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Katharina Salzmann. 2017. Expansionen in der deutschen und italienischen Wissenschaftssprache. Kontrastive Korpusanalyse und sprachdidaktische Überlegungen (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 3). Berlin: Erich Schmidt. 302 S.
1 Gegenstand und Struktur des Bandes
Der vorliegende Band ist die überarbeitete Version einer sprachgermanistischen Dissertation, die an der Universität Pisa verfasst und angenommen wurde. Den Gegenstand bilden Expansionen in deutschen und italienischen wissenschaftlichen Vorträgen und deren Vermittlung im DaF-Unterricht. Es geht also zuerst einmal um ein syntaktisches Phänomen, das vor allem in der gesprochenen Sprache anzutreffen ist. Solche Erweiterungen einer eigentlich abgeschlossenen syntaktischen Struktur durch zusätzliches lexikalisches Material (für Beispiele s. u.) werden beschrieben, im Rahmen von Grammatikmodellen eingeordnet, analysiert und im Hinblick auf ihre kommunikativen Funktionen diskutiert und kategorisiert (zu Typen von Erweiterungen s. u.). Zusätzlich nimmt die Autorin eine kontrastive Perspektive ein, indem sie Analogien zwischen den entsprechenden Strukturen im Deutschen und im Italienischen identifiziert und hinsichtlich ihrer Frequenz, Distribution sowie Funktion vergleicht. Die linguistischen Teildisziplinen, deren Begriffe und Methoden hier herangezogen werden, sind also in erster Linie Syntax- und Pragmatikforschung sowie die kontrastive Linguistik. Darüber hinaus erfordert der wissenschaftliche Vortrag als Gegenstand aber auch Überlegungen zu fachsprachlichen Besonderheiten und zu den Spezifika der (bisweilen medial schriftlich gestützten) gesprochenen Sprache, um das zur Diskussion stehende Phänomen angemessen beschreiben und erklären zu können. Zusätzlich nimmt sich Salzmann auch noch vor, zumindest ansatzweise didaktische Konzepte vorzustellen, die eine Vermittlung von Expansionen im DaF-Unterricht erleichtern.
Dieser erste Überblick zeigt bereits, dass es sich um ein ambitioniertes Projekt handelt, das eine breite Kenntnis sprachwissenschaftlicher Begriffe und Methoden sowie die Fähigkeit zur Beschränkung auf wirklich notwendige Gedanken voraussetzt. Um das abschließende Urteil im Grundsatz vorwegzunehmen: Es ist der Autorin gelungen, die verschiedenen Elemente zu einem organischen Ganzen zu verbinden, Expansionen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und einen wichtigen Beitrag zur Diskussion von Expansionen zu leisten.
Das Buch ist in zwei Teile mit drei bzw. fünf Kapiteln gegliedert. Der erste Teil ist den theoretischen und methodischen Grundlagen des Ansatzes gewidmet. Im ersten Kapitel befasst sich Salzmann mit der gesprochenen Sprache als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Untersuchungen und stellt dazu die Forschungssituation sowohl in Deutschland als auch in Italien dar. Ein Unterkapitel (Kap. 1.3.4) präsentiert den Ansatz der Online-Syntax, wie ihn v. a. Auer (z. B. 2007) vertritt und der für die vorliegende Arbeit einen wichtigen theoretischen Bezugspunkt bildet. In einem weiteren Unterkapitel beschäftigt sich die Autorin mit der gesprochenen Sprache und ihrer Bedeutung für den DaF-Unterricht. Das zweite Kapitel stellt die wichtigsten Erkenntnisse der Wissenschaftssprachforschung vor. Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Charakterisierung wird sodann der wissenschaftliche Vortrag als kommunikative Gattung (im Anschluss an Luckmann 1986) beschrieben und schließlich das hier analysierte Korpus präsentiert, das im Rahmen des GeWiss-Projektes (vgl. Fandrych, Meißner & Slavcheva 2014) erstellt wurde. Im dritten Kapitel geht es schließlich im engeren Sinne um die Syntax von Expansionen im Deutschen und im Italienischen. Hier wird u. a. auch die Entscheidung begründet, nicht den Terminus „Nachfeldbesetzung“ zu verwenden. Im letzten Unterkapitel (Kap. 3.5) entwickelt Salzmann eine sprachübergreifende Typologie von Expansionen.
Der zweite Teil, die Vorstellung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung, beginnt mit Ausführungen zur quantitativen Analyse, in der es v. a. um die Frequenz der verschiedenen Expansionstypen in beiden Sprachen geht. In den darauffolgenden Kapiteln werden die einzelnen Expansionstypen im Detail vorgestellt, kommentiert und eingeordnet: Kapitel 5 behandelt die beiden am häufigsten vertretenen Klassen von Expansionen (genauere Angaben dazu s. u., Abschnitt 3), Kapitel 6 alle anderen. In Kapitel 7 diskutiert die Autorin die pragmatischen Funktionen der Expansionen, also die Frage, was die jeweiligen Vortragenden genau tun, wenn sie nach rechts erweiterte Sätze verwenden. Auch hier richtet sich der Blick sowohl auf das Deutsche als auch auf das Italienische. Im achten und letzten Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und didaktische Schlussfolgerungen daraus gezogen.
Der Band ist nach klaren und nachvollziehbaren Kriterien aufgebaut. Das Inhaltsverzeichnis macht dem Leser die Orientierung leicht, weil es einen präzisen Eindruck vom Inhalt der einzelnen Kapitel gibt. Die Argumentation der Autorin ist insgesamt transparent und stringent. Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel bringen die wichtigsten Gedanken noch einmal auf den Punkt und erleichtern die weitere Lektüre. Abgeschlossen wird der Band durch ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie einen kurzen Überblick über die Transkriptionskonventionen GAT 2.
2 Daten
Das Untersuchungsmaterial für die Studie von Salzmann bilden 14 Expertenvorträge in deutscher und 19 in italienischer Sprache. Für die Beispiele in deutscher Sprache greift die Autorin auf die im GeWiss-Korpus zugänglichen Texte zurück. Die italienischen Beispiele wurden von ihr aufgenommen, transkribiert und dann in das GeWiss-Korpus integriert, wo sie ebenfalls öffentlich zugänglich sind (GeWiss). Alle Vorträge sind thematisch im Bereich der Linguistik und der Sprachdidaktik angesiedelt. Dokumentiert wurde jeweils sowohl der Vortrag als auch die anschließende Diskussion.
Die Beschränkung auf ein Fachgebiet führt dazu, dass die Vergleichbarkeit der Daten überzeugend begründet werden kann. In Bezug auf die Kommunikationssituation, die kommunikative Funktion der Äußerungen und ihrer Einpassung in einen Wissenschaftsdiskurs lassen sich Analogien herstellen, die garantieren, dass ein tertium comparationis für die kontrastive Analyse vorhanden ist. Salzmann weist allerdings darauf hin, dass der Anteil offensichtlich abgelesener Vorträge im italienischen Teilkorpus mit geschätzten 26 % etwas höher liegt als im deutschen, wo 85 % der Vorträge nach Einschätzung der Beobachterin frei gesprochen wurden. In beiden Fällen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es sich um Sprachproduktionen handelt, die zwar genau geplant sind, sich tendenziell aber trotzdem dem Mündlichkeitspol annähern.
Das Untersuchungsmaterial wird in diesem Buch in vorbildlicher Weise aufgearbeitet und präsentiert. Die Zugänglichkeit des Korpus macht zudem jederzeit eine Überprüfung der Schlussfolgerungen möglich.
3 Grundbegriffe, Methode und Ergebnisse
Auf der Ebene der untersuchten Sprachphänomene stellt der Begriff der Expansion das tertium comparationis dar. Es handelt sich um verbales Material, das im Mittelfeld, Nachfeld oder rechten Außenfeld an eine eigentlich abgeschlossene syntaktische Struktur angefügt wird oder um Fälle, in denen Satzglieder erst nach der Schließung der Verbalklammer realisiert werden. Salzmann führt aus, wie solche Fortführungen in unterschiedlichen Modellen der Beschreibung des Deutschen und des Italienischen klassifiziert und terminologisch erfasst werden können. Sie diskutiert die Feldertheorie sowie Begriffe wie Ausklammerung, Rechtsversetzung, Nachfeldbesetzung oder – im Italienischen – dislocazione a destra bzw. appendice. Dabei weist sie auch auf die typologischen Unterschiede zwischen den beiden Sprachen hin, die bezüglich der hier diskutierten Phänomene v. a. darin liegen, dass im italienischen Satz keine feste Stellung des Verbs vorgesehen ist, dass finite und infinite Verbformen normalerweise zusammenstehen und keine Satzklammer bilden und dass es keine strukturellen Unterschiede zwischen Haupt- und Nebensätzen gibt (vgl. S. 97). Die Autorin begründet überzeugend, dass der Begriff der Expansion am ehesten geeignet ist, die Gemeinsamkeiten der Phänomene trotz dieser strukturellen Unterschiede beschreib- und analysierbar zu machen.
Der Begriff der Expansion wird in Anlehnung an die Arbeiten von Peter Auer gewählt. Auch methodisch schließt sich Salzmann dem Ansatz Auers an. Das Modell der Online-Syntax wird herangezogen, weil es am ehesten geeignet ist, die syntaktischen Reflexe der Flüchtigkeit der gesprochenen Sprache, ihrer Irreversibilität und die hier notwendige Synchronisierung der Bewusstseinsströme der Interaktionspartner zu erfassen. Als für ihre Argumentation zentrale syntaktische Grundoperation macht Salzmann die Projektion aus:
„Durch Projektionen über den weiteren Verlauf der emergenten syntaktischen Struktur werden im Rezipienten Erwartungen über die weitere Entwicklung syntaktischer Muster hergestellt. Projektionen sind deswegen so wichtig, weil sie die Informationsprozessierung erleichtern (sie geben dem Sprecher mehr Zeit für die Produktion und stellen eine kognitive Entlastung für den Rezipienten dar) sowie wichtige interaktive Funktionen erfüllen (Sicherung des Rederechts, Vorhersagen über mögliche übergaberelevante Punkte).“ (S. 39)
Ganz offensichtlich ist das Projektionspotential von rechtsverzweigenden Strukturen aus naheliegenden Gründen sehr viel größer als das von linksverzweigenden. Die Versetzung von Satzgliedern über den äußeren rechten Rand des Satzes hinaus kann also in dieser Perspektive analysiert werden.
Auf der Grundlage prosodischer und syntaktischer Kriterien werden fünf Typen von Expansionen dargestellt (vgl. S. 133): 1. ausgeklammerte Expansion (Ausklammerung einer vollständigen syntaktischen Struktur), 2. lineare Expansion (ausgeklammerte und Vorgängerstruktur bilden gemeinsam eine syntaktische Einheit), 3. koordinative Expansion (Verbindung des hinzugefügten Materials durch Koordination), 4. appositive Expansion (Appositiv als hinzugefügtes Material), 5. Rechtsversetzung (syntaktische Struktur mit pronominalem Satzglied wird expandiert). Die Autorin exemplifiziert und diskutiert diese Klassen anhand zahlreicher Beispiele aus dem Korpus und identifiziert als mögliche kommunikative Funktionen der Expansionen: Ergänzung, Kommentar, Reformulierung, Reparatur und Modalisierung.
Das Deutsche und das Italienische unterscheiden sich bezüglich der Expansionen in mehreren Hinsichten voneinander. Im italienischen Korpus sind Expansionen häufiger anzutreffen, die Typen von Expansionen werden mit unterschiedlicher Häufigkeit verwendet, und es gibt Frequenzunterschiede im Hinblick aus das expandierte Material (PP, NP, AdjP, AdvP). Funktional ist zu beobachten, dass im Italienischen Fremdreparaturen signifikant häufiger vorgenommen werden (vgl. S. 265) und dass dabei teilweise kollaborativ hergestellte Expansionen auftreten – eine Struktur, die im deutschen Material nicht nachgewiesen werden kann.
Die Ergebnisse der qualitativen und der quantitativen Analyse werden jeweils sprachtypologisch eingeordnet, sodass dem Leser ein klares Bild von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden Sprachen vermittelt wird.
4 Kritische Würdigung
Die Arbeit von Katharina Salzmann identifiziert ein Phänomen, das für die Erforschung und Vermittlung von Besonderheiten der (mitunter medial schriftlich gestützten) gesprochenen Sprache, insbesondere im Bereich der Wissenschaftskommunikation, relevant ist. Sie beschreibt und analysiert Expansionen in kontrastiver Perspektive und unter verschiedensten Gesichtspunkten. Hervorzuheben ist, dass von der Prosodie bis zur Pragmatik verschiedene Ebenen der linguistischen Beschreibung herangezogen und in angemessener Weise integriert werden, um ein Gesamtbild der Untersuchungsgegenstandes zu zeichnen, das als Grundlage für weitere Überlegungen linguistischer oder didaktischer Natur dienen kann.
Aus der Diskussion vorhandener Ansätze zur syntaktischen Erfassung von Expansionen und der Konfrontation dieser mit den Korpusdaten entwickelt die Autorin einen eigenen Vorschlag zur Typologie, der an andere wissenschaftliche Modelle anschließbar bleibt und damit die Diskussionen voranbringen kann. Der Erklärungsansatz basiert auf Daten, die gut dokumentiert, diskutiert und interpretiert werden. Der rote Faden der Arbeit und ihre Argumentation sind jederzeit nachvollziehbar und die Ausführungen werden in angemessener Weise durch Tabellen oder Diagramme illustriert und unterstützt. Die intensive und detaillierte Diskussion der einzelnen Beispiele stört zwangsläufig etwas den Lesefluss, ist aber andererseits in einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit unerlässlich. An manchen Stellen hat man jedoch den Eindruck, dass sich Salzmann etwas zu viel vorgenommen hat. Die Relevanz der kontrastiven Analyse im Hinblick auf das Ziel der sprachdidaktischen Anwendung ist nicht immer ganz klar. So umfasst das letzte Kapitel sowohl die Zusammenfassung der gesamten Diskussion als auch die Vorschläge zur didaktischen Umsetzung. Letztere können dabei zwangsläufig nur sehr kurz gestreift werden. Ein Verzicht auf den einen oder anderen Aspekt wäre hier ratsam gewesen. Insgesamt handelt es sich aber um eine interessante und auch originelle Arbeit, die einem komplexen Phänomen gerecht wird und die weitere Diskussion im Fach anregt.
Literatur
Auer, Peter. 2007. Syntax als Prozess. In: Heiko Hausendorf (Hg.). Gespräch als Prozess. Linguistische Aspekte der Zeitlichkeit verbaler Interaktion. Tübingen: Gunter Narr, 95–124. Search in Google Scholar
Fandrych, Christian, Cordula Meißner & Adriana Slavcheva (Hg.) 2014. Gesprochene Wissenschaftssprache. Korpusmethodische Fragen und empirische Analysen. Heidelberg: Synchron. Search in Google Scholar
Luckmann, Thomas. 1986. Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 27, 191–211.10.1007/978-3-322-91077-6_10Search in Google Scholar
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