Rezensierte Publikation:
Tanja Ackermann. 2018. Grammatik der Namen im Wandel. Diachrone Morphosyntax der Personennamen im Deutschen (Studia Linguistica Germanica 134). Berlin, Boston: de Gruyter. 371 S.
Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Eigennamen stehen traditionell kulturelle, philologische und etymologische Aspekte, die beispielsweise die Herkunft, das sprachspezifische Inventar und den Gebrauch von Namen betreffen. Im Gegensatz dazu sind grammatische Eigenschaften von Eigennamen erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit stärker ins Zentrum des Erkenntnisinteresses gerückt.[1] So wurden seit etwa den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts semantische und grammatische Unterschiede zwischen Eigennamen und ‚normalen‘ appellativischen Substantiven ausführlicher diskutiert (vgl. z. B. Gallmann & Neef 2005 für einen Überblick). In diesem Zusammenhang ist für das Deutsche festgestellt worden, dass die Kontraste zwischen Eigennamen und Appellativen sich erst im Laufe der historischen Sprachentwicklung herausgebildet haben. Eine umfassende (korpusbasierte) empirische Aufarbeitung und zusammenhängende Darstellung dieses diachronen Prozesses stellt aber bislang noch ein Forschungsdesiderat dar. Mit der vorliegenden Publikation schickt sich Tanja Ackermann an, diese Lücke zu schließen. Dabei handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die 2017 an der FU Berlin eingereicht und von Horst Simon und Damaris Nübling betreut wurde.
Im Mittelpunkt der Studie stehen Sprachwandelprozesse, die vor allem seit dem Frühneuhochdeutschen die Kasus- und Numerusflexion von Personennamen betroffen haben, wobei Letztere als prototypische Vertreter der ansonsten recht heterogenen Gruppe der Eigennamen herausgegriffen werden. Weitere Schwerpunkte betreffen morphosyntaktische Aspekte der Herausbildung des zweigliedrigen Gesamtnamens (bestehen aus Ruf- und Familienname) und den Übergang der genitivischen -s-Flexion zu einem namenspezifischen possessiven Marker. Letzterer Prozess berührt auch Eigenschaften und Sprachwandeltendenzen des Gegenwartsdeutschen. Die Diskussion grammatischer Eigenschaften und ihrer Veränderungen erfolgt auf einer ausgesprochen soliden empirischen Basis, die neben Korpusstudien auch Fragebogen- und Experimentalstudien umfasst. Das Buch umfasst 371 Seiten und enthält neben einem kurzen, aber hilfreichen Index einen Anhang, der Hintergründe zu den empirischen Studien liefert.
Inhalt
Nach einem kurzen Überblick über Aufbau, Gegenstände und Ziele der Arbeit (Kapitel 1) folgt im zweiten Kapitel eine detaillierte Darstellung der Eigenschaften von Eigennamen im Gegenwartsdeutschen. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem morphosyntaktische Spezifika, die Eigennamen gegenüber appellativischen Substantiven auszeichnen, wie der Ausdruck von Flexionseigenschaften (Genus, Numerus, Kasus) und die abweichende syntaktische Distribution von Eigennamen in der Nominalphrase (insbesondere den Artikelgebrauch und die Stellung von Genitivattributen betreffend). In diesem Zusammenhang behandelt Tanja Ackermann auch die vieldiskutierte Frage, welcher syntaktischen Kategorie Eigennamen zuzuordnen seien. Sie verfolgt dabei einen prototypentheoretischen Ansatz und positioniert Eigennamen auf einem Kontinuum zwischen pronominalen/artikelartigen Elementen und genuinen Substantiven. Das grammatische Sonderverhalten von Eigennamen führt die Verfasserin im Rahmen eines funktionalistischen Ansatzes auf die speziellen semantisch-pragmatischen Eigenschaften von Eigennamen zurück, die sie in der Tradition von Kripke (1980) als starre Designatoren auffasst. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Idee, dass eine Tendenz dazu besteht, den Wortkörper von Eigennamen aufgrund ihrer speziellen Funktion zu schonen, d. h. möglichst unflektiert zu lassen („morphologische Schemakonstanz“). Abschließend werden Personennamen als die prototypischen Vertreter der Klasse der Eigennamen herausgestellt und es wird motiviert, weshalb eine Untersuchung ihrer diachronen Entwicklung von besonderem linguistischen Interesse ist.
Die sich anschließenden Kapitel 3 bis 5 stellen den empirischen und theoretischen Kern der Arbeit dar. Gegenstand von Kapitel 3 ist der grammatische Status des zweigliedrigen Personennamens im Deutschen und dessen diachrone Herausbildung in der frühneuhochdeutschen Periode. Es wird zunächst gezeigt, dass zweigliedrige Personennamen stets rechtsköpfig sind und sich signifikant von linksköpfigen Juxtapositionen der Art „(der) Rechtsanwalt Müller“ unterscheiden. Im Anschluss argumentiert Tanja Ackermann dafür, mehrteilige Personennamen als syntaktische Komposita zu analysieren, die aus der Verknüpfung zweier nominaler Köpfe bestehen ([N10 N20]N20). Der zweite Teil des Kapitels rekonstruiert die historische Herausbildung des zweigliedrigen Personennamens aus einer Kombination aus Rufname und Beiname. Auf der Basis einer detaillierten Korpusstudie werden dabei die morphosyntaktischen Reflexe der Zusammenrückung der Namenbestandteile herausgearbeitet. Im Mittelpunkt stehen sowohl flexionsmorphologische Aspekte (insbesondere der Verlust von Polyflexion, d. h. mehrfacher Kasusmarkierung an den einzelnen Namenbestandteilen) als auch syntaktische Veränderungen, die die Stellung onymischer bzw. appellativischer Genitivattribute innerhalb der NP betreffen.
Kapitel 4 präsentiert eine umfassende Untersuchung der zunehmenden Deflexion von Personennamen, die auf der Basis von Korpusstudien den zeitlichen Ablauf der einzelnen historischen Prozesse detailliert nachzeichnet. Es wird gezeigt, dass die Kasusmarkierung von Eigennamen ab dem 18. Jahrhundert einem durchgreifenden Wandel unterliegt, der zunächst über den Verlust von Kasusallomorphie zur Ausbildung „überstabiler“ Marker (-(e)n für Akk./Dat. und -s für Gen.) führt und schließlich in den weitgehenden Schwund von Kasusflexion mündet (wobei -s als Possessivmarker umgedeutet wird). Ferner wird mithilfe inferenzstatistischer Verfahren untersucht, welchen Einfluss verschiedene Faktoren wie Genus/Sexus, Namenauslaut, Position onymischer Genitivattribute relativ zum Kopfnamen oder die Verwendung lateinischer Flexive auf die Realisierung von Kasus an Personennamen haben. In diesem Zusammenhang formuliert Tanja Ackermann eine funktionalistische Erklärung der historischen Entwicklungen, die wiederum auf das Prinzip der Schemakonstanz (d. h. der Schonung/Instandhaltung des Namenkörpers) rekurriert. Dieser Ansatz wird u. a. durch die Beobachtung gestützt, dass der Verlust der Kasusflexion zunächst solche Markierungsverfahren betroffen hat, die die Wortstruktur des Namens stärker affiziert haben (z. B. durch Veränderungen der Vokalqualität wie in Maria – Marien). Im Anschluss wird gezeigt, dass sich ähnliche Abbautendenzen auch im Bereich der Pluralmarkierung nachweisen lassen. Parallel zum Schwund der Kasusflexion findet auch hier eine Reduktion der einst reichen Allomorphie auf den überstabilen -s-Marker statt. Die Tatsache, dass dieser Prozess nicht zum völligen Verlust der Numerusflexion an Eigennamen geführt hat, versucht Tanja Ackermann durch die Annahme zu erfassen, dass hier der Konstanthaltung des Namenkörpers ein höher eingestuftes funktionales Prinzip entgegensteht, das die Markierung von Numerus an Nomen präferiert. Der von ihr postulierte Wandelfaktor Schemakonstanz wird im abschließenden Abschnitt 4.3 einer psycholinguistischen Prüfung unterzogen. Dabei wird anhand der Ergebnisse eines Self-Paced-Reading-Experiments zur variierenden s-Markierung von Fremdwörtern, Kurzwörtern und Toponymen dafür argumentiert, dass der Faktor Schemakonstanz auch in der Gegenwartssprache zur Erklärung des Flexionsverhaltens von Nomen herangezogen werden kann, die nur unzureichend ins Sprachsystem integriert sind.
Aspekte der Gegenwartssprache werden auch in Kapitel 5 behandelt, das sich mit dem Status des possessiven -s bei Personennamen auseinandersetzt. Auf der Basis einer kritischen Diskussion einschlägiger Analysevorschläge argumentiert die Verfasserin dafür, dass es sich bei -s zumindest im Kontext von (pränominalen) Personennamen nicht mehr um ein Kasusflexiv, sondern um einen Marker von Possessivität handelt, der gleichzeitig Definitheit ausdrückt. Ferner kommt sie zu dem Schluss, dass das possessive -s noch kein Klitikum sei, sondern sich auf einem Kontinuum zwischen Affix- und Klitikstatus bewege. Sie vergleicht anschließend die Situation im Deutschen mit den entsprechenden historischen Entwicklungen im Englischen und Niederländischen, die zwar Parallelen zum Deutschen zeigen, aber bereits weiter vorangeschritten sind. Vor diesem Hintergrund behandelt Tanja Ackermann die Frage, wie sich die Herausbildung des Possessivmarkers theoretisch modellieren lässt. Sie vertritt dabei die Auffassung, dass ein konstruktionsgrammatischer Ansatz, der die historische Entwicklung als einen Fall von Konstruktionalisierung (d. h. als Herausbildung eines neuen Konstruktionstyps) betrachtet, den empirischen Befunden am ehesten gerecht wird. Das Kapitel schließt mit einem neuen Vorschlag zur Beschreibung der Genitivmorphologie im Deutschen, der auf der Idee aufbaut, dass Namen eine eigene Deklinationsklasse bilden, in der der Genitiv nur noch bei maskulinen und neutralen Eigennamen auftreten kann, während feminine Eigennamen stets unflektiert bleiben.
Kapitel 6 fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und enthält einen Ausblick, in dem Forschungsdesiderate und Themen für Anschlussforschungen identifiziert werden.
Kommentar
Mit dem vorliegenden Buch liefert Tanja Ackermann einen wichtigen Beitrag zu einem bislang vernachlässigten Forschungsgegenstand. Auf der Basis eines innovativen methodischen Ansatzes, der Korpusrecherchen, inferenzstatistische Instrumente und psycholinguistische Experimente für die Untersuchung von Sprachwandel nutzt, gelangt sie zu einer Reihe hochinteressanter empirischer Befunde, die zum Teil weit über den Stand der bisherigen Forschung hinausgehen bzw. bisherige Einschätzungen zu den diskutierten historischen Entwicklungen vor dem Hintergrund detaillierter quantitativer Analysen korrigieren. Wesentliche Befunde betreffen u. a.:
Details zum zeitlichen Ablauf der Deflexion von Personennamen sowie zu den Faktoren, die diese Entwicklung beeinflusst haben;
die Rolle lateinischer Endungen, die bis zum 18. Jh. einen Großteil der mehrfach flektierten Personennamen (in der Schriftsprache) ausmachen;
den Artikelgebrauch mit Personennamen, der im Frühneuhochdeutschen in einer Übergangsphase auftritt (möglicherweise zur Kompensation des Kasusschwunds), aber dann wieder zurückgedrängt wird (vermutlich aufgrund normativer Tendenzen);
die Entwicklung des s-Plurals bei Eigennamen, der offenbar sowohl durch die Reanalyse des Genitiv-s bei Kollektivbildungen (des Müllers Familie > die Müllers) als auch durch den Gebrauch als Plural bei entlehnten Rufnamen beeinflusst wurde.
Darüber hinaus zeichnet sich das Buch durch eine kenntnisreiche theoretische Diskussion der Daten aus, die mit einer Kombination aus funktionalistischen Erklärungsmodellen und modernen phrasenstrukturellen Analysen einen neuen Weg geht. Der von Tanja Ackermann verfolgte theoretische Ansatz gibt aber auch Anlass zu einigen kritischen Anmerkungen. So ist nicht immer unmittelbar nachvollziehbar, warum die Autorin sich für eine bestimmte Art der theoretischen Analyse entscheidet. Im Zweifelsfall scheint es eine gewisse Präferenz für eine funktionalistische bzw. konstruktionsgrammatische Lösung zu geben, auch wenn alternative (generative) Ansätze die Fakten mindestens ebenso gut zu erfassen scheinen. Exemplarisch möchte ich hier die Analyse des possessiven -s im Deutschen herausgreifen. Obwohl die Verfasserin an mehreren Stellen betont, dass -s in pränominaler Position als Possessivmarker zu analysieren ist, verfolgt sie letzten Endes keine (entsprechend konsequente) Analyse, die -s als Exponent eines entsprechenden funktionalen Kopfes in der syntaktischen Struktur betrachtet. Stattdessen schlägt sie in Anlehnung an Booij (2010) eine konstruktionsgrammatische Analyse als „definite s-Konstruktion“ (S. 319) vor. Dabei scheint die Entwicklung des -s vom Flexiv zum Possessivmarker gerade Eigenschaften (Zunahme vom Kompositionalität) aufzuweisen, die gegen eine Analyse als Konstruktion sprechen. Diesem Problem versucht die Autorin dadurch zu begegnen (S. 314 f.), dass sie die entsprechenden Veränderungen als einen Konstruktionalisierungsprozess betrachtet, der auf einer abstrakteren Ebene („Makroebene“) operiert und zur Herausbildung einer neuen Determiniererkonstruktion führt. Dieser Aspekt wird allerdings auch von einer derivationellen phrasenstrukturellen Analyse korrekt erfasst, die -s als Ausbuchstabierung eines D-Kopfes mit den Merkmalen [+possessiv, +definit] begreift.
Gegen einen solchen Ansatz bringt Ackermann vor, dass er der „lexikalistischen Hypothese widersprechen würde, derzufolge Wortteile nicht über syntaktische Knoten verteilt werden können“ (S. 318). Dieses Argument ist aber nicht zwingend, da es von einer traditionellen Interpretation der lexikalistischen Hypothese ausgeht, die in neueren Theorien zur Syntax-Morphologie-Schnittstelle (wie etwa der Distribuierten Morphologie) aufgegeben wird. Das muss zwar nicht heißen, dass eine generative Analyse anderen Ansätzen notwendig überlegen ist – die Entscheidung für einen bestimmten theoretischen Ansatz ist letztlich auch immer eine Frage des persönlichen Geschmacks. Nichtsdestotrotz sollte die Wahl der theoretischen Mittel aber gut nachvollziehbar begründet sein – gerade, wenn man wie Tanja Ackermann verschiedene Analysemöglichkeiten in Betracht zieht. Ein weiteres Detailproblem betrifft das Flexionsparadigma von Personennamen, das Tanja Ackermann auf Seite 322 vorschlägt und das vorsieht, dass feminine Eigennamen gänzlich unflektiert bleiben. Zwar kann der s-Marker an pränominalen Eigennamen wie Annas Auto als Ausdruck von Possessivität gedeutet werden; es ist aber unklar, wie dieser Ansatz mit anderen Fällen umgeht, in denen offenbar noch eine ‚echte‘ Genitivmarkierung vorliegt (wie Annas wegen oder das neue Buch Annas).
Ungeachtet dieser Kritikpunkte handelt es sich bei dem vorliegenden Buch um eine beeindruckende Forschungsleistung, die gegenwärtig als Referenzwerk zur historischen Morphosyntax der Eigennamen im Deutschen gelten kann. Das Buch spricht dabei in erster Linie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die sich für dieses spezielle Thema interessieren. Aufgrund seines klaren Aufbaus und der Schwerpunktsetzung auf empirische Aspekte eignet es sich aber auch als Grundlage für Lehrveranstaltungen im Bereich der (historischen) germanistischen Linguistik.
Literatur
Frege, Gottlob. 1892. Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100, 25–50. Search in Google Scholar
Gallmann, Peter & Martin Neef (Hg.). 2005. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 24.1, Themenheft Eigennamen.fglSearch in Google Scholar
Kripke, Saul A. 1980. Naming and Necessity. Oxford: Blackwell.Search in Google Scholar
Russell, Bertrand. 1905. On Denoting. In: Mind 56, 479–493. Search in Google Scholar
© 2020 Eric Fuß, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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