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Beatrix Fehse. 2017. Metaphern in Text-Bild-Gefügen. Sprachliche und kognitive Metaphorik. Visuelle Metaphorik. Zeitmetaphern in der Anzeigenwerbung und der Gegenwartskunst (Essener Schriften zur Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaft 10). Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr. 870 S.
Ein wenig unkonventionell beginnt diese Rezension mit einer formalen Beobachtung, die ich zum Ausgangspunkt meiner Beurteilungen machen möchte: Die Verfasserin beschreibt ihr Buch in der Leseempfehlung als
„eine Dissertation [...], deren Inhaltsverzeichnis acht Seiten umfasst, die sich wiederum auf 870 Seiten vorwiegend mit Text angefüllte Seiten beziehen. Aber lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen!“ (S. XV)
Mut muss man Rezensenten selten zusprechen, und ich teile überwiegend auch Fehses Urteil: „Der Text lässt sich gut lesen, er ist übersichtlich gegliedert und mit Veranschaulichungen durchsetzt“ (ebd.). Allerdings frage ich mich – nicht nur angesichts gegenläufiger Tendenzen in der Politik wissenschaftlicher Verlage –, warum eine Dissertation einen so beeindruckenden bzw. einschüchternden Umfang haben sollte. Zwei Legitimationsweisen liegen nahe: Der Band kann handbuch-ähnlich als Kompendium zur Metaphern-Theorie dienen und/oder er kommt der intensiven Lektüre zu einem bekanntlich komplexen Thema entgegen, indem er neben einem kritischen Theorieüberblick ein alternatives/praktikables Modell entwickelt und es an einem größeren Korpus textanalytisch überprüft, so dass auch Erkenntnisse zum Metapherngebrauch in einer bestimmten Textsorte bzw. in einem Themenbereich gewonnen werden können. Behalten wir diese beiden Kriterien im Gedächtnis – ich komme später auf sie zurück, nicht ohne festzustellen, dass auch der Titel eine anspruchsvolle Komplexität verspricht, wenngleich er formal ‚quite a mouthful‘ darstellt.
Die multimodale Metapher
Auch wenn der Begriff selbst keine Verwendung findet, behandelt das vorliegende Buch die Theorie und analytische Methodik der multimodalen Metapher (s. z. B. Forceville & Urios-Aparisi 2009). Es fußt hauptsächlich auf dem Verständnis der Kognitiven Linguistik, nach dem sich ein auf körperlich-sensorischer Erfahrung und image schemata basierendes präsymbolisches mentales Muster des Korrelierens zweier unterschiedlicher konzeptueller Domänen (target und source) nicht nur in metaphorischen sprachlichen Ausdrücken, sondern auch in anderen Zeichenmodalitäten (hier Bilder bzw. bildliche Metaphern) manifestieren kann (Kövecses 2002: 4 u. 57). Zudem ergibt sich die pragmatisch spannungsvolle Möglichkeit, eine Metapher dadurch zu realisieren, dass eine Domäne mittels Sprache, die andere mittels Bild evoziert wird oder beide Zeichenmodalitäten am textuellen Aufbau der multimodalen Metapher wechselseitig beteiligt sind.
Teil 1 des Buches skizziert eine sehr akribische und kenntnisreiche Ideengeschichte der sprachlichen und konzeptuell-kognitiven Metaphorik. Analog dazu besteht das Ziel von Teil 2 darin, „einen möglichst weitreichenden Einblick in die allmähliche Entwicklung der Idee ‚visuelle Metapher‘ zu geben“ (S. 265). Wenn auch mit Goatly (1997) bereits ein recht grober und im Buch nicht berücksichtigter Überblick über „klassische“ linguistische Metapherntheorien vorliegt, so stellt die Abhandlung zur visuellen und multimodalen Metapher doch absolutes Neuland dar, das die Verfasserin in weitsichtiger Weise kartographiert. Teil 3 schließlich synthetisiert die klug kommentierten Ansätze in einem eigenen Modell (s. 3.3.1) und wendet es im Wesentlichen auf ein thematisch eingegrenztes Metaphernsystem (Zeit) an, in dem eine Sammlung mit multimodalen Artefakten zweier Genres (Werbeanzeigen und Kunstwerke) analysiert wird. Teil 3 leistet aber nicht allein Modellbildung und Textanalyse, sondern beinhaltet mit 3.2 auch interessante und plausible Überlegungen zu den grundlegenden Möglichkeiten des graphisch-bildlichen Mediums, Zeit metaphorisch zu strukturieren – etwa durch Bildkomposition, Perspektive, Linie/Pfeil, Farbe und Typographie. Diese Ausführungen knüpfen an zentrale sozialsemiotische Arbeiten zum Bild an (Kress/van Leeuwen 1996), bauen aber vorhandene Ansätze aus und etablieren ein komplexes System der Metaphorisierung von Zeit im Bildlich-Graphischen, das zudem sehr übersichtlich dargestellt wird. Umfang und Komplexität angemessen schließt das Buch mit einer 80-seitigen Zusammenfassung (4), die m. E. allerdings nicht optimal die entscheidenden Momente der Ideengenese einfängt oder die wichtigsten analytischen Ergebnisse wiedergibt. Der Anhang (5) stellt alles notwendige Material zum Nachvollziehen und Durchdringen der Studie zur Verfügung. Die verschiedenen Metaphernlisten (5.1), insbesondere die tabellarischen, haben mich allerdings mehr verwirrt als aufgeklärt. Positiv hervorzuheben ist der leider nicht selbstverständliche Abdruck aller analysierten Texte in durchweg guter Qualität.
Linguistische Metapherntheorien
Ohne alle Ansätze zur sprachlichen Metapher explizit zu reflektieren, steuert die Verfasserin zielstrebig auf die Synthese zweier unterschiedlicher, aber kompatibler Metaphernmodelle zu. Dazu schreibt Fehse:
„Die vorgenommene Harmonisierung der weinrichschen Metaphorologie und lakoff&johnsonschen kognitiven Metapherntheorie erlaubt es, beide Theorien wie eine einzige sowohl sprach- und bildwissenschaftliche als auch kognitive Metapherntheorie zu behandeln“ (S. 568)
Diese Grundidee leuchtet ein, weil so einerseits die mentale Mechanik der Metapher adäquat erfasst und ihre unterschiedliche semiotische Realisierung erklärt wird (konzeptuelle Metapherntheorie, s. Kövecses 2002), andererseits die zentrale Rolle des Kontexts (und auch des Konbilds, s. S. 572) für die Deutung metaphorischer Ausdrücke berücksichtigt wird (Weinrichs Konterdeterminierung der Metapher, s. Weinrich 1967). Insbesondere den Gedanken, dass in multimodalen kommunikativen Artefakten Bilder Kontext für sprachliche Metaphern und Bildbegleittexte Kontext für visuelle Metaphern sein können, hebt Fehse zurecht hervor. Auch wenn diese Synthese an sich gelungen ist, bleiben kleinere Fragezeichen: Hätte man terminologisch nicht stringenter sein müssen und statt verwirrenden Begriffsvarianten (z. B. source, Quelle, Spender, vehicle und target, Ziel, Empfänger, topic) klare Festlegungen treffen sollen? Warum wird die neueste Ergänzung zur konzeptuellen Metaperntheorie, das blending bzw. blended spaces (s. Dancygier & Sweetser 2014: 73–99) nicht berücksichtigt? Dieses Modell hätte bei der Analyse der „Metaphernkonglomerate“ (S. 587ff.) einen großen Nutzen entfalten können, da es aufzeigt, in welcher Weise verschiedene konzeptuelle Metaphern in bedeutungsvollen Bezügen textuell verknüpft werden. Auch habe ich mich gefragt, warum neuere linguistische Modelle der Metapher, wie z. B. property attribution (Glucksberg 2001), nicht zu Rate gezogen werden. Dieses Modell bewahrt den Gedanken der dynamischen Interaktion von Black (1962) zwischen den beiden Seiten einer Metapher in Abhängigkeit von ihren semantischen Eigenschaften m. E. besser als das zuweilen vage Konzept Weinrichs.
Theorien der visuellen Metapher
Wie auch bei der Darstellung der linguistischen Metapherntheorien bieten die Ausführungen zur visuellen Metapher eine gründliche Zusammenfassung und Kritik der behandelten Theorien und Modelle. Auch wird die Ideengeschichte durch Vergleiche, Bezugspunkte und Entwicklungslinien detailreich nachgezeichnet, was sich u. a. in den vielen gut nachvollziehbaren Überblicksschaubildern zeigt (s. z. B. S. 266, S. 275, S. 359–368). Sie heben je spezifische Begrifflichkeiten, Metaphern-Typen und Sichtweisen hervor und verhindern so eine allzu leicht mögliche Verwirrung des Lesers ob der Komplexität und Heterogenität des behandelten Gegenstands. Eine Synthese ist hier schwieriger, denn es wird eine Vielzahl von recht verschiedenen Ansätzen ins Spiel gebracht. Mein Eindruck ist, dass die Verfasserin ein vereinheitlichtes, generelles Modell hier auch gar nicht anstrebt. Das zusammenfassende Kapitel heißt denn auch „Die logischen Bezüge zwischen den Forschungen“ (S. 368ff.) und trägt zumindest terminologisch nicht wirklich dazu bei, den Theorieraum aufzuräumen. Der Leser würde hier bestimmt ein wenig mehr Eigensinn und Klarheit erwarten. Gerade weil die Beurteilungen der einzelnen Ansätze zur visuellen Metapher insgesamt kenntnisreich und ausgewogen sind, hat mich das recht strenge Urteil zu Forcevilles Theorie der bildlichen/multimodalen Metapher (Forceville 1996) überrascht (s. S. 328ff.). Sein Ansatz ist nach wie vor vielbeachtet in der Linguistik und Multimodalitätsforschung. Was immer man über die dort vorgelegte Typologie sagen mag, man tut ihr m. E. unrecht, wenn man Forcevilles klaren Fokus auf die Interaktion von target und source sowie seine systematische Berücksichtigung des Kontexts im Rahmen der Relevanztheorie (Sperber & Wilson 1986) ungenügend anerkennt. Neuere Arbeiten (Forceville 2014) bauen just letzteren Gedanken mit Blick auf die Genre-Determiniertheit von multimodalen Metaphern aus.
Analytisches Modell und praktische Analysen
Im Vergleich mit dem großen Umfang anderer Teile des Buches nimmt die Erläuterung des eigenen analytischen Zugangs zur „Text-Bild-Metapher“ (s. S. 569ff.) nicht einmal 30 Seiten ein. Das Untersuchungsraster ist für Strukturmetaphern bestimmt; Orientierungsmetaphern (beide Typen verstanden nach Lakoff & Johnson 1980) werden im Zusammenhang mit den graphischen Ressourcen der Bildgestaltung nicht als analytisches Modell, sondern eher als Theorieentwurf gründlich behandelt (s. o.). Die Untersuchung struktureller Metaphern sieht zunächst fünf sinnvolle Schritte vor: Metaphern identifizieren, analysieren, thematisch deuten, auf Kontext und Konbild beziehen und in ein Metaphernsystem einordnen. Weniger plausibel und zunächst auch schwer verständlich ist die Idee, es gäbe, abhängig von ihrem strukturellen und kontextuellen Zustandekommen, zahlenmäßig bestimmbare Typen von Text-Bild-Metaphern – nämlich 256. Über ihr Modell behauptet die Verfasserin:
„In dieses Modell kann wirklich jede in einem Text-Bild-Gefüge vorkommende Metapher eingetragen werden: die rein sprachliche, die rein visuelle und insbesondere die vermutlich häufigere sprachlich-visuelle Metapher.“ (S. 574)
Abgesehen vom schwer erkennbaren Sinn einer solchen Typologisierungswut leuchtet mir kaum ein, in welchem Verhältnis diese aus der Kombinatorik möglicher Konstellationen entstandene Behauptung zum tatsächlichen Metapherngebrauch steht. Und: Müssten dann nicht alle 256 Typen auch mit einem entsprechenden Begriff versehen werden? Ich sehe lediglich eine, wenn auch einleuchtende, aber doch verwirrende graphische Darstellung der Optionen (S. 578f. u. S. 583–585). Die eigentliche Analyse der 66 multimodalen Texte zeigt zudem ein unklares Spannungsverhältnis zwischen Metapherndeutung und Typologisierung. Dass es sich bei den Werbeanzeigen und Kunstwerken abgesehen von ihrem Bezug zum ‚target’ ‚Zeit‘ um beliebig zusammengestellte Texte handelt, ist keine Schwäche der Arbeit, geht es doch darum, möglichst viele der Metaphern-Konstellationen nachzuweisen und zu diskutieren. Schwerer wiegt die Beobachtung, dass offenbar als konzeptuell gekennzeichnete Metaphern an sich konkrete metaphorische Formulierungen oder Bildkonstellationen bzw. deren schematisierte Varianten sind (z. B. Die U-Bahn-Haltestelle ist eine Modenschauhalle, S. 587; Die Installation ist ein Brettspiel, S. 591 oder Versteckt sein ist tot sein, S. 592). Hier scheinen nicht nur die kognitive und semiotische Ebene der Metapher verwechselt zu werden, sondern zuweilen auch ‚source’ und ‚target’. Mir leuchtet zwar die Akribie der Eruierung aller möglichen metaphorischen Formen und deren Verquickung ein; wäre aber nicht die Rückführung auf nachgewiesene zentrale konzeptuelle Metaphern wie z. B. Life is a Journey; Lifetime is a Day; Time is Motion; Time is a Thief (s. Index in Kövecses 2002: 281–285) das sinnvollere Ziel? Gewiss lernt der Leser viel über die text-bildliche Metaphorisierung von ‚Zeit‘, auch über die Art und Weise der gründlichen kontextuellen Deutung von metaphorischen Zeichenkomplexen – ein wirklich überzeugendes analytisches Modell der Text-Bild-Metapher sehe ich darin aber weniger.
Kompendium oder klassische Monografie?
Kehren wir zur Eingangsüberlegung zurück: Rechtfertigt der gebotene Inhalt 870 Seiten bzw. sollten Dissertationen einen derartig breiten Bogen in so ausufernder Weise spannen? Das Buch taugt sicherlich recht gut als Kompendium zur Ideengeschichte der linguistischen und visuellen Metapherntheorien – dazu verfügt es über genügend Tiefgang, Überblick und Kritikfähigkeit. Mehr terminologische Klarheit, lückenlose Vollständigkeit der Theorien zur sprachlichen Metapher und ein Sach-Index würden ein solches Kompendium vorteilhaft komplementieren und zu einem sinnvollen Werkzeug machen. Als klassische Monografie mit dem typischen Dreischritt Theorie – Material/Methode – Analyse funktioniert das Buch m. E. weniger gut. Dazu weist es zu viele Brüche in den Erklärungen auf, gönnt sich zu viele Exkurse und führt die Überlegungen zu wenig eng auf ein überschaubares Ziel. Zweifellos stellt die Verfasserin kritischen Geist und Sachverstand auf einem seit der antiken Rhetorik faszinierenden – weil außerordentlich breiten und anschlussreichen – Gebiet unter Beweis. Das Buch leidet aber unverkennbar unter einer überambitionierten Konzeption, die leicht zu Orientierungsverlust und Überforderung beim Leser führen kann.
Literatur
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