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Heiko Hausendorf, Wolfgang Kesselheim, Hiloko Kato & Martina Breitholz. 2017. Textkommunikation. Ein textlinguistischer Neuansatz zur Theorie und Empirie der Kommunikation mit und durch Schrift. (Reihe Germanistische Linguistik). Berlin, Boston: De Gruyter. 414 S.
Der bei Walter de Gruyter in der „Reihe Germanistische Linguistik“ veröffentlichte Band „Textkommunikation“ ist das Ergebnis eines ambitionierten Vorhabens: Die AutorInnen streben einen, wie es im Untertitel heißt, „textlinguistischen Neuansatz zur Theorie und Empirie der Kommunikation mit und durch Schrift“ an.
Dass schon an so prominenter Stelle schriftliche Kommunikation als Thema genannt wird, liegt nicht daran, dass es sich um einen Beitrag zur Schriftlinguistik handeln würde. Vielmehr reservieren die AutorInnen den Begriff ‚Text‘ für Formen der Kommunikation mittels Schrift (S. 8). Obwohl diese Einschränkung des Begriffs in der Textlinguistik de facto, vor allem in empirischen Arbeiten, aber auch in der deutschsprachigen Texttheorie schon bislang verbreitet war, will sie doch begründet werden, so sie nicht willkürlich erscheinen soll.
Bevor die AutorInnen diese Begründung in Kap. 2 liefern, skizzieren sie im einführenden ersten Kapitel anhand der Geschichte und des derzeitigen Standes der Diskussion des Text-Begriffs ihren eigenen Ansatz. Als Ausgangspunkt wählen sie dabei die in der Textlinguistik noch immer – wenn auch oft kritisch – aufgegriffene Arbeit von De Beaugrande/Dressler (1981). Das darin entwickelte Konzept der Textualitätskriterien sehen sie insofern als anschlussfähig, als diese so verstanden werden können, dass sie Textualität signalisieren (S. 9).
Allerdings grenzen sie sich von De Beaugrande/Dressler ab, indem sie einerseits kritisieren, dass deren Textualitätskriterien aufgrund der zum Teil vage bleibenden Darstellung auch als Definitionsmerkmale von ‚Text‘ missverstanden werden können und vor allem in darauf aufbauenden Arbeiten auch so interpretiert wurden. Andererseits erfolge keine klare Abgrenzung, ob es um Text-Kommunikation, also einen kommunikativen Prozess, oder um Text-Verwendung, also einen kognitiven Prozess, geht (S. 7), wodurch Status und Funktion der Kriterien vage blieben.
Hausendorf et al. heben sich von diesem aus ihrer Sicht theoretisch nicht ausreichend ausdifferenzierten Ansatz dadurch ab, dass sie explizit den Fokus auf Textkommunikation legen, genauer: dass sie nicht mehr oder weniger konkrete Produktions- und Rezeptionsprozesse als Forschungsgegenstand der Textlinguistik betrachten, sondern den kommunikativen Prozess der Textkonstitution, der sich an den Textualitätshinweisen im Text selbst festmachen lasse. Das heißt, sie nehmen zwar die Idee der Textualitätssignale auf, jedoch um sie weiterzuentwickeln und um das Konzept der Textualitätskriterien von seiner – wie sie es sehen (S. 12) – „kognitionstheoretischen Verengung“ zu befreien, die sich insbesondere am Kriterium der Kohärenz zeige. (S. 12) Wenn auch die Kohärenzbildung erst durch die RezipientInnen im Zuge eines konkreten Leseprozesses erfolge, so müsse sie doch bereits im Text angelegt sein bzw. müsse sie dort signalisiert werden (vgl. S. 12–13 u. Kap. 8: „Thematische Zusammengehörigkeit“) – eine Ansicht, der man nur zustimmen kann.
Mit ihrem Ansatz stellen die AutorInnen wieder verstärkt das in den Mittelpunkt, was sie als „Text-Substrat“ (S. 33) bezeichnen, also die Textoberfläche, an der sich die Textualitätssignale zeigen. Zentral ist dabei der Terminus „Lesbarkeit“, für dessen Priorisierung gegenüber dem Terminus „Textualität“ insbesondere in Kap. 1.3 äußerst elegant und überzeugend argumentiert wird:
„Es ist [...] die Qualität des Lesbaren anstelle der Kontingenz des Gelesenen, die für uns Textualität ausmacht. Textualität ist deshalb durch Lesbarkeit zu ersetzen – der Text ist für uns nichts anderes als das Gesamt seiner Lesbarkeitshinweise, die Leser und Leserinnen in einer konkreten Lektüresituation und vor einem konkreten Lektürekontext [...] zur Geltung bringen und aktualisieren.“ (S. 22)
Konstitutiv für Textualität ist somit, dass der konkrete kognitive Prozess des Lesens generell ermöglicht und zugleich vorstrukturiert wird, dass also etwas mittels Lesbarkeitshinweisen, die zugleich als Textualitätshinweise zu verstehen sind, „lesbar“ gemacht worden ist (S. 20–24).
Lesbarkeit wird so als Bedingung textueller Kommunikation festgestellt und zugleich als ihre Differenzqualität, weil ein Text nur etwas schriftlich Verdauertes sein kann, das eben lesbar sein muss (Kap. 2). Das heißt: Während mündliche, speziell Face-to-Face-Kommunikation die – wechselseitig wahrgenommene – Anwesenheit der KommunikationsteilnehmerInnen voraussetze (S. 27–28), müssen (prinzipiell schriftlich verdauerte) Texte von RezipientInnen auch ohne Anwesenheit der ProduzentInnen verstanden werden können. Es müsse also das Gelingen von Textkommunikation im Sinne Luhmanns, auf dessen Kommunikationstheorie sich die AutorInnen stützen (z. B. S. 30–31), wahrscheinlich werden, obwohl sie aus einem „Nacheinander im Prinzip isolierbarer ‚Akte‘ des ‚Schreibens‘ und ‚Lesens‘“ (S. 30) bestehe. Die Voraussetzung dafür sei eben die Lesbarkeit, die an die Stelle der Anwesenheit als Kommunikationsbedingung trete.
Etwas überspitzt ausgedrückt scheint Textkommunikation daher nicht so sehr zwischen den SchreiberInnen und den LeserInnen zu erfolgen, sondern eigentlich zwischen dem schriftlich verdauerten und damit von den SchreiberInnen unabhängig gemachten Text-Substrat, dem die Lesbarkeitshinweise eingeschrieben sind, und den LeserInnen, die durch Erkennen dieser Hinweise die Textualität des Textes jeweils konkretisieren.
Dass Hausendorf et al. auf diese Weise die Textoberfläche wieder mehr in den Fokus rücken, bedeutet allerdings keineswegs, dass sie einer reduktionistischen Analyse ausschließlich der sprachlichen, d. h. schriftsprachlichen[1] Erscheinungsformen das Wort reden, wiewohl die schriftsprachlichen Lesbarkeitshinweise natürlich eine wesentliche Rolle für Textkommunikation spielen. Von oftmals gleichrangiger, bei manchen Texten sogar größerer Bedeutung sind aus ihrer Sicht situativ wahrnehmbare und kontextuell vertraute Lesbarkeitshinweise (S. 23). Zu Ersteren zählen z. B. Begrenzbarkeitshinweise wie die materielle Form eines Textes oder sein Layout, die signalisieren, wo ein Text beginnt und wo er endet bzw. wie er gegliedert ist (siehe dazu Kap. 6 mit der Beispielanalyse eines Flyers und zum Teil Kap. 7 mit einer Analyse von Verknüpfbarkeitshinweisen auf Twitter). Letztere, also Hinweise, die aufgrund von Vertrautheit funktionieren, resultieren z. B. aus der Routinisierung textuellen Handelns und der damit einhergehenden Herausbildung von Musterhaftigkeit, wie sie sich in der Entwicklung von Textsorten zeigt (vgl. dazu Kap. 11). Lesbar, und damit erst als Text erkennbar und rezipierbar wird ein Text somit, indem er als solcher z. B. durch die in seine materielle und in eine Situation eingebettete Gestalt wahrnehmbar gemacht worden ist bzw. dadurch, dass diese Gestalt oder zumindest Teile davon den LeserInnen vertraut sind.
Wahrnehmbarkeit und Vertrautheit sind damit Hausendorf et al. zufolge neben der Schriftsprachlichkeit die grundlegenden Lesbarkeitsquellen (S. 69), auf die die einem Text eingeschriebenen konkreten Lesbarkeitshinweise zurückgreifen können. In Kap. 4 werden diese Lesbarkeitsquellen näher erläutert, wobei die Lesbarkeitsquelle der Wahrnehmbarkeit noch ausdifferenziert wird in die Wahrnehmbarkeit der Substanz des Textträgers (Materialität), die Wahrnehmbarkeit der hervorgebrachten und gestalteten Zeichen, also vornehmlich einer schriftsprachlichen Erscheinungsform (Skripturalität), und der Wahrnehmbarkeit der unmittelbaren Umgebung des Textes (Lokalität) (S. 87).
Diese Lesbarkeitsquellen ‚speisen‘ die Möglichkeiten, in die Formulierung und Gestaltung eines Textes bzw. eines Text-Substrats Lesbarkeitshinweise (dazu v. a. Kap. 3) einzuschreiben, die bewirken, dass „Lesbarkeit im Moment der Lektüre zustande kommt“ (S. 57). Lesbarkeitshinweise lassen zunächst bei den RezipientInnen einen „Lesbarkeitsverdacht“ entstehen und bestätigen diesen, wenn sie im Zuge der Lektüre ausgewertet werden (S. 57). Sie machen damit das aus, was Hausendorf et al. im Eigentlichen als ‚Text‘ verstehen wollen (S. 54).
Anders ausgedrückt ermöglichen Lesbarkeitshinweise, sofern sie erkannt und entsprechend in der Lektüre, d. h. der Textkommunikation, verarbeitet werden, die Konstitution von Textualität, weshalb man umgekehrt Texte als „nichts anderes als Ensembles solcher Lesbarkeitshinweise“ (S. 46) auffassen könne. Dabei legen die AutorInnen Wert darauf festzustellen, dass die Lesbarkeitshinweise nicht als alleine im Text vorgegeben betrachtet werden dürfen (S. 64), sondern dass sie erst im Moment der Lektüre emergieren, da sie nicht einfach ‚da sind‘, sondern erst von den LeserInnen als Hinweise auf Lesbarkeit erfasst werden müssen. Dies ist wohl so zu verstehen, dass Lesbarkeit zwar Voraussetzung für Textkommunikation ist, zugleich aber auch ihr Ergebnis, das erst aus dem Lektüreprozess resultiert.
Von den Lesbarkeitsquellen, aber auch den Lesbarkeitshinweisen zu unterscheiden sind die Lesbarkeitsmerkmale (Kap. 5). Diese entsprechen, wenn auch, wie oben erwähnt, unter anderen theoretischen Prämissen, am ehesten den von De Beaugrande/Dressler postulierten Textualitätskriterien, wobei Hausendorf et al. nur sechs Lesbarkeitsmerkmale[2] annehmen: „Abgrenzbarkeit, Verknüpfbarkeit (intratextuelle Beziehbarkeit), thematische Zusammengehörigkeit, pragmatische Nützlichkeit, Musterhaftigkeit und Intertextualität (intertextuelle Beziehbarkeit)“ (S. 107). Diese Lesbarkeitsmerkmale werden als Lesbarkeitsprobleme verstanden, auf die Lesbarkeitshinweise jeweils im Zuge einer konkreten Textkommunikation Antworten geben (S. 115).
Am Beispiel des Lesbarkeitsmerkmals der Abgrenzbarkeit wird dies illustriert (S. 115–116). Das Problem, das sich hier stellt, ist die Frage, wo eine Lektüre beginnt und wo sie endet, d. h. wie sie abgegrenzt werden kann. Um dieses Lesbarkeitsproblem zu lösen, haben sich spezifisch darauf abzielende Lesbarkeitshinweise, nämlich Abgrenzungshinweise herausgebildet. Als Beispiel nennen die AutorInnen das Wort „Ende“, um den Schluss eines Textes anzuzeigen. Die Lesbarkeitsquelle für diesen Abgrenzungshinweis ist primär die Schriftsprachlichkeit, da vor allem durch die Bedeutung dieses sprachlichen Elements ein Hinweis auf die Textgrenze erfolgt. Daneben wären zum Beispiel auch die materielle Einheit eines Buches (Lesbarkeitsquelle: Wahrnehmbarkeit) oder die Formel: „Es war einmal“ am Beginn eines Märchens (Lesbarkeitsquelle: Vertrautheit) Abgrenzungshinweise, die die Ganzheit eines Textes signalisieren.
Um ihren in den ersten fünf Kapiteln zwar überzeugend, aber doch zuweilen sehr abstrakt vorgestellten theoretischen Ansatz zu veranschaulichen, widmen sich Hausendorf et al. in den Kapiteln 6 bis 11 in Form von Beispielanalysen eingehender den von ihnen postulierten Lesbarkeitsmerkmalen. Dabei verwenden sie aus Sicht einer klassischen Textlinguistik wohl sehr untypische, dafür aber umso interessantere Beispiele, nämlich einen Flyer, eine Fahrkarte, ein Gipfelbuch und Tweets. Letztere werden gleich in zwei Kapiteln (7 und 8) als eigenständige Lektüreeinheiten analysiert, zugleich wird aber auch die Verknüpfbarkeit und die thematische Zusammengehörigkeit von mehreren Tweets auf der Plattform Twitter thematisiert. Dadurch zeigen die AutorInnen exemplarisch das Spannungsverhältnis zwischen Abgrenzung und Verknüpfung (S. 174) auf, das gerade bei Online-Texten dieser Art entsteht.
Hervorzuheben ist, dass sich Hausendorf et al. ihrem theoretischen Ansatz entsprechend in ihren empirischen Analysen nicht auf die schriftsprachlichen Aspekte der Textbeispiele beschränken, sondern auch solche Lesbarkeitshinweise aufzeigen, die auf den Lesbarkeitsquellen der Wahrnehmung und der Vertrautheit basieren. Mit dieser konsequenten Einbindung aller materiellen und kontextuellen Aspekte präsentieren sich die AutorInnen als beispielhafte Vertreter der (Ulla Fix 2018 zufolge) dritten – und zugleich aktuellsten – Phase der Entwicklung der Textlinguistik, in der auch aus Sicht des Rezensenten notwendigerweise die Einschränkungen sowohl einer strukturalistisch-formalen als auch einer pragmatisch und kognitiv orientierten Textanalyse überwunden werden.
Auch aus diesem Grund kann man davon sprechen, dass es sich hier um eine innovative und für die Weiterentwicklung der Textlinguistik wichtige Arbeit handelt, die eigentlich keine erkennbaren Mängel aufweist, wenn man von dem kleinen formalen absieht, dass eine tabellarische Auflistung der Lesbarkeitsquellen und -merkmale und – zumindest anhand von Beispielen – einiger Lesbarkeitshinweise hilfreich gewesen wäre.
Nur ein prinzipieller Punkt ist kritisch anzusprechen: Hausendorf et al. argumentieren, wie oben dargestellt, sehr überzeugend dafür, dass Textkommunikation im Zuge der Lektüre erfolgt, dass sie also eigentlich zwischen dem Text-Substrat und den LeserInnen stattfindet. Aus Sicht der Textrhetorik – und auch des Rezensenten – wird damit aber die Rolle der TextproduzentInnen zu stark ausgeblendet. Schließlich könnte man es ja auch so sehen, dass diese zumindest einen Teil der Lesbarkeitshinweise erst in das Text-Substrat eingeschrieben haben, sodass diese auch als Spuren seiner Intentionalität gelesen werden können. Dieser Gedanke drängt sich z. B. in Kap. 6.4.3. auf, wo Gliederungs- und Einheitenhinweise im Beispieltext „Flyer“ zusammenfassend erläutert werden, ohne jegliche Bemerkung dazu, wie diese dahin gekommen sind. Andererseits würde diese Einbeziehung der Rolle der TextproduzentInnen dem theoretischen Impetus der AutorInnen wohl zu sehr zuwider laufen und die ansonsten wohlbegründete Geschlossenheit ihres Modells aufweichen.
Als Fazit lässt sich feststellen, dass es sich bei dem hier rezensierten Buch um eine penibel argumentierte und mit interessanten exemplarischen Analysen untermauerte Weiterentwicklung des z. B. in Hausendorf/Kesselheim (2008) vorgestellten – und schon damals anregenden – Ansatzes handelt. Vor allem die umfassende theoretische Fundierung beeindruckt. Die Lektüre dieses Bandes kann daher nur allen an neueren Entwicklungen der Textlinguistik, aber auch an semiotischen Textanalysen Interessierten uneingeschränkt empfohlen werden. Studierenden oder anderen Neulingen auf diesem Gebiet sei aber zunächst eher die Einführung von 2008 angeraten.
Literatur
De Beaugrande, Robert-Alain & Wolfgang Dressler. 1981. Einführung in die Textlinguistik. Tübingen: Max Niemeyer.10.1515/9783111349305Search in Google Scholar
Fix, Ulla. 2018. Denkstilwandel in der Textlinguistik. Vom Text als struktureller und kommunikativer Einheit zum Text in Welt- und Zeichenbeziehungen. In: Christiane Andersen, Ulla Fix & Jürgen Schiewe (Hg.): Denkstile in der deutschen Sprachwissenschaft. Bausteine einer Fachgeschichte aus dem Blickwinkel der Wissenschaftstheorie Ludwik Flecks. Berlin: Erich Schmidt, 191–208.Search in Google Scholar
Hausendorf, Heiko & Wolfgang Kesselheim. 2008. Textlinguistik fürs Examen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.Search in Google Scholar
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