Rezensierte Publikation:
Michael Beißwenger & Steffen Pappert. 2019. Handeln mit Emojis. Grundriss einer Linguistik kleiner Bildzeichen in der WhatsApp-Kommunikation. Duisburg: UVRR. 147 S.
Der rege Gebrauch von Emojis hat in den letzten Jahren für das Interesse der linguistischen Forschungsgemeinschaft an dem Phänomen gesorgt und diese zugleich vor die Herausforderung gestellt, nach dafür geeigneten theoretischen Rahmen sowie Analysemethoden zu suchen. Einen Beitrag zur funktionalen Beschreibung von Emojis leisten Beißwenger & Pappert mit ihrem Buch Handeln mit Emojis, in dem sie einen empirisch fundierten, pragmatisch orientierten Ansatz für die Analyse von Emojis in der WhatsApp-Kommunikation präsentieren und dessen praktische Anwendung mit authentischen Beispielen aus der Datenbank Mobile Communication Database 2 (https://db.mocoda2.de/) veranschaulichen. Der Analyseansatz – oder, wie Beißwenger und Pappert (S. 33) ihn nennen, „Beschreibungsrahmen für die linguistische Analyse der Spezifik von Emojis in internetbasierter Kommunikation“ – setzt sich aus fünf Beschreibungsebenen zusammen, die auf Konzepten der Medienlinguistik, der Textlinguistik, der Semiotik, der Psycholinguistik, der Interaktionalen Linguistik, der Stilistik und der Pragmatik aufbauen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch besteht – inklusive der Einleitung und des Fazits – aus sechs Kapiteln. Das dem Titel der Arbeit Handeln mit Emojis gerechte Untersuchungsziel wird in der Einleitung (Kap. 1) formuliert und besteht darin, aus pragmatischer Perspektive den situativen Gebrauch von Emojis in deutschsprachigen WhatsApp-Chats mit Hilfe des dafür entwickelten Beschreibungsrahmens systematisch zu erfassen (vgl. S. 7–8).
Dafür wird in Kapitel 2 zunächst die theoretische Basis für den im weiteren Verlauf der Arbeit erläuterten Beschreibungsrahmen geschaffen, indem ein Überblick über ausgewählte pragmatisch orientierte linguistische Arbeiten zu Emojis sowie Emoticons als „Vorgänger der Emojis im ‚Web 1.0‘“ (S. 11) gegeben wird. Darunter sind sowohl deutsch- als auch englischsprachige einschlägige Studien, die sich mit Funktionen von Emoticons und Emojis in unterschiedlichen Kommunikationsformen sowie Sprachen auseinandersetzen (Albert 2015; Cramer et al. 2016; Dürscheid & Frick 2014; Imo 2015; Spina 2018 u. a.). Im Anschluss an eine kritische Diskussion der Funktionen von Emojis aus den oben genannten Studien wird gezeigt, dass die meisten davon auf die neun von Pappert (2017) herausgearbeiteten Funktionen zurückgeführt werden können (Rahmung, Ökonomisierung, Beziehungsgestaltung, Modalisierung, Kommentierung/Evaluierung, Strukturierung, Darstellung, ludische Funktion und Ausschmückung). Diese werden daher – erweitert durch Möglichkeiten der Verwendung von Emojis als Ressourcen für das face work (Beißwenger & Pappert 2019a, 2019b) – als Grundlage für die Entwicklung eines Beschreibungsrahmens herangezogen. Positiv hervorzuheben wäre dabei die Tatsache, dass die innerhalb des Beschreibungsrahmens angenommenen Funktionen im Gegensatz zu den meisten anderen Ansätzen „nicht mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stehen, sondern unter einer pragmatisch und semiotisch fundierten Perspektive auf die Leistung von Emojis zueinander in Beziehung gesetzt werden“ (S. 27).
Bevor es zur Darstellung des Beschreibungsrahmens kommt, werden im nächsten Schritt die Daten vorgestellt, mit deren Hilfe das Analysemodell veranschaulicht wird. Dabei handelt es sich um 323 WhatsApp-Ausschnitte aus der Datenbank Mobile Communication Database 2. Diese werden anschließend in den Kapiteln 4 und 5 für eine Schritt-für-Schritt-Vorstellung der fünf Ebenen des Beschreibungsrahmens für die Analyse von Emojis herangezogen. Die fünf Ebenen umfassen laut Beißwenger & Pappert (S. 33–34): (i) Rahmenbedingungen der internetbasierten Kommunikation, (ii) semiotische Qualitäten von Emojis, (iii) deren pragmatische Potenziale, (iv) zwei Grundfunktionen von Emojis sowie (v) kommunikative Praktiken als konkrete Realisierungsmöglichkeiten einer der beiden Funktionen.
Die Verwendung von Emojis wird somit konsequent mit den Rahmenbedingungen der internetbasierten Kommunikation in Relation gesetzt, in der sie realisiert werden. Hier unterscheiden die Autoren fünf Ressourcen, die SchreiberInnen für die Ausgestaltung zweier Typen von Textformen – Postings und Verlaufsprotokolle – in der internetbasierten Kommunikation zur Verfügung stehen. Diese sind (i) Persistenz, (ii) Visualität, (iii) Flächigkeit, (iv) Segmentalität und (v) Multimodalität, die in einem direkten Zusammenhang mit später behandelten pragmatischen Potenzialen von Emojis stehen (S. 41–42). Bei der Beschreibung der interaktionalen Leistung von Emojis wird auch ein weiterer wichtiger Aspekt berücksichtigt, nämlich die Rolle der Semiotik. In Anlehnung an Imos (2015) Analyse des Emoticons :-) wird in diesem Zusammenhang gezeigt, dass auch Emojis kontextabhängig als Ikone, Indizes oder Symbole eingesetzt werden, wobei zu Recht betont wird, dass in einzelnen Fällen mehr als eine semiotische Qualität gleichzeitig aktiviert werden kann.
Mit der dritten Ebene, die die zwei pragmatischen Potenziale visuelle Salienz und Rahmung beinhaltet, wird der Bogen zu den bereits in 4.1 beschriebenen Rahmenbedingungen internetbasierter Kommunikation geschlagen, die eine Art ‚Bühne‘ darstellen, auf der „Emojis ihr spezifisches Handlungspotenzial entfalten“ (S. 33). Die visuelle Salienz ergibt sich daraus, dass in der WhatsApp-Kommunikation als textformenbasierter Interaktion zwar die Möglichkeit zur multimodalen Gestaltung von Postings gegeben ist, aber die Schrift trotzdem als die sogenannte ‚Default-Modalität‘ gilt. Das hat zur Folge, dass sich Emojis als Bildzeichen von diesem Hintergrund deutlich abheben und auf der Ebene des Postings strukturierend wirken. Somit geben Emojis dem Empfänger bereits vor dem Rezipieren des Textes den ersten Hinweis auf die Inhalte eines Postings (S. 62–68). Zudem können Emojis grundlegend dazu genutzt werden, eine Kommunikationssituation als „soziale Nähesituation“ (S. 66; Hervorhebung im Original) zu markieren, was in Anlehnung an Pappert (2017) als Rahmung bezeichnet wird.
Die beiden pragmatischen Potenziale stellen die Grundlage dafür dar, dass Emojis in der internetbasierten Kommunikation zwei Funktionen – die Funktion des Lesbarmachens und die Funktion des Sichtbarmachens – übernehmen können (vgl. S. 69–74). In diesem Rahmen lässt sich jeweils eine Reihe von Praktiken (vgl. Deppermann et al. 2016) unterscheiden. Die Funktion des Lesbarmachens liegt bei solchen Emojis vor, die vom Zeichenproduzenten als Kontextualisierungshinweise im Sinne von Gumperz (1982) eingesetzt werden, um dem Rezipienten die intendierte Interpretation einer schriftsprachlichen Äußerung nahezulegen. Diese Funktion wird in den Daten der Autoren in Form von zwei Praktiken realisiert. Bei der ersten Praktik, die als kalkulierte Inkonstistenz als Anweisung zur Suche nach dem Gemeinten bezeichnet wird, dienen Emojis der Verdeutlichung der Interaktionsmodalität eines Postings. Im Rahmen der zweiten Praktik bringen Emojis eine Einstellung des Zeichenproduzenten zu einem Sachverhalt zum Ausdruck, wobei diese u. a. die Form eines Kommentars oder einer Bewertung annehmen kann (nichtredundante Markierung von Einstellungen).
Bei der zweiten Funktion – dem Sichtbarmachen – tritt die Bildhaftigkeit von Emojis in den Vordergrund, da Emojis dabei im Gegensatz zur ersten Funktion dazu benutzt werden, um die schriftlich zum Ausdruck gebrachte (Teil-)Proposition bildlich zu unterstützen, eine Proposition oder ihre Teile „in eine andere Zeichenmodalität transformiert“ (S. 73) darzustellen oder die Beziehungsarbeit bildlich zu kommunizieren. Dabei handelt es sich um drei Gruppen von Praktiken. In der ersten Gruppe der Praktiken – des Ins-Bild-Setzens – werden Emojis zum Illustrieren oder zum Ausschmücken einer schriftsprachlichen Äußerung eingesetzt, wobei die Grenzen zwischen den beiden Teilpraktiken fließend sind. Die zweite Gruppe nennt sich Handeln ohne Sprache und umfasst solche Fälle, in denen Emojis benutzt werden, um eine bestimmte Handlung oder (Teil-)Proposition zum Ausdruck zu bringen. Emojis werden dabei verwendet, um eigenständige kommunikative Handlungen zu vollziehen (Handlungen realisieren), um auf Gegenstände und Sachverhalte zu verweisen (Referieren), um als kohäsives Mittel auf der Ebene des Postings oder des gesamten Verlaufsprotokolls zu fungieren (Verknüpfen und Vernetzen) und um die eigene Beziehung zum Kommunikationspartner zu explizieren (Beziehung zum Gegenüber thematisieren). Die dritte Gruppe von Praktiken hängt mit face work im Sinne von Goffmann (2013) zusammen und schließt diejenigen Praktiken mit ein, die entweder face flattering acts (Kerbrat-Orecchioni 2005), wie z. B. Lob, verstärken oder die (potenzielle) Gesichtsbedrohung (vgl. face-threatening acts bei Goffmann 2013) abmildern bzw. abfedern (Abschwächung als Mittel zur sozialverträglichen Organisation des sprachlichen Handelns).
Im Fazit werden die fünf oben beschriebenen Ebenen noch einmal kurz aufgegriffen und in Relation zueinander gesetzt, wodurch die enge Verzahnung einzelner Ebenen des Beschreibungsrahmens noch einmal hervorgehoben wird. Das Fazit leistet außerdem einen wertvollen Beitrag zur Revision linguistischer und gesellschaftlicher Sichtweisen auf die Rolle von Emojis in der schriftbasierten Kommunikation. Es wird zum einen darauf hingewiesen, dass Emojis nicht lediglich als Kompensierungsstrategien (Androutsopoulos 2007) für die ausbleibende ‚Körperlichkeit‘ angesehen werden können. Zum anderen wird betont, dass der aktive Gebrauch von Emojis nicht zur Abschaffung der verbalen Sprache führen kann. Vielmehr plädieren Beißwenger & Pappert dafür, Emojis als „eine Weiterentwicklung der Gestaltungsmittel“ (S. 136) zu betrachten, die im Rahmen der internetbasierten Kommunikation einerseits zur Herstellung der Intersubjektivität (Schegloff 1992) beitragen und andererseits meist selbst erst aus dem Zusammenspiel mit sprachlichen Ausdrücken interpretiert werden können.
Fazit
Beißwenger & Pappert bieten eine kompakte, theoretisch fundierte Darstellung ihres pragmatisch orientierten Ansatzes zur Beschreibung der Verwendung von Emojis in der internetbasierten Kommunikation, der auf empirischer Basis entwickelt und auf seine Tauglichkeit überprüft wurde. Dieser Ansatz ermöglicht es, mehrere für die Analyse von Emojis relevante Aspekte zu berücksichtigen und in Relation zueinander zu bringen, um interaktionale Leistungen von Emojis in authentischen Daten umfassend und systematisch zu beschreiben: (i) die Rahmenbedingungen der Kommunikation, in der Emojis realisiert werden, (ii) deren Eigenschaften als Zeichen sowie (iii) deren pragmatische Potenziale. Außerdem lässt sich feststellen, dass das von den Autoren erarbeitete Beschreibungsmodell beinahe alle in der Forschungsliteratur thematisierten Verwendungskontexte auf einer der drei Ebenen – pragmatische Potenziale, Funktionen oder Praktiken – abdeckt.
Das Buch zeichnet sich durch eine klare Struktur sowie eine transparente und detaillierte empirische Analyse aus, die mit zahlreichen Anmerkungen zur methodischen Vorgehensweise versehen ist und in deren Rahmen sowohl eindeutig interpretierbare Beispiele als auch Grenz- sowie Zweifelsfälle behandelt werden. Das ausführliche und für LeserInnen gut nachvollziehbare Analyseverfahren in Kombination mit kurzen theoretischen Exkursen, in denen einzelne für die Präsentation des Beschreibungsrahmens relevante Konzepte wie face work etc. kurz eingeführt werden, macht das Buch zu einer didaktisch optimal aufbereiteten Lektüre zum Einsatz in linguistischen Lehrveranstaltungen. Darüber hinaus ist der Beschreibungsrahmen so konzipiert, dass er sich nicht nur für die Analyse von Emojis in der WhatsApp-Kommunikation, sondern auch für die Untersuchung des Gebrauchs von Emojis in weiteren Kommunikationsformen eignet, worauf die Autoren in der Einleitung auch hinweisen. Zudem stellt der Beschreibungsrahmen eine gute Grundlage für die Analyse von Emojis nicht nur im Deutschen, sondern auch in weiteren Sprachen dar.
Literatur
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© 2020 Irina Mostovaia, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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