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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter March 16, 2019

Melanie Lenzhofer. 2017. Jugendkommunikation und Dialekt.Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol. Berlin, Boston: De Gruyter (Empirische Linguistik/Empirical Linguistics 6). 492 S.

  • Manfred Michael Glauninger EMAIL logo

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Melanie Lenzhofer. 2017. Jugendkommunikation und Dialekt. Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol. Berlin, Boston: De Gruyter (Empirische Linguistik/Empirical Linguistics 6). 492 S.


Obwohl die Jugendsprache(n) längst einen sowohl im außer- wie inner(sprach)-wissenschaftlichen Diskurs auch des deutschsprachigen Raumes stabil verankerten, naturgemäß höchst unterschiedlich, ja kontrovers konzipierten bzw. interpretierten Phänomenkomplex darstellt/darstellen (vgl. Glauninger 2018: 94f.), betritt Melanie Lenzhofer mit der von ihr vorgelegten Monographie Neuland. Denn in dieser Untersuchung, einer überarbeiteten Version ihrer 2015 von der Universität Graz approbierten Dissertation[1], greift die Autorin grundlegende Problemstellungen im Bereich der Theorie und Empirie sprechsprachlicher Syntax auf, um sie unter einem mehrdimensional soziolinguistischen, respektive kommunikativ-pragmatischen Gesichtspunkt stringent zu einem lohnenden Gegenstand zusammenzuführen. Dabei gilt:

„[I]n Bezug auf syntaktische Besonderheiten im Sprachgebrauch jugendlicher Dialektsprecher/-innen bzw. generell Jugendlicher [kann] in Österreich keine einschlägige Forschungsliteratur als Grundlage herangezogen werden“ (S. 5).

Die Spezifika des von Lenzhofer abgesteckten Objektbereichs und die damit verbundenen theoretischen wie methodischen Herausforderungen lassen sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Es geht um eine empirisch fundierte Auseinandersetzung mit der Frage nach alters­präferentiellen syntaktischen Markern in der (nähesprachlichen) Ingroup-Kommunikation Osttiroler Jugendlicher. Der dabei aufgespannte Theorierahmen umfasst – partiell ineinandergreifende – Ansätze der soziolinguistischen Sprachvariationsforschung, der Interaktionalen Linguistik, der Konstruktionsgrammatik sowie der Funktionalen Pragmatik. Es sei an dieser Stelle mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass hier aber keinesfalls eine „eklektizistische“ theoretische Fundierung zu monieren, sondern vielmehr ein hohes Maß an Gegenstandsadäquatheit zu konstatieren ist.[2]

Dies gilt mutatis mutandis auch für die methodische Dimensionierung der Untersuchung, in deren Verlauf – forschungspraktisch zielführend – etablierte Verfahren zur Erhebung, Modellierung und Analyse sprechsprachlicher diskursiver Daten zur Anwendung gebracht werden (vgl. Kap. 2, S. 21–51). Die Eckpfeiler dabei bilden in erster Linie zwei Korpora, deren Grundlage Transkripte von „Freundesgesprächen“[3] zwischen einerseits insgesamt 63 „jugendlichen“ (im Alter von 13–17 Jahren) und andererseits 18 „erwachsenen“ (40–60 Jahre alt) Osttiroler(inne)n darstellen. Ein drittes, am Institut für deutsche Sprache (IDS) in Mannheim erstelltes Korpus mit Transkripten von Kommunikationsverläufen in deutschen Fernsehsendungen („Gespräche im Fernsehen“[4]) bildet matrixvarietär gesehen den „standardsprachlichen“ Gegenpol zu den beiden erstgenannten, sich lediglich in Bezug auf das Alter der Sprecher(innen) signifikant unterscheidenden „dialektalen“ Korpora. Im kontrastiven Abgleich von somit drei Typen sprechsprachlicher diskursiver Daten – Kommunikate a) jugendlicher und b) erwachsener Osttiroler Dialektsprecher(innen) sowie c) erwachsener (überwiegend „bundesdeutscher“) Standardsprecher(innen) – analysiert Lenzhofer die Realisierungen der für ihre Studie ausgewählten syntaktischen Variablen und fokussiert dabei zentral deren etwaige alterspräferentiell-jugendsprachliche Markiertheit. Behandelt werden syntaktische Phänomene, die folgenden drei kategorialen Bereichen zugeordnet werden können: 1. Parataxe/Hypotaxe (weil-Konstruktionen, Relativsatzkonstruktionen, unselbständige Verbzweitkonstruktionen); 2. Serialisierung (externe Intensivierung der Nominalphrase, tun-Periphrasen im Indikativ und Konjunktiv II, Serialisierung der komplexen Verbalphrase); 3. Kompaktheit (Nicht-Realisieren der Präposition, Nicht-Realisieren des Personalpronomens, Nicht-Realisieren von Zitatmarkern).

Auf die Fülle an Ergebnissen, welche in der Folge auf Basis einer Kombination quantitativer (Frequenz) und qualitativer (Form-Funktions-Dimension) Auswertungen im nahezu 300 Seiten umfassenden Kapitel 4 der Arbeit vorgelegt werden, kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. Bevor jedoch ausgewählte, besonders relevante Aspekte der Analyse des Datenmaterials referiert werden, ist übergeordnet und mit Nachdruck festzuhalten,

dass der Sprachgebrauch der Osttiroler Jugendlichen stark dialektgeprägt ist. Dialektsprechen stellt in der Ingroup-Kommunikation die Normallage, die unmarkierte Varietät dar (S. 440).

Denn vor diesem Hintergrund lässt sich nicht nur die Begünstigung einzelner syntaktischer Varianten im jugendlichen Sprechen (z. B. die Nicht-Realisierung des Personalpronomens in Konstruktionen der 2. Pers. Sg.) schlüssig auf dialektalen Einfluss zurückführen. Vielmehr zeigt sich auch, dass gesamtgesellschaftlich verankerte Stereotype, aber nicht zuletzt auch fragwürdige (sozio-)linguistische Postulate hinsichtlich der Rolle „jugendlichen“ Kommunizierens im Zusammenhang mit dem Dialektabbau im deutschsprachigen Raum mit empirischen Daten konfrontiert und im Licht regionaler Differenzierung wohl noch stärker als bisher relativiert werden müssen. Der Titel von Lenzhofers Monographie – Jugendkommunikation und Dialekt – kann somit auch diesbezüglich als Fingerzeig gelten.

Was nun den Kern der untersuchten Kommunikation unter Osttiroler Jugendlichen anbelangt, können im Wesentlichen folgende syntaktische Varianten als alterspräferentielle Marker klassifiziert werden: 1. die externe Intensivierung der Nominalphrase in Kombination mit dem Definitartikel (Das ist absolut der Hammer) als eines jener Mittel der Expressivität, die „in der Jugendkommunikation Osttirols [...] signifikant häufiger als in der Erwachsenenkommunikation“ (S. 437) eingesetzt werden; 2. die tun-Periphrase zur Bildung von Konjunktiv-II-Formen, deren Verwendung „rezenten Ergebnissen zur Konjunktiv-II-Bildung bei Wiener Jugendlichen entgegensteht“ (S. 438), welche – im Einklang mit ihrem auch „alltagssprachlich“ intendiert standardnahen Kommunizieren – den würde-Konjunktiv präferieren; 3. die standardkonforme Abfolge in der Serialisierung des Verbalkomplexes in Verbzweitsätzen (Er hat arbeiten müssen vs. „erwachsenensprachlich“ – dialektal Er hat müssen arbeiten); 4. kompakte Strukturen (etwa Personalpronomen + so + X) und Zero-Formen als im Rahmen der Wiedergabe (erlebter oder fiktiver) animierter Rede auftretende Quotativkonstruktionen, die „in den Jugendkommunikaten signifikant häufiger belegt [sind] als in den Freundesgesprächen der erwachsenen Osttiroler/-innen“ (S. 439). Gerade in diesem Zusammenhang erfüllt „die Zuordnung prosodischer Codes [...] im Sinne des Evozierens sozialer Typen“ (S. 439) – sprich: das kontextualisierende Indizieren bestimmter Aspekte der sozialen Bedeutung sprachlicher Variation – eine die Jugendkommunikation charakterisierende Funktion.

Abschließend sei die auf S. 19 umrissene, übergeordnete Zielsetzung der Arbeit in den Blick genommen:

Insgesamt ist zu betonen, dass durch die bisher kaum stattfindende Auseinandersetzung mit den Sprechweisen Jugendlicher in Österreich (während in Deutschland und der Deutschschweiz eine rege Forschungskultur diesbezüglich besteht) diese Monographie eine Art „Grundlagenforschung“ darstellt, die zu weiteren Forschungsprojekten zum Sprachgebrauch Jugendlicher in Österreich anregen soll.

Mit dem oben in Anmerkung 1 erwähnten Projekt und den sich in dessen Umfeld entfaltenden Aktivitäten sind bereits wichtige Schritte in diese Richtung gesetzt worden. Es bleibt zu wünschen, dass weitere folgen und Melanie Lenzhofers Untersuchung in Form des ebenso sorgfältig wie ansprechend gestalteten Buches breite Aufnahme findet. Die Arbeit stellt eine bemerkenswerte, richtungsweisende Leistung dar, die das Potenzial aufweist, gerade auch über die Jugendsprachforschung im engeren Sinn hinaus Wirksamkeit zu entfalten.

Literatur

Glasersfeld, Ernst von. 2001. The Radical Constructivist View of Science. In: Foundations of Science.The Impact of Radical Constructivism on Science 6 (1–3), 31–43. Search in Google Scholar

Glauninger, Manfred Michael. 2018. Jugendsprache(n) als Soziokonstrukt und Segment sprachwissenschaftlichen Wissens. In: Arne Ziegler (Hg., unter Mitarbeit v. Melanie Lenzhofer & Georg Oberdorfer). Jugendsprachen/Youth Languages. Aktuelle Perspektiven internationaler Forschung/Current Perspectives of International Research. Berlin, Boston: De Gruyter, 85–96.Search in Google Scholar

Lenz, Alexandra N. 2003. Struktur und Dynamik des Substandards. Eine Studie zum Westmitteldeutschen (Wittlich/Eifel). Stuttgart: Steiner (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 125). Search in Google Scholar

Ziegler, Arne (Hg., unter Mitarbeit v. Melanie Lenzhofer & Georg Oberdorfer). 2018. Jugendsprachen/Youth Languages. Aktuelle Perspektiven internationaler Forschung/Current Perspectives of International Research. Berlin, Boston: De Gruyter.10.1515/9783110472226Search in Google Scholar

Published Online: 2019-03-16
Published in Print: 2019-12-04

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 21.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2019-0006/html
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