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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter May 7, 2018

Markus Denkler, Stephan Elspaß, Dagmar Hüpper & Elvira Topalović (Hg.). 2017. Deutsch im 17. Jahrhundert. Studien zu Sprachkontakt, Sprachvariation und Sprachwandel. Gedenkschrift für Jürgen Macha. (Sprache – Literatur und Geschichte. Studien zur Linguistik/Germanistik 46). Heidelberg: Universitätsverlag Winter. 376 S.

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Markus Denkler, Stephan Elspaß, Dagmar Hüpper & Elvira Topalović. Hg. 2017. Deutsch im 17. Jahrhundert. Studien zu Sprachkontakt, Sprachvariation und Sprachwandel. Gedenkschrift für Jürgen Macha. (Sprache – Literatur und Geschichte. Studien zur Linguistik/Germanistik 46). Heidelberg: Winter. 376 S.


Der Sammelband vereint eine Reihe von Beiträgen, die sich überwiegend mit Aspekten der deutschen Sprachgeschichte des 17. Jahrhunderts befassen, wobei auch teilweise das 16. Jahrhundert mit einbezogen wird. Der Sammelband – die Herausgeber legen dies im Vorwort offen – war als Festschrift zum 65. Geburtstag von Jürgen Macha geplant gewesen. Da der Geehrte diesen Festtag leider nicht mehr erleben durfte – er verstarb völlig unerwartet am 24.01.2014 – geriet auch das Projekt dieser Festschrift ins Stocken. Die Publikation verzögerte sich, so dass der Band letztlich erst 2017 publiziert werden konnte. Es sei hier schon vorweggenommen: Jürgen Macha hätte mit Sicherheit seine Freude an diesem Band gehabt. Mit seiner – postum erschienen – beeindruckenden Publikation Der konfessionelle Faktor in der deutschen Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit gab er der Sprachgeschichtsforschung entscheidende neue Impulse. Die Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit, dies zeigen seine Studien, hatte klar nachweisbare Spuren auch in der deutschen Sprachgeschichte hinterlassen. In viel zu bescheidener Weise kennzeichnet er seine Monographie als „alla prima“ verfertigt, mit dem Hinweis, dass nachfolgende Studien die notwendigen Detailarbeiten noch weiter ausarbeiten müssten.

„Eine letzte Bemerkung bezieht sich auf das in dieser Monographie praktizierte Darstellungsverfahren. In der Kunstgeschichte ist der Ausdruck geläufig, dass man etwas ‚alla prima‘ verfertigen kann, d. h. mit einer Gesamtidee, aber ohne sorgfältige Durcharbeitung der Details. Die vorliegende Studie hat diesen Anspruch und zugleich diese Begrenzung. Das sachlich weit gespannte, nach räumlichen und zeitlichen Parametern präzise aufzuschlüsselnde Thema ‚Sprache und Konfession in der Frühen Neuzeit‘ kommt hier durch ein Verfahren in den Blick, mit dem bevorzugt der wichtige Stellenwert des extralinguistischen Faktors Konfession für sprachliche Belange ins Bewusstsein gehoben und anhand einer Fülle von verschiedenen Einzelaspekten vor Augen geführt werden soll. Diese Sicht der Dinge kann sich auf eine Reihe von mikroskopischen, sprachhistorisch-empirischen Einzelstudien berufen, die das Thema während der letzten Jahrzehnte bearbeitet haben. Allerdings bedarf es zur Absicherung, Modifizierung und gegebenenfalls Relativierung weiterer sprachhistorischer und interdisziplinärer Zugriffe, bei denen u. a. Frühneuzeit-Historiker und die christlichen Theologiewissenschaften eine wichtige Rolle spielen können. Insofern verstehen sich die Ausführungen dieser Studie als impulsgebend für weiterführende Untersuchungen zum komplizierten Zusammenhang von Sprache und Konfession in der Frühen Neuzeit.“ (Macha 2014: 24f.)

Der hier zu besprechende Band nimmt mit seinen insgesamt dreizehn Beiträgen die von Jürgen Macha gegebenen Impulse auf und kann so an einzelnen Beispielen die angesprochenen Detailarbeiten bieten. Dies gilt insbesondere für den ersten der drei thematischen Bereiche, in die der Band gegliedert ist. Den Auftakt bildet die wissenschaftshistorische Einleitung (S. 10–18) von Stephan Elspaß. In ihr werden sowohl bisherige Forschungsschwerpunkte zum 17. Jahrhundert angesprochen als auch die noch bestehenden Desiderata, und die sich für den Sammelband daraus ergebende thematische Gliederung in drei Abschnitte. Im ersten thematischen Abschnitt befassen sich drei Beiträge (von Anna-Maria Balbach, Ludger Kremer, Tim Krokowski & Corinna Lucan) mit dem Thema „Sprache und Konfession“. Im zweiten Teil geht es um das Thema „Sprache und Hexenverfolgung“, mit dem sich Jürgen Macha ebenfalls intensiv befasst hat (Alisa Blachut & Elvira Topalović, Robert Möller, Claudia Wich-Reif). Der dritte Teil öffnet das thematische Feld mit Studien zu „Sprachvariation, Sprachkontakt und Sprachwandel“ (Markus Denkler, Heinz Eickmans, Christian Fischer, Arend Mihm, Hermann Niebaum). Der Band schließt mit einer „Coda“ von Elmar Neuß, in der Parallelen zwischen Sprache und Musik aufgezeigt werden.

Anna-Maria Balbach untersucht in ihrem Beitrag „Cuius regio, eius religio, eius lingua? Beobachtungen zum Zusammenhang von Region, Religion und Sprache in Totengedächtnisinschriften des 17. Jahrhunderts“ (S. 21–52) eine spezifische Textsorte auf ihre konfessionelle Prägung hin. Es kann in überzeugender Weise gezeigt werden, dass bei dieser Textsorte nicht nur konfessionell bedingte sprachliche und inhaltliche Unterschiede erkennbar sind, sondern dass sich diese Texte auch regional deutlich unterscheiden. Die Untersuchungsorte waren in dieser Studie Baden-Baden, Bonn und Greifswald.[1]

Ludger Kremer weist in „Name und Konfession. ‚Protestantische‘ und ‚katholische‘ Vornamengebung im westlichen Westfalen“ (S. 53–73) nach, dass die in der onomastischen Forschung bislang untersuchten typischen pietistischen Namen (z. B. Gottlieb, Fürchtegott etc.) bislang überschätzt wurden. Hier sind weitere konfessionell bedingte Unterschiede in der Vornamenvergabe zu berücksichtigen. Diese sind allerdings erst ab dem 18. Jahrhundert genauer erkennbar (S. 62).[2]

Tim Krokowski & Corinna Lucan vergleichen in ihrem Beitrag „Der Calvinischen Union Testament/ oder letzter Willen. Textsortenstilisierung auf einem Flugblatt des Dreißigjährigen Krieges“ (S. 75–99) die Textsorten Testament und Flugblatt jeweils in historischer Perspektive miteinander. Die genaue und aufschlussreiche Analyse am Beispiel des in Flugblattform publizierten Testaments der Calvinischen Union zeigt, dass beide Textsorten nur wenige Gemeinsamkeiten, aber viele textfunktional bedingte Unterschiede aufweisen.

Alisa Blachut & Elvira Topalović eröffnen mit ihrem Beitrag „Hexenverfolgungen des 17. Jahrhunderts im integrativen Unterricht? Ansätze für die Sekundarstufe in den Fächern Deutsch und Geschichte (7./8. Klasse)“ (S. 103–128) den zweiten thematischen Abschnitt des Bandes. Im Beitrag wird der Versuch unternommen, die eher unkonkreten Vorgaben der Kultusministerkonferenz für eine konkrete Analyse von Hexenverhörprotokollen und deren Einsatz im Schulunterricht nutzbar zu machen. Eine konkrete Analyse von Hexenverhörprotokollen oder von dem abgedruckten Kassiber wird leider nur angedeutet. So bleibt dem Leser unklar, inwiefern genau sich das Thema Hexenverhörprotokolle wirklich für einen fächerübergreifenden Unterricht (in Deutsch und Geschichte) eignet und worin der Mehrwert gerade dieses Themas bestünde.

Robert Möller führt im Beitrag „Euphrosina kolerin, Beckhin vonn Paindten, die Berndt bonesche und andere beclagtinnen. Feminin-Movierung von Appellativen und Namen in Hexenverhörprotokollen des 16./17. Jahrhunderts“ (S. 129–159) den Leser durch das komplexe Feld der Movierungen bei Namen (und z. T. auch bei Appellativen). Die klare sprachliche Trennung der Geschlechter war im Frühneuhochdeutschen noch durchgängiger vorhanden als später. Erst wieder mit der feministischen Linguistik, die das generische Maskulinum angreift, wird ein Zustand erreicht, der schon in ähnlicher Form früher bestanden hatte (S. 133, 135). Für den Leser wäre hier eine Zusammenfassung der vielfältigen Ergebnisse (regionale Verteilung, soziale Stratifikation, Verteilung bei Nomina propria und Nomina appellativa etc.) hilfreich gewesen.

Claudia Wich-Reif untersucht in ihrem Beitrag „Intertextualität. Hexenhammer – Hexenverhörprotokolle – Hexen im Simplicissimus“ (S. 161–188) eine Reihe von Hexenverhörprotokollen einerseits und Textpassagen von Grimmelshausens Simplicissimus andererseits, jeweils im Vergleich mit dem Hexenhammer von Heinrich Institoris. Dabei kann sie zeigen, dass diese drei Textgruppen – mit dem Hexenhammer als Bezugstext – in intertextuellen Bezügen stehen, die sich v. a. auf die Faktoren der Referentialität und der Kommunikativität (nach Pfister 1985) beziehen.

Markus Denkler leitet mit seinem Beitrag den dritten thematischen Bereich des Sammelbandes („Sprachvariation, Sprachkontakt und Sprachwandel“) ein. Er führt die Ergiebigkeit von Nachlassinventaren als sprachhistorische Quellen vor („Lexikalische Innovationen in westfälischen Nachlassinventaren des 17. und 18. Jahrhunderts“, S. 191–222). Es zeigt sich bei einem genauen Blick, dass sich der Prozess des Sprachwechsels vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen differenzierter gestaltet, als man dies vermuten würde. Denkler belegt diese Prozesse mit vielen lexikalischen Beispielen vom 16.–18. Jahrhundert.

Heinz Eickmans geht in seinem Beitrag „Auß der Niderländischen Sprach ins HochTeutsch ubergesetzt. Zur begrifflichen Kontrastierung der Bezeichnungen für Niederländisch und Deutsch in Übersetzungen des 17. Jahrhunderts.“ (S. 223–241) der Frage nach, „mit welchen Namen das Niederländische im Deutschen benannt wurde“ (S. 223) und mit welchen Eigenbezeichnungen es im niederländischen Raum versehen wurde. Überraschend ist bei den Analysen, dass die Eigenbezeichnungen von den Fremdbezeichnungen abweichen. In niederländischen Texten ist eine Bezeichnungsfolge von Duits zu Nederlands und Nederduits zu verzeichnen, was vermutlich einem „Ausgleichsdruck“ (S. 228) für die Bezeichnungen Deutsch und Niederländisch im Zeitraum geschuldet ist. Dagegen setzt sich im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Bezeichnung Holländisch (vor Niederländisch und Niederdeutsch) durch, was die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit und die „Quasi-Anerkennung des Niederländischen als ‚Fremdsprache‘“ (S. 239) zum Ausdruck bringt.

In Christian Fischers Beitrag „Registerwechsel in der Kanzleisprache der Frühen Neuzeit. Beobachtungen und Überlegungen zur Praxis im hochdeutsch-niederdeutschen Kontaktbereich“ (S. 243–263) wird der Sprachwechsel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen einmal am Beispiel der Stadt Soest und zum anderen mit Blick auf das Tytel boek (1508), das eine Vorlage für Fabian Frangks Schryfftspiegel (1527) war, untersucht. Der Verf. kann zeigen, dass einzelne Schreiber problemlos zwischen dem Niederdeutschen und dem Hochdeutschen wechseln konnten.

Arend Mihm legt eine ausgezeichnete Detailstudie zum Thema „Sprachwandel in der Frühen Neuzeit. Augsburg und Köln im Vergleich.“ (S. 265–319) vor. Der Verf. zeigt anhand einer detaillierten Variablenanalyse, dass der bisherige Blick der Sprachgeschichtsforschung, der meist von der erfolgten Standardisierung aus rückprojizierend die Frage stellte, inwiefern sich in früheren Jahrhunderten schon Angleichungserscheinungen an den späteren Standard finden lassen, fehlgeleitet ist. Dies ist in der Tatsache begründet, dass z. B. im 16. und 17. Jahrhundert dieser spätere Standard noch keineswegs absehbar war, so dass hier verschiedene überregionale Prestigeschreibsprachen einflussreich sein konnten. Mihm belegt dies am Beispiel der Stadt Augsburg und der Stadt Köln. Während in Augsburg zwischenzeitlich das Westmitteldeutsche als Prestigevarietät einflussreich war (S. 279, mit späterer Rückkehr zu ostoberdeutschen Sprachmerkmalen), ist im Raum Köln ein klarer Sprachshift vom Niederdeutschen weg, jedoch nicht hin zum Ostmitteldeutschen, sondern zum Rheinfränkischen (S. 286) zu erkennen. In beiden Städten wurde der jeweilige Sprachwandel „durch das Prestige externer Sprachen ausgelöst“ (S. 308), auch wenn dies nicht dieselben waren. Bedenkenswert ist ferner die These des Autors, dass die beschriebenen Wandlungsprozesse „primär von der gesprochenen Sprache ausgingen und erst von dort in die Schreibsprachen gelangten“ (S. 308). Die bislang vorherrschende Ansicht des schriftsprach­induzierten Sprachwandels sollte daher überdacht werden.

Hermann Niebaum führt in seinem Beitrag „Variantenauswahl und Redewiedergabe. Zum Tagebuch des Groninger Gilde-Oldermanns Gerard Udinck (1663–1665)“ (S. 321–344) eine eigene Studie von 1993 fort. Gegenstand sind Tagebuchaufzeichnungen von Gerard Udinck aus den Jahren 1663–1665 und die darin vorfindliche sprachliche niederländisch-niederdeutsche Variation.

Den Abschluss des Bandes bildet die Coda von Elmar Neuß: „Historische Sprachen und Musik. Anmerkungen zu ihrem Verhältnis seit dem 17. Jahrhundert.“ (S. 347–376). Der Beitrag beschäftigt sich mit möglichen Strukturparallelen zwischen Musik und Sprache. Anlass für die Positionierung des Beitrags im Sammelband für Jürgen Macha waren zwei Oberseminare, die der Autor im Sommersemester 2001 und 2002 gemeinsam mit Macha zu diesem Thema durchgeführt hat. Beleuchtet werden hier die strukturellen Übereinstimmungen zwischen musikalischen Werken und schriftsprachlichen Texten und auch die Grenzen, die sich bei einer vergleichenden Betrachtung ergeben.

Als abschließendes Fazit kann festgehalten werden: Wie bei ähnlich gelagerten Sammelbänden ist auch bei dem vorliegenden Band die Güte der einzelnen Beiträge unterschiedlich. Den Herausgebern ist es gelungen, eine Reihe von interessanten Detailstudien zusammenzutragen, mit denen sich Jürgen Macha selbst während seines Forscherlebens intensiv auseinandergesetzt hat. Alle, die sich für das 17., aber auch 16. Jahrhundert interessieren – hier führt der Titel des Bandes doch etwas in die Irre –, finden hier nicht nur weiterführende Erkenntnisse zu Einzelproblemen der Textsortengeschichte, Namenkunde, historischen Regionalsprachforschung, Sprachwandelforschung etc., sondern auch methodisch beispielgebende Studien, die für die eigenen Forschungen Anregungen bieten können.

Literatur

Balbach, Anna-Maria. 2014. Sprache und Konfession. Frühneuzeitliche Inschriften zum Totengedächtnis in Bayerisch-Schwaben. Würzburg: Ergon.Search in Google Scholar

Macha, Jürgen. 2014. Der konfessionelle Faktor in der deutschen Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit. Würzburg: Ergon.Search in Google Scholar

Pfister, Manfred. 1985. Konzepte der Intertextualität. In: Ulrich Broich & Manfred Pfister (Hg.). Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Unter Mitarbeit von Bernd Schulte-Middelich. Tübingen: Max Niemeyer, 1–30.10.1515/9783111712420.1Search in Google Scholar

Published Online: 2018-05-07
Published in Print: 2018-11-27

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 30.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2018-0020/html
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