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Michael Hoffmann. 2017. Stil und Text. Eine Einführung (Narr Studienbücher). Tübingen: Narr/Francke/Attempto. 267 S.
Mit Stil und Text von Michael Hoffmann hat der Narr-Verlag in der Reihe narr Studienbücher eine weitere Einführung zu diesem Thema veröffentlicht. Erst ein Jahr zuvor ist die Einführung Linguistische Stil- und Textanalyse von Ulrike Krieg-Holz und Lars Bülow erschienen (s. Rezension in der ZRS 2017, DOI: https://doi.org/10.1515/zrs-2017–0039). Angesichts der thematischen Ähnlichkeit der beiden Bücher darf man gespannt sein, wie sich Hoffmann des Themas annimmt. Die Untrennbarkeit von Stil und Text zieht sich dabei als roter Faden durch die Einführung: Die Kategorie Stil ist Teil von Hoffmanns Textdefinition (S. 130), und umgekehrt ist die Kategorie Text in seiner Definition von Stil (S. 144) verankert.
Zum Aufbau und Inhalt des Buches
Einleitend (Kapitel 1, 9 Seiten) werden allgemeine stilistische Aspekte der Textkommunikation behandelt. In diesem Rahmen formuliert der Verfasser auch das Anliegen des Buches, nämlich Antworten auf die Fragen geben zu wollen, wie die „Texteigenschaft Stil beschaffen ist, wie sie in den Text hineinkommt, was sie von anderen Texteigenschaften unterscheidet, warum es Stil überhaupt gibt“ (S. 11). Dass Hoffmann die Stilkompetenz explizit nicht als Teilkompetenz der Textkompetenz ansieht (neben Teilkompetenzen wie Sach- oder Textsortenkompetenz), überzeugt: Liegt die Stilkompetenz doch auf einer anderen Ebene und ist „untrennbar mit textuellen Teilkompetenzen verknüpft“ (S. 13).
In Kap. 2 (124 Seiten) werden zunächst verschiedene Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil besprochen, um diese abschließend zu einer Stildefinition zusammenzuführen. Diese eher unübliche Vorgehensweise hat den Vorteil, dass keine Definition vor(aus)gesetzt wird, sondern dass die Leser/innen an der Entwicklung des Stilkonzepts teilnehmen. Nach Hoffmann zeichnet sich die Textkategorie Stil durch folgende acht Merkmale aus: Musterbasiertheit, Ganzheitlichkeit, Kontextbezogenheit, Motiviertheit, ästhetische Gestalthaftigkeit, Kulturbezogenheit, Textgebundenheit sowie Zeichenhaftigkeit. Diese Merkmale werden jeweils vorgestellt, diskutiert und an Beispielanalysen veranschaulicht.
Bezogen auf die Musterbasiertheit und Motiviertheit von Stil schließt sich Hoffmann der von Püschel geprägten Auffassung an, dass Stil auf dem Muster Gestalten beruhe bzw. dass das Gestalten „das allgemeinste oder zentrale Stilmuster“ (Püschel 1995: 307) sei. Stil wird als „Gestaltungsprodukt“ (S. 23) bestimmt; damit korreliert Stil zwangsläufig mit Intentionalität. In diesem Zusammenhang hätte allerdings erwähnt werden müssen, dass dies auch anders gesehen werden kann: Im Zuge einer produktorientierten Stilanalyse wird Stil als Oberflächenphänomen betrachtet ohne Berücksichtigung einer (nachträglich ohnehin schwer feststellbaren) Verfasserintention (vgl. korpuslinguistische Zugänge zu Stil, z. B. Scharloth, Bubenhofer & Rothenhäusler 2012).
Unter dem Stichwort Kontextbezogenheit von Stil wird auf die verschiedenen Vertextungsebenen Texthandlung („Stil als das Wie ihrer Durchführung“, S. 41), Textthema („Stil als das Wie der Versprachlichung und Vertextung des Themas“, S. 45) sowie Textarchitektur („Stil als das Wie textarchitektonischer Gestaltung“, S. 58) eingegangen. Situative Aspekte wie die Kommunikationssituation oder das Verhältnis zwischen den Kommunikationspartnern, die man hier ebenfalls oder sogar eher erwartet hätte, werden im Kapitel zur Motiviertheit von Stil berücksichtigt. Dies ist insoweit begründet, als Fragen wie bspw. die Rollengestaltung, Beziehungsgestaltung, Rezipientenbeeinflussung u. a. durchaus mit dem „Wozu von Gestaltungsweisen“ (S. 64, Kursivierung S. B.) und somit mit bestimmten Motiven (= „Gestaltungsmotiven“) zusammenhängen. Es wird aber auch deutlich, dass die einzelnen Merkmale zur Stilbestimmung nicht trennscharf sind, auf teilweise unterschiedlichen Ebenen liegen und sich hinsichtlich ihrer Reichweite und Alleinstellung unterscheiden. Einige dieser Punkte reflektiert der Verfasser am Ende von Kap. 2 kurz, bevor die Merkmale in einer Definition zusammengeführt werden (s. u.).
Die Ausführungen zur Ganzheitlichkeit, ästhetischen Gestalthaftigkeit, Kulturbezogenheit, Textgebundenheit und Zeichenhaftigkeit fallen deutlich kürzer aus, sind aber gleichwohl fundiert. Stil wird als kommunikatives Zeichen (bzw. „Zeichengefüge“, S. 133) im Text aufgefasst, das vom Rezipienten wahrgenommen und interpretiert wird; und anhand eines Textzeichenmodells (S. 135ff.) wird verdeutlicht, dass der Stil eines Textes von elementarer Bedeutung für das Textganze ist und keineswegs nur eine Nebensächlichkeit darstellt. Vor dem Hintergrund der eingangs betonten Untrennbarkeit von Stil und Text hätte es sich m. E. aber angeboten, die Überlegungen zur Zeichenhaftigkeit von Stil in das Kapitel zur Textgebundenheit von Stil zu integrieren und weiter vorn in Kap. 2 zu platzieren. Im Vergleich hierzu erscheint nachrangig, dass Stil auch eine ästhetische Gestalt in Texten zukommt und kulturell bedingt ist.
Auf Grundlage der vorausgegangenen Merkmalsbeschreibungen definiert Hoffmann Stil als „kultur- und kontextbezogenes, ganzheitliches Zeichen im Text mit pragmatischen und/oder ästhetischen Bedeutungen, das durch den Vollzug von Gestaltungsakten musterbasiert hervorgebracht wird und interpretierbar ist im Hinblick auf gestalterische Prinzipien, Ideen, Motive u. a. m.“ (S. 144). Abschließend weist er auf ein begriffliches Dilemma hin, das an vielen Stellen der Einführung sichtbar wird: Der Begriff Stil wird einerseits verwendet, um konkrete Gestaltungsmittel (Stilelemente wie z. B. Wörter einer bestimmten Stilschicht) zu bezeichnen, andererseits referiert Stil auf ein gesamthaftes Gestaltungsprinzip (z. B. einen Funktionalstil).
Das folgende Kapitel 3 (92 Seiten) trägt den Titel „Wahrnehmungs- und Interpretationsperspektiven auf Stil“ und geht verschiedenen stilistischen Auffälligkeiten nach, die sich in der Wahl bestimmter Stilzüge, Stilregister, Stiltypen und in der Komposition von Zeichen unterschiedlicher Medialität (z. B. Text-Bild-Verbindungen) zeigen. Zunächst wird mit Bezug auf das ursprünglich textgrammatische und von Michel (2001) an die stilistische Textanalyse adaptierte Modell von Fokus und Horizont dargelegt, dass stilistische Textzeichen Fokussierungsformen sind, die sich vom „‚Rest‘ des Textes“ (S. 145), dem Horizont, abheben. Dieses Abheben kann einerseits durch ein Abweichen von sprachlichen sowie kommunikativen Standards und Normen geschehen, andererseits auch durch ein auffälliges Wiederholen, wie der Verfasser anhand zahlreicher Beispiele rhetorischer Wiederholungsfiguren wie Anapher, Epipher, Anadiplose etc. illustriert. Als dritten Fokussierungstyp neben Abweichung und Wiederholung führt Hoffmann die Entgegensetzung an, wobei er selbst anmerkt, dass es zu Überschneidungen zwischen den einzelnen Typen kommen kann und die Unterscheidung nicht trennscharf ist.
In den weiteren Unterkapiteln werden nun Stilzüge, Stilregister, Textkompositionen sowie Stiltypen besprochen. Den Begriff des Stilzugs führt Hoffmann ein, um stilistische Gestaltungszusammenhänge in einem Text auf der Makroebene zu beschreiben. Der Registerbegriff verweist – entsprechend seiner Verwendung in der Soziolinguistik und Variationslinguistik – auf den situativen Kontext. Die Ausführungen zu Textkompositionen behandeln unterschiedliche Verknüpfungsarten (z. B. Ähnlichkeit, Kongruenz, Kontrast) zwischen verschiedenen Textkomponenten, bspw. zwischen Thema und Struktur eines Textes, Texthandlung und Textgliederung, sprachlichen und bildlichen Elementen. Bei der Definition von Stiltyp greift Hoffmann den Merksatz „Stiltypen sind Stilklassen, die typisierte Stile umfassen“ (S. 199) auf, um sodann eine präzise begriffliche Differenzierung zwischen Stiltyp, Stilklasse und typisierten Stilen vorzunehmen, die den folgenden Abschnitten zu Individualstil, Textsortenstil und Funktionalstil zugrunde liegt. Alle Unterkapitel zu Kapitel 3 zeichnen sich durch eine hohe Dichte an Beispielanalysen von Text(auszüg)en aus, die gut gewählt sind und ein breites Textsortenspektrum abdecken.
Im letzten, wiederum kurzen Kapitel (Kap. 4, 10 Seiten) mit der Überschrift „Hinweise zur Methodik der Stilanalyse“ formuliert und erläutert Hoffmann zunächst vier Leitsätze, die bei jeder Analyse beachtet werden sollten und die zur methodologischen Reflexion anregen. So lautet z. B. Leitsatz 1: „Jeder Stilanalyse liegt eine Stiltheorie, zumindest eine bestimmte Stilauffassung zugrunde. Die jeweilige Theorie bzw. Auffassung erweitert oder verengt das Blickfeld und gibt die Zielsetzung vor“ (S. 237). Sodann werden verschiedene Analysemodelle vorgestellt: Stufen-/Schrittfolgemodelle, Ebenenmodelle und Rahmenmodelle. Im Schlusswort weist Hoffmann darauf hin, dass Stilanalysen grundsätzlich dazu beitragen, Analysekompetenz zu erwerben, dass sie mit Anstrengung verbunden sind, aber auch Spaß machen sollten, und dass Analysemodelle dabei von Nutzen sein können. Auch hier zeigt sich wie an vielen anderen Stellen des Buches die leserorientierte Darstellungsweise.
Gesamteindruck
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf konzeptionellen Überlegungen, wodurch zunächst der Eindruck entstehen kann, es handle sich weniger um eine explizite Anleitung zur Text- und Stilanalyse (vgl. den Einführungstitel von Krieg-Holz & Bülow 2016). Aufgrund der zahlreichen Beispielanalysen unterschiedlicher Texte (literarische, journalistische, kommerzielle, private Texte usw.) eignet es sich jedoch durchaus als Einführung in die Text- und Stilanalyse (s. a. die methodischen Hinweise in Kap. 4). Hierfür, aber noch viel mehr für die reflektierte Auseinandersetzung mit dem Konzept Stil und für seine Implementierung in die Textlinguistik kann die Einführung von Hoffmann ohne Einschränkung empfohlen werden für Studierende aller Semester wie auch für Promovierende.
Das Buch verbindet theoretische Überlegungen mit konkreten Analysebeispielen und zeichnet sich durch ein hohes Maß an Verständlichkeit und Leserführung aus. Die Ausführungen sind inhaltlich aufeinander bezogen und sowohl sprachlich als auch optisch sehr ansprechend gestaltet. Schaubilder und Tabellen fassen die Inhalte übersichtlich zusammen; ein Sachregister ist ebenfalls vorhanden. Auch wenn Hoffmann eingangs ankündigt, auf die Diskussion verschiedener Stilauffassungen und Stiltheorien zu verzichten (S. 9) und Strittiges auszublenden (S. 22), kommt die theoretische Auseinandersetzung, wo es sinnvoll oder auch notwendig ist, keinesfalls zu kurz. Kapitel 2 enthält zudem viele optisch vom Fließtext abgesetzte „Diskussionen“, in denen relevante Fragen, z. T. unter Rückgriff auf weiterführende Literatur, tiefergehend erörtert werden – auch dies ein Beleg für die durchdachte Konzeption des Buches.
Literatur
Krieg-Holz, Ulrike & Lars Bülow. 2016. Linguistische Text- und Stilanalyse. Eine Einführung (narr Studienbücher). Tübingen: Narr Francke Attempto.Search in Google Scholar
Michel, Georg. 2001. Stilistische Textanalyse. Eine Einführung. Frankfurt am Main: Peter Lang.Search in Google Scholar
Püschel, Ulrich. 1995. Stilpragmatik – Vom praktischen Umgang mit Stil. In: Gerhard Stickel (Hg.). Stilfragen (Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 1994). Berlin, New York: De Gruyter, 303–328.Search in Google Scholar
Scharloth, Joachim, Noah Bubenhofer & Klaus Rothenhäusler. 2012. Andersschreiben aus korpuslinguistischer Perspektive: Datengeleitete Zugänge zum Stil. In: Britt-Marie Schuster & Doris Tophinke (Hg.). Andersschreiben. Formen, Funktionen, Traditionen (Philologische Studien und Quellen 236). Berlin: Erich Schmidt Verlag, 157–178.Search in Google Scholar
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