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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter October 10, 2018

Rita Finkbeiner, Jörg Meibauer & Heike Wiese (Hg.). 2016. Pejoration. (Linguistik Aktuell / Linguistics Today 228). Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins. vii, 357 S.

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Rita Finkbeiner, Jörg Meibauer & Heike Wiese (Hg.). 2016. Pejoration. (Linguistik Aktuell / Linguistics Today 228). Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins. vii, 357 S.


In den letzten Jahren ist ein vermehrtes sprachwissenschaftliches Interesse an Mechanismen sprachlicher Abwertung zu verzeichnen, was sich in Monographien und Sammelbänden zu Themen wie Unhöflichkeit (z. B. Culpeper 2011), Hate Speech (z. B. Meibauer 2013), verbaler Aggression (z. B. Bonacchi 2017) oder expressiver Bedeutung (z. B. Potts 2005) spiegelt. Während die bisherigen Studien das Thema primär aus (sozio-/diskurs-) pragmatischer, sprachphilosophischer und semantischer Perspektive betrachtet haben, nimmt der von Rita Finkbeiner, Jörg Meibauer und Heike Wiese herausgegebene Sammelband eine neue Perspektive auf das Thema ein: Pejoration – klassischerweise verstanden als semantische Eigenschaft sprachlicher Ausdrücke – wird hier an der Pragmatik-Grammatik-Schnittstelle verortet und in das Zentrum einer systematischen, alle sprachwissenschaftlichen Beschreibungsebenen umfassenden Betrachtung gestellt.

Der vorliegende Band basiert teils auf Beiträgen, die beim gleichnamigen Workshop im Rahmen der 36. DGfS-Jahrestagung im März 2014 in Marburg gehalten wurden, teils auf eingeladenen Beiträgen. Die insgesamt dreizehn Artikel sind auf die drei Themenkomplexe „Pejoration in different linguistic domains“, „Pejoration, slurring and sarcasm“ und „Pejoration in different linguistic contexts“ aufgeteilt. Den Beiträgen geht eine substantielle Einleitung der HerausgeberInnen voraus, in der umrissen wird, was sie unter Pejoration verstehen, wie negative Bewertung sprachlich ausgedrückt werden kann und in welchen sprachwissenschaftlichen Bereichen Pejoration eine wichtige Rolle spielt.

Der erste Themenkomplex zu Pejoration in verschiedenen linguistischen Domänen möchte der weiten Perspektive des Sammelbands gerecht werden, indem er Beiträge zu Phonologie (Prosodie), Morphologie (Derivation), Semantik (Quantifikation) und Pragmatik (Deixis und Generizität) enthält – womit (außer der Syntax) die wesentlichen Kerngebiete abgedeckt wären. Der breiten Perspektive in diesem ersten Teil ist nun geschuldet, dass keine Bezüge zwischen den methodisch und theoretisch diversen einzelnen Arbeiten erkennbar werden, die jede für sich genommen jedoch interessante Beiträge zur Pejorationsforschung in ihrer jeweiligen Disziplin liefern. – Die Haupterkenntnisse der einzelnen Aufsätze sollen nun knapp zusammengefasst werden.

Der phonologischen Untersuchung zu pejorativer Prosodie von Walter Sendlmeier, Ines Steffen & Astrid Bartelsliegt die Annahme zugrunde, dass HörerInnen fähig sind, die positive oder negative Einstellung der Sprecherin/des Sprechers zum geäußerten Sachverhalt an der Stimme und Sprechweise zu erkennen, und zwar selbst bei Äußerungen, aus denen die intendierte Evaluation nicht aus der wörtlichen Bedeutung hervorgeht. Anhand eines Experiments, in dem positive mit pejorativ evaluativen Sprechstilen verglichen werden, zeigen die AutorInnen, welche prosodischen Eigenschaften die Hörerin/den Hörer befähigen, Äußerungen reliabel als positiv oder negativ zu bewerten: Während sich positiv evaluative Sprechstile durch einen höheren durchschnittlichen Pitch, eine gesteigerte Sprechgeschwindigkeit und Betonung via Pitch auszeichnen, weisen pejorativ evaluative Sprechstile einen vergleichsweise niedrigen durchschnittlichen Pitch und eine signifikant niedrigere Sprechgeschwindigkeit auf; Betonung erfolgt hier primär durch Längung. Insgesamt wirkt die Satzintonation bei pejorativen Äußerungen somit eher monoton.

Antje Dammel & Olga Quindt untersuchen in ihrer diachronen, korpusbasierten Studie zu -(er)ei und Ge-e (wie z. B. Forscherei und Geforsche) die Entstehung pejorativer Wortbildungsmuster im Deutschen. Datenbasiert wird aufgezeigt, wie sich die pejorative Bedeutungskomponente sukzessive von der negativen Semantik der Basis und des Kontexts – zwei notwendigen Voraussetzungen für die Entstehung pejorativer Wortbildungsmuster – abkoppelt und auf das Derivationsmuster selbst überträgt. Dies bedeutet laut den Autorinnen jedoch nicht, dass Pejoration aktuell als expressiver Teil der Semantik der untersuchten Derivationsmuster anzusehen ist. Vielmehr sei die pejorative Bedeutung von -(er)ei- und Gee-Derivaten – trotz beobachtbarer Konventionalisierung – anhaltend kontextabhängig und somit in der Pragmatik zu verorten.

Auf dieses diachrone, die Schnittstelle zur Morphologie ausleuchtende Papier folgt ein Beitrag, der Pejorativa – oder allgemeiner use-conditional items (UCIs), d. h. Ausdrücke, deren Bedeutung nicht allein durch Wahrheitsbedingungen erfasst werden kann – aus semantischer Perspektive fokussiert. Daniel Gutzmann & Eric McCreadykonzentrieren sich dabei auf solche Phänomene, die ein Problem für bisherige formale Theorien der expressiven Bedeutung darstellen (z. B. Quantifikation mit verbalen Pejorativa wie in alle beglotzen Tina) und schlagen mit der Idee der kompositionellen Multidimensionalität eine Erweiterung des von Potts (2005) formulierten und von den Autoren weiterentwickelten formalen Modells zur Erfassung von UCIs vor.

Anhand von Beispielen des Typs Der Deutsche ist arrogant. diskutiert Franz d’Avis, warum generische Sätze und pejorative Äußerungen häufig miteinander einhergehen. Es wird argumentiert, dass die einer generalisierenden Äußerung zugrundeliegende Normalvorstellung nicht durch die Realität bestätigt sein muss. Ebenso wie für Normalvorstellungen im Allgemeinen gilt somit auch für generalisierende Sätze, dass Ausnahmen vom Normalen erlaubt sind – ein Faktum, das bei generischer Pejoration ausgenutzt wird. Schließlich kann Gegenevidenz laut d’Avis schlicht als Ausnahme interpretiert werden und muss nicht zu einem Abrücken von negativen Vorurteilen führen, die typischerweise durch generische Sätze ausgedrückt werden (Deutsche sind typischerweise arrogant, auch wenn Gegenbeispiele vorliegen). Generische Sätze eignen sich demnach besonders gut für Pejoration, da es praktisch unmöglich ist, sie zu entkräften.

Maria Averintseva-Klischs Studie beschäftigt sich mit Demon­strativa, die bei der Referenz auf Dritte eine übereinzelsprachlich feststellbare Affinität zu Pejoration aufweisen. Der auf das Deutsche fokussierende Beitrag zeigt, dass der pejorative Effekt von Demonstrativa wie dies- nicht Teil der Semantik ist, sondern pragmatisch abgeleitet wird. Beispiels­weise bedroht Referenz auf menschliche Entitäten mit einem Demonstrativum aufgrund der verbalen Zeigegeste das ‚negative face‘ des Referenten im Sinne von Brown & Levinson (1987).

Auf den ersten Teil, dessen Beiträge verdeutlichen, dass Pejoration ein Phänomen ist, das alle sprachlichen Domänen tangiert, folgt ein Abschnitt, in dem Pejoration im traditionelleren Sinne und zwar im Zusammenhang mit Verunglimpfungen (und darüber hinaus auch mit Ironie und Sarkasmus) betrachtet wird. Zunächst widmen sich sowohl Jörg Meibauer als auch Maria Paola Tenchini & Aldo Frigerio den Verunglimpfungen aus sprechakttheoretischer Perspektive. Während Ersterer Verunglimpfungen als separate illokutionäre Akte – nämlich Expressiva – analysiert, vertreten Letztere, ausgehend von der mehrschichtigen Semantik solcher Äußerungen, eine Multi-Sprechakt-Analyse. Dieser zufolge liegen bei Verunglimpfungen zwei illokutionäre Kräfte vor – und nicht, wie üblicherweise angenommen, eine konventionelle Implikatur. Meibauer argumentiert – teils auf Basis seiner Intuition und traditioneller Sichtweisen (S. 160) –, dass Verunglimpfungen wie engl. kraut ‚Deutscher‘ an sich dominante illokutionäre Indikatoren sind, und dass nur bei indirekten Verunglimpfungen, so wie bei anderen indirekten Sprechakten auch, zwei simultan realisierte Akte vorliegen. Auf diese Kritik gehen Tenchini & Frigerio jedoch nicht ein, sodass die Chance zur Diskussion der unterschiedlichen theoretischen Ansätze hier vertan wird.

Björn Technaus Aufsatz zu Verunglimpfungen beleuchtet das Thema aus empirischer Perspektive und stellt insofern eine gute Ergänzung zu den beiden vorangegangenen, rein theoretischen Betrachtungen dar. Es wird gezeigt, dass der – auch häufig vorkommende nicht-pejorative – Gebrauch und die Bedeutung pejorativer Ausdrücke weniger klar sind, als es in den bislang dominierenden theoretischen sprachwissenschaftlichen und philosophischen Studien angenommen wird. Gestützt auf eine Fragebogenstudie und authentische Gesprächsaufnahmen argumentiert Technau unter anderem dafür, die Semantik verschiedener Verunglimpfungen nicht zu generalisieren, sondern sie aufgrund ihrer unterschiedlichen referenziellen und pejorativen Komponenten sowie vor allem auch aufgrund ihres verschiedenen Grades an Anstößigkeit/Beleidigung zu differenzieren.

Dieser zweite Teil des Buchs schließt mit Marta Dynels Beitrag zu Pejoration via Ironie und (ironischem) Sarkasmus, der sich selbst als Ergänzung zu den traditionell im Zusammenhang mit Pejoration diskutierten Verunglimpfungen versteht. Als empirische Basis dienen hier Gesprächssequenzen aus der US-amerikanischen Fernsehserie House, wobei der Fokus des Beitrags auf der Charakterisierung und Abgrenzung der Konzepte ‚Ironie‘ und ‚Sarkasmus‘ liegt.

Die vier Aufsätze im letzten Themenkomplex widmen sich „Pejoration in different linguistic contexts“, nämlich im Kiezdeutschen und Türkischen, im Standarddeutschen, im Koreanischen und in der Deutschen Gebärdensprache. Was aufgrund des Titels wie eine Restekategorie erscheint, liefert noch einmal eine neue Perspektive auf das Thema, indem weitere Sprachen und Varietäten in den Fokus gerückt werden. So analysieren Heike Wiese & Nilgin Tanış Polat pejorative Muster wie die m-Reduplikation (z. B. Cola-Mola) in der urbanen multiethnisch geprägten Varietät Kiezdeutsch in Kombination mit ihren potentiellen Korrelaten im Türkischen. In ihrem Ansatz zur Beschreibung dieser Phänomene integrieren sie Pejoration – die nur eine Bedeutungskomponente darstellt – in ein komplexeres Netzwerk kognitiver Domänen, das auch Vagheit, Witzigkeit und ‚Coolness‘ umfasst.

Rita Finkbeiner befasst sich mit bla, bla, bla im Deutschen – einem nur scheinbar denotativ leeren meta-linguistischen Silben-Tripel. Mit diesem Element können SprecherInnen u. a. eine abwertende Einstellung gegenüber der vorangegangenen Äußerung einer/s Anderen ausdrücken, die als langweilig, dumm, unaufrichtig oder irrelevant degradiert wird. Wird bla, bla, bla sequenzeinleitend als Antwort gebraucht, ist die pejorative Komponente laut Finkbeiner konventionalisierter Teil der Konstruktion; tritt es innerhalb einer Sequenz auf, ist der abfällige Bedeutungsaspekt kontextuell bedingt, sprich eine Implikatur.

Den von Wiese & Polat und Finkbeiner diskutierten Phänomenen ist gemein, dass der pejorative Bedeutungsaspekt jeweils nur eine Bedeutungskomponente darstellt, und dass somit die Frage, wie dieser pejorative Bedeutungsaspekt zustande kommt, eine zentrale Rolle spielt. Hier knüpft der Beitrag von Hyun Jung Koo & Seongha Rhee an, der einen groben Überblick zu den Grammatikalisierungspfaden verschiedener pejorativer Marker im Koreanischen gibt. Es zeigt sich, dass sowohl bei gewissen Typen pejorativer Affixe im Koreanischen als auch bei der m-Reduplikation im Kiezdeutschen und bei bla, bla, bla im Standarddeutschen Faktoren wie Iteration oder Vagheit und die dadurch angedeutete Gleichgültigkeit der Sprecherin/des Sprechers hinsichtlich des ausgedrückten Sachverhalts eine Rolle spielen: Es scheint also eine enge konzeptuelle Verbindung zwischen diesen Komponenten zu geben.

Der abschließende Beitrag von Renate Fischer & Simon Kollien erscheint – ebenso wie der letzte Beitrag im vorangegangenen Komplex – etwas isoliert. Es wird gezeigt, wie Gehörlose das sprachliche und interaktive Verhalten Hörender in Deutscher Gebärdensprache darstellen. Den Schwerpunkt bilden Verfahren der Vermittlung negativer Einstellungen Gehörloser gegenüber Hörenden mittels gestischer Elemente wie Constructed Dialogue (d. h. direkte Wiedergabe eines Dialogs) und dabei auftretendem Code-Switching (z. B. Wechsel zu gesprochener Sprache).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Sammelband dem selbst gesteckten Ziel gerecht wird, Pejoration – mit einem klaren Fokus auf dem Deutschen – aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu beleuchten und das Phänomen an der Pragmatik-Grammatik-Schnittstelle zu verorten. Nicht nur verschiedene theoretische Ansätze, sondern auch unterschiedliche Methoden – von Korpus- und Fragebogenstudien über Experimente zu pejorativer Prosodie bis hin zu Konversationsanalysen – kommen in den einzelnen Beiträgen zur Anwendung. Interessant erscheinen auch die in vielen Beiträgen thematisierten Bezüge zu anderen kognitiven Domänen, wie beispielsweise Coolness und Witzigkeit (z. B. bei Wiese & Polat und Dynel), Vertrautheit (z. B. bei Technau) oder Vagheit und Gleichgültigkeit (z. B. bei Finkbeiner, Wiese & Polat und Koo & Rhee), die bei pejorativen Äußerungen mitunter eine Rolle spielen und zum Verständnis dieses komplexen Phänomens beitragen. Durch seine innovative Ausrichtung und die große Bandbreite an Themen stellt der vorliegende Sammelband eine willkommene Ergänzung zur bisherigen Forschung im Bereich negativer Evaluation dar und gibt an vielen Stellen Anreize zur weiteren Beschäftigung mit diesem Thema.

Literatur

Bonacchi, Silvia (Hg.). 2017. Verbale Aggression. Multidisziplinäre Zugänge zur verletzenden Macht der Sprache (Diskursmuster – Discourse Patterns 16). Berlin, Boston: De Gruyter.10.1515/9783110522976Search in Google Scholar

Brown, Penelope & Stephen C. Levinson. 1987. Politeness: Some Universals in Language Usage. Cambridge: Cambridge University Press.10.1017/CBO9780511813085Search in Google Scholar

Culpeper, Jonathan. 2011. Impoliteness: Using Language to Cause Offence. Cambridge: Cambridge University Press. 10.1017/CBO9780511975752Search in Google Scholar

Meibauer, Jörg (Hg.). 2013. Hassrede/Hate Speech. Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion. Gießen: Gießener Elektronische Bibliothek.Search in Google Scholar

Potts, Christopher. 2005. The Logic of Conventional Implicature. Oxford: Oxford University Press.Search in Google Scholar

Published Online: 2018-10-10
Published in Print: 2018-11-27

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

Downloaded on 30.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2018-0038/html
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