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Karoline Kreß. 2017. Das Verb ‚machen‘ im gesprochenen Deutsch. Bedeutungskonstitution und interaktionale Funktionen. (Studien zur deutschen Sprache. Forschungen des Instituts für Deutsche Sprache 78). Tübingen: Narr/Francke/Attempto. 395 S.
Die vorliegende Dissertation ist im Rahmen des Projekts „Verbkomplemente im gesprochenen Deutsch“ des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim entstanden, welches mit gesprochenem Material und mit neuen Methoden die lange Tradition der Mannheimer (Verb‑)Valenzgrammatik fortsetzt. Aus diesem Projekt ist schon ein Sammelband (Deppermann u. a. 2017) und eine Arbeit über Modalverben in absoluter Verwendung erschienen (Kaiser 2017). Hier liegt nun eine gründliche Untersuchung des bedeutungsschwachen Verbs machen vor; eine ähnliche über haben ist in Arbeit.
Es leuchtet ein, dass Wörter mit wenig Eigenbedeutung mehr auf den verbalen und situativen Kontext angewiesen sind als inhaltsreiche. Karoline Kreß stützt sich deshalb in ihrem theoretischen Kapitel besonders auf die kognitive Semantik (z. B. Langacker 2008), weil hier der verbale und der situative Kontext eine besondere Rolle für die Interaktionsbeteiligten spielen. Aus demselben Grund scheidet sie die semantische Merkmalstheorie und die Prototypentheorie als theoretische Grundlage aus. Aber sie übernimmt die für die Verbaktanten wichtige Kasustheorie, die Konstruktionsgrammatik mit der Betonung der Zusammengehörigkeit von grammatischer Konstruktion und lexikalischer Füllung und das Instrumentarium der Interaktionalen Linguistik. Im Schlusskapitel – dies sei hier vorweggenommen – diskutiert sie deren Vorzüge und Grenzen noch einmal. Mit dem bis dahin aus den Analysen gewonnenen Wissen kann der Leser diesen theoretischen Ausführungen voll zustimmen.
Für die Behandlung der semantischen Bedeutungen und der pragmatischen Funktionen von machen-Konstruktionen geht Kreß von Arnulf Deppermanns Vier-Ebenenmodell der Bedeutungskonstitution aus (Deppermann 2008), das besagt, dass von der Eigenbedeutung des betreffenden Ausdrucks aus immer auch die dialogisch sequenzielle Position, der sprachliche und der außersprachliche Kontext in Betracht genommen werden. Bezogen auf das Verb machen heißt das, dass sich seine semantische Leistung darauf beschränkt, dem Subjekt eine Art ‚Agentivität‘ zuzuschreiben, wie stark (‚intentional‘) oder schwach (nur ‚Verursachung‘) diese auch sein mag. Auch Tiere und Naturereignisse können etwas machen (der Sturm hat ganz schön Unordnung gemacht, S. 54).
Wichtiger für die Analysen ist die zweite Ebene innerhalb des (Teil‑)Satzes. Im semantischen Zusammenspiel mit seinen Aktanten entscheiden sich die meisten Verwendungen. Für die verbale Kommunikation hat eine machen-Konstruktion den Vorteil, dass die Aufmerksamkeit des Hörers auf die lexikalisch realisierten Aktanten gelenkt wird (S. 57). Wichtig ist dabei aber, wie frei oder fest diese Verbindungen sind, um „Wortverbindungsmuster“ (z. B. wir machen das so ...) und Kollokationen (das Bett machen, Kaffee machen) von frei wählbaren Aktanten zu unterscheiden (für das Argumentmuster Subjekt – Akkusativobjekt – Adverbial-/Präpositionalobjekt z. B.: einen Schal aus Wolle machen vs. sich einen Scherz/Spaß/Jux aus etwas machen vs. aus einer Mücke einen Elefanten machen, S. 61f.).
Die satzexterne und die außersprachliche Ebene werden relevant, wenn auf Inhalte des zurückliegenden Gesprächs verwiesen wird (so bei der Komplexanapher das machen), wenn situativ anstehende Aufgaben thematisiert werden (Beispiel: in einer sozialen Einrichtung sagt jemand: wir machen zuerst die Anna und meint: ‚wir besprechen zuerst die Themen, die mit dem Kind Anna zusammenhängen‘) und wenn kulturelles Hintergrundwissen notwendig ist (z. B. wenn ein Student sagt, er mache ein Seminar). Die dialogische Funktion folgt aus der jeweiligen Stelle einer dialogischen Struktur (z. B. einer Antwort), in der machen verwendet wird. Alle diese Ebenen sind nur systematisch zu unterscheiden; in der konkreten Interaktion wirken sie zusammen – auch das ist einleuchtend.
Als indirekte Rechtfertigung der eigenen Arbeit liest sich das Kapitel über die Behandlung von machen in einigen Wörterbüchern, an deren Herleitungen polysemer Bedeutungen und Unterbedeutungen (Duden Universalwörterbuch: 20, Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache: 18) Kreß methodische Kritik übt. Sie selbst sammelt Belege in einem Korpus von ca. 100 Stunden Sprechdauer, gliedert 13 Partikelverben aus (z. B. nach-, zu-, weitermachen), nimmt aber solche mit einem direktionalen Adverb hinzu (rein-, raus-, dranmachen), weil sie Alternativen zu direktiven Objekten sind, und kommt so auf eine Belegzahl von 3.872 machen-Verwendungen. 82 % von ihnen sind transitiv; von diesen wiederum haben 33 % eine lexikalische NP, und ca. 30 % sind anaphorische das-machen-Konstruktionen. Fasst man die Grauzone zwischen festen Fügungen und Ad-hoc-Formulierungen weit, dann macht noch nicht einmal die Hälfte von ihnen verfestigte Verbindungen aus (S. 125f.), was ein weiterer Grund dagegen ist, polyseme Bedeutungen aufgrund von willkürlich gewählten usuellen Verbindungen anzunehmen.
Die implizite Argumentation gegen die Bedeutungsvarianten wird fortgesetzt, wenn Kreß zu Beginn ihrer eigenen empirischen Untersuchung zeigt, wie eine bestimmte Lesart (am Beispiel von ‚etwas äußern/Geräusche hervorbringen‘) nur über die Verbindung von Prädikat und Objekt hinaus eine relativ eindeutige Interpretation bekommt. Ihr erster Durchgang betrifft die satzübergreifenden Bezüge. An mehreren Beispielen zeigt sie, wie der (meist vorhergehende) Gesprächskontext und auch das kulturelle Hintergrundwissen notwendig sind, um die Bedeutung von machen + Akk.-obj. näher einzugrenzen, z. B. wenn im thematischen Kontext des Bezahlens in einem Restaurant die Fünfzig machen bedeutet, eine Rechnung auf 50 € aufzurunden (S. 150). Der außersprachliche Kontext ist immer dann relevant, wenn konkrete Handlungen anstehen, und die sequenzielle Position, wenn eine Handlung angekündigt oder erlaubt wird.
Der Hauptteil der Untersuchung betrifft aber die satzintern verstehbaren Konstruktionen. Kreß teilt ihre Analyse in einen grammatischen und in einen semantischen Teil auf. Am häufigsten wird machen transitiv verwendet. Mehr noch als das Subjekt spezifiziert das Akkusativobjekt, was mit machen gemeint ist. Zusätzlich kann machen mit einer Dativ-NP konstruiert werden. Als Matrixverb (mach, dass du fortkommst) kommt es im Korpus nicht vor (S. 378).
In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich bei den dreiwertigen Verwendungen um eine Art Transfer oder um eine Auslösung, sei es, dass der Referent der Dativ-NP etwas erhält (er macht ihr einen Kuchen), dass er verändert wird (sie macht ihm lustige Frisuren) oder dass bei ihm ein Gefühl geweckt wird (er macht ihr Angst). Viele dieser Transferbedeutungen sind feste Wortverbindungen (sich/jemandem Vorwürfe/Sorgen/Gedanken/Angst/ Eindruck/Stress etc. machen, S. 162). Konstruktionen mit Objektsprädikativ und direktionalem Adverb/PP werden unter den semantischen Leistungen ‚resultativ‘ und ‚Transfer‘ besonders eingehend beschrieben, auch wieder mit theoretischen Exkursen. Für die resultative Verwendung wird kontextuell gezeigt, warum größer machen besser passt als vergrößern (S. 166) oder hoch machen besser als erhöhen (S. 186). Bei lexikalisierten Bildungen wie kalt‑, fertig-, irremachen bewirkt das Adjektiv die spezifische Bedeutung, nicht das Verb (S. 177). Die häufigsten Prädikativobjekte sind fertig (in nicht übertragener Bedeutung), deutlich, klar und kaputt. Bei Letzterem kommt es auf den Kontext an, ob das Adjektiv wörtlich oder metaphorisch verwendet wird (eine Tasse kaputt machen vs. du machst unser Land kaputt).
Für die Transferkonstruktion (‚etwas irgendwohin V-en‘) eignen sich Adverbien wie rein-/raus-/(d)rüber-, und es stellt sich wieder die Frage, wie sehr diese Bildungen lexikalisiert oder kompositionell deutbar sind, ob etwas konkret bewegt wird oder ob die Konstruktion metonymisch verstanden wird (den Donnerstag auf elf Uhr machen heißt expliziert: ‚die für den Donnerstag geplante Aktivität auf elf Uhr verschieben‘, S. 194) und ob das Adverb eher die Richtung oder den Ort angibt. Fazit ist wieder: Aus dem Zusammenspiel der drei Komplemente und aus dem Wissen der Beteiligten wird klar, was mit einer machen-Konstruktion gemeint ist.
Das interessanteste Kapitel war für mich das über die pragmatischen Funktionen. Die erste Funktion, die Kreß bespricht, betrifft das Aufgreifen von zuvor besprochenen Inhalten mit der Komplexanapher das/es machen. An mehreren Beispielen wird gezeigt, wieviel Entschlüsselungsarbeit es braucht, um den Referenzbereich von das zu erkennen. Aber auch ein Offenlassen des genauen Bezugs hat Vorteile, z. B. in einer Prüfung, indem der Prüfling nach einer entsprechenden Frage sich den thematischen Anschluss für seine Antwort aussuchen kann (S. 232f.).
In der zweiten Position von Adjazenzpaaren gibt man eine Erlaubnis (ja mach, mach nur) bzw. verpflichtet sich selbst zu etwas (mach ich, S. 234). Eine ausführliche Analyse erfährt in diesem Kapitel das „Social Action Format“ ich/wir mache/n das so. Kataphorisch verwendet, werden damit Vorschläge gemacht, Regeln erklärt, eine Problemlösung angebahnt, oft von denjenigen, die eine übergeordnete Rolle haben, und oft verbunden mit der Sicherung des Rederechts für das zu explizierende Vorgehen. Anaphorisch verwendet, stimmt der Sprecher einem Vorschlag zu bzw. legt sich auf etwas fest. Nebenfunktion ist hier die Themenbeendigung.
Eine zweite generelle Funktion ist die „Entzerrung von Inhalten“, d. h. dass nach einer machen-Konstruktion die einzelnen Aspekte eines komplexen Sachverhalts in einzelne Intonationsphrasen gegliedert werden. An semantisch-grammatischen Strukturen eignen sich dafür das Hendiadyoin (wir machen das wie die Schweizer und bauen flächendeckend aus), das Pseudocleft (was wir noch machen müssen ...), die Rechtsversetzung (das machen sie eher in der Grundschule, einen runden Tisch) und Relativsätze. Mit diesen kann man komplexe Informationen zerlegen (dieses kindgerechte Sprechen, was die Mutter [Agens] mit dem Kind [Patiens] macht, S. 271); man kann zwei Foki in Verbindung bringen und besonders akzentuieren (dieses Ger´äusch, was die Scháfe machen); oder man kann jemandem Verantwortung zuschreiben und ihm dann einen Vorwurf machen (das Statement, das du gemacht hast, S. 274). Durch Kontrastierungen mit inhaltlich dichten Formulierungen (dein Statement) arbeitet Kreß den Nutzen eines solchen schrittweisen Vorgehens heraus.
Bei der „Durchführungsrahmung“ werden einerseits Handlungen außerhalb der Situation als durchführbar erklärt (eine Romantiker-WG machen); andererseits fungiert machen innerhalb des Gesprächs als Ersatzverb für spätere Präzisierungen (machst du’s so → untereinander einfach nur klären → oder irgendjemand legt fest so und so viel Kohle, S. 287), was dem Online-Formulieren und -Reformulieren entgegenkommt, z. B. in listenartigen, syntaktisch parallelen Konstruktionen (S. 291–293) oder als Reparatur (Präzisierung: er macht, unternimmt alles, S. 294, Abschwächung: das macht mich ganz, das verwirrt mich sehr, S. 296). Im Gegensatz zur geschriebenen Sprache kann dann auch eine VP in die Objektstelle eintreten (dann macht er alles immer so Revue passieren [lassen], S. 289). Während der Äußerungsplanung wirkt machen manchmal wie ein Verzögerungssignal (S. 305).
Weitere Funktionen sind die Redeeinleitung (nur viermal im Korpus) und das Formulieren vom Objektsnomen aus, wenn dieses im Fokus steht (was könnte man für Korrekturen machen? Da Korrekturen hier ein Fachterminus ist, passt korrigieren nicht, S. 313). Kreß behandelt dann die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von machen und tun (als Voll- wie als Hilfsverb), bevor sie sich, wie gesagt, noch einmal den theoretischen Ansätzen zuwendet und diskutiert, was sie leisten und was sie nicht leisten können.
Alles in allem gewinnt die Gesprochene-Sprache-Forschung mit dieser Untersuchung eine tiefere Einsicht in die Verwendung eines hochfrequenten, aber bedeutungsarmen Wortes. Wieder einmal zeigt sich, dass ein von der Sprachkritik verurteilter Sprachgebrauch (hier: das Verwenden schwammiger Wörter) in der konkreten Kommunikationssituation seine Vorteile hat und sich seine eigenen grammatischen Strukturen schafft. Karoline Kreß rekonstruiert den Bedeutungszusammenhang, in dem machen steht, immer sehr genau. Sie achtet dabei auf die ganze Phänomenfülle des Verbalen, auch auf die Prosodie. Sie kann mit ihren Analysen zeigen, warum beim spontanen Sprechen gerade ein Wort mit so wenig Eigenbedeutung zu so vielen Zwecken gebraucht werden kann. Sie formuliert immer vorsichtig, wenn die Belegzahlen gering sind. Sie kann aufgrund ihrer Ergebnisse auch Anregungen für die Lexikografie, für die weitere Forschung an inhaltsarmen Wörtern und für den Fremdsprachenunterricht geben. Gewinnbringend werden dieses Buch Gesprochene-Sprache-Forscher, Syntaktiker, Semantiker und Lexikografen lesen.
Literatur
Kaiser, Julia. 2017. Absolute Verwendungen von Modalverben im gesprochenen Deutsch. Heidelberg: Winter.Search in Google Scholar
Langacker, Ronald W. 2008. Cognitive grammar. A basic introduction. Oxford, New York: Oxford University Press.10.1093/acprof:oso/9780195331967.001.0001Search in Google Scholar
Deppermann, Arnulf. 2008. Lexikalische Bedeutung oder Konstruktionsbedeutungen? Eine Untersuchung am Beispiel von Konstruktionen mit verstehen. In: Anatol Stefanowitsch & Kerstin Fischer (Hg.). Von der Konstruktion zur Grammatik. Tübingen: Stauffenburg, 103–133.Search in Google Scholar
Deppermann, Arnulf, Nadine Proske & Arne Zeschel (Hg.). 2017. Verben im interaktiven Kontext. Bewegungsverben und mentale Verben im gesprochenen Deutsch. Tübingen: Narr. Search in Google Scholar
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