), nicht in allen Untersuchungstexten nachgewiesen werden kann (vgl. S. 151).
Für subordinierte Sätze wird angenommen, dass die Basisabfolge im Indogermanischen und Germanischen die Verbendstellung war. Die AutorInnen stellen insgesamt eine (zu erwartende) Assoziation zwischen Verb-Letzt und subordinierten Sätzen in beiden Sprachen fest, allerdings ist die absolute Endstellung aufgrund von Extraposition oft nicht zu beobachten, sondern vielmehr das Muster „V-prefinal“. Hierin zeigt sich das Behaghel’sche „Gesetz der wachsenden Glieder“. Gleichzeitig gibt es auch Fälle von „verb early“, wobei hier zu bemerken ist, dass die AutorInnen auch Phänomene wie „verb projection raising“ entgegen der Meinung sicherlich vieler LinguistInnen als „verb early“ in die Statistik einfließen lassen. Es gelte, so die AutorInnen, die „surface order“ (S. 163).
Ein eigenes Kapitel widmen sie den in den anderen Kapiteln ausgeklammerten „conjunct clauses“. Eine ältere Annahme für das Altenglische ist, dass diese tendenziell Verbendstellung aufweisen, wogegen jedoch u. a. Bech (2001) argumentiert. Die vorliegende Studie stärkt die Position Bechs in gewisser Weise, da in zwei von drei Texten die „conjunct clauses“ überwiegend V2 aufweisen. Der letzte Text, Bede, weist am häufigsten Verbendstellung auf, aber hier könnte direkter bzw. indirekter lateinischer Einfluss eine Rolle spielen. Für das Altenglische scheint es darüber hinaus eine Korrelation zwischen Subjektreferenz und Vorhandensein einer Lokativphrase mit V2 zu geben. Im Ahd. ist die Situation einfacher: In entsprechenden Sätzen kommt vorwiegend V2, seltener V1, vor (vgl. S. 277–278). Im letzten Phänomenkapitel zur Objektwortstellung zeigt sich eine klare Präferenz für die Reihenfolge Objekt-Verb (OV) in Nebensätzen und Verb-Objekt (VO) in Hauptsätzen, was den Erwartungen entspricht. Im Ae. kommt OV jedoch auch in Hauptsätzen vor, was im Ahd. nur sehr selten passiert. Diese Fälle von OV in altenglischen Hauptsätzen werden mit der Vorlage in Verbindung gebracht (vgl. S. 340–341). Auch hier liefert die Arbeit zweifellos wichtige Impulse für die altenglische Syntaxforschung.
Im vorletzten Kapitel werden Übersetzungsstrategien in den Texten herausgearbeitet. Zunächst wird in einem groben Verfahren anhand der Anzahl der Sätze, die eine 1:1-Entsprechung der darin enthaltenen Phrasen aufweisen, die Nähe zur Vorlage berechnet. Hierbei ergibt sich besonders – und nicht überraschend – für Tatian eine beträchtliche Nähe zur Vorlage (40 %), während die anderen Texte Übereinstimmungen von 5 % bis 17,1 % aufweisen (vgl. S. 351). Dann werden für unterschiedliche Satztypen Übersetzungsprofile ermittelt. So wird V1 in der Vorlage in der Übersetzung mehrheitlich zu V2, am konsequentesten im Physiologus (Tatian ist am konservativsten). V1-Kopien sind interessanterweise im Althochdeutschen am häufigsten zu beobachten. In Nebensätzen wird Verbendstellung in der Vorlage konsequent beibehalten, in Hauptsätzen bis auf einen ae. Text abgebaut. Nicht-finite Sätze werden im Tatian eher beibehalten, im Physiologus eher in finite umgewandelt. Zuletzt wird über ein interessantes wortstatistisches Verfahren eine „phraseologische Äquivalenz“ ermittelt, um den Einfluss von formelhaften Verwendungen auf die Ergebnisse zu messen. Die Schlussfolgerung ist jedoch, dass dieser Einfluss wesentlich geringer ist als erwartet (vgl. S. 378).
Diskussion
Die Studie bestätigt im Wesentlichen das Bild der bisherigen Forschung, sie tut dies allerdings mit Zahlen und nicht bloß mit Einzelbeispielen. Diese quantitative Ausrichtung ist aus meiner Sicht lobenswert und stellt ein Vorbild für weitere Arbeiten dar. Die Diskussion der Problemfälle ist umsichtig; zudem wird zur Veranschaulichung eine Fülle von Beispielen angeführt, die Einsicht in die Analyse geben. Des Weiteren ist die methodische Stringenz der Arbeit zu loben. Es werden nur Übersetzungstexte herangezogen, aus dem Wissen heraus, dass die ahd. Überlieferung zum wesentlichen Teil aus Übersetzungen besteht. Auch die Transparenz der Forschungsergebnisse muss an dieser Stelle hervorgehoben werden. Die Annotationen stehen im Netz frei zur Verfügung; es sei an dieser Stelle jedoch angemerkt, dass rudimentäre SQL-Kenntnisse erforderlich sind, um die Daten einlesen und verarbeiten zu können. Die Entscheidung für „decision trees“ scheint mir ebenfalls sehr sinnvoll, denn diese, wie die AutorInnen darlegen, „produce rules that are easy to interpret“ (S. 47). Jedoch hätte die Darstellung von einer Visualisierung der Baumstrukturen wie im Einführungskapitel sehr profitiert, denn die Textdarstellung ist nicht ohne weiteres leicht zu interpretieren.
Ich möchte im Folgenden zwei grundsätzliche Kritikpunkte etwas ausführlicher besprechen. Der erste betrifft den Gesamtaufbau des Buchs, der zweite ist philologischer Natur:
Während die Einführungskapitel und die beiden Schlusskapitel sehr gut zugänglich sind, fällt die Lektüre des Hauptteils, also der Phänomenkapitel, deutlich schwerer. Der Aufbau ist überall derselbe: Zunächst werden das Phänomen (z. B. V2) und eine Auswahl bestehender Arbeiten vorgestellt, bevor auf die Klassifikationsprinzipien eingegangen wird. Dann werden für jeden potenziellen Einflussfaktor (bei V2 z. B.: Satztyp, Negation usw.) für jeden der insgesamt sechs Texte einzeln Statistiken und Beispiele vorgestellt. Dies führt dazu, dass das Buch eine sehr hohe Tabellen- und Beispieldichte aufweist, nach meiner Auszählung insgesamt 248 Tabellen von unterschiedlicher Komplexität nebst 773 Beispielen (teilweise mit lateinischer Vorlage). Dies führt dazu, dass die textspezifischen Tendenzen einen sehr breiten Raum einnehmen. Nicht alle Tabellen sind gleich interessant, z. B. aufgrund von sehr geringen Belegzahlen, und es stellt sich die Frage, ob es nicht an der einen oder anderen Stelle besser gewesen wäre, sie in einen Anhang zu stellen. Sicher ist, dass dieser Teil von etwas Straffung enorm profitiert hätte. Trotz kurzer Zusammenfassungen geht die eigentliche Botschaft zu oft in Detailinformationen unter.
Da in dieser Arbeit dem Vergleich mit der Vorlage eine so wichtige Rolle zukommt, wäre an dieser Stelle etwas mehr philologische Textkritik angebracht gewesen. Es wird im Einführungskapitel kurz darauf eingegangen, dass die genauen Vorlagen von zwei der drei altenglischen Texte nicht bekannt sind. Stattdessen hat man sich einfach für „the version of the Vulgate available in the electronic form“ (S. 28–29) entschieden. Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik sucht man im Buch allerdings vergeblich. Angesichts der Tatsache, dass auf sehr vielen Seiten auch nur die leichtesten Modifikationen von einer vermeintlichen Vorlage tabellarisch wiedergegeben werden, ist dies aus meiner Sicht ein eindeutiger Mangel.
Darüber hinaus möchte ich noch zwei weitere, kleinere Kritikpunkte aufführen:
Es irritiert den germanistischen Leser, dass der ahd. Tatian in allen Tabellen und Übersichten konsequent dem Isidor vorgeordnet wird. Passend dazu behaupten die AutorInnen auch, dass der ahd. Tatian dem „8th century“ (S. 28) zuzuordnen sei. Dies ist freilich nicht der Fall. Er wird von allen Forschern zumindest der ersten Hälfte des 9. Jhs. zugeordnet und ist folglich jünger als Isidor.
Dass mit dem „dativus absolutus“ eine native Konstruktion vorliegt, wie auf S. 373 nahegelegt wird, wage ich zumindest für das Althochdeutsche zu bestreiten. Diese Konstruktion begegnet fast ausschließlich in Übersetzungstexten; bei den zwei Belegen aus Otfrids Evangelienbuch, das keine direkte Vorlage hat, könnten formelhafte lateinische Konstruktionen Pate gestanden haben (s. Fleischer 2006: 42–44; eine Arbeit, die trotz ihrer Relevanz für das vorliegende Werk von den AutorInnen offenbar nicht rezipiert wurde).
In sprachlicher Hinsicht habe ich wenig anzumerken. Es fällt aber auf, dass bestimmte Phrasen etwas gar häufig wiederholt werden. So verhält es sich z. B. mit „what is more“, das überdurchschnittlich häufig verwendet wird, manchmal auch im Sinne von „furthermore“. Auch das Adjektiv „interesting“ findet sich sehr häufig wieder, irritierenderweise auch in Bezug auf eigene Schlussfolgerungen (so z. B. auf S. 228).
Die genannten Kritikpunkte sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Anna Cichosz, Jerzy Gaszewski und Piotr Pęzik hier ein wichtiges Buch vorgelegt haben, das methodisch und analytisch stringent ist und bestehende Forschungsergebnisse quantitativ untermauert. Diese Studie weist in die Zukunft und es ist sehr zu wünschen, dass in weiteren Untersuchungen mit den Daten gearbeitet wird.
Literatur
Bech, Kristin. 2001. Are old English conjunct clauses really verb-final? In: Laurel J. Brinton (Hg.). Historical Linguistics. 1999. Selected papers from the 14th International Conference on Historical Linguistics, Vancouver, 9–13 August 1999. Amsterdam: John Benjamins, 49–62.10.1075/cilt.215.05becSearch in Google Scholar
Davis, Graeme & Karl A. Bernhardt. 2002. Syntax of West Germanic: The Syntax of Old English and Old High German (Göppinger Arbeiten zur Germanistik). Göppingen: Kümmerle.Search in Google Scholar
Fleischer, Jürg. 2006. Zur Methodologie althochdeutscher Syntaxforschung. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 128, 25–69.10.1515/BGSL.2006.25Search in Google Scholar
Hinterhölzl, Roland & Svetlana Petrova. 2005. Rhetorical relations and verb placement in Early Germanic languages. Evidence from the Old High German Tatian Translation (9th century). In: Manfred Stede et al. (Hg.). Salience in Discourse. Multidisciplinary Approaches to Discourse 2005. Münster: Nodus, 71–79.Search in Google Scholar
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