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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter June 6, 2018

Ágnes Veszelszki. 2017. Digilect.The Impact of Infocommunication Technology on Language (Studies in Information Science). Berlin, Boston: De Gruyter. X, 356 S.

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Ágnes Veszelszki. 2017. Digilect. The Impact of Infocommunication Technology on Language (Studies in Information Science). Berlin, Boston: De Gruyter. X, 356 S.


Mit dem Titel ihres Buches – Digilect – reiht sich die Autorin in eine Reihe von Versuchen ein, die oft als spezifisch proklamierten Sprachgebrauchserscheinungen im Internet unter einem übergreifenden Terminus zu subsumieren: Genannt seien beispielsweise Netspeak (Crystal 2001), Cyberslang (Abel 2000) oder Websprache (Siever, Schlobinski & Runkehl 2005). Allerdings liegen die meisten dieser Versuche bereits weit über ein Jahrzehnt zurück, da in der Medienlinguistik inzwischen Konsens darüber herrscht, dass es aufgrund der Heterogenität der Kommunikationsangebote eine „homogene, für Internetkommunikation typische Sprache“ nicht geben kann (Marx & Weidacher 2014: 91). Es mutet daher beinahe etwas anachronistisch an, einem Band über die Merkmale und Auswirkungen des digitalen Schreibens (im Internet)[1] heutzutage noch diesen Titel zu geben, zumal die Begründung für die Wahl dieses Terminus nicht zu überzeugen vermag (siehe weiter unten). An einer Stelle spricht die Autorin zudem vom „the internet slang“, womit sie „the vocabulary of digital communication“ bezeichnet (S. 191). Hinzu kommt, dass der im Untertitel enthaltene Begriff Infocommunication weder erläutert noch im Folgenden – von der ersten Kapitelüberschrift abgesehen – überhaupt weiterverwendet wird; sein Nutzen bleibt daher unklar. Allerdings ist die Betitelung, wie im Laufe der Lektüre deutlich wird, nicht das einzig Unzeitgemäße an der Monografie.

Datengrundlage

Im letzten Kapitel (S. 236) macht Veszelszki deutlich, dass das Buch eine überarbeitete und ins Englische[2] übersetzte Version ihrer im Jahr 2011 verfassten Dissertation darstellt, deren Befunde bereits in verschiedenen Studien publiziert wurden. Obschon sie darauf hinweist, dass in die hier rezensierte Publikation auch neuere Forschungsergebnisse eingeflossen sind, basiert die Mehrheit der Analysen dennoch auf den für die Dissertation zusammengestellten Korpusdaten,[3] die zwischen 2000 und 2010 gesammelt wurden (vgl. S. 21) – ein großer Teil der abgebildeten Beispiele stammt jedoch tatsächlich aus der ersten Hälfte der angegebenen Sammelperiode (insbesondere die SMS-Beispiele). Das aus einer medienlinguistischen Perspektive relativ hohe Alter der Daten ist nicht unproblematisch, wie die Autorin auch selbst bekräftigt: „As the topic is tighly related to technology, the examined material quickly becomes obsolet and therefore demands continuous updating“ (S. 1). Diese Forderung ist m. E. aber nur ungenügend umgesetzt: Das zeigt sich u. a. daran, dass die Autorin sehr ausführlich (und hochgradig redundant)[4] über Abkürzungen von Wörtern – die sie im Übrigen fälschlicherweise zu den grammatical features of digilect zählt (Kap. 3.3) – schreibt, obschon diese, wie zahlreiche medienlinguistische Studien in den vergangenen Jahren zeigten, tatsächlich nicht besonders häufig auftreten, sondern primär im öffentlichen (Laien-)Diskurs über das digitale Schreiben Prominenz erlangten (vgl. z. B. Dürscheid & Frick 2016). Es zeigt sich aber auch daran, dass das Kapitel zur Visuality in digilect (3.5), das sich u. a. mit Emojis beschäftigt, nicht dem aktuellen Forschungsstand entspricht (und zudem insgesamt recht oberflächlich bleibt); so werden bspw. vorwiegend ASCII- und japanische Emoticons aufgeführt und es wird pauschalisierend festgehalten: „Emoticons are graphic signs expressing emotions“ (S. 129). Auf die Problematik solch vereinfachender Aussagen hat z. B. Albert (2015) zurecht hingewiesen. Positiv hervorzuheben ist allerdings, dass GIFs und MEMEs als visuelle Merkmale digitaler Kommunikation Erwähnung finden.

Die ungenügend umgesetzte Aktualisierung offenbart sich schließlich nicht zuletzt auch darin, dass viele der zitierten Websites gar nicht mehr existieren oder mittlerweile andere Inhalte aufweisen – dennoch werden sie weiterhin als Quellen aufgeführt, etwa im Hinblick auf die wichtigsten (ASCII-)Emoticons (vgl. dazu S. 351–352 des Literaturverzeichnisses).

Abgesehen von den z. T. veralteten Textbelegen, die für die Beschreibung der charakteristischen Merkmale des Digilects herangezogen werden (Kap. 3), liegen auch die von der Autorin durchgeführten Umfragen zum Digilect und seinen Auswirkungen (Kap. 4) bereits länger zurück: Sie datieren aus den Jahren 2008 und 2010. Auch hier darf daher bezweifelt werden, dass die darin getätigten Aussagen tatsächlich aktuelle Einstellungen reflektieren (siehe unten). Die Umfragen ergänzend werden zudem handschriftlich verfasste Notizen in Übungsheften von Schüler_innen (2007–2009) sowie Vorlesungs- und Seminarnotizen von Student_innen untersucht. Sie sollen der Beantwortung der Frage nach dem Einfluss der digitalen Kommunikation auf die Sprache anderer (nicht-digitaler) Kommunikationsmedien (Kap. 5) dienen. Ethisch fragwürdig ist dabei m. E. die Verwendung von im Unterricht verfassten, dialogischen Privatbriefchen, die die Autorin in den Heften gefunden hat, auch wenn sie selbst dazu schreibt:

As these dialogue letters were found in the exercise books handed over voluntarily by the students and identification of the authors was impossible, the analysis raised no ethical issue. (S. 208)

Schließlich fließen auch gesprochensprachliche Daten in diesen Teil der Analyse mit ein, wobei Veszelszki diesbezüglich einräumt, dass kein systematisch erstelltes Korpus mit Audiodaten vorliegt: „For this reason I had to rely on my own observations, as well as on those supplied to me by my colleagues and friends between 2008 and 2011“ (S. 21). Woraus diese „Beobachtungen“ allerdings genau bestehen, bleibt weitgehend unklar; der Terminus speech corpus (S. 21) jedenfalls scheint nicht angemessen.

Inhalt der Kapitel

Die Monografie ist in sechs Kapitel untergliedert, wovon das erste einführenden Charakter hat und Ziele, Struktur, allgemein-theoretische sowie methodologische Überlegungen beinhaltet. Dabei weist die Autorin gleich zu Beginn des Kapitels darauf hin, dass das primäre Ziel des Buches nicht in der Bestimmung der charakteristischen Merkmale der digitalen Sprachvarietät liege – sie betont zurecht, dass das in vielen Sprachen bereits geschehen sei –, sondern dass untersucht werden soll, wie die digitale Kommunikation die Sprache anderer Kommunikationsmedien beeinflusse (vgl. S. 1). Dieser Ankündigung zum Trotz sind allein 100 der insgesamt 240 inhaltlichen Seiten des Buches dem dritten Kapitel Characteristic Features of Dialect gewidmet; auf das eigentliche Hauptziel wird erst im fünften Kapitel auf knapp 30 Seiten tatsächlich eingegangen.

Davon abgesehen geht die Autorin im ersten Kapitel bereits auf die in der medienlinguistischen Forschungstradition zentrale Frage nach dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ein (Kap. 1.4 On the verges of orality and literacy). Doch bleibt zum einen auch in dieser theoretischen Diskussion vieles hinter dem aktuellen Forschungsstand[5] zurück, zum anderen wird m. E. nicht deutlich, wie Veszelszki die Begriffe letztlich zu operationalisieren gedenkt: In einer Tabelle auf S. 17 führt sie bspw. charakteristische Merkmale von gesprochenen, geschriebenen und „written-spoken“ Sprachformen auf (wobei Letztere wohl für die digitale Kommunikation stehen). Im weiteren Verlauf des Buches spricht sie dann allerdings häufig einfach von mündlichen Merkmalen und Mündlichkeit, wobei der Begriff an sich durchaus seine Berechtigung hat:

Als Hilfskonzept der Text- und Medienlinguistik kann ‚Mündlichkeit‘, wenn die Metaphorizität hinreichend reflektiert wird, viel zur Erkenntnisbildung beitragen [...] aber umgekehrt auch Erkenntnisbildung verhindern, eben dann, wenn die Metaphorizität nicht hinreichend reflektiert wird. (Spitzmüller 2014: 43)

Dass hier eher Letzteres zutrifft, davon zeugt nicht zuletzt auch der Umstand, dass zu einem späteren Zeitpunkt im Buch (ab S. 60) die Gesprochene-Sprache-Forschung (z. B. Schwitallas Arbeiten) als theoretische Grundlage für das Kapitel The grammatical features of digilect einbezogen wird.

Im zweiten Kapitel geht die Autorin näher auf den von ihr eingeführten Begriff des Digilects ein. Sie argumentiert – entgegen der weiter oben dargelegten Argumente – dafür, dass gerade die Heterogenität und die integrative Beschaffenheit die digitale Kommunikation charakterisieren würden und ein übergreifender Terminus daher angebracht sei. Definiert wird er wie folgt: „Digilect is a new language variety with specific features that are not characteristic to communication transmitted by other mediums“ (S. 23). Anschließend folgen einige allgemeinere theoretische Ausführungen zu Lekten, die aber m. E. die Begriffswahl nicht wesentlich erhellen. Die zahlreichen Untergliederungen (die nicht im Inhaltsverzeichnis aufgeführt sind)[6] erleichtern dabei das Verständnis des Argumentationsflusses nicht gerade. Im Weiteren werden Genres and text types of digilect (Kap. 2.2) aufgeführt, wozu die Autorin – im Sinne der von ihr postulierten charakteristischen Heterogenität – E-Mails, Internetforen, Blogs, Vlogs, Tweets, Social Media, Online-Chats, Instant Messaging (IM), SMS, MMS sowie das Hashtag zählt (warum Tweets bzw. Twitter nicht zu den sozialen Medien gerechnet werden oder warum das Hashtag ein eigenes Genre bildet, bleibt dabei offen). Es erübrigt sich die Anmerkung, dass all diese Kommunikationsformen z. T. sehr unterschiedlichen Produktions- und Rezeptionsbedingungen unterliegen und die Ermittlung gemeinsamer sprachlicher Merkmale daher nur begrenzte Aussagekraft besitzt.

In Kapitel 3 wird umfassend auf die charakteristischen Merkmale des Digilects eingegangen und zwar im Hinblick auf pragmatic-textological characteristics (3.1), lexical features (3.2), grammatical features (3.3), formal characteristics (3.4) und visuality (3.5). Abgesehen von bereits erwähnten störenden Redundanzen und z. T. fehlerhaften, doppelten oder unklaren Kategorisierungen (siehe oben und vgl. z. B. S. 75 und S. 90) enthält das Kapitel durchaus sehr viele interessante (ungarische) Beispiele, wenn auch manche von ihnen mittlerweile eher als historische Belege dienen dürften. Positiv hervorzuheben sind außerdem die beiden grammatischen Case Studies zu topic repeating structure (3.3.5) sowie zur Grammatikalisierung des ungarischen Ausdrucks asszem (3.3.6), die diese Phänomene sehr detailliert und auch mit quantitativen Methoden beleuchten.

Das anschließende Kapitel 4 widmet sich den Ergebnissen der Umfragen (siehe oben). Zwar erfährt man in diesem Kapitel einiges über Nutzungsgewohnheiten von Schüler_innen (Kap. 4.1); dadurch, dass der Fragebogen schon zehn Jahre zurückliegt, sind allerdings sowohl die Fragen (z. B.: ob und wie lange jemand einen Computer zu Hause hat) als auch die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten (z. B.: WAP als Antwort auf die Frage, wofür das Handy genutzt wird) nicht mehr aktuell. Der zweite Fragebogen (Kap. 4.2) ist etwas neuer (2010) und vermittelt einen Einblick in die (damaligen) Nutzungsgewohnheiten verschiedener Altersgruppen. Die Teilnehmenden wurden darüber hinaus auch gefragt, welche sprachlichen Formen (z. B. Abkürzungen) sie selbst verwenden und ob sie dies auch außerhalb der digitalen Kommunikationsangebote tun; interessanterweise antworteten viele Teilnehmende, dass sie im digital-dialogischen Schreiben keine Abkürzungen verwenden (S. 175), im handschriftlich-monologischen hingegen schon (S. 177f.).

Dieses interessante Ergebnis zeigt gleichsam auf, dass die in Kapitel 5 (mit dem umständlichen Titel The Impact of Digilect on non-digital Media According to Corpus Analysis Findings) vertretene Annahme einer einseitigen Beeinflussung – vom Digilect auf nicht-digitale Kommunikationsformen – zu kurz greift. Die Frage nach Interferenzen zwischen verschiedenen digitalen und nicht-digitalen Kommunikationsformen wäre denn auch durchaus interessant, zumal neben den handschriftlichen Notizen in den Übungsheften und den dialogischen Zettelnachrichten in diesem Kapitel auch Werbeplakate sowie mündliche Gespräche (siehe oben) untersucht werden. In formaler Hinsicht ist die Qualität vieler Abbildungen in diesem Kapitel zu bemängeln (z. B. S. 209, 219, 233).

Das letzte Kapitel schließlich, das eine Zusammenfassung, Schlussfolgerungen sowie „directions for further research“ (S. 236) enthält, ist mit nur drei Seiten Umfang sehr kurz geraten und behandelt vor allem die Auswirkungen sowie mögliche Anknüpfungspunkte des Digilect-Konzepts.

Insgesamt ist festzuhalten, dass das Buch Schwächen sowohl in methodischer als auch in theoretischer sowie stilistisch-formaler Hinsicht aufweist, was insbesondere dem Umstand geschuldet ist, dass die zugrundeliegenden Daten überholt sind und die durchgeführten Analysen hinter dem aktuellen Forschungsstand zurückliegen. Es stellt sich daher die Frage, ob die zeitintensive Übersetzung des ungarischen Originalmanuskripts tatsächlich lohnenswert war.

Literatur

Abel, Jürgen. 2000. Cyberslang. Die Sprache des Internet von A bis Z. München: Beck.Search in Google Scholar

Albert, Georg. 2015. Semiotik und Syntax von Emoticons. In: Zeitschrift für angewandte Linguistik 62(1), 3–22. 10.1515/zfal-2015-0001Search in Google Scholar

Crystal, David. 2001. Language and the Internet. Cambridge: University Press.10.1017/CBO9781139164771Search in Google Scholar

Dürscheid, Christa & Karina Frick. 2016. Schreiben digital: Wie das Internet unsere Alltagskommunikation verändert (Einsichten 3). Stuttgart: Kröner. Search in Google Scholar

Dürscheid, Christa. 2016. Nähe, Distanz und neue Medien. In: Helmuth Feilke & Mathilde Hennig (Hg.): Zur Karriere von ‚Nähe und Distanz‘. Rezeption und Diskussion des Koch-Oesterreicher-Modells (Reihe Germanistische Linguistik 306). Berlin, Boston: De Gruyter, 357–385.10.1515/9783110464061-013Search in Google Scholar

Siever, Torsten, Peter Schlobinski & Jens Runkehl (Hg.). 2005. Websprache.net. Sprache und Kommunikation im Internet (Linguistik – Impulse & Tendenzen 10). Berlin, Boston: De Gruyter.10.1515/9783110202052Search in Google Scholar

Spitzmüller, Jürgen. 2014. Die dunkle Seite des Textes. „Mündlichkeit“ als Hilfskonzept der Text- und Medienlinguistik. In: Elke Grundler & Carmen Spiegel (Hg.): Konzeptionen des Mündlichen – wissenschaftliche Perspektiven und didaktische Konsequenzen. Bern: hep-Verlag, 32–46. Search in Google Scholar

Marx, Konstanze & Georg Weidacher. 2014. Internetlinguistik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen: Narr.Search in Google Scholar

Published Online: 2018-06-06
Published in Print: 2018-11-27

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

Downloaded on 30.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2018-0024/html
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