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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter March 22, 2019

Christiane Andersen, Ulla Fix & Jürgen Schiewe (Hg.). 2018. Denkstile in der deutschen Sprachwissenschaft. Bausteine einer Fachgeschichte aus dem Blickwinkel der Wissenschaftstheorie Ludwik Flecks (Philologische Studien und Quellen 265). Berlin: Erich Schmidt Verlag. 355 S.

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Christiane Andersen, Ulla Fix & Jürgen Schiewe (Hg.). 2018. Denkstile in der deutschen Sprachwissenschaft. Bausteine einer Fachgeschichte aus dem Blickwinkel der Wissenschaftstheorie Ludwik Flecks (Philologische Studien und Quellen 265). Berlin: Erich Schmidt Verlag. 355 S.


Mit der Fach- und Wissenschaftsgeschichte der Linguistik ist es in Deutschland so eine Sache. Einen einschlägigen Lehrstuhl gibt es bis heute ebenso wenig wie eine damit befasste Institution. Ganz im Unterschied zur germanistischen Literaturwissenschaft, die im Marbacher Literaturarchiv eine höchst professionelle Geschichtsschreibung der germanistischen Literaturwissenschaft betreibt. Aus dem nunmehr fast 50 Jahre entfernten Zeitraum der 1970er und 1980er Jahre datiert eine lebhafte und vielstimmige Debatte über die Geschichtsschreibung der Linguistik, ihre Methoden, Modelle, Deutungsmuster: Soll es Problem-, Theorie-, Begriffs‑, Institutionen-, Methodengeschichte sein? Sollen die externen Bezugssysteme dokumentiert werden? Gibt es das, was die Evolutionisten als Pfadabhängigkeit bezeichnen (einen Zwang, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen), auch in der Sprachwissenschaft? Gibt es sprachwissenschaftliche Paradigmen im Sinne von Kuhn? In diesem Selbstklärungs- und Professionalisierungsprozess sind internationale Fachzeitschriften gegründet worden (Historiographia Linguistica in den 1970er Jahren und Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft in den 1980er Jahren), es sind Handbücher und Nachschlagwerke entstanden. Für den Rezensenten des o. g. Sammelbandes lautet der erste, leicht irritierende, wenn nicht bestürzende Befund, dass all diese, ungefähr eine wissenschaftliche Generation entfernte historiographische Grundlagenforschung in dem rezensierten Band komplett absent ist. Es scheint sie nicht gegeben zu haben, sie fehlt völlig. Auch die verblichene DDR hatte eine durchaus ehrenwerte Initiative zur Professionalisierung der germanistisch-linguistischen Fachgeschichte (vgl. z. B. Bahner & Neumann 1985), von den anderen Philologien, zumal der romanischen (etwa in den Arbeiten Gerda Haßlers) ganz zu schweigen.

Nun zu dem illustren Begründer der historischen Wissenschaftssoziologie, Ludwik Fleck, dem die Herausgeber des Bandes Ehre erweisen. Er ist in der Tat eine Schlüsselfigur. Und das ist er, weil er rezeptionsgeschichtlich im Schatten derjenigen geblieben ist, die ihn ausgeschlachtet, aber nicht (oder nur am Rande) genannt haben: Michel Foucault vor allem, aber auch Thomas Kuhn und Bruno Latour. Jeder Spezialist weiß indessen, dass der zentrale Gedankenfundus der historischen Wissenschaftssoziologie in den Arbeiten Ludwik Flecks angelegt ist – und dass es sich dabei um einen kommunikativen Zugang zur Dynamik „wissenschaftlicher Tatsachen“ handelt. Die neuerliche „Entdeckung“ Flecks in der germanistischen Linguistik erlaubt es demnach, von einer diesbezüglich verspäteten Disziplin zu sprechen. Das Hauptwerk Flecks (1935) ist bald 100 Jahre alt und bedürfte selbst der Historisierung. Es ist 1980, also vor beinahe 40 Jahren, wieder veröffentlicht worden, und seither sind viele weitere Texte Flecks auf Deutsch erschienen (Fleck 1983, 2011).

Der Band geht zurück auf eine Reihe von Tagungen, die sich zwischen 2013 und 2016 mit Ludwik Flecks Bedeutung für die Geschichte der germanistischen Sprachwissenschaft befasst haben. Er beginnt mit einer ausführlichen Einleitung in Flecks Wissenschaftssoziologie, die gemeinsam verfasst und verantwortet ist von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe. Die Einleitung kreist um Flecks zentrale heuristische Konzepte wie Denkstil, Denkkollektiv, thematisiert aber auch die Rolle von Ausdrücken wie Präidee, Denkstimmung, Denkzwang, Beharrungstendenz.

Es folgen neun weitere Einzelbeiträge, in denen überwiegend gegenwartsnahe (und überwiegend nicht zum formallinguistischen Mainstream der letzten 50 Jahre zählende) Ansätze und Richtungen der germanistischen Linguistik mit den Mitteln Flecks unter die Lupe genommen werden. Den Anfang macht ein Beitrag von Christiane Andersen, der sich mit dem in der neueren Linguistik programmatischen Strukturbegriff befasst – und mit der Tatsache, dass bei der Etablierung der Generativen Grammatik im deutschsprachigen Raum die Anfang der 1960er Jahre in Ostberlin gegründete „Arbeitsstelle für strukturelle Grammatik“ die Nase vorn hatte. Manfred Bierwischs 1966 im westdeutsch-linken „Kursbuch“ erschienener programmatischer Text ist zweifellos das zentrale Dokument in diesem Wettrennen zwischen West- und Ostdeutschland. Was den esoterischen und exoterischen Erfolg der frühen Generativen Grammatik getrieben hat, lässt sich diesem Text bis heute gut entnehmen. Bierwisch formatiert die Chomsky-Linguistik so, dass sie mit allem kompatibel erscheint, was modern, links, fortschrittlich und strukturalistisch ist. Modern waren damals Kybernetik und Informationstheorie (in Ost und West), links und fortschrittlich der Marxismus. Bierwischs (1966) Text zirkulierte weit in der linken studentischen Szene in Westdeutschland. Ich besitze einen Raubdruck von 1972, auf dem es heißt, es handele sich „um die bislang einzige marxistische Darstellung der Grundprobleme und Methoden der strukturalistischen Linguistik“. Ganz anders verhält es sich mit dem Begriff Strukturalismus selbst. Den benutzt Chomsky kaum, in Deutschland (und Frankreich) steht er aber für ein zahlreiche Fachgebiete verknüpfendes und umspannendes Denkmodell mit viel öffentlicher Resonanz und modischem Appeal. Struktur ist ein klassischer fächerübergreifender wissenschaftlicher Ausdruck, mit zahllosen separaten Terminologisierungen in verschiedenen Disziplinen. Das kann einen übergreifenden Denkstil indizieren, muss aber nicht. Als Gründungsdokument taugt Bierwisch (1966) aber keineswegs für ein strukturalistisches Denkkollektiv, sondern für die deutsche Implementierung der Generativen Grammatik, also eines bereits anderweitig etablierten Denkkollektivs.

Gar nicht folgen kann ich der Autorin bei der These, die „quasi-biologischen Implikationen“ (S. 75) der generativen Theorie und Terminologie seien ein „Anachronismus“. Ich halte sie vielmehr für ein Kernstück der ganzen Lehre, und das bis heute. Die Analogie von natürlicher Sprache und biologischem Organ zieht sich bis heute durch, wie ein Blick auf die neoevolutionistischen Aufsätze Chomskys aus der jüngeren Vergangenheit belegt (prominent Hauser, Chomsky & Fitch 2002; Chomsky 2010). Axiomatisch stiftet sie die Verbindung zwischen Chomsky und der Tradition de Saussures, in der die menschliche Sprachfähigkeit als biologisches Erbe, die Einzelsprache aber als historisch-kulturell tradierte und ausgebaute Institution gilt. Diese Figur garantiert darüber hinaus den (freilich immer problematischen) Anschluss der Chomsky-Grammatik an die biologische Leitwissenschaft der Zeit. Nicht selten apostrophiert Chomsky den eigenen Ansatz als „biolinguistisch“. Der jüngste Großangriff auf das noch immer einigermaßen wirkmächtige szientifische Paradigma der Chomskyaner, vorgetragen von dem Ethnographen Dan Everett, ist im Übrigen bravster Kulturalismus à la Franz Boas. Everetts Kernthese lautet, dass man die Grammatik primitiver (pardon: indigener) Sprachen nur durch Rekurs auf deren Kultur verstehen kann. Der Scherz mit primitiv/indigen stammt von Wolfe (2017), der eine satirisch überspitzte Version der Kontroverse zwischen Dan Everett und den Chomskyanern liefert (sehr lesenswert, weil Wolfe karikiert, wie sich der Zeitgeist auch im Inneren der sprachwissenschaftlichen Denkstile zur Geltung bringt!).

Wie nachhaltig die Wirkung der Ostberliner Strukturalismusoffensive auch im westlichen linguistischen Establishment gewesen ist, belegt die Autorin sehr passend mit dem Sammelband von Steger (1970), in dem auch die gesamte Prominenz der Ostberliner „Arbeitsstelle“ vertreten ist. Der Stilwandel wird noch deutlicher, wenn man den Titel von Steger (1970) „Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen“, mit dem intentional gleichartigen, aber acht Jahre früheren Band von Moser (1962) vergleicht. Der heißt nämlich noch ganz pathetisch: „Das Ringen um eine neue deutsche Grammatik“. Die Ansicht des Rezensenten, dass die Beiträge aus Moser (1962) gleichwohl deskriptiv und explanativ fruchtbarer sind als die aus Steger (1970), muss man natürlich nicht teilen.

Mit der Geschichte der „Linguistischen Geschlechterforschung“ beschäftigt sich der folgende Beitrag von Magnus Ängsal. Nacherzählt wird die Geschichte der aufeinander folgenden Etappen in der feministischen Linguistik, von den strukturlinguistischen Anfängen über die sozio-, kontrast- und gesprächslinguistischen Erweiterungen bis zur poststrukturalistischen Diskurslinguistik. Ein Denkstil wird daraus freilich nicht, im Gegenteil. Es zeigt sich eher, dass die verschiedenen Strömungen der feministischen Linguistik immer an bereits akademisierte und etablierte Richtungen der Sprachwissenschaft angedockt haben. Zeitweise nicht kompatibel mit dem herrschenden Denkstil war bestenfalls der normative Anspruch in einem ansonsten doch eher deskriptiven Umfeld.

Einen sich „eher mühsam“ (S. 137) etablierenden kulturwissenschaftlichen Denkstil in der germanistischen Linguistik identifiziert der folgende Beitrag von Waldemar Czachur. Hier wäre gleich eingangs zu notieren, dass das bewegliche Wechselspiel zwischen partieller Szientifizierung und folgender oder paralleler (Re‑)Kulturalisierung die Fachgeschichte seit gut 200 Jahren prägt. Die nationalphilologischen Anfänge bei den Grimms waren kulturwissenschaftlich ausgerichtet, und die harte historische Laut- und Formenlehre der Junggrammatiker (Lautgesetze, Psychologie etc.) waren ein Stück Szientifizierung. Die „volkhafte“ germanistische Linguistik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war ein gigantisches Rekulturalisierungsprogramm. „Die Stellung der Sprache im Aufbau der Gesamtkultur“ heißt eine voluminöse Programmschrift Leo Weisgerbers aus den frühen 1930er Jahren. Die szientifizierte Laut- und Formenlehre der letzten (junggrammatischen) Generation gilt den Akteuren als „positivistisch“ – und das ist klar ein Stigmawort (hierzu Knobloch 2005). Mit dem Siegeszug der Chomsky-Grammatik setzt in den 1960er Jahren (s. o.) eine rasche Reszientifizierung der Disziplin ein, die gerade dabei ist, sich in zahlreiche, darunter auch kulturalistische Lehrmeinungen aufzulösen. Das ist die Lage, und ob es gegenwärtig angebracht ist, diese Strömungen unter dem programmatischen Dach eines einzigen Denkstils zu vereinigen und aufzuwerten, ist eine ganz andere, eine fachpolitische Frage. Jedenfalls gibt es auffallend viele Figuren und Topoi, die sich in allen Rekulturalisierungen wiederholen: Da ist die programmatische „Erweiterung des Aufgabenspektrums“ (S. 151) der Sprachwissenschaft, man macht das vielfältige „Leben der Sprache“ (so der Titel vieler einschlägiger Abhandlungen aus dem 19. Jahrhundert) stark gegen die fachlichen Abstraktionen, und man verspricht die praktische Relevanz und Nützlichkeit einer Linguistik, welche die Fülle des Sprachlebens im Blick hat (ehedem gegen die junggrammatischen „Lautschieber“). Zu diesen exoterischen Relevanzversprechen gehört auch der Topos der „Öffnung der sprachwissenschaftlichen Denkkollektive zur Gesellschaft“ (S. 207), den Ulla Fix in ihrem Textlinguistik-Beitrag in Stellung bringt, ohne den Preis zu nennen, der dafür zu entrichten ist: die fachliche Autonomie in der Bestimmung des Gegenstandes.

Mit einer „Denkstimmung der Skepsis“ versucht dann Philipp Dreesen die Entstehung der Diskurslinguistik im Zeichen des französischen Poststrukturalismus zu analysieren. Mir scheint, auch diese Geschichte wäre anders treffender zu erzählen. Die außerakademischen Institutionen der frühen Diskurslinguistik (das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialwissenschaft – DISS, die Zeitschrift kultuRRevolution etc.) sind ganz klar Produkte linken politischen Engagements. Mit der poststrukturalistischen Skepsis schmücken sich hingegen erst die Protagonisten der späteren, der erfolgreich akademisierten Diskurslinguistik, der eindeutiges Engagement ja bekanntlich nicht sonderlich gut zu Gesicht steht. Sie trägt Wertfreiheit, Distanz, Deskriptivität vor sich her (und pflegt die Ressourcen, die nötig sind, um Drittmittel einzuwerben).

Um Abgrenzungspraktiken in fachlichen Kontroversen geht es im Beitrag von Nina Kalwa. Die (auch sprachliche) Präge- und Beharrungskraft etablierter fachlicher Denkstile liefert das rahmende Flecksche Motiv. Jana Kiesendahl vergleicht sodann die Lehrwerke für den muttersprachlichen Unterricht in BRD und DDR, mit Blick vor allem auf die von Wilhelm Schmidt geprägte „Potsdamer Richtung“ der funktionalen Grammatik, die bestimmend war in der Lehrerausbildung der DDR. Solche schulischen Lehrwerke sind insofern interessante Gebilde, als sie zugleich einer fachwissenschaftlichen Legitimierung bedürfen und in der Hauptsache aber auf exoterischen bildungspolitischen Entscheidungen (Lehrplänen, Curricula etc.) beruhen. Dass Wilhelm Schmidts „funktionale“ Richtung in der akademischen Sprachwissenschaft eher nicht geschätzt wurde (vgl. Helbigs kursorische Notiz in 1974: S. 92; die „Arbeitsstelle“ hat Schmidt m. W. nicht einmal ignoriert – um eine Formel Woody Allens zu gebrauchen), belegt erhebliche Diskrepanzen zwischen akademischen und schulpraktischen Anforderungen an Grammatik und Sprachlehre, wie man sie im Übrigen auch in der BRD besichtigen kann und konnte.

Jürgen Schiewe berichtet in seinem Beitrag einmal mehr über die unendliche Aus- und Abgrenzungsgeschichte zwischen der akademischen Sprachwissenschaft und der Sprachkritik, über den nie ganz zu glättenden Widerspruch zwischen deskriptivem Anspruch und normativer Publikumserwartung. Dahinter steht erkennbar der Wunsch, das eigene Anliegen (Akademisierung einer wissenschaftlichen Sprachkritik) zu befördern und die Sprachkritik in den Themenkanon der akademischen Linguistik einzugliedern. Bemüht wird dabei vor allem Peter von Polenz, der schon seit den 1960er Jahren zu vermitteln sucht zwischen der reinen und esoterischen akademischen Linguistik und den gesellschaftlichen Erwartungen an das Fach (Polenz hat seinerzeit den Ausdruck „angewandte Sprachwissenschaft“ in die Zirkulation gebracht).

Auch sprachtheoretisch aufschlussreich ist der abschließende Text von Barbara Zimmermann und JürgenSpitzmüller über den Legastheniebegriff, der (so die These) kraft seiner erfolgreichen Etablierung im gesellschaftlichen Interdiskurs (so nennt Jürgen Link die diskursive Sphäre, in der die Vielzahl der gesellschaftlichen Spezialdiskurse kollektivsymbolisch reintegriert werden) ontologisiert und in Spezialdiskursen terminologisiert wird. Im Ergebnis hat Legasthenie die Festigkeit einer anerkannten Tatsache, es gibt Prävention, Behandlung, Theorie etc., obwohl eigentlich bloß ein vages Konglomerat sehr disparater Symptome vorliegt, das durch den Ausdruck sprachlich gewissermaßen gebündelt und zu einem Tatbestand vereinheitlicht wird.

Der Band versucht keine Antwort auf die Frage zu geben, warum Ludwik Fleck gerade jetzt für die Ränder der Sprachwissenschaft „anschlussfähig“ wird. Es überwiegt die Tendenz, das jeweils eigene fachliche Anliegen zum Denkstil zu erheben und es damit gewissermaßen semantisch zu adeln. Dem entspricht freilich eine innerfachliche Realität, in der es eine paradigmatische Klammer, eine herrschende Lehre, nicht gibt. Was es gibt, ist eine reichlich bunte Szene mit sprachwissenschaftlichen Ansätzen, denen ihrerseits institutionell, semantisch und problemanalytisch ein gemeinsames Dach fehlt. Die Situation in dieser Szene ist aber keineswegs die Situation vollständig separater Denkstile. Sie gleicht eher einem Netz lose verbundener, aber kommunikationsfähiger Ansätze. Der evolutionistische Wissenschaftssoziologe David Hull (1989) beschreibt, ganz im Geiste Flecks, das Ziel wissenschaftlicher Kommunikation so: Jeder will die eigenen Gedanken, Theorien und Modelle in das Korpus des fachlich akzeptierten wissenschaftlichen Wissens hineinmanövrieren. Dafür müssen sie hinreichend neu und originell sein, aber zugleich auch hinreichend assimilierbar und anschlussfähig für den Fundus des bereits akzeptierten Tatsachenwissens. In diesem Umkreis bewegen sich die Autoren. Und, die Augen starr auf das je eigene Gärtchen gerichtet, übersehen sie, was sich im (geistes-)wissenschaftlichen Stil der vergangenen 40 Jahre wirklich verändert hat. Der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart (2001) hat dafür die Formel von der Politisierung, Medialisierung und Ökonomisierung der Disziplinen geprägt. Fleck hätte gesagt: Die Macht der exoterischen Kollektive, mit ihren Problemwahrnehmungen und Erwartungen, überrennt die Definitionsmacht und Autonomie der esoterischen Kollektive bei der Festlegung ihrer Axiome, Methoden, Themen. Die neue Übermacht der exoterischen Kollektive beruht darauf, dass sie es sind, die über die materiellen, symbolischen und aufmerksamkeitspraktischen Ressourcen verfügen, die jede Disziplin benötigt, um arbeiten zu können. Um diese Ressourcen zu mobilisieren, verspricht man exoterisch relevante Themen und Ergebnisse. Der dafür zu zahlende Preis ist hoch, zu hoch.

Literatur

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Published Online: 2019-03-22
Published in Print: 2019-12-04

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 21.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2019-0007/html
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