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Katsiaryna Kanaplianik. 2016. Kognitionslinguistisch basierte Animationen für die deutschen Modalverben. Zusammenspiel der kognitiven Linguistik und des multimodalen Lernens bei der Sprachvermittlung (Transkulturelle Kommunikation 7). Berlin: LIT Verlag. 435 S.
In ihrer Dissertation stellt Katsiaryna Kanaplianik eine innovative Methode zur Vermittlung der Modalverben vor, die auf Erkenntnissen der Kognitiven Linguistik und der Forschung multimodalen Lernens basiert und unter Rückgriff auf konkrete, bildhafte Erfahrungen aus dem Alltag erklärt wird. Die Kategorie der Modalität ist ein vielseitiges, semantisch schwer fassbares sprachliches Phänomen, das bereits frühzeitig im DaF-Unterricht thematisiert wird. Die Schwierigkeiten bestehen vor allem darin, dass die deutschen Modalverben oft über keine genauen Äquivalente in anderen Sprachen verfügen und Grammatiken und Lehrwerke meist nicht über eine reine Auflistung von Bedeutungsmöglichkeiten der einzelnen Modalverben hinausgehen; dementsprechend ist ihre Vermittlung an Deutschlernende besonders trivial. In diesem Zusammenhang bedient sich die Verfasserin der Erkenntnisse aus der Kognitiven Linguistik, um grammatische Strukturen anhand ihres zugrundeliegenden semantischen Konzepts zu begründen und zu vermitteln.
Die Verfasserin behandelt das Thema in vier Hauptbereichen, denen eine ausführliche Einleitung (Kap. 1) vorausgeht: „Kap. 2: Kognitive Linguistik (S. 13–28)“, „Kap. 3: Kognitive Didaktik (S. 29–164)“, „Kap. 4: Didaktisches Konzept (S. 165–188)“, „Kap. 5: Empirische Untersuchung (S. 189–329)“. Außerdem erfolgt in Kap. 6 eine abschließende zusammenfassende Diskussion zu den erzielten Resultaten. Dem Buch ist ein Anhang mit dem entwickelten Untersuchungsmaterial beigefügt.
In Kap. 2 und Kap. 3 wird das semantische Konzept der Modalverben erarbeitet und in einem didaktischen Konzept umgesetzt. In diesem Kontext wird der kognitionslinguistische Ansatz als Alternative dargestellt, der in Bezug auf die komplexen Themenbereiche „Modalität“ und „Modalverben“ eine höhere Plausibilität und didaktische Effizienz vermuten lässt. Dabei geht die Verfasserin der Frage nach, wie kognitionslinguistische Prinzipien für die Didaktik operationalisiert werden können, um den konsequenten Aufbau eines kognitiv verankerten didaktischen Konzepts zur Vermittlung der Bedeutung von Modalverben zu ermöglichen. Als Erstes identifiziert sie als Bezugsrahmen die Grunddomäne der Kraft-Dynamik. Von dieser Domäne werden schematisierte und bildhafte Darstellungen (Bildschemata) abgeleitet, die die Modalverben allgemeingültig beschreiben und auf diese Weise eine leichtere Verarbeitung und Speicherung von Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten ermöglichen können. Da die abgebildeten Schemata zu abstrakt sind, um didaktisch eingesetzt zu werden, wird die ermittelte konzeptuelle Struktur der Modalität mit der Ebene der Transferdifferenz in Verbindung gebracht. Zu diesem Zweck wird das Phänomen der konzeptuellen Metapher erläutert, die die Bedeutung und Verwendung der Modalverben in Form von transparenten und lebensnahen Situationen überführt und somit eine sprach- und kulturspezifische Enkodierung abstrakter Konzepte auf der Basis körperlicher Erfahrungen ermöglicht. Die Integration der ermittelten semantischen Inhalte in das kognitive System der Lernenden diskutiert Kanaplianik unter Rückgriff auf die Theorie der mentalen Modelle. Diese Theorie bezieht die Prozesse des Wissenserwerbs auf die Konstruktion dynamischer mentaler Modelle und ihre anschließende Schematisierung im Langzeitgedächtnis. Dabei nimmt die Verfasserin an, diese Prozesse könnten als instruktionale Maßnahmen mittels geeigneter Form der Visualisierung beeinflusst werden. Aus diesem Grund argumentiert sie für den zielgerichteten Einsatz von computerbasierten Animationen, zumal diese eine angemessene Visualisierung der grammatischen Phänomene ermöglichen und die in den Modalverben enthaltene Dynamik aufzeigen können. Um diesen Überlegungen Rechnung zu tragen, werden Kriterien für das Design und die Verwendung von Animationen für die deutschen Modalverben festgelegt; als Grundlage hierfür dient die Beachtung von Erkenntnissen, Theorien und Modellen aus der Multimediaforschung.
Mit Bezug auf die in den vorausgehenden Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse und in Anlehnung an das 5-Phasenmodell der interkulturellen Sprachdidaktik werden im Kap. 4 Forschungshypothesen zur Wirkung des didaktischen Konzepts aufgestellt. Dabei spielen Prinzipien der visuellen Aufmerksamkeitssteuerung und der Beachtung der Vorerfahrungen der Lernenden eine entscheidende Rolle.
In Kap. 5 beginnt der empirische Teil der Arbeit. Hier werden die entwickelten Materialien in zwei Teilstudien mit Deutschlernern der Staatsuniversität Grodno (Belarus) getestet. In Studie 1 wird die Wirksamkeit kognitionslinguistisch basierter Erklärungen für die Verwendung von Modalverben in der Ereignismodalität unter Berücksichtigung der Faktoren Erklärungsansatz (kognitionslinguistisch vs. traditionell) und Darstellungsform (animiert vs. statisch) untersucht. Studie 2 ist der Vermittlung von Modalverben in der Wissensmodalität gewidmet. Die Teilstudien enthalten jeweils eine 40-minütige Lernphase und drei Messzeitpunkte mit Lerntest: Vortest, sofortiger Nachtest und verspäteter Nachtest nach einer Woche.
Im Kap. 6 werden die Ergebnisse der empirischen Studie zusammenfassend diskutiert. Hier betont die Autorin, dass die Anwendung kognitionslinguistisch basierter Entscheidungsstrategien bei der Auseinandersetzung mit deutschen Modalverben einen direkten Zugang zur konzeptuellen Basis dieses grammatischen Phänomens ermöglichen und zu einem nachhaltigen Lernmehrwert führen kann.
Insgesamt haben wir der Verfasserin ein sehr lesenswertes Buch zu verdanken. Sein praktischer Wert liegt zum einen in den gut verständlichen und facettenreichen Ausführungen zu theoretischen Leitlinien und methodischen Verfahren; zum anderen sind das Herstellen von Zusammenhängen, die guten Erläuterungen zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Fachbegriffen und Fachpositionen und der stete Blick auf deren Entwicklungspotential in der Zukunft zu betonen. Es ist allerdings anzumerken, dass der Sorgfalt im theoretischen Teil der Arbeit ein geringerer Grad an Präzision im empirischen Teil gegenübersteht. Beispielsweise beinhalten die Hypothesen keine klaren Ergebniserwartungen, sondern zeigen lediglich einander widersprechende Ergebnismöglichkeiten auf; außerdem scheint die positive Beantwortung der Frage, ob es einen signifikanten Wissenszuwachs durch das Treatment gegeben hat, für keine der Gruppen nachvollziehbar. Abgesehen von diesem methodischen Defizit zeigt sich eine insgesamt gut gelungene Argumentationslinie. Jeder Schritt und jede Entscheidung über Vorgehen, Forschungsdesign und Gestaltung der Lernumgebung werden sorgfältig aus den vorhandenen Forschungsergebnissen abgeleitet und begründet.
In der Diskussion ber Einsatz von Animationen in der Grammatikvermittlung geht es größtenteils immer wieder um Fragen, wie Grammatik medienadäquat vermittelt werden kann und unter welchen Voraussetzungen solch ein Einsatz einen didaktischen Mehrwert mit sich bringen kann. Auf diese Weise wird Grammatik als ein holistisches, bedeutungsvolles und transparentes System dargestellt, das einen effizienten, nachhaltigen und spannenden Spracherwerbsprozess ermöglichen kann. Zu dieser vielsprechenden innovativen Tendenz wird mit der vorliegenden Arbeit ein wesentlicher Grundstein gelegt.
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