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Peter Klotz. 2017. Modifizieren. Aspekte pragmatischer und sprachlicher Textgestaltung. Berlin: Erich Schmidt. 214 S.
Dies ist ein sehr eigenwilliges Buch. Es enthält Überlegungen des Autors zum Thema Modifizieren, die weitgehend frei sind von der Auseinandersetzung mit dem aktuellen Diskussions- oder Forschungsstand zum Thema. Dieser Verzicht auf eine Kontextualisierung der eigenen Vorstellungen erweckt zweifellos einen gewissen Originalitätseindruck. Auch wenn nicht bestritten werden soll, dass dieser bisweilen eingelöst wird, so geschieht dies doch zu einem hohen Preis: Man erfährt letztlich nicht, wo dieses Buch über den aktuellen Stand der Dinge hinausgeht, wo und wie es sich von ihm abgrenzt und wo es ihn bestätigt. Es lebt ganz vom eigenen Argumentationsduktus.
Im Vorwort wird das Ziel des Buches benannt: Es soll das Modifizieren untersucht werden, wobei dieses als kognitives, kommunikatives und affektives Tun bezeichnet wird, „das ein bestehendes Denken und/oder Sagen anders formen und somit verändern will ...“ (S. 9). Weiterhin wird Modifizieren als geistig-kommunikatives Handeln beschrieben, „das sich natürlich auch sprachlich niederschlägt“ (ebd.). Es ist außerdem eine Binnenhandlung in Texten, eine sprachlich-kommunikative Handlungsweise oder eine Sprachhandlung – „was aber nicht genügt“ (S. 10).
Auf diese einleitenden Bemerkungen, die schon die extreme Weite des untersuchten Gegenstandes zeigen, folgt das erste Kapitel, das mit „Modifizieren im Fokus. Eine Einführung“ überschrieben ist. Modifizieren wird hier verstanden als „mentaler Gestus, der sich als sprachliches Handeln mit sowohl geistiger als auch kommunikativer Bewusstheit verbindet“ (S. 12). Klotz schließt sich den von Ehlich (2000) eingeführten Begriffen der Prozedur und des Lenkfelds an, um diese Verortung allerdings sogleich wieder zurückzunehmen mit der Begründung, es sei „zunächst sinnvoll, auf eine konventionelle Begrifflichkeit zu verzichten, denn sie würde zu früh und einseitig eingrenzen“ (S. 13). Genau dies hätte man aber in einem einleitenden Kapitel erwartet. Etwas später findet sich die Charakterisierung des Modifizierens als „die differenzierende Veränderung einer Grundaussage“ (S. 15). Dies ist sicher klarer, aber wohl auch zu weit gefasst, denn damit würde jede reaktive Äußerung im Diskurs als Modifizieren gewertet. Die Diskussion eines Beispieltextes von Hannelore Schlaffer, der als Feuilletonbeitrag erschien und in dem es um altersbezogenen Kulturkonsum geht, verstärkt den Eindruck eines unzulänglich abgegrenzten Gegenstandsbereichs. Sicher will die Autorin eine vorherrschende Meinung modifizieren, sonst hätte sie den Text nicht geschrieben. Dies zum Ausgangspunkt der Definition von Modifizieren zu nehmen, ist allerdings eher unglücklich.
Im zweiten Kapitel werden „Anlässe – Zwecke – Wirkungen des Modifizierens“ unterschieden. Unter die Zwecke werden unter anderem die Verbesserung oder Korrektur in sachlicher Hinsicht, Veränderungen der Schwerpunktsetzung oder der Perspektive, die Schärfung oder Entschärfung des Anliegens sowie der Bereich des face work und der Höflichkeit gefasst. Im weiteren Verlauf wird Modifikation im Sinne einer Verschiebung des thematischen Fokus erläutert; außerdem geht es noch einmal um Zwecke und perlokutive Aspekte – illustriert an Fallbeispielen aus den Werken von Heinrich von Kleist.
Das dritte Kapitel sieht Modifizieren als „Soziokommunikative Konstellationen“, zu denen auch das Feld der Höflichkeit bzw. der politeness und des face work gehört. Wiederum werden an einer Reihe von literarischen Beispielen sprachliche Strategien geschildert, die zu der einen oder anderen Äußerungsform führen. In weiteren Abschnitten werden die Ebene der Sachinformation und damit der Adressatenorientierung im Sinne einer Verständlichkeit oder Erfolgsstrategie von Textproduktionen einerseits, die Sphäre der öffentlichen Kommunikation vor allem in Bezug auf Kommentare und Dokumentationen andererseits thematisiert. In diesem, aber auch in dem vorangegangenen Kapitel stellt sich die Frage nach der Abgrenzung des Gegenstandsbereichs immer drängender. Die gegebenen Beispiele, die durchaus das sprachliche Bemühen der Sprecher_innen/Schreiber_innen veranschaulichen, könnten ebenso gut Beispiele für die Tätigkeit des Formulierens und nicht des Modifizierens sein. Über den ausgeprägten Forschungsbereich des Formulierens und seine Abgrenzung zum Modifizieren erfährt man aber nichts (vgl. Antos 2011).
Im vierten Kapitel geht es um „Modifizieren als sprachlicher Gestus“, und es wird mit der Unterscheidung zwischen Modifikation und Modalisierung begonnen. Erstere beinhaltet die Einschätzung der Sprecher_innen/Schreiber_innen zum geäußerten Sachverhalt und wird durch die flektierte Verbform angezeigt; Modalisierung dagegen gilt als eine Einschätzung der Gültigkeit einer Aussage und wird durch Adverbiale u. a. ausgedrückt. Inwiefern Modifizieren und Modifikation als über- bzw. untergeordnete Begriffe aufzufassen sind, wird letztlich nicht ganz deutlich, denn es wird bisweilen auch von Modifizierung gesprochen (vgl. S. 81). Später wird diese Unterscheidung auch wieder zurückgenommen, da sich in der Sicht des Autors diese Sprachformen „pragmatisch“ einander näher stehen, als man erwarten sollte (vgl. S. 92). Als sprachliche Mittel des Modifizierens werden hier Modalpartikeln, Modaladverbiale, Präpositionen und Konjunktionen genannt. Auch der Verbmodus in Gestalt des Konjunktiv II ebenso wie der Indikativ und die Negation, schließlich auch die Tempora werden behandelt.
Im zweiten Teilkapitel wird das schon früher in Klotz (1996) eingeführte Modell des informationsgesättigten Satzes in Form eines Selbstzitats über gut drei Seiten aufgeführt. Dieses umfasst neben dem valenzbestimmten ‚Satzkern‘, dem Prädikat und seinen Ergänzungen, auch ‚Erweiterungen‘ in Gestalt von Adverbialien, schließlich die ‚Satzmodalität‘ und eine ‚Strukturierung‘, wobei Letztere in Termini der Satzmodalität erklärt wird (vgl. S. 103). Das Modell kombiniert der Autor mit der Poetizitätsformel von Roman Jakobson, nach der das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination übertragen wird (vgl. Jakobson 1979: 94). Modifiziert werden in diesem Sinne Adjektive durch Adverbien, Nomen durch Komposition oder Derivation bzw. durch Attribute. Hinsichtlich der Begriffe des Wortfeldes und der Isotopierelation gelten auch die jeweilige Wortwahl und ihre Alternativen als Mittel der Modifizierung.
Die Untersuchung der Textebene erfolgt im Anschluss. Hier geht es um Thema-Rhema-Strukturen sowie um die Abfolge und die internen Bezüge der Textsegmente. Die Gliederung eines Textes in Segmente, also Abschnitte, wird dabei als eine Ausprägung des textbezogenen Modifizierens aufgefasst. Die Abfolge von Propositionen in einem Textsegment ist dabei, ausgehend von einem Diskurstopik, eine fortschreitende Spezifizierung, wobei in einer Grafik eine Ideallinie von hinreichender Spezifizierung und ebenfalls hinreichender Redundanz gezeichnet ist (vgl. S. 133). Modifizieren wird dann als Möglichkeit aufgefasst, innerhalb eines Segments die Reihenfolge der Einzelpropositionen zu vertauschen. Zum Abschluss dieses Kapitels finden sich noch einmal die unterschiedlichen Dimensionen des Modifizierens in einer Tabelle (vgl. S. 143).
Das „Modifizieren als pragmatischer Gestus“ ist im fünften Kapitel angesprochen. Es wird als Sprachhandlung aufgefasst, durch das „alternative, differenzierende, erweiternde oder auch einschränkende Aspekte eingebracht werden“ (S. 147). In einer Übersicht werden verschiedene Handlungsstrukturen – auch als Textsorten benannt – unterschieden, und diese erfahren die Zuordnung einer Hauptintention, eines Hauptsachverhalts, eines Bündels weiterer Intentionen sowie einer Gruppe von Modifizierungen in Binnenstrukturen. Auf diese Weise werden Beschreiben, Argumentieren, Appellieren, Erzählen, Dokumentieren und „weitere Textsorten“ differenziert (S. 149). Man hätte sich gewünscht, dass diese durchaus instruktive Liste im anschließenden Text erläutert oder an Beispielen durchdekliniert würde. Dies ist aber nicht der Fall, stattdessen werden verschiedene Grade der Intensität des Modifizierens, wie negierende, relativierende, einschränkende bzw. ergänzende, nuancierende Modifizierungen unterschieden und erörtert. Eines der vielen Textbeispiele ist ein architekturkritischer Text, der insofern als modifizierend eingeordnet ist, als er sich mit vorherrschenden Ideen einer Stadtplanung und ‑architektur auseinandersetzt. Am Beispiel der Ringparabel in Lessings Nathan der Weise werden verschiedene Techniken des Modifizierens aufgezeigt, und der zitierte Ausschnitt der Parabel als Ganzer wird wiederum als Diskursmodifikation eingeordnet.
Die abschließenden Kapitel sechs und sieben behandeln das Modifizieren unter didaktischem Aspekt und gehen auf die ethischen Aspekte des Modifizierens ein.
In einer Gesamtsicht auf das vorliegende Buch stellt sich die Frage, ob hier ein konsistenter Begriff des Modifizierens entwickelt wird, der unter verschiedenen Aspekten, mit Bezug auf unterschiedliche linguistische Abstraktionsebenen und mithilfe unterschiedlicher Textbeispiele expliziert wird. Im Verlaufe der Argumentation kommen zwar immer wieder unterschiedliche Aspekte des Modifizierens zur Sprache, wobei der lexikalisch-grammatische Bereich am besten nachvollziehbar ist. Die Unterscheidung von Modifiziertem und Modifizierendem ist aber nicht immer gut erkennbar oder überhaupt anwendbar; bei einem Prädikat, das durch Adverbiale modifiziert wird, ist der Fall klar, aber die Übertragung auf andere Fälle gelingt selten. Bisweilen erscheint es so, dass die Wahl eines Ausdrucks an sich, ja das Einnehmen einer Perspektive oder das Vertreten einer speziellen Meinung als Modifizieren aufgefasst wird – weil eine prinzipiell mögliche Alternative eben nicht gewählt wird. Hierdurch wird der Begriff allerdings zu weit ausgedehnt, denn in dieser Sicht ist letztlich jeder Sprech- oder Schreibakt als Modifizieren aufzufassen.
Fragt man sich schließlich, an wen sich das Buch wendet, so wird auch dies nicht ganz deutlich. Es wird weitgehend Bekanntes vermittelt, und dies in der Sichtweise des Autors. Seine eigenen früheren Arbeiten fließen stark in die Argumentation ein, so dass man streckenweise den Eindruck gewinnt, es handle sich um die Summe des eigenen Schaffens. Eine Einführung in das Thema kann es deswegen nicht sein, denn man erfährt dafür nicht genug; eine These mit einem gewissen Novitätsanspruch aber auch nicht, denn für diesen Anspruch fehlt die Basis eines state of the art. Nun sollten die Fragen, auf welchen Diskussionsstand sich das Buch einerseits bezieht und inwiefern es über diesen hinausgeht, möglichst früh oder wenigstens im Laufe der Lektüre beantwortet werden, wenn man sich von dieser einen Gewinn verspricht. In diesen Hinsichten lässt das Buch seine Leser_innen ratlos zurück – es wird nicht deutlich, welchen Zweck der Autor mit ihm letztlich verfolgt.
Literatur
Antos, Gerd. 2011. Theorie des Formulierens. Berlin, Boston: De Gruyter.Search in Google Scholar
Ehlich, Konrad. 2016. Prozedur. In: Helmut Glück & Michael Rödel (Hg.). Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler, 544–545.Search in Google Scholar
Klotz, Peter. 1996. Grammatische Wege zur Textgestaltungskompetenz. Theorie und Empirie. Tübingen: Max Niemeyer.10.1515/9783110940053Search in Google Scholar
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