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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter June 14, 2019

Natascha Müller. 2017. Code-Switching (Narr Starter). Tübingen: Narr. 91 S.

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Natascha Müller. 2017. Code-Switching (Narr Starter). Tübingen: Narr. 91 S.


Das Einführungsbuch ist wie alle Bände der Narr-Starter-Reihe in sieben Kapitel gegliedert und soll besonders Studienanfänger_innen einen Einstieg in die wichtigsten Aspekte eines Forschungsgebietes geben. Als Einführung für Studierende ist dieses Büchlein aber nicht geeignet, denn zentrale Begriffe sind nur sehr kurz erläutert und entsprechen nur beschränkt allgemeinem Konsens. Das kann am Einstiegsabschnitt ins erste Kapitel „Definitionen und Methoden“ exemplifiziert werden. Einleitend wird Code-Switching „als sanfter, ohne Häsitationen oder Pausen vonstattengehender Wechsel zwischen zwei oder mehreren Sprachen bezeichnet“ (S. 9). Schon diese Definition ist nur beschränkt konsensfähig, denn Code-Switching (im Folgenden CS abgekürzt) wird schon lange nicht mehr nur für den Wechsel zwischen Sprachen, sondern auch für den Wechsel zwischen Varietäten einer Sprache verwendet (z. B. sehr prominent schon Blom & Gumperz 1972). Die Autorin fährt fort: „[CS] kommt bei mehrsprachigen Personen vor, die ihre Sprachen auf einem hohen Kompetenzniveau beherrschen“ (S. 9). Auch da werden nicht mehr alle Forscher_innen mitgehen – und wenn anschließend der Sprachwechsel aufgrund mangelnder Sprachkompetenz mit Referenz auf einen Text von 1983 als code shifting benannt wird, so geht das sehr weit von einem sprachwissenschaftlichen Konsens weg (vgl. dazu bspw. die Arbeiten aus derselben Zeit von Auer 1986, 1988). Die in den meisten Untersuchungen von CS zentralen funktionalen Aspekte werden an der Stelle überhaupt nicht angesprochen.

Diese einseitige und einschränkende Definition ist umso problematischer, als hier und auch im weiteren Text unterschiedliche wissenschaftliche Positionen nicht thematisiert werden. Da Geisteswissenschaftler_innen ihren Gegenstand auch immer wieder selbst definieren und die Auseinandersetzung um den zu untersuchenden Gegenstand selbst ein wesentlicher Teil der Arbeit darstellt, ist diese Unterlassung sträflich, ganz besonders, weil das Buch als Einführungstext propagiert wird. Gleichzeitig setzt der Text auch schon viel voraus. Im zweiten Abschnitt derselben Seite 9 unterscheidet die Autorin beispielsweise intrasententiales und intersententiales CS und macht das an Satzgrenzen fest, und zwar mit Beispielen von französisch-arabischen Sprachwechseln, die ins Englische übersetzt sind. Allerdings werden die Beispiele nicht genauer erläutert, was voraus­setzt, dass die Leser_innen die Grenzen zwischen den Sätzen erkennen können. Implizit wird damit auch davon ausgegangen, dass Sentence und Satz gleichbedeutend sind. Dem folgt die Unterscheidung zwischen Alternation und Insertion nach Muysken (2000), was mit zwei Beispielen und deren grammatischer Analyse erklärt wird. Dass die Grenze zwischen Insertion und Entlehnung/Borrowing fließend ist, wird zwar erwähnt, hat aber für die weitere Darstellung keine Relevanz. So wird bei der Analyse von ich habe sugo gemacht (S. 12) Sugo als Insertion behandelt, obwohl das Wort schon seit 2006 im Rechtschreibduden aufgeführt ist und deshalb als deutsches Wort gelten kann. Problematisiert wird lediglich, dass Sugo nicht eine Nominalphrase sei, sondern nur ein Wort, was in dieser Formulierung den meisten Grammatiken widerspricht.

Nach diesen Hinführungen zum Thema werden im zweiten Teil des ersten Kapitels einige Methoden angesprochen, wobei angeführt wird, dass „CS bei Erwachsenen [...] am häufigsten mithilfe der Analysemethoden der Befragung“ (S. 12) untersucht werde. Das betrifft die Untersuchung von Grammatikalitätsurteilen und es betrifft Untersuchungen zur sprachlichen Identität, deren Daten auch auf CS hin untersucht werden. Allerdings finden sich seit Anfang der Erforschung von CS eine Vielzahl von Korpusanalysen und noch viel mehr Analysen von Gesprächsaufnahmen und -beobachtungen in verschiedenen Situationen. Beobachtung und Experiment stehen auch im Vordergrund dieses Bandes, wodurch die obige Einschränkung nicht nachvollziehbar ist. An der Stelle sagt die Autorin auch, dass sich die Einführung dem „Spracherwerb von Kindern im Vorschulalter [widme], welche von Geburt an mit zwei Sprachen groß werden“ (S. 12). Das ist überaus wesentlich, denn der gesamte Text beschäftigt sich nur am Rande mit CS, wie es der Titel fälschlicherweise suggeriert. Der Schwerpunkt des nachfolgenden Textes ist eine Zusammenstellung von Untersuchungen der „Wuppertaler Bilinguismus Gruppe (WuBiG)“ zum bilingualen Spracherwerb, aus deren Korpus die Beispiele in einheitlichen grafischen Darstellungen stammen. CS unter Erwachsenen spielt im gesamten Text keine Rolle und auch CS von Kindern wird nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen berücksichtigt. Damit könnte die Rezension zu einem Buch, das mit Code-Switching überschrieben ist, eigentlich enden. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Autorin und auch der Verlag ein Buch mit diesem Titel herausgegeben haben. Ein Titel wie Bilingualer Spracherwerb o. Ä. wäre dem Text angemessener. Als Einführung in Code-Switching kann das Buch nicht empfohlen werden.

Trotzdem sollen die weiteren Teile des Textes angesprochen werden, wobei angemerkt sei, dass der Schwerpunkt des Rezensenten auf anderen Forschungsgebieten liegt.

Im weiteren Verlauf des ersten Kapitels wird auch das Korpus, das den folgenden Analysen zugrunde liegt, charakterisiert, obwohl sich das nicht in der Überschrift findet. Grundlage für die im Band vorgestellte Untersuchung bildet einerseits eine rund 40-minütige Erhebung von 98 zweisprachigen Kindern mit einer bilingualen Erhebungsperson. Die Kinder sprechen Deutsch und als zweite Sprache Französisch, Italienisch oder Spanisch, wobei auch Beispiele mit französisch-spanischem oder französisch-italienischem Sprachwechsel erwähnt werden. Der Sprachstand der Kinder in den einzelnen Sprachen wurde in einem monolingualen Setting ebenfalls erfasst. Zudem ist die Sprachentwicklung von Kindern auch in einer Längsschnittstudie verfolgt worden. Als erste Methode wird ein Elizitationstest vorgestellt, bei dem die Kinder in einem Spiel Äußerungen von Puppen, die zwei Sprachen mischen, für die schwerhörige Großmutter wiederholen müssen. Dabei geben die Kinder die Äußerung der Puppen meist nicht unverändert wieder. Untersucht wird an dieser Stelle die Wortstellung im Perfekt, die sich im Deutschen durch die Satzklammer von der seriellen romanischen Wortstellung unterscheidet. Die bilingualen Äußerungen der Puppen geben die Kinder meist monolingual wieder, intrasententiales CS kommt kaum vor. Das Ergebnis wird in der Längsschnittstudie bestätigt, so dass die Hypothese, dass bilinguale Kinder eine Phase der Sprachmischung durchlaufen, zurückgewiesen werden kann. Unter „Definitionen und Methoden“ finden sich also überraschenderweise auch schon erste Ergebnisse.

Das zweite Kapitel „Mischsprachen“ überprüft Theorien zum bilingualen Spracherwerb anhand der vorliegenden Daten. Einerseits wird die Steigbügelhypothese geprüft, die besagt, dass die stärkere Sprache innerhalb von Äußerungen der schwächeren Sprache genutzt wird, um Mängel auszugleichen. Ebenso wird (S. 30f.) ein Drei-Phasen-Modell beschrieben, demgemäß die Kinder im Verlauf des Spracherwerbs aus einem gemischten Sprachsystem zwei einzelsprachliche Systeme separieren. Bei der Beschreibung des Modells wird die dritte Phase jedoch nicht behandelt. Das Modell hat aber wohl als überholt zu gelten, weil Kinder offenbar von Anfang an wissen, dass sie zwei Sprachen erwerben. Sowohl die Longitudinal- als auch die Elizitationsstudie dokumentieren, dass das Auftreten von Sprachmischungen und die Balance der Sprachen nicht zusammenhängen. Detailanalysen zeigen, dass nur Mischungen von funktionalen Kategorien – was das ist, wird hier nicht ausgeführt – mit der Sprachdominanz zusammenhängen: Kinder übernehmen funktionale Elemente aus der starken in die schwache Sprache, während sich aus der Mischung lexikalischer Kategorien keine Zusammenhänge ableiten lassen.

Das dritte Kapitel „Kindexterne Faktoren“ beginnt mit den folgenden Worten:

„Der erste kindexterne Faktor, der die Häufigkeit von Sprachmischungen beeinflusst, betrifft das Setting (Gestaltung der Umstände in den Sprachaufnahmen), welches in der Querschnittstudie systematisch verändert wurde.“ (S. 39)

Wieder wird einiges vorausgesetzt: Was ist ein kindexterner Faktor? Von welcher Querschnittstudie ist die Rede? Für Studienanfänger_innen, für welche das Buch gedacht ist, wäre es angebracht, den Begriff mit dem vorher benutzten Terminus Elizitationsstudie zu verbinden. Die dargestellten Ergebnisse bringen aber Interessantes zutage: Generell mischen Kinder nur wenig, und zwar im monolingualen und nur geringfügig mehr im bilingualen Setting, trotzdem ist dieser Unterschied signifikant. Auch weitere externe Faktoren zeigen signifikante Unterschiede. Wenn die von dem_der Interviewer_in zuletzt verwendete Sprache die dominante ist, wird weniger gewechselt. In der Nicht-Umgebungssprache wird mehr gemischt als in der Umgebungssprache, allerdings gibt es jeweils Gegenbeispiele, wobei leider keine Zahlen genannt werden. Die Spracherziehungsmethode – und das ist im sprachpolitischen Kontext bedeutsam – spielt keine Rolle.

Im vierten Kapitel werden „Kindinterne Faktoren“ behandelt. Mädchen verändern ihr Sprachverhalten, je nachdem ob eine monolinguale oder bilinguale Wahl vorgegeben ist, während Jungen eher ihren eigenen Stil haben, den sie weniger verändern. In Bezug auf die Entwicklung im Alter ergeben sich dagegen keine Präferenzen. Nachdem bislang immer nur von intrasententialem Sprachwechsel die Rede war, wird hier diskutiert, ob die Verwendung der ‚falschen‘ Sprache in einem monolingualen Setting als intersententielles CS kategorisiert werden dürfe. Das wird zurückgewiesen, weil der Gebrauch der ‚falschen‘ Sprache keine diskurspragmatischen Funktionen erfülle. An der Stelle werden also doch weitere Faktoren für die Bestimmung von CS hinzugefügt, von denen bisher und insbesondere im Bereich der Definitionen keine Rede war.

Schon im zweiten Kapitel wurden lexikalische und funktionale Kategorien thematisiert. Das fünfte Kapitel nimmt dies nun unter „CS und funktionale Kategorien“ auf. Diskutiert werden syntaktische Einschränkungen, wie sie die Ansätze der 1980er und 1990er Jahre als Functional Head Constraint oder Free Morpheme Constraint formulierten. Beispiele aus dem Korpus dokumentieren systematische Verletzungen der genannten Constraints. Dementsprechend werden die Theorien auch zurückgewiesen. Genauer wird dann das Verhältnis von Artikel und Nomen angesehen und exemplarisch am Output dreier Kinder dargestellt. Die Grafik zeigt dabei deutliche Unterschiede, deren sprachliche Beschreibung ist aber weniger gelungen: „In der deutschen Sprachaufnahme wird sehr oft der französische Artikel gemischt, im französischen Kontext mischt Marie bevorzugt Nomen.“ (S. 62)

Die sprachliche Nachlässigkeit äußert sich auch auf der Folgeseite, wo zwei Sätze wiederholt abgedruckt sind. Insgesamt zeigt der Output der drei Kinder unterschiedliche Verteilungen der Mischung von Artikel und Nomen im dominanten und nichtdominanten Sprachkontext. Trotzdem kommt die Autorin zur – auf dieser Basis – gewagten „Generalisierung, dass eine Sprachdominanz vorliegt, wenn bilinguale Kinder funktionale Kategorien mischen“ (S. 63).

„CS in Situation und Diskurs“ im sechsten Kapitel fragt nach den situativen Faktoren, die einen Sprachwechsel beeinflussen. Kinder, so Müller, beherrschen konversationelles CS schon vor dem dritten Geburtstag. Untersucht wird auch das Verhalten der erwachsenen Interviewerinnen, die sich monolingual verhalten sollen, was sie auch mehrheitlich tun. Das Kapitel abschließend erwähnt die Autorin, dass sie für die kindliche Sprachmischung den Begriff des CS vermeide (S. 75), weil für eine solche Bezeichnung die pragmatischen Bedingungen mitberücksichtigt werden müssten und weil eine diskurspragmatische Analyse von Kindersprachkorpora noch ausstehe. Einmal mehr stellt sich dem Rezensenten die Frage, weshalb das Buch mit Code-Switching überschrieben ist.

Das letzte Kapitel behandelt kurz, wie „Sprachdominanz“ zu bestimmen sei. Dafür werden verschiedene Messungen angesetzt: Länge der Äußerungen, Anzahl Wörter pro Minute, Lexikonumfang im Verbalbereich. Zudem werden auch Domänen der Sprachverwendung angesprochen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Buch einen Einblick in die Arbeiten der Würzburger Bilingualismusforschung gibt. Das zeigt sich auch darin, dass von den 51 Literaturangaben 26 von der Autorin oder ihren Schüler_innen stammen. Von den übrigen sind lediglich fünf Texte nach dem Jahr 2000 erschienen, worunter einer eine Einführung in das empirische Arbeiten und ein weiterer der von Wei Li herausgegebene Bilingualism Reader ist. Das Buch ist damit nur in Bruchteilen eine Einführung in CS und vermittelt mit seinem Fokus auf den bilingualen Spracherwerb eine sehr eingeschränkte Sichtweise. Zudem finden sich handwerkliche Fehler und Unachtsamkeiten, so dass man sich insgesamt fragen muss, wie der Verlag ein solches Buch mit dem Titel Code-Switching hat herausgeben können.

Literatur

Auer, Peter. 1986. Konversationelle Standard/Dialekt-Kontinua (Code-Shifting). In: Deutsche Sprache 2, 97–124.Search in Google Scholar

Auer, Peter. 1988. A conversation analytic approach to code-switching and transfer. In: Monica Heller (Hg.). Codeswitching: anthropological and sociolinguistic perspectives. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton, 187–213.Search in Google Scholar

Blom, Jan-Petter & John J. Gumperz. 1972. Social meaning in linguistic structures: Code switching in northern Norway. In: John J. Gumperz & Dell Hymes (Hg.). Directions in Sociolinguistics. New York: Holt, Rinehart and Winston, 407–435.Search in Google Scholar

Li, Wei (Hg.). 2004. The Bilingualism Reader. London: Routledge.10.4324/9780203461341Search in Google Scholar

Published Online: 2019-06-14
Published in Print: 2019-12-04

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 21.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2019-0001/html
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