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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter July 10, 2020

Kersten Sven Roth, Martin Wengeler & Alexander Ziem (Hg.). 2017. Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft (Handbücher Sprachwissen 19). Berlin, Boston: De Gruyter. 611 S.

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Rezensierte Publikation:

Kersten Sven Roth, Martin Wengeler & Alexander Ziem (Hg.). 2017. Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft (Handbücher Sprachwissen 19). Berlin, Boston: De Gruyter. 611 S.


Schon seit längerer Zeit grassiert in den Geistes- und Sozialwissenschaften, v. a. in den Philologien, die „Manualitis“, d. h. die Publikation immer neuer Handbücher zu immer mehr Disziplinen, Spezialdisziplinen und Teilbereichen. Zwar hat sich auch der Verfasser dieser Rezension mit diversen Artikeln an dieser Tendenz beteiligt (und war sogar selbst gerade mit der Herausgabe eines Handbuchs befasst), doch quält ihn schon länger der Verdacht, dass das bisher Erarbeitete nicht zuletzt deswegen kompiliert wird, weil verschiedene Forschungsparadigmen und -ansätze weitgehend ausgereizt und die verschiedensten Nischen ausgemessen sind, während neue, weiterführende Kernideen und Theorieentwürfe noch nicht zur Verfügung stehen. Die Gegenwart müsste dann in diesem Sinne als eine Zwischenzeit betrachtet werden, in der die wissenschaftliche Gemeinde auf den zündenden Funken wartet, der durch eine neue, originelle Sehweise, Fragestellung oder Analysemethode die Basis für neue Detailforschungen liefert.

Trotz solcher Vorbehalte gegen das – gleichwohl in vielerlei Hinsicht hilfreiche – Handbuchwesen muss auch der dergestalt kritisch Voreingenommene zugeben, dass es nicht nur Handbücher gibt, die den aktuellen Stand der Forschung in einer bestimmten Disziplin oder deren Teilbereich bloß komprimiert wiedergeben, sondern auch solche, deren Beiträge darüber hinaus die Arbeit in dem betreffenden Fach in theoretischer, methodischer sowie kategoriell-terminologischer Hinsicht befruchten und Blicke über den eigenen Tellerrand ermöglichen. Ein solches Handbuch ist das hier zu besprechende. Es enthält 26 Artikel, die auf drei Kapitel („Sektionen“) aufgeteilt sind: „I Sprachliche Einheiten“, „II Akteure und Handlungsfelder“ und „III Interdisziplinäre Forschungsperspektiven“. Und hierin zeigt sich schon die Besonderheit des Handbuchs: Es widmet sich nicht nur (in Sektion I) den für politische Sprache typischen Sprachphänomenen und bietet Überblicke über bisherige Forschungsansätze, -methoden und -ergebnisse, sondern geht durch zwei Perspektivwechsel deutlich über bisherige Darstellungsformen hinaus. In den Beiträgen der anderen beiden Kapitel wird nämlich der Blick von den sprachlichen Mitteln hin zu den sie verwendenden Akteuren (Personen, Parteien, Massenmedien, Institutionen) und zu den wichtigsten Wissenschaftsdisziplinen gewandt, die jeweils aus ihrer fachspezifischen Sicht zur Erforschung der politischen Kommunikation beigetragen und/oder entsprechende Ergebnisse und Methoden nutzbringend angewendet haben. Da sich das Buch in den Rahmen einer Diskurslinguistik stellt, sind beide Perspektiverweiterungen notwendig und sinnvoll.

Mit elf Beiträgen ist die erste „Sektion“ die umfangreichste. Hier wird der „state of the art“ der Politolinguistik mit Blick auf die unterschiedlichen Teilphänomene der politischen Sprache in ebenso fachkundiger wie vom Leser gut nachvollziehbarer Weise wiedergegeben. Werner Holly beschreibt in seinem Beitrag nicht bloß Sprachhandlungen und Sprachhandlungsmuster sowie deren Spezifika im Bereich des Politischen, sondern projiziert den sprechakttheoretischen Ansatz zugleich auf komplexere (Sprech-)Handlungsabläufe, indem er im Rahmen der Unterscheidung einer Makro-, Meso- und Mikroebene Typologien der Grundfunktionen von Texten, der Textsorten bzw. Interaktionsformate und einzelner Handlungsmuster untersucht. Besonders ausführlich widmet er sich den Selbstdarstellungsstrategien im Rahmen heutiger medialer Inszenierungen, in denen er das Merkmal der „Theatralität“ wirksam sieht. Ausgehend von einer Beschreibung des aktuellen Standes der Schlagwort-Typologie des Konzepts der semantischen Kämpfe/des Begriffe-Besetzens beleuchtet Martin Wengeler die Erweiterung der Schlagwortanalyse zu einer lexikalischen Diskurssemantik sowie auf diesem Ansatz basierende Wörterbücher und erläutert den Mehrwert korpusbasierter Frame-Analysen, die Bedeutungen und Erfahrungshorizonte aufeinander beziehen.

Alexander Ziem und Noah Bubenhofer loten in ihren Beiträgen Möglichkeiten des gewinnbringenden Einsatzes korpuslinguistischer Methoden aus, die, so Ziem, zu hermeneutisch orientierten Ansätzen in einer Ergänzungsbeziehung stünden, indem sie den Diskurswortschatz maschinell zusammenstellen und ordnen, typische Kollokationen und Prädikationen ermitteln sowie grammatische Einbettungsstrukturen darstellen. Bubenhofer stellt sogar, am Beispiel von Bundestagsprotokollen, eine exemplarische quantitative Analyse von Mehrworteinheiten vor, durch die u. a. typische Formulierungsmuster der Parteien eruiert werden können, und erklärt Methode, Berechnung der Keyness sowie Clustering nach Ähnlichkeit. Wer noch keine klare Vorstellung von Korpuslinguistik und den Möglichkeiten ihres politolinguistischen Einsatzes hatte, wird sie nach Lektüre der beiden Beiträge, insbesondere desjenigen von Bubenhofer, haben. Die weiteren Beiträge des ersten Kapitels beschäftigen sich mit den Typen und Funktionen von Metaphern in der Politik (Constanze Spieß), mit der Rolle der Phraseologismen und deren Modifikationen in politischen Textsorten, v. a. in Reden, Wahlpropaganda und medialer Berichterstattung (Stephan Stein), mit Syntax, Semantik und Pragmatik „salienter Sätze“, d. h. markanter fester satzwertiger Formulierungen wie „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, die Teil des kollektiven politischen Aktualwissens und/oder des kollektiven Gedächtnisses sind (Josef Klein), mit den Formen und Mitteln (auch lexikalischen) expliziten und impliziten Argumentierens in Texten und den Methoden der Argumentationsanalyse (Thomas Niehr), mit der Geschichte des Topos-Begriffs und der Rolle der Topoi in der politischen Kommunikation/Argumentation von heute (Manfred Kienpointner), mit der Bestimmung (v. a. am Beispiel des Wahlplakats) und Typologie politischer Textsorten (Melani Schröter) und mit der Ausweitung des politolinguistischen Blicks auf die Multimedialität (von Wahlwerbung) als charakteristischem Merkmal heutiger politischer Texte (Christine Domke & Stefan Meier).

Die acht Beiträge von Sektion II eröffnet Heidrun Kämper, die die Rolle der Personen als Akteure im politischen Diskurs beleuchtet. Im diskursiven Raum sieht sie unterschiedliche Akteurskonstellationen (Kohärenz erzeugende Diskursgemeinschaften, Eliten, denen in der Regel die Diskurshoheit zukommt, und Konsumenten, die erst in den Neuen Medien verstärkt als produzierende Akteure auftreten). Innerhalb von Diskursen, die sprachlich wie inhaltlich von der Domänenzugehörigkeit der Beteiligten geprägt sind, ist zwischen Konsensualität und Agonalität zu unterscheiden, die sich in der Opposition zwischen einem Leit- und einem Gegendiskurs ausdrückt. Die (auf Angermüller rekurrierende) 1:1-Übertragung des Modells des Sich-Behauptens innerhalb diskursiver Eliten auf die Domäne Wissenschaft, wo ja auch Forschungsleistung und Beweise zählen, erscheint jedoch zumindest gewagt.

Steffen Pappert widmet sich im darauffolgenden Beitrag der Rolle der Parteien im Diskurs und skizziert zunächst unterschiedliche medial bedingte und interaktive Facetten der Parteibinnen- sowie die zunehmende Entertainisierung und Personalisierung der Parteiaußenkommunikation. Ausgehend von in der Fachliteratur (v. a. Girnth) unterschiedenen Handlungsfeldern des Politischen versucht Pappert, bereits vorliegende diskursorientierte Beschreibungen von Textsorten „im Hinblick auf die Positionen und Rollen der Parteien als Akteure“ (S. 289) weiterzuentwickeln, indem er den unterschiedlichen Emittenten(gruppen) im politischen Diskurs, bezogen auf die Handlungsfelder der Politik, unterschiedliche kommunikative Praktiken zuweist. Leider decken sich die hier unterschiedenen Handlungsfelder („Öffentlich-politische Meinungsbildung“, „Innerparteiliche Meinungs- und Willensbildung“, „Politische Werbung“ und „Meinungs- und Willensbildung in Institutionen“) nur z. T. mit den ebenfalls so bezeichneten Handlungsfeldern, die die Themen und Überschriften der sich anschließenden Artikel bestimmen – auch wenn es sicher richtig ist, der Kommunikation in den Massenmedien (Printmedien, audiovisuelle und digitale Medien) und den Institutionen der horizontalen Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive, Judikative) gebührenden Raum zu geben.

Hans-Jürgen Buchers Beitrag verfolgt das Ziel, „die Spuren der Akteurskonstellationen in den Pressebeiträgen herauszuarbeiten“, und beschreibt die Medienkommunikation als „triadische Beeinflussungskonstellation [...], in der Journalisten Vermittlungsakteure sind, die zwar eigene Interessen verfolgen, aber auch zwischen Publikum und Politik oder zwischen Publikum und Ökonomie (Verleger) vermitteln müssen“ (S. 303). Bucher sieht Presseberichterstattung mehr als Form des sozialen Handelns denn als bloße Informationsvermittlung und geht sowohl auf unterschiedliche Darstellungsformen und die Multimodalität der Texte als auch auf typische Muster kommunikativer Konstellationen zwischen Journalisten, Politikern und dem Publikum ein.

Martin Luginbühls Sichtung der Kommunikation in den audiovisuellen Medien und Prüfung ihrer zunehmenden „Mediatisierung“ oder sogar „Kommerzialisierung“ und „Entertainisierung“ stützt sich auf Analysen zu Interviews, Fernsehdiskussionen und Fernsehnachrichten und kommt zu dem Schluss, dass sowohl Mediatisierung der und Instrumentalisierung durch die Politik als auch die Orientierung an der Marktlogik und der normativen Logik (Sachlichkeit, Objektivität, Neutralität) die journalistische Textproduktion beeinflussen. Auf die Entwicklung und Nutzung der politischen Kommunikationsformen in den digitalen Medien, v. a. durch die Parteien, konzentriert sich der Artikel von Hajo Diekmannshenke, der sich in die Kapitel „Homepage“, „Chat“, „Gästebuch“, „Blog“, „Soziale Netzwerke/Twitter“ und „YouTube“ gliedert. Die am Beispiel von SMS und WhatsApp und an der App-Nutzung im Allgemeinen demonstrierte Schnelllebigkeit der Formen computerbasierter Internetkommunikation verbietet klare Prognosen. Dass der Abschnitt über „Rechtsextremismus und -populismus im Netz“ viel zu kurz gerät, ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass der extreme Twitter-Missbrauch durch den amerikanischen Präsidenten und die Flutung der sozialen Medien durch rechtsradikale Absonderungen zum Zeitpunkt der Manuskriptabgabe noch nicht vorhersehbar waren. Der Mutter aller Institutionen im demokratischen Rechtsstaat, dem Parlament als Legislative, widmet sich Maria Stopfner. Ausgehend von der Darstellung der Arbeits- und Kommunikationsbedingungen im heutigen „Schaufenster-Parlament“ beschreibt die Verfasserin – mit Fokus auf der Parlamentsdebatte – die wichtigsten kommunikativen Kompetenzen, die die Abgeordneten aufweisen müssen, um im Parlamentsalltag in den unterschiedlichen innen- und außengerichteten Kommunikationsbereichen bestehen zu können. Im Kapitel über die „Parlamentarische Streitkultur“ wird – mit exemplarischem Blick auf den Österreichischen Nationalrat – v. a. der Ordnungsruf zum Thema: Hier werden die Häufigkeit der Ordnungsrufe, ihre Anlässe (wie etwa Beleidigungen oder der explizite Vorwurf der Lüge und ihre qualitative wie quantitative Entwicklung genauer unter die Lupe genommen. Ein Ergebnis ist, dass „die effektive Wirkung der Ordnungsrufe auf die Streitkultur im Parlament [...] äußerst beschränkt ist, besitzt [...] die Abwertung des politischen Gegners bzw. der politischen Gegnerin doch oft höheren Stellenwert als ein der Würde und dem Anstand des Parlaments angemessenes Debattenverhalten“ (S. 391).

Im Beitrag über die Exekutive betrachtet Dorothee Meer die mündlichen Gattungen und schriftlichen Textsorten der Handlungsfelder „Verwaltung“, „Polizei“, „Schule“ und „Hochschule“ unter dem Gesichtspunkt diskursiver Wissenskonstitution. Genauer unter die Lupe genommen werden die typischen Verfahren und Handlungsmuster von Seiten der Agenten und Klienten beim Geben und Einziehen von Informationen. Während in der schulischen und hochschulischen Unterrichtskommunikation mündliche Verfahren des Wissenstransfers im Vordergrund stehen, dominieren in Verwaltung und Polizei Aspekte der Schriftlichkeit. Auf die Handlungsfelder der Judikative konzentriert sich der Beitrag von Dietrich Busse. Ausgehend von einer Diskussion unterschiedlicher Definitionen des Begriffs Institution geht der Verfasser v. a. auf die Institutionen des Rechts, d. h. der Judikative, und die Rechts-Institute als die konkreten, themen- und problembezogenen juristisch-fachlichen Wissensrahmen (wie etwa Ehe oder Eigentum) ein, um sodann das Konfliktpotential näher zu beschreiben, das sich aus der Spannung zwischen den unterschiedlichen Aufgaben und Zielen von Politik und sozialen Institutionen auf der einen und Jurisdiktion bzw. den bisher geltenden Bestimmungen der Rechts-Institute auf der anderen Seite ergibt. Busse kann zeigen, dass eine der wesentlichen Ursachen für solche Konflikte darin liegt, dass mit denselben Wörtern unterschiedliche Wissensrahmen und damit unterschiedliche Wirklichkeitsdeutungen aktiviert werden. Systembedingt üben Politik und Rechtsprechung zudem wechselseitig Zwang aufeinander aus: die Politik durch Gesetzesvorgaben und die Rechtsprechung durch die oberste Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Als dritte Größe in diesem Wechselspiel sieht der Autor die Gesellschaft mit ihren Werten, Normen und Moralvorstellungen, so dass ein eigentlich trianguläres Verhältnis entsteht, in dessen Rahmen die politischen und juristischen Institutionen nicht selten um die Deutungshoheit ringen. Am Beispiel der kontroversen Diskurse um die Präimplantationsdiagnostik und die Definition der Begriffe Gewalt, Nötigung und politische Demonstration zeigt Busse, wie im öffentlichen diskursiven Konflikt politische und juristische Teildiskurse aufeinander treffen, indem unterschiedliche Akteure auf der Basis inkompatibler Wissenssysteme argumentieren, verdeutlicht aber auch, dass die semantische Diskrepanz zwischen Alltagsbegriffen und juristischen Begriffsbestimmungen (wie etwa im Fall Gewalt) durch gesellschaftlichen Wandel und entsprechende politische Entscheidungen aufgehoben werden kann.

Das III. Kapitel hält sieben hilfreiche Artikel bereit, in denen der Einfluss diskurs(polito)linguistischer Ansätze auf benachbarte Wissenschaften und deren Beitrag zur Analyse und Reflexion politischer Sprache bzw. politischer Diskurse reflektiert werden. So sind die Ausführungen Marian Füssels zur Perspektive der Geschichtswissenschaft auf die Sprache als Überblick über vom linguistic turn inspirierte begriffsgeschichtliche Forschungen (Brunner, Conze, Koselleck) und deren Forschungsfelder (Sprache der politischen Theorie, Sprache in politischen Institutionen, Sprache in politischen Konflikten und Sprachpolitik) zu verstehen. Insbesondere am Beispiel der Französischen Revolution wird hier der Nutzen von Begriffs- und Diskursanalyse und damit des „inzwischen schon viele Jahrzehnte andauernden Dialogs zwischen Geschichts- und Sprachwissenschaften“ (S. 462) verdeutlicht. Die weiteren Darstellungen der Forschungsperspektiven von Nachbardisziplinen auf die politische Sprache beziehen sich auf Konzepte, Methoden und Analysen der Soziologie (Reiner Keller), der Politikwissenschaft (Martin Nonhoff), der Kommunikationswissenschaft (Christian Pentzold), der Geographie (Annika Mattissek), Erziehungswissenschaft (Inga Truschkat & Inka Bormann) und der Psychologie (Felicitas Macgilchrist).

Gerade im Rahmen der Diskurslinguistik ist es heute üblich, die „zentrale wissens- und wirklichkeitskonstitutive Leistung der Sprache in gesellschaftlichen Diskursen“ (Einleitung, S. IX) immer wieder hervorzuheben (so auch mehrfach im vorliegenden Handbuch), so dass die Wahrheit gleichsam als flüchtiges Diskursphänomen erscheint. Selbst Wilhelm von Humboldt, der durch seine Rede von der in jeder Sprache liegenden „eigenthümlichen Weltansicht“ als Begründer der Auffassung von der einzelsprachlichen Relativität des Denkens gilt, wäre – das liegt schon im Begriff der „Weltansicht“ selbst – nie so weit gegangen zu behaupten, dass Sprache die Welt im Sinne der Wirklichkeit konstituiert. Natürlich spiegeln sich in den Wörtern und Wendungen der Sprache Erfahrungen und Denkweisen der Sprachbenutzer wider und selbstverständlich trägt die Sprache (etwa durch die Nutzung ihrer metaphorischen und metonymischen Möglichkeiten) zur Wissens- und Meinungsbildung bei, aber „wirklichkeitskonstitutiv“ ist sie allenfalls in dem Sinne, dass sie das mitkonstituiert, was die sie Sprechenden – innerhalb oder auch außerhalb von Diskursen – für wirklich und damit für wahr halten. Wahrheit und Wirklichkeit selbst stehen dem Menschen wie seiner Sprache jedoch unabhängig gegenüber und sind das Ziel forschender Bemühungen. Das ändert aber nichts daran, dass es Diskurse sind, in denen die jeweilige Wirklichkeitsauffassung immer wieder neu ausgehandelt wird. Die Konzentration auf die diskursanalytische Perspektive – die gleichwohl ihre Problemzonen hat – ist daher auf jeden Fall ein Vorzug des Handbuchs. Bei aller Vielfalt der vorgestellten Ansätze und thematisierten Erscheinungsformen der politischen Sprache sowie angesichts der auch in der Politik ständig zunehmenden Bedeutung digitaler Medien muss es aber verwundern, dass dem Wahlplakat, dem in der heutigen politischen Kommunikation selbst im Wahlkampf nur noch eine marginale, überwiegend erinnernde oder markierende Funktion zukommt, gerade in den inter- bzw. multimedial ausgerichteten Beiträgen (Schröter, Domke & Meier) die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Störend ist zudem, dass der immer wieder verwendete Begriff des „Handlungsfeldes“ von den verschiedenen Autoren recht unterschiedlich verstanden wird. Hier hätten die Herausgeber vielleicht auf definitorische Klarheit achten sollen.

Angesichts heutiger internationaler Usancen erscheint es zudem mutig, dass in dem Handbuch keine englisch-, sondern ausschließlich deutschsprachige Abstracts an den Anfang jedes Artikels gestellt werden. Da sich das Buch aber eindeutig an den deutschen Sprachraum richtet und englische Abstracts ohnehin kaum mehr als eine erste Orientierung für diejenigen zu geben vermöge, die die vollständigen deutschen Texte dann doch nicht lesen können (oder wollen), findet der Rezensent das o.k.

Das Handbuch stellt den Stand der politolinguistischen Forschung nicht nur überzeugend dar, sondern erweitert den wissenschaftlichen Blick in mehrfacher Hinsicht sinnvoll auf die Analyse der an den politischen Diskursen beteiligten Akteure und ihrer Handlungsfelder sowie die Fachdiskurse in den Nachbardisziplinen. Infolgedessen ermöglicht es dem entsprechend beschämten Rezensenten nur wenige kritische Bemerkungen. Anschaffung, Lektüre und Benutzung des Nachschlagewerks (das eigentlich mehr ein Nachdenke- oder Neudenkenanregewerk ist) sind uneingeschränkt empfehlenswert.

Online erschienen: 2020-07-10
Erschienen im Druck: 2020-12-01

© 2020 Armin Burkhardt, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 1.10.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2020-2035/html
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